utopia.de

ID 19822
 
Vorstellung und kritische Anmerkungen zu der Idee von utopia.de - ein Portal für "strategischen Konsum"

enthält Musikstücke zwischendurch
Audio
13:37 min, 12 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.02.2008 / 00:56

Dateizugriffe: 1

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Umwelt, Politik/Info
Serie: Protestsendung
Entstehung

AutorInnen: nora
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 22.11.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
www.utopia.de: „Schließlich geht es um nicht weniger als um das Ganze.“

Es gibt eine neue Welt für alle Spinner, TräumerInnen, Weltverbesserer und Unverbesserlichen – kurz: alle Utopisten. Utopia.de heißt der virtuelle Ort an dem die community auf DICH wartet!

„Utopia ist nicht nur eine Website – Utopia ist eine Herzensangelegenheit mit dem Ziel möglichst viele Menschen von der Idee des strategischen Konsums zu überzeugen und gemeinsam etwas zu bewegen.“
„Etwas bewegen“? Na das wollen wir doch alle – aber wie heißt die neue Methode der Revolution? „Strategischer Konsum“? was ist das denn?
Die Startseite von utopia.de erklärt: „Mit jedem Einkauf entscheiden wir uns für oder gegen ein nachhaltig agierendes Unternehmen. Jeder ausgegebene Euro hat Konsequenzen. Sorgen Sie dafür, dass es die richtigen sind. Strategischer Konsum hat mit Verzicht nur noch wenig zu tun. Fast immer bedeutet die richtige Entscheidung auch mehr Spaß, Genuss und Gesundheit. Also, worauf warten Sie noch? Profitieren Sie von den Erfahrungen einer rasant wachsenden Community. Melden Sie sich an. Werden Sie Utopist!“

Utopia.de ist eins website auf der Produkte nach Kriterien wie Ökologie, den faire Arbeitsbedingungen, einhalten sozialer Standarts, aber auch Geschmack, Design und Qualität beurteilt werden. Und das eben von den Utopist_innen, also allen die sich anmelden.
Der oder die Utopist_in von heute ist also kein langweiliger Baumwoll-Hippie mehr, sondern „Rebel“, wie das Hintergrundfoto der Rubrik „Menschen“ zeigt, wo engagierte Weltverbesserer und ihre Projekte vorstellen. Da findet mensch dann z.B. „die neuen Autonomen“: Die „Locavoren“ in New York. Was ist das denn schon wieder? „Die Locavores haben sich dem Ziel verschrieben, möglichst nur Lebensmittel zu sich zu nehmen, die innerhalb eines Umkreises von 100 Meilen produziert wurden.“

If I can't dance, it's not my revolution. Mit utopia.de ist Rebellion nicht nur legal und ungefährlich, es macht auch noch Spaß, ist hip und befriedigt alle Konsumbedürfnisse des modernen nachhaltigen Menschen:
„Wir müssen uns nicht mehr in Jute kleiden, im Erdloch leben und handgeschrotetes Müsli essen, wenn wir etwas für die Umwelt tun wollen. Was wir heute tagtäglich brauchen, gibt es irgendwo auch in einer nachhaltigen Version. Utopia sagt uns, wo und was daran besonders schön, gut oder lecker ist.
Und sollte es noch keine sauber produzierten Alternativen geben, machen wir auch das publik, damit jemand diese Lücke füllen und als Absatzmarkt für sich entdecken kann.“
Seien wir realistisch, versuchen wir das unmögliche? Wohl eher: schaffen wir uns ein Paradies in der Hölle. Schreckliche, grauenhafte, unbequeme Wahrheiten kennen wir alle. Jetzt muss auch mal Schluss sein damit, mensch will das Leben ja auch genießen können! Wir brauchen frischen Wind, mehr good vibrations, und das geht mit utopia.de, denn:
„Es können die unglaublichsten Dinge passieren, wenn Menschen mit positiver Energie anfangen, ihre Vision zu leben. Utopia glaubt mit aller Kraft an das Mögliche.
Darum schauen wir radikal nach vorne. Utopia ist konstruktiv, positiv und durch und durch optimistisch. Schreckensszenarien und Schuldzuweisungen finden wir täglich zur Genüge in anderen Medien. Das können und wollen wir uns hier sparen. Utopia fängt da an, wo andere aufhören, indem wir zeigen, wie wir alle das Schicksal unseres Planeten positiv verändern können.“
Und wie ging das nochmal? Ach ja, KAUFEN!
Unter der Rubrik „Kaufen“ findet sich dann auch das Herzstück der Seite: Der Produktguide läuft unter dem Motto „Kauf dir eine bessere Welt“. „Die besten Produkte aus allen Bereichen des Alltags finden Sie hier, empfohlen und bewertet von der Utopia- Community, der Utopia-Redaktion und ausgewiesenen Experten.“

Auf der Seite werben übrigens nur „politisch korrekte“ Organisationen und Firmen. Und das hat auch seinen Sinn, denn jede Utopie braucht einen Sponsor – nicht so utopia: „Utopia denkt unternehmerisch und ist ein Beispiel für "social entrepreneurship". Das heißt, wir verbinden Profit und Non-Profit-Ziele und treten den Beweis an, dass gute Geschäfte und gutes Gewissen sich nicht ausschließen.“ Denn: „Utopia hat wichtige gesellschaftliche Ziele, soll aber nicht von Spenden oder anderen gemeinnützigen Zuwendungen abhängig sein. Deshalb ist es wichtig, dass Utopia sich wirtschaftlich selbst trägt.“ Und das geht so: „Utopia finanziert sich zur Zeit durch das private Engagement der Gründer und erste Kooperationen. In Zukunft werden Werbeeinnahmen, Erlöse aus dem Verkauf von Utopia-Produkten und weitere Kooperationen mit Partnern aus der Wirtschaft, Institutionen und Stiftungen hinzu kommen.“
Aha, und wer ist das so? Neben dem Öko-Institut e.V. in Freiburg findet sich auf der Liste der Gründungsmitglieder auch der OTTO-KOnzern! Otto, war da nicht was? Achja, das Schwarzbuch der Markenfimen wirft der Otto-Handelskette mit einem Gewinnvolumen von 275 Millionen Euro schon seit einigen Jahren „Ausbeutung, sexuelle Belästigung und andere Missstände in Zulieferbetrieben“ vor. Können sich bei utopia.de etwa auch Konzerne ein reines Gewissen kaufen?

Aber wer wird denn misstrauisch sein, das ist doch alles für eine bessere Welt:
„Sobald Utopia in die Gewinnzone kommt, wird ein signifikanter Teil der Gewinne in die Utopia-Stiftung fließen.“

Um die erste gute Tat zu tun, muß mensch noch nicht mal vom Computer aufstehen: wer sich dieser 3334 Menschen großen virtuellen Gemeinschaft anschließt, trägt alleine damit schon einen Teil zu Rettung der Welt bei. Denn ab heute heisst das nicht mehr „Du bist Deutschland!“ sondern „Sie sind ein Baum!“ Gegen Klimawandel kann jeder_r etwas tun, und das geht so einfach. Ohne Verzicht – mit mehr Spaß, genuss und Gesundheit: „Für jeden neuangemeldeten Utopisten pflanzen wir in Zusammenarbeit mit PRIMAKLIMA-weltweit-e.V. einen Baum. So entsteht in kürzester Zeit ein Utopia-Mischwald mitten in Deutschland.“

Wie, dass ist zu einfach? Große Taten müssen schon auch ein wenig mit Schweiß und Anstrengung verbunden sein? Kein Problem, es gibt ja das XXL-Paket Idealismus: „Wenn Ihnen ein Baum nicht reicht, wenden Sie sich bitte an www.prima-klima-weltweit.de. Dort können Sie durch Neupflanzungen sogar Ihren gesamten Alltag klimaneutralisieren.“

Und mit so einem klimaneutalisierten Alltag muss mensch dann auch nicht mehr über seinen Konsum nachdenken. Muss sich keinen Kopf machen, warum es überhaupt zum Klimawandel kommt. Noch mehr Konsum als Rezept gegen die fatalen Folgen von Konsumsucht. Den Kapitalismus nicht hinterfragen, sondern ankurbeln. Wehe den bösen Geschöpfen, die nicht fleissig genug andere Lohnsklaven oder sich selbst ausbeuten – die können sich dann eben keinen klimaneutralen Alltag kaufen, keinen Heiligenschein im „ökorrektes Leben“, kein gutes Gewissen. Diese Menschen, die sich „Spaß, Genuß und Gesundheit“ nicht leisten können – die sind doch das eigentliche Problem!

Denn Utopia.de kostet nichts, bringt Spaß, Genuss und Gesundheit, ist total legal, gesellschaftlich wichtig, gut für mich und den Rest der Welt und am Ende kommt auch noch Geld für eine Stiftung raus. Dieses Wunder kann nur der Kapitalismus vollbringen. Wachstum! Konsum! Nachfrage! Markt!

Utopien habe ich ja auch, und die Welt verbessern – nur zu gerne, nötig hätte sie es. Ich freue mich auch über jedes Projekt, dass versucht einer emanzipatorischen, ökologischen und diskriminierungsfreien Utopie ein Stück näher zu kommen. An der Parole: „Unser Geld regiert die Welt.“ kann ich aber beim besten Willen nichts utopisches finden. Das ist erstens falsch und zweitens auch nicht erstrebenswert. Mi verändertem Konsum können einige der Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung wohl abgeschwächt werden. Und wer bewusst konsumiert tut damit auch auf jeden Fall etwas sinnvolles. Die Welt verändern kann er oder sie damit aber leider nicht.

Das es Rebellion mittlerweile bei H&M zu kaufen gibt, daran hab ich mich ja auch schon gewöhnt. Aber diese Initiative treibt den Ausverkauf der linken Utopien auf die Spitze.
Zumindest scheint das Werbekonzept zu funktionieren. Revolution ist hip. Und was für Reiche! Wer nicht das nötige Kleingeld hat kann eben nicht mitspielen. So is das nunmal: die schönsten Träume und Utopien können sich nur die Privilegierten erfüllen.
In meiner Utopie jedenfalls ist das anders.

www.utopia.de
http://www.markenfirmen.com/

Kommentare
28.11.2007 / 08:40 Sendedienst Radio Corax, Radio Corax, Halle
Tonspur Fehlt
Der Beitrag ist zwar in Stereo gespeichert aber eine Tonspur fehlt dabei... Also darauf achten den Kanal auf Mono zu schalten bevor ihr das abspielt.
 
08.03.2008 / 21:28 AL, coloRadio, Dresden
gesendet
in Umweltthemen am 6.3.08