focus-europa nr. 187 v. 17.10.2006

ID 14255
 
Nachrichten:

- FLÜCHTLINGSSTREIK IN BLANKENBURG
- GRIECHENLAND. Trotz Wahlpflicht unter 75 Prozent Beteiligung bei Kommunalwahlen in Griechenland
- Der Sozialstaat Deutschland ist im Europa-Vergleich abgeschlagen
- Neue Runde um die EU-Arbeitszeitrichtlinie
- EU plant Energie-Geheimdienst
- EU Richtlinie für Monsanto & co
- EU: KNOBLAUCHSCHMUGGLER IM VISIER
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Upload vom 17.10.2006 / 12:30

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Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: hav/david
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 17.10.2006
keine Linzenz
Skript
FLÜCHTLINGSSTREIK IN BLANKENBURG
Seit Mittwoch, den 4. Oktober befinden sich die Flüchtlinge des 7 Kilometer von Oldenburg entfernten Lagers Blankenburg im unbefristeten Streik. Konkret heißt das: Sowohl das Kantinenessen als auch die 1 Euro-Jobs werden boykottiert. Die Streikenden fordern stattdessen die Auszahlung von Bargeld und das Recht, ihre Nahrung selbstbestimmt zubereiten zu können. Darüber hinaus wird eine angemessene und hiesigen Standards angepasste Gesundheitsversorgung gefordert – diese Forderung richtet sich insbesondere gegen die nahezu obligatorische Verabreichung von „Paracetamol“, ganz gleich welche Erkrankung tatsächlich vorliegt. Grundsätzlich machen sich die BewohnerInnen für eine dezentrale Unterbringung in eigenen Wohnungen nach spätestens 3 Monaten stark. An dem Streik sind ca. 200 Menschen beteiligt, d.h. nahezu alle Flüchtlinge, die permanent im Lager leben. Die Lagerbehörden reagieren zunehmend mit Repression gegen die streikenden Flüchtlinge. Seit Beginn des Streiks werden insbesondere Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern verstärkt zu Botschaftsvorführungen vorgeladen; sie sollen dort mit den für die Abschiebung erforderlichen Ersatzreisepapieren ausgestattet werden. Hinzu kommt dass gestern zwei am Streik beteiligte Flüchtlinge in andere Lager verlegt wurden. Der eine von ihnen war zuvor während einer Demo auf dem Lagergelände von der Polizei brutal festgenommen und zusammengeschlagen worden.
GRIECHENLAND. Trotz Wahlpflicht unter 75 Prozent Beteiligung bei Kommunalwahlen in Griechenland
Bei den Kommunalwahlen in Griechenland haben erneut die beiden Großparteien gewonnen: In 52 der 54 Präfekturen und den meisten der 1031 Gemeinden werden auch die nächsten vier Jahre Bürgermeister und Präfekten der beiden großen Parteien, der regierenden Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen Opposition, PASOK regieren. Angesichts eines die großen Parteien begünstigenden Mehrheitswahlrechts war dieses Ergebnis auch von den Linken im Lande erwartet worden.

Doch der Sieg der beiden Großparteien wurde durch die hohe Nichtwählerqoute getrübt. Trotz der in Griechenland herrschenden Wahlpflicht lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei unter 75 Prozent. ! In einigen Regionen gingen sogar weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten an die Urne, in Athen lag die Wahlbeteiligung bei 56 Prozent.
Das die Unzufriedenheit über die soziale Situation in Griechenland groß ist, zeigt auch der andauernde Streik der Lehrer: Seit vier Wochen befinden sich griechische Grundstufenlehrer im Streik und versuchen so, eine Erhöhung ihres Grundgehalts von 950 auf 1400 Euro sowie einen höheren Bildungsetat durchzusetzen. Bisher erfolglos. Am Mittwoch vergangener Woche demonstrierten Zehntausende Betroffene und deren Unterstützer aus dem öffentlichen Dienst in Athen. Zum wiederholten Male haben sich auch die Lehrer der Mittel- und Oberschulen dem Arbeitskampf mit einem dreitägigen Streik angeschlossen. Darüber hinaus zeigen sich die Schüler der Mittel- und Oberschulen auf besondere Weise solidarisch im Kampf um bessere Bildung: Landesweit halten sie über 300 Schulen besetzt.






Unerfreuliche Rangliste

Der Sozialstaat Deutschland ist im Europa-Vergleich abgeschlagen

Das plötzlich erwachte Interesse Deutschlands an seinen Mängeln als Sozialstaat hat auch einer Studie zusätzliche Aufmerksamkeit verschafft, die das Problem im europäischen Vergleich analysiert. Im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat das Politik-Institut Berlinpolis untersucht, welche Antworten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) auf die wichtigsten sozialen Fragen geben. Die daraus erstellte Rangliste ist für die Bundesrepublik unerfreulich: Unter 24 Nationen - Malta wurde wegen unzureichender Datenbasis nicht gewertet - nimmt sie den Abstiegsplatz 21 ein.
Die Studie wertet nach 25 Kriterien, die in fünf Kategorien gebündelt werden. Dazu gehören Einkommensverteilung und soziale Absicherung, Arbeitsmarkt, Bildungs- und Ausbildungschancen, Geschlechtergleichstellung und Generationenverhältnis.
Einen vorderen Platz (9) nimmt Deutschland nur beim ersten Kriterium, Einkommensverteilung und soziale Sicherung, ein. Dabei ist die Statistik womöglich besser als die tatsächliche Lage: Die einschlägige Erhebung, die Einkommens- und Verbraucherstichprobe des Statistischen Bundesamts, berücksichtigt nämlich hohe Einkommen über 18 000 Euro im Monat ebenso wenig wie die Null-Einkünfte der Obdachlosen. Durch diese Kosmetik nimmt sich das Bild der Ungleichheit etwas gefälliger aus. Vollends unbefriedigend sind die Resultate in den übrigen vier Kategorien. Bei der Integration in den Arbeitsmarkt sowie Bildung und Ausbildung kommt das größte EU-Land nur auf Platz 18, in Sachen Gleichstellung der Geschlechter und Generationengerechtigkeit sogar nur auf einen jämmerlichen 23. Rang.

Neue Runde um die EU-Arbeitszeitrichtlinie

Der seit zwei Jahren schwelende Konflikt über die Neuregelung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie geht in eine neue Runde. Die Mitgliedstaaten wollen am Freitag am Rande des EU-Sondergipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs im finnischen Lahti einen Durchbruch in der festgefahrenen Debatte erzielen. Das teilte die Ratspräsidentschaft aus Finnland mit. An dem Treffen zur Arbeitszeitrichtlinie sollen neben dem Ratspräsidenten Finnland und der Europäischen Kommission Deutschland und Portugal teilnehmen, die im Jahr 2007 die Ratspräsidentschaft übernehmen. Die Neufassung der Richtlinie, die etwa regelt, wie lange Menschen in der Woche arbeiten würden, ist bisher auch am Widerstand der Deutschen und Briten gegen die geplante generelle Höchstarbeitszeit von 48 Stunden je Woche gescheitert. Die beiden Staaten beharren darauf, für einige Branchen davon abweichen zu können.
Nach der gestrigen Anhörung des Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages zur EU-Dienstleistungsrichtlinie erklärte Ulla Lötzer, Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. für internationale Wirtschaftspolitik und Globalisierung:
Die ausführlichen Stellungnahmen zur Bundestagsanhörung von DGB, Ver.di und IG Bau belegen klar und unmissverständlich, dass trotz des langen Ringens um die EU-Dienstleistungsrichtlinie weiterhin mit Arbeitsplatzabbau und der Ausweitung von Niedriglöhnen im Dienstleistungssektor zu rechnen ist.
Gewerkschaften und auch der Deutsche Landkreistag benennen klare Minimalanforderungen:
- Die Dienstleistungsrichtlinie darf nicht für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und nicht für soziale Dienstleistungen gelten!
- Es muss dem demokratisch legitimierten nationalen Gesetzgeber überlassen bleiben, Qualitäts- und Sozialstandards gegenüber ausländischen Dienstleistern einzufordern und durchzusetzen.
- Der Schutz der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitender Tätigkeit insbesondere in Form von Leiharbeit muss lückenlos geregelt und verbessert werden.



EU plant Energie-Geheimdienst

Die Europäische Union (EU) will sich vor Energiekrisen wappnen. Beim EU-Gipfel im finnischen Lahti wollen die Staats- und Regierungschefs ein Netzwerk so genannter Energiekorrespondenten vereinbaren.
Diese sollen laut Vorschlag der EU-Kommission der Gemeinschaft "ein schnelles Eingreifen und Handeln bei der Bedrohung der Energieversorgungssicherheit ermöglichen". Mit dem Netzwerk will die EU frühzeitig Krisen erkennen. Das neue Netzwerk soll aus Energiefachleuten der Mitgliedsstaaten, des EU-Rates und der Kommission bestehen und über ein "besonderes Kommunikationssystem" miteinander in Verbindung stehen. Im am Donnerstag vorgelegten Kommissionspapier zur Energiesicherheit ist ausdrücklich von einem "Frühwarnsystem" die Rede. In EU-Kreisen hieß es, die Energiekorrespondenten sollten auch Geheimdienstinformationen erhalten und weitergeben.
In EU-Kreisen wird das im Kommissionspapier ebenfalls genannte Ziel, bei Energiearten, Lieferanten und Lieferwegen möglichst zu diversifizieren, sowohl politisch als auch sicherheitstechnisch interpretiert. Eine große Rolle könnte dabei Flüssiggas (LNG) aus norwegischen Quellen spielen. Dieses Gas würde die von der EU vorhergesagte steigende Abhängigkeit von russischem Gas mildern und zugleich die Anfälligkeit gegen Terroranschläge verringern. "Ein Anschlag kann eine Leitung für Monate lahmlegen, aber wenn es einen Tanker trifft, sind 50 andere weiter unterwegs", sagte ein EU-Beamter.


EU Richtlinie für Monsanto & co

Saatgutdissidenten müssen EU-Gefängnisstrafen fürchten. Monsanto, den Saatgut-Konzern, strebt auch auf den europäischen Markt eine Monopolstellung an. Die EU-Kommissar Frattini hat eine Richtlinie vorgelegt, die es Monsanto erlauben wird sich gegen europäische Bauern mit dem Strafrecht durchzusetzen. Empfindlichen Gefängnisstrafen für "Saatgutpiraten" und weitere Sanktionen sind vorgesehen. Derzeit berät der Rechts- und der Industrieausschuss des Europaparlamentes den Vorschlag. Strafrechtsexperten sind gar nicht "amused".
Soll es nach dem EU-Kommissar Frattini gehen, dann werden demnächst alle Landwirte, die das geistige Eigentum von Agrarkonzernen verletzen, als Kriminelle verfolgt. Mit der neuen Richtlinie greift nun Strafrecht in ganz Europa bei "Verletzungen des Geistigen Eigentums". Das ist praktisch für die Konzerne, weil der Staat die Kosten des Verfahren trägt und das Abschreckungs- und Einschüchterungspotenzial erheblich höher ist, wenn Gefängnisstrafen anstehen. "Rechtsverletzer" werden zu Kriminellen.
Die Richtlinie sieht sogar vor, dass Vertreter von Saatgutkonzernen gemeinsam mit den Strafverfolgern in sogenannten "Gemeinsamen Ermittlungsgruppen" gegen Bauern vorgehen, die im Verdacht stehen Patente und Pflanzenvielfaltsrechte eines Konzerns zu verletzen. Das ist eine für die Strafverfolgung sehr ungewöhnliche Praxis.
Obwohl ein Strafverfahren die meisten Landwirte ohnehin den Betrieb kosten würde, sieht die Richtlinie sogar vor, dass das gesamte Vermögen beschlagnahmt werden kann, und die Ernte vernichtet wird. Das wird in Deutschland schwerlich grundgesetzkonform sein.
Was das Europäische Parlament mit dem Vorschlag machen wird ist sehr unsicher. Im Industrieausschuss feilt schreibt der eurogrüne Spanier Hammerstein am Bericht für seie Ausschusskollegen. Im Rechtsausschuss (JURI) liegt die Richtlinie in den Händen des Italieners Zingaretti. Lobbyisten der Agrarkonzerne umschwärmen die Abgeordneten des Ausschusses


EU: KNOBLAUCHSCHMUGGLER IM VISIER

Auf über 60 Millionen Euro wird der Schaden geschätzt, der den europäischen Steuerzahlern allein durch die Fälle von Schmuggel chinesischen Knoblauchs entstanden ist, die gegenwärtig vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) untersucht werden. Bei allen OLAF-Untersuchungen, die den illegalen Handel mit Agrarprodukten aus Drittstaaten betreffen, rangiert chinesischer Knoblauch auf Platz drei (17 Fälle), nur knapp hinter Zucker (21 Fälle) und Fleisch (20 Fälle). Die Erfahrungen des OLAF im Kampf gegen den Knoblauchschmuggel waren eines der Themen auf einem fünftägigen Zollseminars, das vom österreichichen Bundesministerium für Finanzen gemeinsam mit OLAF in Pörtschach (Österreich) ausgerichtet wird und an dem Vertreter aus 32 europäischen Ländern teilnehmen.
Die Einfuhr von chinesischem Knoblauch in die EU unterliegt einem Zollsatz von 9,6 Prozent des Werts und einer zusätzlichen Abgabe von 1200 Euro pro Tonne. Diese Abgabe fällt nicht an für Einfuhren innerhalb der jährlichen Quote von 13.000 Tonnen. Zudem kann frischer Knoblauch ohne Zölle und Mengenbeschränkungen aus Ländern importiert werden, die Handelspräferenzen mit der EU geniessen, soweit der Knoblauch tatsächlich aus diesen Ländern stammt. Da die Produktionskapazitäten für Knoblauch in China sehr hoch und die Produktioskosten sehr niedrig sind, ist der illegale Knoblauchimport unter Umgehung der Abgaben ein lukratives Geschäft für Schmuggler: So werden in einem Container im Durchschnitt 20 Tonnen Knoblauch transportiert. Bei erfolgreichem Schmuggel lassen sich so 24.000 Euro an Abgaben illegal „einsparen“.