Chemnitzer Turnaffäre

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Eine Geschichte, die bundesweit für Aufsehen sorgte: die sogenannte „Chemnitzer Turnaffäre“. In der Vergangenheit machte der Bundes- und Olympiastützpunkt für Turnen in Chemnitz Schlagzeilen mit Erfolgen bei Olympia und Weltmeister*innenschaften. Heute wird die Trainerin hinter diesen Errungenschaften, Gabriele Frehse, von ihren eigenen Sportlerinnen der psychischen Gewalt, des Machtmissbrauches und der illegalen Medikamentenweitergabe angeklagt.
Radio T widmete sich der Chemnitzer Turnaffäre ausführlich in einer Radio Spezial Sendung. Einer Chronologie der Ereignisse schließt sich ein Interview in zwei Teilen an. Max von Radio T sprach mit Dr. Britt Dahmen. Sie ist Ombudsperson für psychische Gewalt beim Deutschen Turnerbund. Mit ihr sprach Max über Leistungssport, psychische Gewalt und Gewaltprävention im Turnsport.
Audio
42:00 min, 96 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.06.2021 / 16:02

Dateizugriffe: 1269

Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Sport
Entstehung

AutorInnen: Maximilian L.
Radio: Radio T, Chemnitz im www
Produktionsdatum: 06.06.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
1. Einleitung

Hallo und damit herzlich willkommen zu unserer heutigen Radio Spezial Sendung. Meine Name ist Maximilian L., ich habe diese Sendung ausgearbeitet und führe heute durchs Programm. Wir wollen uns in dieser Spezialsendung einem Thema widmen, das Chemnitz gerade in die bundesweiten Schlagzeilen bringt, die sogenannte „Chemnitzer Turnaffäre“. Es geht um die Vorwürfe gegen Gabriele Frehse, nun gekündigte Trainerin im Turnen am Olympiastützpunkt Chemnitz. Worum es en détail geht, darauf gehe ich gleich noch ein. Zunächst etwas über die Bedeutung und die Geschichte des Turnsports in Chemnitz.

Schon 1837 eröffnete Ambrosius Weigand die erste Chemnitzer Turnanstalt. Und bereits 1911 bezeichnete sich Chemnitz als Sportstadt. Seitdem ist in der Sportstadt Chemnitz und vor allem im Turnsport einiges passiert. Es wurde investiert, es wurden Strukturen aufgebaut und Erfolge erzielt. Bis heute, ist der Olympiastützpunkt für Turnen eine der wichtigsten Adressen für junge Turner*innen, auf ihrem Weg zu den ganz großen Meisterschaften. Aus ganz Deutschland reisen sie an, wohnen im Internat im Sportforum und trainieren mitunter täglich für ihren Traum von Olympia oder anderen Wettkämpfen.
(Quelle Stadt Chemnitz)
Ein Name, der von all diesen Dingen untrennbar ist, ist Gabriele Frehse. Sie war die Trainerin, die nach der Wiedervereinigung den Leistungssport im Turnbereich in Chemnitz aufbaute und maßgeblich beeinflusste. Sie trainierte einige der bekanntesten Chemnitzer Tunrerinnen der letzten Jahre. Sophie Scheder, 3. Platz bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016, Mehrkampfsiegerin bei den deutschen Kunstturnmeisterschaften 2016. Außerdem betreute die Trainerin Gabriele Frehse auch Pauline Schäfer. Pauline Schäfer gewann 2017 in Montreal die Weltmeisterschaft am Schwebebalken. Außerdem war sie 2017 zur Sportlerin des Jahres für Chemnitz und für Sachsen ausgezeichnet worden und belegte Platz 2 der Wahl zur Sportlerin des Jahres 2017 bundesweit. Sie hat sogar ein eigenes nach ihr benanntes Turnelement geprägt den „Schäfer“. Das ist ein Seitwärts Salto mit halber Drehung.
Eine Erfolgsgeschichte, ohne Frage. Aber zu welchem Preis?

Im November letzten Jahres erzählten Pauline Schäfer, ihre Schwester Helene und andere Sportlerinnen des Stützpunktes öffentlich ihre Geschichten. Sie sprechen von psychischer Gewalt, Machtmissbrauch und unmenschlichen Umgang durch ihre Trainerin Gabriele Frehse.
Im nächsten Abschnitt widmen wir uns den wichtigsten Ereignissen der Chemnitzer Turnaffäre chronologisch. Aber jetzt erstmal etwas Musik von:

[MUSIK – Joy Division – Shadow Play]

2. Zusammenfassung der Ereignisse

Ihr hört Radio T mit der Radiospezial Sendung zur Chemnitzer Turnaffäre.

Die bisherige Trainerin am Olympiastützpunkt in Chemnitz, Gabriele Frehse, ist nun Beschuldigte. Sie soll psychische Gewalt ausgeübt, illegal Medikamente verabreicht und ihre Macht missbraucht haben. So berichten es mehrere ihrer Sportlerinnen. Darunter die Weltmeisterin von 2017, Pauline Schäfer. Im Folgenden beschäftigen wir uns mit einer chronologischen Zusammenfassung der Ereignisse.

Zwei Höhepunkte für Gabriele Frehses Karriere als Trainerin sind sicherlich Sophie Scheders Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2016 und Pauline Schäfers WM Gold 2017 am Schwebebalken. Doch schon ein Jahr nach dem Sieg bei der Weltmeisterschaft, im August 2018, trennte sich Pauline Schäfer von ihrer langjährigen Trainerin. Differenzen zwischen den beiden, was das Training anbelangt, waren die offiziellen Gründe. Sophie Scheder blieb bei ihrer Trainerin.

Laut Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, gab es bereits 2018 erste Beschwerden am Chemnitzer Stützpunkt. Diese seien 2019 nochmal wiederholt worden. Dabei wurden die Probleme weder von regionaler noch überregionaler Stellen ausreichend geklärt.
(Interview DW: https://www.youtube.com/watch?v=wUXVo1wFDnE)

Im November 2020 dann, veröffentlichte der „Spiegel“ eine Reportage über die Missstände am Olympiastützpunkt in Chemnitz. Pauline Schäfer und ihre Schwester Helene beschrieben ihre Erfahrungen mit psychischer Gewalt, Bodyshaming und Machtmissbrauch. Weitere Turnerinnen äußerten sich in dieser Reportage, unter anderem Lisa-Katharina Hill, Mitglied der Nationalmannschaft im Turnen.

Die Vorwürfe gegen die Trainerin wiegen schwer:

Sie soll der Schwester von Pauline Schäfer, Helene, das verschreibungspflichtige Opiat Tilidin gegeben haben, als diese über Schmerzen in der Hüfte klagte. Helene Schäfer habe keinen Wettkampf mehr ohne Schmerzmittel bestreiten können, sagte sie in einem Spiegel Interview. Allgemein beschreiben die Sportlerinnen Verletzungen und das Trainieren unter Schmerzen als Alltag. Ein Umstand, der beim Leistungssport einfach so sei, werden Kommentator*innen im Internet nicht müde zu betonen.
(https://www.youtube.com/watch?v=ubFjg2hHi3Q)





Beim Turnen ist es üblich, die Sportler*innen regelmäßig zu wiegen, auch um gewisse Gefahren bei bestimmten Elementen auszuloten. Der Druck, gerade auf pubertierende Sportler*innen, ist dabei besonders hoch. In dieser sensiblen Phase, die oft auch mit Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper einhergeht, sind Tuner*innen besonders verletzlich. Ihr Gewicht wird permanent kontrolliert und ihre Essgewohnheiten stehen zur Diskussion. Dies führte, bei einigen Turnerinnen am Chemnitzer Olympiastützpunkt, bis zur Essstörung.

„Wir wurden nicht geschlagen oder sonstiges aber es wurde immer so massiv Druck ausgeübt, dass wir einfach immer funktionieren mussten“ so beschreibt es die Turnweltmeisterin Pauline Schäfer in einem Interview gegenüber dem Spiegel. Der Druck, der auf Leistungssportler*innen lastet, sei laut den Aussagen der Turnerinnen am Olympiastützpunkt in Chemnitz, allgegenwärtig. Sie berichten davon Angst zu haben zum Training zu gehen, weil die Schmerzen wieder kommen würden und das Verständnis der Trainerin dafür, gering sei.
(Spiegel Interview: https://www.youtube.com/watch?v=ubFjg2hHi3Q)

Nach den Vorwürfen gegen die Trainerin Gabriele Frehse am Olympiastützpunkt in Chemnitz, gab es eine Vielzahl von Reaktionen aus allen möglichen Richtungen. Der Deutsche Turner Bund (DTB) hat Konsequenzen gezogen und eine unabhängige Untersuchung eingeleitet. Aus dieser geht hervor, dass in 17 Fällen hinreichende Anhaltspunkte für die Anwendung psychischer Gewalt vorliegen. Der DTB suspendierte daraufhin die Trainerin zunächst und kündigte ihr dann fristlos. Der Deutsche Turner Bund will keinerlei Zusammenarbeit mehr mit Gabriele Frehse.





Ihr Verein, sowie Eltern und andere Sportlerinnen, sehen das anders. In einem Brief solidarisierten sie sich, gemeinsam mit bekannte Turngrößen. Darunter zum Beispiel Sophie Scheder, Olympiadritte und Sportlerin von Frehse aber auch Wolfgang Hambüchen, Vater und Trainer des Olympiasiegers Fabian Hambüchen. Zusammen sammelten sie über 20.000€ um der suspendierten Trainerin finanziell beizustehen. Ihr Verein TuS 1861 Chemnitz Altendorf e.V., der auch der Trägerverein des Stützpunktes ist, engagierte Gabriele Frehse nach der Kündigung wieder als ehrenamtliche Trainerin. Damit umging der Verein die Weisung des Bundesverbandes DTB. Daraufhin reagierte die Stadt Chemnitz und erteilte der Ex-Trainerin Gabriele Frehse ein Hausverbot für die Turnhalle.

Seither bewegt sich nicht allzu viel, Gerichtsverfahren wurden eingeleitet, Solidarität wurde bekundet, sowohl mit Frehse, als auch mit den Betroffenen. Die Stadt Chemnitz, der Stadtsportbund Chemnitz sowie der VereinTuS 1861 Chemnitz Altendorf e.V. unterstützten die Idee ein Mediationsverfahren einzuleiten.
Zu diesem Mediationsverfahren, moderiert durch die Ethikkommission des deutschen olympischen Sportbundes, kam es jedoch nicht.
Es scheint, als stünde man vor einem größeren Problem. Und zwar der Frage, wie solche Konflikte eigentlich gelöst werden können. Denn die Berichte über Gabriele Frehses Trainingsmethoden gehen weit auseinander. Sie scheint eine breite Unterstützung zu genießen, sowohl von Sportlerinnen und Eltern, aber auch von ihrem Verein.
Psychische Gewalt vor Gericht nachzuweisen ist schwierig, wenn nicht oftmals sogar unmöglich. Die Definition davon, was gewaltvoll ist und was nicht, ist subjektiv und nicht für alle gleichermaßen verständlich. Im nächsten Segment soll es um genau diese Fragen gehen. Wir hören einen Song und danach ein Interview, das ich mit Britt Dahmen geführt habe. Britt Dahmen ist Ombudsperson beim Deutschen Turner Bund. An sie können sich Betroffene wenden, wenn sie Sorgen haben.

[MUSIK waelder - 381]

4. Hinführung psychische Gewalt im Leistungssport
Willkommen zurück bei Radio T mit der Spezialsendung zur Chemnitzer Turnaffäre. Gabriele Frehse, ehemalige Turntrainerin am Olympiastützpunkt Chemnitz, wird von ihren eigenen Sportlerinnen beschuldigt. Machtmissbrauch, psychische Gewalt, das Weitergeben eines Opiates an eine Minderjährige, das steht alles im Raum. Gleichzeitig solidarisieren sich auch ihre eigenen Sportlerinnen mit Frehse, ebenso wie deren Eltern und Teile der Turnprominenz.

Ich habe mit Dr. Britt Dahmen vom DTB über psychische Gewalt im Turnsport gesprochen. Das Interview hört ihr nun in zwei Teilen.

Diejenigen Sportlerinnen, die sich mit Gabriele Frehse solidarisieren, insbesondere sehr junge Sportlerinnen, fühlen sich ausgeschlossen. Man höre ihnen nicht zu, tue ihre Meinung ab, vermeintlich wegen ihres Alters. Die Betroffenen von Gabriele Frehses zweifelhaften Methoden sehen sich mit dem gleichen Problem konfrontiert. Ihre Berichte werden verharmlost, herunter gespielt oder wie Gabriele Frehse es ausdrückte als „Unwahrheiten“ abgetan.
Beide Seiten sind sicherlich verständlich. Junge Menschen haben oft Schwierigkeiten damit von Erwachsenen ernst genommen zu werden. Aber ebenso schwierig ist es für Betroffene psychischer Gewalt ihre Geschichte zu erzählen und dann Hilfe zu bekommen. Noch schwieriger wird es, wenn die seelischen Leiden in einem Gerichtsverfahren bewiesen werden sollen oder im Allgemeinen, Beweise für die psychischen Schäden gefordert werden. Über diese Problematiken und was Betroffene tun können, habe ich mit Britt Dahmen gesprochen. Sie ist Ombudsperson des Deutschen Turner Bundes. Sie arbeitet mit Betroffenen von psychischer Gewalt im Turnsport.



5. Interview mit Britt Dahmen
Teil 1

[MUSIK – waelder - fabel ]

Teil 2

6. Reflexion
Radio T mit der Radio Spezialsendung zur Chemnitzer Turnaffäre. Wir sind am Ende unserer Sendung angekommen. Der Konflikt um die Turntrainerin Gabriele Frehse ist verworren und so leicht nicht mehr zu lösen. Wie die Sportstadt Chemnitz, mit ihrer langen Tradition des Turnsportes sich in der Zukunft positionieren wird, auch um den Standort Chemnitz zu erhalten wird sich zeigen.
Eine Sache ist jedoch sicher: keine Medaille der Welt ist es Wert, dass Menschen psychische Gewalt erfahren müssen.
Meine Name ist Maximilian L., ich bedanke mich für’s Zuhören, bis zum nächsten Mal.