Der Schallplattenkrieg (Serie: 100 Jahre Rundfunk in Deutschland)

ID 124802
 
Der sogenannte Schallplattenkrieg von 1965 bis 1967, dem ein Streit zwischen der ARD und der GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) über die zu zahlenden Abgaben zu Grunde lag, ist inzwischen in Vergessenheit geraten. Plötzlich warteten die Hörer der ARD-Sender vergeblich auf die Beatles oder die Rolling Stones, sie hörten jetzt Alfred Hause und sein Tanzorchester vielleicht auch noch Ray Conniff – sie warteten vergeblich auf Frank Sinatra oder Freddy, sie hörten Nana Gualdi oder Addi Münster. Wie kam es zu diesem Krieg? Ging es wirklich nur ums Geld? Wie wirkte sich das auf die Zuhörerschaft aus? Warum hatte die Pop-Musik damals im ARD-Rundfunk so einen schweren Stand? Fragen über Fragen. Dietmar Witt erhellt mit seiner Sendung die Hintergründe und versucht eine Analyse der Auswirkungen und erzählt natürlich, wie er selbst diese Zeit erlebt hat.
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01:00:00 h, 137 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 24.10.2023 / 19:26

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur, Musik
Serie: 100 Jahre Rundfunk in Deutschland
Entstehung

AutorInnen: Dietmar Witt (Radio Ginseng)
Radio: RG, Grünheide (Mark) im www
Produktionsdatum: 12.10.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Liebe Hörerinnen und Hörer,
in unserer Reihe 100 Jahre Rundfunk in Deutschland möchte ich an eine kurze Zeitspanne der Rundfunkgeschichte erinnern– und zwar von Ende 1965 bis 1967 - , in dieser Zeit war es fast unmöglich die Beatles oder Rolling Stones in einem der ARD Rundfunksender zu hören. Doch statt dessen hörten sie Alfred Hause und sein Tanzorchester. Die Hörer erwarteten Barbara Streisand und Frank Sinatra, doch sie hörten Nina Gualdi, sie erwarteten Freddy, doch sie hörten Addi Münster.
Der Grund für die weitgehende Abstinenz von Schlager und Beat-Musik war eine Auseinandersetzung zwischen der GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) und den ARD Rundfunkanstalten über die für Musik zu zahlenden Abgaben: Der sogenannte Schallplattenkrieg.

Ich bin auf dieses Thema gekommen, da ich mich selbst noch sehr gut an diese Zeit erinnern kann, die für meine Liebe zur Rock- und Pop Musik prägend war. Ich werde dabei möglichst chronologisch vorgehen und Ihnen erzählen was der Schallplattenkrieg genaugenommen war, wie er überhaupt entstand, was sich in dieser Zeit so alles zutrug und welche Auswirkungen er hatte. Und das natürlich eingebettet in die Musik dieser Jahre. Der Schallplattenkrieg steht heute als Symbol für die popmusikalische Abstinenz der ARD-Radiostationen in den 60er Jahren und ich möchte die Frage beantworten, ob der Schallplattenkrieg wirklich der Grund war oder ob nicht noch ganz andere Gründe dafür verantwortlich waren. Nach dem Rock‘n‘Roll Boogie von Max Greger schauen wir zunächst noch etwas weiter zurück:

Zunächst möchte ich ein wenig auf die Vorgeschichte des Schallplattenkrieges eingehen:

In den 1950er Jahren wies das Angebot der Schallplattenfirmen noch viele Lücken aus, wodurch die Radiosender angewiesen waren auf Eigenproduktionen zu setzen. Dabei erwarb sich besonders der WDR große Anerkennung durch selbst produzierten Operetten und gehobene Orchesterunterhaltungsmusik. Die übrigen Bereiche der Unterhaltungsmusik, also Jazz, Chanson, Schlager, Blues und Rock‘n‘Roll sowie in den 1960ern die aufkommende Beatmusik wurde überwiegend durch Schallplattensendungen gedeckt. Günter Kleinen recherchierte in seiner 1983 veröffentlichten Studie „Die befragten Macher“ über die Bedeutung der Pop-Musik in der ARD. Danach hatte die populäre Musik in den Rundfunkanstalten der ARD einen schweren Stand, waren doch die Musikredakteure zu dieser Zeit überwiegend Musikwissenschaftler mit klassischer Musikausbildung, die Popmusik für primitiv, konsumorientiert, anspruchslos und für kulturell minderwertig hielten. Man hielt sie für eine Geschmacksverirrung Jugendlicher, um die man sich im öffentlich rechtlichen Rundfunk nicht kümmern mußte.
Eigentlich klar, dass es jüngere Musikredakteure nicht leicht hatten. Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse in den 1960er Jahren fanden auch in den Rundfunkanstalten statt, aber sehr langsam.

Nach einer Musik klären wir die Frage, was der Auslöser des Schallplattenkriegs.

Wie kam es überhaupt zu Schallplattenkrieg? Bislang hatte die ARD mit den Schallplattenfirmen Pauschalverträge ausgehandelt. An die Schallplattenfirmen zahlte die ARD 2,4 Millionen DM und an die GEMA - die die Rechte der Komponisten und Texter vertritt - 80 Millionen DM im Jahr. Ab 1960 übernahm die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) für die Schallplattenfirmen die Ausschüttung an die Interpreten, was etwa ¼ der 2.4 Millionen DM ausmachte. Dieser Zustand wurde durch ein neues Urheberrecht, welches im Januar 1966 in Kraft trat, nochmals verändert. Das neue Urheberrecht bestimmte nämlich, dass die Schallplattenfirmen die Rechte der Künstler gegenüber den Rundfunkanstalten nicht mehr vertreten durften – sie sollten ihre Rechte selbst wahren. Also übernahm das die GVL - und die Verträge der Schallplattenfirmen mit der ARD wurden am 14. Dezember 1965 zum 20 Juni 1966 gekündigt. Die GVL forderte nun für den Abschluß eines neuen Vertrags nicht mehr 2,4 Millionen, sondern es sollten jetzt 24 Millionen sein – eine Verzehnfachung. Die GVL konnte darauf verweisen, dass die Sätze in den Nachbarländern bei ähnlichen Höhen lagen. Klar, dass diese Forderung den Rundfunkanstalten im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken blieb. Wie sich die ARD-Sender zu dieser Forderung positionierten erfahren Sie nach den German Blue Flames und That‘s All About Love

Jeglicher Sinn für Maßhalten sei wohl der GVL abhanden gekommen, führten die Sender an und boten der GVL statt einer Verzehnfachung der Abgaben auf 24 Mio. DM eine 15%ige Erhöhung an.
15 % statt 1000 %. Damit war der Konflikt nicht mehr aufzuhalten. Der ARD Vorsitzende Werner Hess – Intendant des Hessischen Rundfunks – sprach im Juli 1966 von einem Krieg der Schallplatte, den die ARD nicht möchte und bedaure. Damit aber war der Begriff Schallplattenkrieg geboren. Der Sender Freies Berlin kündigte sofort an nicht mehr Geld ausgeben zu wollen, als bisher, also nur noch 10% des bisherigen Volumens an Schallplatten spielen zu wollen. Der NDR verzichtete auf auf bekannte Wunschsendungen, die Deutsche Welle strich die Schlagersendungen aus dem Programm. Der Süddeutsche Rundfunk verminderte die Sendeminuten mit Schallplatten pro Monat auf ein Drittel. Der Südwestfunk und der Bayrische Rundfunk strebten die 10% Marge sofort an.
Der Schallplattenkrieg nahm jetzt kuriosen Formen an. Denn sowohl ARD und GVL versuchten, die jeweils gegnerische Front aufzubrechen. Der Hessische Rundfunk wollte nur noch mit kleinen Schallplattenfirmen zusammenarbeiten, die nicht in der GVL organisiert waren. Die GVL ihrerseits vereinbarte mit RIAS Berlin und dem ZDF separate Verträge. Eine regelrechte Attacke war auch die Meldung in der Zeitschrift Film, Funk, Fernsehen, dass mehrere Gruppen deutscher Unternehmer die Absicht hätten, Piratensender ins Leben zu rufen, um dem deutschen Radiohörer wieder Schallplatten bieten zu können. Aber beide Strategien, die der ARD und die der GVL hatten natürlich auch erhebliche Schwachstellen. Auf diese soll nach den Rollicks und Little by Little eingegangen werden.

Die Position der GVL in der Auseinandersetzung war natürlich besonders schwierig, da sowohl die Interpreten als auch die Schallplattenfirmen daran interessiert waren, den Rundfunk als Werbeträger und Multiplikator zu benutzen. So beschäftigten sie Mitarbeiter, die einzig für die Betreuung der Sender zuständig waren. Diese versorgten die Programmmacher mit Informationen zu den Interpreten und versuchten diese in den Sendungen zu platzieren. Das alles unterstützten sie mit kleinen Aufmerksamkeiten – und so schrieb der Stern in einem Bericht – dass dadurch ein Programmmacher zu Weihnachten sicherlich seinen Whiskeybedarf für das gesamte Jahr decken konnte. Außerdem wurden an die Radiomacher sehr hohe Honorare für die Plattenhüllentexte gezahlt. Dagegen hatte die in der GVL organisierte deutsche Orchestervereinigung ein großes Interesse am Schallplattenkrieg, da sie für die Orchestermusiker Beteiligungen an den Abgaben erreichen wollte. Beide Interessen wirkten somit gegeneinander.

Das Problem der Rundfunkanstalten war es, das die Reduzierung des Schallplattenprogramms zu großen Lücken in den Programmen führte, die irgendwie gefüllt werden mußten. Sie setzten jetzt auf Eigenproduktionen der hauseigenen Tanzorchester und die vermehrte Ausstrahlung von Live Konzerten – oftmals mit kleinen regionalen Künstlern. So kündigte z. B. der Hessische Rundfunk an, Aufnahmen aus Jazz-Kellern und mit unbekannten Beat-Gruppen zu senden. Sie stünden der internationalen Qualität in nichts nach, die Kasseler The Rattles seien wohl mindestens genauso gut wie die Liverpooler Beatles. Heimische Bands wurden so zu Hörmagneten stilisiert. Hören Sie The Rattles mit Love Of My Life

Auf jeden Fall waren die Auswirkungen des Schallplattenkrieges erst einmal für den Hörer gravierend. Ganze Sendungen wurden abgesetzt. So ersetzte der NDR die beliebtesten Schallplattensendungen „Musik für die Hausfrau“ und das „Sonntagabendmagazin“ durch Rundfunkproduktionen. Beim WDR waren hauptsächlich Schlagersendungen betroffen, die Sendungen „Gut aufgelegt“, „Frisch aus der Presse“ und „Plattenplauderei“ wurden abgesetzt. Beim Hessischen Rundfunk entfiel die beliebte Sendungsreihe: „Teens, Twens, Toptime“.

Natürlich war der Schallplattenkrieg auch ein Thema für die Presse, wobei die öffentliche Meinung zunächst zugunsten der Rundfunkanstalten war. Rundfunk war schließlich noch immer das Leitmedium – und hatte – gerade was Musik anbelangte noch einen gewaltigen Vorsprung vor dem Fernsehen. Aber gerade weil dieser Krieg hauptsächlich den populäre Schlager- und Beat-Musik betraf, wendete sich auch die öffentliche Meinung etwas zu Gunsten der GVL. Schließlich bekam die ARD 1966 Rundfunkgebühren in Höhe von 1,3 Milliarden DM. Und das es letztlich nur um einen Betrag von 24 Millionen DM ging, relativierte sich die Einstellung bezüglich der finanziellen Belastung. - Aber hören wir erst einmal eine der Bands Live eingespielt haben.

Die GVL machte schon im August 1966 einen Teilrückzug, indem sie erklärte, dass es nur um eine Erhöhung um das Vierfache gehe, wenn ein Wochenkontingent von 60 Stunden Schallplattenmusik nicht überschritten werde. Die Rundfunkanstalten versuchten ihren Standpunkt durch Umfragen zu erhärten. So ließ der WDR das Hörerverhalten untersuchen. Und die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die Hörer in NRW Operettenmusik, deutsche Volksmusik und leichte Unterhaltungsmusik von großen Orchestern sowie altbekannte Melodien und Evergreens bevorzugten – genau das Spektrum, welches der WDR anbot. Allerdings brachte die Untersuchung auch ein Problem zu Tage: Das betraf die Altersgruppen bis 30. Für diese standen Schlager und Beat-Musik an erster Stelle – und die hörten dann halt nicht mehr den WDR sondern Radio Luxemburg oder andere ausländische Sender wie BFBS, AFN oder Piratensender.
Und es kam natürlich gerade aus dieser Gruppe der Gesellschaft auch zu Protesten, die sie durch Telefonanrufe und Schreiben an die Rundfunkanstalten und die Presse kundtaten. So schrieb die Hör Zu: „Die deutschen Sender dürften durch die Platten-Reduzierung viele junge Hörer verloren haben“. Aber es gab auch gegenteilige Meldungen. Hören Sie The Cryin‘ Strings aus Hauenstein in der Pfalz mit Bu Bu Di Bu

Trotz dieses ganzen Hick-Hacks waren die Gespräche glücklicherweise nicht ganz abgerissen und so kam es nach wechselseitigen Verhandlungen und einigen Rückschlägen schließlich zu einem Kompromiß: ARD und GVL einigten sich auf auf eine Abgabe von 5,4 Millionen DM statt der bisherigen 2,4 Millionen DM ab 1967, also etwa eine Verdopplung der Summe – ab 1968 sogar auf eine Vervierfachung. Aber auch diese Einigung war zunächst gefährdet, da sich die Intendanten des WDR und des BR nicht anschließen wollten und die ARD interne Verteilung der Abgabensumme anfochten.

Damit aber wechselte die Stimmung bei der Presse deutlich gegen die Funkhäuser. Im Kölner Express hieß es: „Die deutschen Sender haben dem Schlager und damit den Schlagerfans den Krieg angesagt“. Deutlich wurde vor allem die Bravo. Die Schlagerfans würden glatt betrogen werden, schließlich würden die Hörer den Rundfunk mit 2 Mark jeden Monat finanzieren, um ihre Musik hören zu können und nicht den kalten Kaffee, den man ihnen vorsetzten würde. Die Bravo forderte ihre Leser auf, an die Herren zu schreiben: Verlangt eure Hits, Schreibt und schreibt, bis die Verantwortlichen in euren Protestbriefen ersticken. Dazu druckte sie alle Adressen der ARD Sender ab und empfahl zudem nur noch folgende Sender einzuschalten: Radio Europa in Saarbrücken, RIAS Berlin und natürliche Radio Luxemburg, denn da lief ja die Bravo-Musikbox.

Schließlich kam es am 15. Dezember 1966 zu einem endgültigen Kompromiss der den bereits genannten Ergebnissen im wesentlichen folgte, und zusätzlich aber einige ARD-internen Änderungen zum internen Programmaustausch enthielt und das Interesse an Produktionen mit regionalen Musikschaffenden unterstützte. Damit war der Schallplattenkrieg beendet, für die Rundfunkanstalten begann aber jetzt erst ein langer mühsamer Weg, die verlorenen Hörer wieder zurückzugewinnen. Und bevor ich zu der Darstellung meiner ganz persönlichen Sicht auf die Dinge und einigen Auswirkungen des Schallplattenkrieges komme – kommt jetzt noch mal richtige Beat-Musik aus dem Jahr 1966 - Mein persönlicher Hit des Jahres: Don‘t bring me down – The Animals.

Ich muß gestehen es war schon grausam, wenn ich so zurückblicke. Ich war mit 15 Jahren gerade dabei richtig in diese neue Musik der Beatles und Rolling Stones einzutauchen und dann wurde diese Musik einfach nicht mehr gespielt. Statt Bob Dylan oder The Who liefen dann irgendwelche Tanztee-Sendungen mit Orchestermusik – zumindest in der ARD. Glücklicherweise hatten wir ja noch den RIAS – aber der war mir mit den Schlagern der Woche und dem Treffpunkt noch zu wenig und auch zu schlagerlastig. So blieben nur die ausländischen Sender AFN, BFBS und die deutschen Sendungen der BBC. Natürlich auch Radio Luxemburg und die Europawelle Saar sowie einige Piratensender waren angesagt. Aber das ging nur über Mittelwelle und da war der Empfang doch arg schlecht in Berlin. So entwickelte sich schließlich die Top-Twenty Sendung im BFBS – jeden Samstag um 22:00 Uhr zum persönlichen Highlight in der Woche. (Einblendung)

Genauso war es mit dem Beat-Club im Fernsehen. Beat-Club war ein unbedingtes Muss. In den ersten Sendungen haben die Musiker und Bands ja noch live gespielt und ich erinnere mich an eine Sendung, wo die Hollies zu Gast waren und Graham Nash die Uschi Nerke damals richtig verscheißerte. (Einblendung Gespräch mit Graham Nash und Hollies mit ...) Allerdings waren auch im Beat-Club die wirklich großen Bands gar nicht zu hören. Da gab es höchstens mal ein Filmchen von den Beatles oder Stones oder von Bob Dylan.

Eine andere Sendung, die ich auch regelmäßg hörte kam vom deutschen Programm der BBC. Sie hieß 1966 Hit 66, 1967 dann Hit 67 usw. Und das schönste daran war, man konnte da auch Platten gewinnen. Und ich war immer hoch erfreut, wenn die Post ankam mit dem Absender BBC, London WC 2, Bushhouse. Den AFN habe ich eigenartiger Weise nicht so gern gehört, obwohl der Berliner Sender ganz in der Nähe von meinem Wohnort lag. Aber ich kann mich noch gut an die Sendungen mit Wolfman Jack erinnern. (Einblendung)

Nicht nur ich, sondern fast alle meiner Freunde hörten damals diese Sender. Im Sender Freies Berlin gab es ja nichts mehr. Und so ging es schließlich fast allen Jugendlichen. Die ARD-Sender taten sich damit keinen Gefallen. Sie verloren damit wirklich eine ganze Generation an Hörern. Und daher war es auch schwierig Songs mit den ersten Tonbandgeräten, die wir hatten mitzuschneiden. Bei Top Twenty wurde ständig raufgequatscht und Radio Luxemburg und die Piratensender waren viel zu schlecht zu empfangen. Und wenn es mir gelang mal einen neuen Song in einigermaßen Qualität aufzunehmen war ich furchtbar stolz und mußte den auch gleich meinen Freunden vorspielen.

Wir waren froh, dass ab 1967 zumindest einige Sendungen wieder im Programm des SFB liefen. Die sonntägliche Abendsendung „Wir um Zwanzig“ war schon sehr gut und dort gab es viel progressives und ausgefallenes zu hören. Zum absoluten „Muß“ gehörte dann auch „SF Beat“, diese Sendung war eine kleine Sensation insbesondere nach der Zeit der Abstinenz durch den Schallplattenkrieg und in einer Zeit der Jugend-Rebellion: Im März 1967 startete der Sender Freies Berlin (SFB) den allabendlichen S-F-BEAT – Rock und Pop für Jugendliche mit für jene Tage frechen Moderationen wie Hans-Rainer Lange („Pfeifen-Lange“), Hans-Dieter Frankenberg und Ulrich Herzog. Ein Knaller – sagte übrigens der bekannte Abendschau-Moderator Alexander Kulpok. Und er hatte recht. Mein Lieblingsmoderator war natürlich Pfeifen-Lange, der damals während der Moderation noch an seiner Pfeife smoken durfte – das wünschte ich mir heute auch für meine Live-Sendungen – aber inzwischen – na Sie wissen schon. - darf man das nicht mehr.
(Einspielung Pfeifen-Lange)


Durch Sendungen wie SF-Beat oder dem SWF3 Popshop versuchten die ARD Programme dem internationalen Beat Boom und den geburtenstarken Nachkriegsjahrgängen – deren Aufbegehren natürlich mit dieser Musik verbunden war – Rechnung zu tragen. Die Jugend war aber durch den Schallplattenkrieg zu ausländischen oder Soldatensendern (AFN und BFBS) abgewandert. In Westdeutschland war Radio Luxemburg präsent, im Süden und Südwesten war es Ö3 – die der Jugend ein gutes Musikprogramm boten. So war sicherlich die Einführung von Bayern 3 als erste deutsche Servicewelle 1971 eine direkte Reaktion auf den Erfolg von Ö3 und AFN. Ö3 hatte ab 1967 ein Pop-orientiertes Programm für jüngere Hörer entwickelt, in dem vom Schlager bis zur progressiven Rockmusik alles enthalten war – durchzogen mit stündlichen Nachrichtensendungen.
Das sich in Deutschland auch diese sogenannten Servicewellen erst langsam durchsetzten geschah nicht aus der Einsicht den jugendlichen Hörer ein adäquates Programm anbieten zu wollen, sondern weil Einschaltquoten rapide zurück gingen. Hören Sie nun Mike Rat And The Runaways aus Köln mit Um Um Um Um Um

So war sicherlich der Schallplattenkrieg nur vordergründig ein Ereignis, das sinnbildlich eigentlich für einen Krieg in den Köpfen stand, bei dem die unterschiedlichen Befindlichkeiten, Abneigungen und Denkweisen der Musikredakteure und Abteilungsleiter ausgekämpft wurden. Insbesondere die Älteren lehnten Pop-Musik ab und präferierten klassische Unterhaltungsmusik. Der langsame Einzug der in Anführungszeichen „anspruchslosen und niveauarmen“ Popmusik und damit verbunden eine Änderungen in der Programmstruktur im deutschen Rundfunk vollzog sich damit etwas nachläufig zum gesellschaftlichen Transformationsprozess, der durch die Nachkriegsgeneration in den Jahren 1965 bis 1975 herbeigeführt wurde.

Letzendlich komme ich zu dem Schluß, dass es wohl auch dem Schallplattenkrieg bedurfte um den großen Umdenkungsprozess bei den ARD Sendern hin zur Pop und Rockmusik einzuleiten. So führte die vom WDR forcierte Unterstützung für regionale Musiker und das Übertragen von Live-Konzerten erst zu der Entwicklung der Rockpalast-Konzerte, die ja dann sogar bundesweit im Radio übertragen wurden.

Liebe Hörerinnen und Hörer, ich habe versucht Ihnen einen kleinen Einblick in ein kleines Stück Rundfunkgeschichte zu geben. Inhaltlich habe ich hauptsächlich auf den Beitrag „Der Schallplattenkrieg“ von Robert von Zahn, erschienen im Buch „Wenn die Jazzband spielt“ herausgegeben vom Deutschen Rundfunkarchiv und auf das Buch „Music in The Air: AFN, BFBS, Ö3, Radio Luxemburg und die Radiokultur in Deutschland von Wolfgang Rumpf zurückgegriffen. Ich danke den beiden Autoren ausdrücklich für die sehr informative und hintergründige Schilderung der Ereignisse. Es verabschiedet sich von Ihnen Radio Ginseng Musikredakteur Dietmar Witt – maat et joot.