Das social Distel-Ding – Die Corona-App und das neue Bewusstsein für Datensicherheit

ID 102966
 
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Teil 46 der Kolumne aus dem social distancing - Heute mit der Vorfreude über die Corona-App, der Hoffnung auf weiteres Bewusstsein für Datensicherheit und ein Corona-App-Gesetz, sowie einen Blick auf Amthor und die KI-Firma Augustus Intelligence
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06:38 min, 15 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 15.06.2020 / 17:45

Dateizugriffe: 3242

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 15.06.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Oh, morgen ist sie endlich da. Morgen hat das Warten ein Ende und wir treten endlich ein in die nächste und hoffentlich letzte Stufe auf dem langen Weg die Corona-Pandemie zu beenden. So oder so ähnlich klingt die Hoffnung, die wir in die Corona-App legen, die morgen live gehen soll.
Die Technik kann uns dann helfen unsere Begegnungen im Blick zu behalten und verschafft darüber eine weitere Ebene der Sicherheit. Wenn wir mit vielen Menschen Kontakt hatten haben wir social Distel-Dinger, die solch häufige Zusammentreffen ja nicht mehr gewöhnt sind, jetzt die Möglichkeit mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu erfahren, ob eine möglicherweise ansteckende Person darunter war.
Nochmal kurz zur Erklärung wie die App funktionieren soll, zumindest wie es die Kollegen von Netzpolitik.org erforscht haben:
Über Bluetooth tauscht das Smartphone Daten mit Smartphones in der Nähe aus und speichert sie. Für den Fall, dass eine Person, die diese App ebenfalls nutzt und sich längerfristig in unserer Nähe aufgehalten hat, einen positiven Covid-19-Test macht und dieses positive Ergebnis auch freiwillig in der App angibt, bekommt mein Smartphone eine Nachricht, dass es sich in der Nähe eines Smartphones einer potentiell ansteckenden Person befunden hat. Mit dieser Information kann ich mich dann krankschreiben lassen, in Quarantäne begeben und einen Test machen lassen. Die dafür notwendigen Daten werden auf meinem eigenen Gerät gespeichert und der Code der App, also ihr Bauplan, ist auf der Programmierer-Austauschplattform bzw. dem netzbasierten Dienst zur Versionsverwaltung für Software-Entwicklungsprojekte Git-Hub öffentlich von der großen Community der Datenschützer und Programmierer einsehbar. Dadurch sollten Probleme der App, aber auch Sicherheitslücken und Überwachungstrojaner, sehr schnell öffentlich werden und deshalb unwahrscheinlich sein.
Trotz allem: Es ist eine App. Und damit ein Programm, dass wir eigentlich rund um die Uhr bei uns tragen. Schließlich sind unsere Smartphones mittlerweile so smart und uns so nah geworden, dass über sie ein kompletter Einblick in unser Leben, unser Denken und sogar unsere Wünsche gewonnen werden kann.
Nur soll diese App eben dazu führen, dass wir unser Leben wieder freier führen können, unser Denken sich nicht mehr nur um die Gefahr einer zweiten Welle dreht und unsere Wünsche nach einem schnellen Ende der Pandemie endlich erhört werden.
Insofern ist die Forderung nach einem Corona-App-Gesetz absolut sinnvoll. Denn auch wenn grundsätzlich gilt, dass sich jede und jeder die App freiwillig herunterladen kann, ist eine wirkliche Freiwilligkeit bei Androhung der fortgesetzten Pandemie-Eindämmungs-Unfreiheit nicht gegeben. Ein Gesetz sollte deshalb den Umfang und die Grenzen der zulässigen Datenverarbeitung regeln, dafür sorgen, dass die App nicht durch sozialen Druck verpflichtend wird und festlegen, ab welchem Moment diese App ausgedient hat. Ansonsten bleibt trotz aller positiven Aspekte der dezentralen Variante der Corona-App ein fader Beigeschmack, spätestens wenn immer neue Updates aufgespielt werden. Negativ-Beispiele für Smartphone-gestüzte Überwachung und Kontrolle kennen wir zu Genüge, vor allem aus China.
Dennoch, diese App ist eine große Chance. Nicht nur für die Pandemie-Eindämmung. Ganz grundsätzlich bekommt dieses social Distel-Ding das Gefühl, dass jede und jeder jetzt etwas genauer auf das Smartphone blickt und sich mit den Gefahren auseinander setzt. Jetzt, da der Staat plötzlich auf dem persönlichen Gerät aufzutauchen droht, wird vielen die Gefahr bewusst, die entsteht, wenn die eigenen Smartphone-Daten in falsche Hände gelangen. Das alte, fadenscheinige Argument, man hätte ja nichts zu verbergen, ist dagegen kaum zu hören. Allen dürfte bewusst sein, dass die persönlichen Informationen und Korrespondenzen ein schlechtes Licht auf einen werfen, zumindest, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden.
Und damit wirft diese Krise wieder ein Schlaglicht auf grundsätzliche Probleme unserer Zeit. Wir machen uns angreifbar, indem wir unsere persönlichsten Daten den großen amerikanischen IT-Firmen und damit höchstwahrscheinlich auch dem amerikanischen Geheimdienst NSA zugänglich machen. Und das in einer Zeit, in der spätestens der Cambridge Analytica Skandal gezeigt hat, dass diese Daten genutzt werden können, um unser Wahlverhalten, unser Denken und unsere Wünsche zu beeinflussen.
Die beiden größten demokratischen Fehlgriffe hin zu einem neuen Chauvinismus und auf Führerfiguren ausgerichteten Populismus sind direkte Folgen dieser Datenauswertung und -weiterverwertung: Trump und der Brexit, bzw. Boris Johnson.
Vor diesem Hintergrund kommt dieses neue Bewusstsein für Datensicherheit fast ein bisschen zu spät. Oder gerade noch rechtzeitig, wenn Mensch mit einberechnet, dass mit Hochdruck an künstlicher Intelligenz gearbeitet wird, die Gesichts-, Sprach- und Bewegungserkennung verbessert und mit weiteren Überwachungsmöglichkeiten kombiniert.
Richtig Angst und Bange kann den social Distel-Dingern werden, wenn sie sehen, was im Amthor-Skandal öffentlich wurde. Phillip Amthor, die junge hässliche Fratze des Konservatismus, war bei einem von Deutschen geführten US-KI-Unternehmen als Lobbyist unter Vertrag. Dieses Unternehmen gibt sich absolut geheimniskrämerisch darüber, was es denn eigentlich macht. Dafür wissen wir ziemlich gut, auf welche politische Unterstützung es setzt: Erz-Konservative bis ins völkische Abdriftende. Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Verfassungsschutzpräsident und als Fürsprecher der Werte-Union mittlerweile ein Stichwortgeber der AfD, flog mit Amthor anscheinend ebenfalls im Privatjet der Firma nach St. Moritz.
Bei Andi „statt Fahrradwege baue ich lieber Straßen“ Scheuer durfte sich besagtes KI-Unternehmen Augustus Intelligence auch im Verkehrsministerium als Experte generieren und mit großen Playern wie BMW, Bosch und dem Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt über die richtige Strategie der Künstlichen Intelligenz sprechen.
Wenn die Zukunft der Digitalisierung und der KI in der Bundesrepublik in die Hände einer Firma gegeben wird, die ihren Sitz in den USA hat und von Erzkonservativen und zweifelhaften Politikern unterstützt wird, dann haben wir ein echtes Problem. Bleibt zu hoffen, dass ein Untersuchungsausschuss die Hintergründe lückenlos aufklärt und, dass das neu gefundene Datensicherheitsbewusstsein sich nicht nur auf die Corona-App beschränkt. Letztlich sind unsere Daten bei Facebook und Co. nicht besser aufgehoben.
Aber jetzt wünscht sich dieses social Distel-Ding erst einmal, dass die Corona-App sicher bleibt und hilft bald die Stacheln abzulegen. So langsam reicht das Dasein als social Distel-Ding nämlich.

Kommentare
16.06.2020 / 18:01 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 16.6.. Vielen Dank!
 
19.06.2020 / 21:48 Marie,
wird gesendet
in Osmose am 20.6. danke