"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Abrissbirnen

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Stolz präsentiert das Trump seine Sammlung Abrissbirnen als Minister und Staatssekretäre. Das erinnert mich an eine Autofahrt ziemlich genau vor acht Jahren, also vor Beginn der ersten Amtszeit des Wrestlers; mit mir waren vier Herren unterwegs mit gestandener revolutionärer Gesinnung, die vor Aufregung auf den Sitzen auf und ab hüpften und sich darauf freuten, wie das Trump nun den berühmten Deep State, die Machtverschwörung im Staatsapparat ausmisten würde.
Audio
11:09 min, 26 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 21.11.2024 / 08:40
Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 19.11.2024
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Stolz präsentiert das Trump seine Sammlung Abrissbirnen als Minister und Staatssekretäre. Das erinnert mich an eine Autofahrt ziemlich genau vor acht Jahren, also vor Beginn der ersten Amtszeit des Wrestlers; mit mir waren vier Herren unterwegs mit gestandener revolutionärer Gesinnung, die vor Aufregung auf den Sitzen auf und ab hüpften und sich darauf freuten, wie das Trump nun den berühmten Deep State, die Machtverschwörung im Staatsapparat ausmisten würde.
Ich war sehr stark überrascht, mir wäre es nie in den Sinn gekommen, auch nur den Hauch von politischer Sympathie an das Trump-Ding zu hängen; aber meine vier Kollegen stießen sich an und witzelten wie vor Jahrzehnten in ihrer revolutionären Pubertät. Es ist dann doch nicht zum Frühjahresputz im US-amerikanischen Staatswesen gekommen, und ich gehe sicherheitshalber davon aus, dass auch die jetzige Mannschaft nur ein paar Wochen oder Monate Bestand haben wird, bis das Trump von Establishment geflüstert gekriegt, wer nun auf welchem Posten am richtigen Platz ist. Korrekter ist wohl die Ansicht, dass das Trump selber schon immer Teil dieses Establishments war und es auch bleiben wird, bloß unterscheiden sich seine Methoden zur Erzeugung politischer Substanz von anderen Teilen der Eliten, aber in seinen Taten wird er sich nur graduell von den Demokraten unterscheiden. Die Wall Street hat jedenfalls die Wahl des Hohlfurzes mit munteren Kursgewinnen begrüßt, und auch die Abrissbirnen scheinen den frohen Hoffnungen auf weitere Steuersenkungen für Unternehmen und Milliardärinnen keinen Abbruch zu tun; ich gehe davon aus, dass die Wall Street ein feines Senso­rium dafür hat, wer ihr, also der Börse bezie­hungs­weise der in ihr gespiegelten Wirtschaft wirklich schaden wird. Im Fall der Vereinigten Staaten ist das ja zum Teil sowieso eine Kriegswirtschaft; auch wenn der Anteil der offiziellen Rüstungs­aus­gaben nur bei 4% des Bruttoinlandproduktes liegt, so unterliegen doch sämtliche Handelsflüsse einer impliziten Kriegsdrohung. Trumps Drohung, sämtliche Importe mit astronomischen Zöllen zu belegen, sind im Verhältnis dazu vollkommen lächerlich, abgesehen davon, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in den Welthandel einge­bun­den sind wie jedes andere Land auch. Zölle als Triebkräfte der Wirtschaft? Sprechen wir doch lieber von der Justiz. Da kann man viel lustigere Dinge veranstalten und die Konkurrenz aus dem Feld schlagen, dass es eine Art hat.

Einfuhrzölle erheben, um die einheimische Wirtschaft zu stärken? Das hat man in der jüngeren Geschichte nur von Entwicklungsländern gehört. Vor dreihundert Jahren nannte man das Merkantilismus. Jedenfalls handelt es sich um eine Profanierung des höchsten Heiligtums der freiheitlichen Marktwirtschaft, nämlich des freien Waren- und Gütertausches weltweit. Auch hierin liegt das Trump-Ding auf einer Linie mit zahlreichen Kritikerinnen des Kapitalismus, wenn auch auf seine eigene Art und Weise. Trotzdem bezweifle ich wie bei der Mehrzahl der anderen Hohlfürze des Hohlfurzes, dass der Ankündigung Taten folgen werden. Die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in der real existierenden Welt beruht neben der militärischen Potenz und den entsprechenden impliziten Drohungen darauf, dass die Partner im großen Spiel mitspielen. Die Motivation dafür dürfte erheblich schrumpfen, wenn diese Partner keinen Zugang mehr kriegen zum US-amerikanischen Markt, und umgekehrt dürfte ihre Motivation, US-amerikanische Waren einzukaufen, ebenfalls erheblich darunter leiden. Die US-amerikanischen Ökonomen warnen vor massiven Preissteigerungen, wenn die US-Amerikanerinnen nur noch Made in USA einkaufen dürfen zum einen, wenn anderseits in den globalen Lieferketten massive Verteuerungen von wegen Zoll und dergleichen eintreten. Es gibt zunächst keinen Anlass, sich mit diesem Thema eingehender zu beschäftigen, allenfalls damit, wie der Umgang mit den entsprechenden Drohungen ausfallen wird. Was wiederum mindestens in Europa die Frage nach der Verfassung der Europäischen Union aufwirft, von der man nicht so recht weiß, was man von ihr halten soll angesichts der anhaltenden Streitereien zum einen, des bürokratischen Apparates zum anderen. Umso interessanter kann man dem ersten Halbjahr 2025 entgegen sehen; vielleicht klären sich ein paar Dinge in dieser Beziehung.

Dagegen räume ich ein, dass die Vorstellung der Zerschlagung von verfilzten, bürokratischen, von hunderttausend Einzelinteressen zerfressenen staatlichen Strukturen eine attraktive Vorstellung ist. Und damit haben wir es ohne Zweifel zu tun, in den Vereinigten Staaten sowieso, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich, von Italien gar nicht zu sprechen, die Europäische Union als Superbürokratie über den nationalen Bürokratien habe ich gerade erwähnt. Der argentinische Präsident Milei ist mit dem Versprechen des Kettensäge-Massakers an die Macht gekommen, und eben, auch das Trump machte Wahlkampf damit. Die Zerschlagung der Herrschaftsstrukturen war bis zur vollständigen Unterwerfung unter die Sozialdemokratie auch ein tragender Bestandteil jeder radikalen linken Perspektive. Heute kann davon keine Rede mehr sein, im Zeitalter des Sozial­demo­kra­tismus ist die Linke insgesamt zur konservativen Fraktion geworden. Die politisch rechts krakeelenden Parteien beziehen mehr als die Hälfte ihrer Attraktivität aus dieser sozialdemokra­tischen Anverwandlung einer Linken, welche der Verfassungsschutz nicht mal mehr im Traum zu überwachen braucht. Abgesehen von allem anderen ist die Überwachung durch den Verfassungsschutz sowieso keine politische Existenzberechtigung; gefragt sind Programme, welche konkrete Wege zur Emanzipation der Menschen aufzeigen, nicht Parolen. Davon hatten wir tatsächlich genug. Jedenfalls schauen einige Nostalgiker auch linker Herkunft mit einer Mischung aus Neugierde und Hoffnung darauf, ob praktische System­kritik, zuerst mal eben mit der Abrissbirne, aus einer libertären Position heraus zu schaffen ist. Ich denke wie gesagt, dass das Trump diese Neu­gierde nicht befriedigen wird; ich erinnere an den alten Steve Bannon, dessen Programm genau dies zum Inhalt hatte – zugegebenermassen nichts darüber hinaus – und dessen Mission in der ersten Brüllaffen-Amtszeit dann doch schneller endete, als sie begonnen hatte.

Dafür möchte ich euch zu den vorgezogenen Neuwahlen gratulieren. Sie finden allerdings drei Jahre zu spät statt, darin sind sich wohl alle einig. Ich habe gehört, dass euer amtsführender Ministerpräsident Bodo Ramelow für ein Direktmandat im Bundestag kandidiert; das scheint mir eine gute Sache, so hat man im ganzen Tumult doch noch den einen oder anderen konkreten Bezugs- und Anhaltspunkt. Davon abgesehen stelle ich auch bei dieser Gelegenheit wieder fest, dass sich die Zeiten ändern, was insofern keine besonders kluge Bemerkung ist, als es geradezu das Wesen der Zeit ist, dass sie sich ändert; im Moment aber stelle ich fest, dass die Orientierungs­systeme, welche die politische und geistige Landschaft prägen, in der Substanz mutieren. Diese Einsicht ist nicht neu und originell; der Punkt ist nur, dass ich nicht klar sehe, wohin der Weg geht. Die alten Vorstellungen vom Übergang zu einer freien, klassenlosen Gesellschaft, die in Frieden und Wohlstand lebt, sind verblasst. Was Europa und die Vereinigten Staaten angeht, so ist mindestens der Wohlstand eine anerkannte Tatsache, natürlich mit den bekannten Einschränkungen der radikal ungleichen Verteilung von Vermögen und Einkommen, aber im Vergleich mit früheren Verhältnissen ist die Diagnose eines allgemeinen, mindestens bescheidenen Wohlstands sicher richtig. Dagegen ist nicht richtig erkennbar, welche gesellschaftlichen Kräfte mit welchen Mitteln ihre Interessen durchsetzen. Nach wie vor kann ich die sozialen Medien nicht richtig fassen. Einesteils befördern sie ganz offensichtlich die Produktion und den Austausch von Nonsense auf allen Ebenen; anderseits gab es schon immer Tendenzen zu Bier- und Schmerbauch am Stammtisch, bloß war man damit nicht so schmerzhaft auf Schritt und Tritt konfrontiert. Aber ihre pure Existenz und die neue Lautstärke des Populismus, wenn ich das mal so zusammenfassen darf, bestimmt noch nicht den künftigen Lauf der Geschichte, auch wenn wir mit der Wahl des Hurenbocks und Gotteslästerers Trump durch die evangelikalen Kräfte in den Vereinigten Staaten gerade dem Gegenteil beizuwohnen scheinen.

Ich frage mich, ob der intensive Austausch auf den sozialen Medien eine neue Ebene der Gesellschaft hat entstehen lassen, welche nicht nur durch die radikale Meinungsfreiheit im Sinne der Freiheit von Meinungen und der Lizenz zur Wiederholung allen erdenklichen Blödsinns geprägt ist, sondern auch durch die Freiheit von Konsequenzen. Immer wieder fällt mir der Aufruf «Empört euch» ein; er scheint mir wie gemacht für Facebook, Instagram und Tiktok. Laut geschrien, mindestens aber laut geschrieben hat man schnell einmal; aber Folgen hat all der Lärm nicht. Gleichzeitig bin ich erstaunt darüber, wie folgenlos auch der Höllenlärm um die Klimaerwärmung geblieben ist. Zum einen hören wir überhaupt nichts mehr zu diesem Thema, außer von ein paar reaktionären Trompetern, welche ihr eigenes geistiges Klima nach wie vor mit dem Kampf gegen den Klimaschutz erhitzen; aber daneben sind die politischen Aktivitäten in diesem Sektor praktisch vollständig zum Erliegen gekommen, ganz abgesehen davon, dass es neue Spitzenwerte gibt bei Flugreisen; die nachstoßende Generation scheint sich um Klimabilanzen und persönliche Verant­wor­tung überhaupt nicht zu kümmern, die wissen wohl schon gar nicht mehr, was das ist. Aber auch die Jungen, welche die Debatten vor vier Jahren mitgekriegt haben, sprechen ohne Zurück­haltung oder gar Scham von ihren Urlaubsprojekten an allen entlegenen Orten des Planeten, natürlich vor allem dort, wo alle anderen Touristinnen auch schon waren, als hätten die Diskus­sionen über CO2-Ausstoß und so gar nie stattgefunden. Das haben sie aber doch, und übrig geblieben von ihnen ist eine unbestimmte Bedrückung, das Gefühl eines möglichen Welt­unter­gangs, das aber nicht mehr die Gestalt einer konkreten Handlung einnimmt; auch hier ist man sich gewiss, dass man allein sowieso nichts ausrichten kann.

Im Moment erscheint alles offen, und das muss ja nicht schlecht sein. Schlecht sind die Verhältnisse zum Beispiel im Sudan, wo der Krieg zwischen den zwei feindlichen Milizen innerhalb eines Jahres über 100'000 Todesopfer gefordert hat; in Haiti, wo tatsächlich das Chaos herrscht und die aus afrikanischen Soldaten bestehenden Einsatzkräfte keine Wirkung zeigen; von den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine braucht man gar nicht zu sprechen. Insofern sind unsere Probleme Luxusprobleme. Aber sie geben doch Hinweise darauf, wie sich die moderne Gesellschaft unter den Bedingungen, wie erwähnt, eines allgemeinen Wohlstandes einerseits, wegfallender oder sich neu ausbildender ideologischer Leitplanken anderseits weiter entwickelt. Und das wird dann irgendwann sogar die Menschen im Sudan und in Haiti interessieren, wenn sie sich zum Beispiel die Frage stellen, wohin sie flüchten sollen.

Kommentare
21.11.2024 / 18:04 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 21.11.. Vielen Dank !