Buchkritik: "Whipping Girl" von Julia Serano

ID 40333
 
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Rezension von Julia Seranos "Whipping Girl, a transexual Women on Sexism and the Scapegoating of Femininity"
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mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 11.04.2011 / 22:18

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Frauen/Lesben, Schwul, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: sakura, transgenderradio Berlin
Radio: Freies Radio Berlin, Berlin
Produktionsdatum: 11.04.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das Buch das ich gelesen habe heisst Whipping-Girl, was soviel heisst wie Prügelmädchen. Auch in den USA würde eher Prügelknabe, also Whipping-Boy gesagt. Die Autorin Julia Serano ist eine transsexuelle Frau aus den USA, Biologin, und arbeitet als Perfomancekünstlerin, ist aber auch politisch sehr aktiv in einer queerfeministischen-Szene, wo sie sich insbesondere für Anerkennung von (trans*)Weiblichkeit einsetzt.
Das ist dann auch das wichtigste Thema in ihrem Buch. Der Untertitel lautet: Eine transsexuelle Frau über Sexismus und die „versündenbockung“ (sorry für die Übersetzung) von Weiblichkeit. Sie thematisiert in ihrem Buch also ihre Erfahrungen als transsexuelle Frau. Welche jetzt aber an ein weiteres Buch über Transition, Hormone, blutige Operationsdetails und das Ankommen in einer weiblichen Rolle (und Sexualität) erwartet, liegt falsch.
Vielmehr handelt es, wie der Titel schon sagt, über Sexismus und die Abwertung von Weiblichkeit aus der Perspektive einer transsexuellen Frau, es geht also insbesondere auch um Diskriminierungserfahrungen die trans*weibliche Menschen machen, und die Hintergründe dieser Erfahrungen. Daher ist das Buch vor allem auch ein politisches Manifest, schon die Einführung heisst dann auch trans Woman Manifesto. Danach unterteilt sich das Buch in zwei Teile, im ersten Teil stellt sie ihre Sicht auf Geschlecht dar, er heisst trans/Gender Theory. im Zweiten mit dem Titel trans Women, Femininity, and Feminism geht es um diese drei Punkte und ihren Zusammenhang, aus dem sie ihre wichtigste Forderung begründet, dass Femininität auch in queeren Szenen empowert werden müsse. Sie schreibt dazu: Es ist die Absicht dieses Buches Mythen, Fehleinschätzungen und Klischees zu trans*-Weiblichkeit und Gender insgesamt in Frage zu stellen. Diese endstünden vor allem auch dadurch, das Transweiblichkeit in der Regel in einer Aussenperspektive dargestellt wird, da es nur sehr wenige trans*weibliche Menschen gibt, die die Möglichkeit haben selbst zu Wort zu kommen, und damit ihre Normalität darzustellen.
Zentral ist für Julia Serano ihre Erfahrung, dass trans* Frauen und trans* Männer auf unterschiedliche Art unter Diskrimienierung zu leiden haben. Während es bei trans* Männern eher die klassische Transphobie ist, die Abweichungen von geschlechtlicher Eindeutigkeit sanktioniert, käme bei trans* Frauen noch trans*-mysogynie hinzu, die sich gegen Weiblichkeit und besonders Trans*weiblichkeit richtet. Vielleicht auch weil „men wo choose to be Women“ sexistische Geschlechterhierarchien und Vorstellungen in Frage stellen. Trans* Frauen sind dann besonders von Abwertung von Weiblichkeit betroffen. Diese passiert vor allem mittels „hyperfeminisation“, Sexualisierung und Objektivierung, Mechanismen von denen natürlich auch cis-Frauen betroffen sind. Femininität wird so gegenüber Männlichkeit der Anschein von Künstlichkeit, Schwäche, Passivität, Abhängigkeit und Unterwürfigkeit gegeben.
Serano sieht Femininität auch in eher queeren & feministischen Kreisen oft auf diese Art abgewertet. Als Beispiele nennt sie die Ausgrenzung von femininen Schwulen und Lesben in Schwulen- und Lesbenszenen. Gegenüber Männlichkeit werde Weiblichkeit als insgesamt zweifelhaft gesehen, zudem werde ihr ein unzutreffender Abhängigkeitsbezug auf Männlichkeit unterstellt. In queerfemistischen Zusammenhängen würde Feminität oft als unqueer und rückschrittlich gesehen.
Dem hofft sie mit ihrem Buch entgegenzusetzen, dass nicht Feminität problematisch ist, sondern die Abwertung von Feminität die es auch in queeren Szenen gibt. Sie richtet sich damit gegen „gender Entitlement“ das bestimmte, vor allem männliche, Geschlechtsausdrücke höher bewerte als andere. Das habe auch zur Entfremdung von femininen Menschen von queeren Szenen geführt. Sie sieht den Feminismus an diesem Punkt in einer Sackgasse.
Besonders kritisiert sie die Ausgrenzung von Trans*weiblichkeit. Wenn Feminismus sich nur an körperlich weibliche Menschen richte (und damit auch trans*männliche Identität nicht ernst nimmt), oder wenn transgender-Aktivist_innen sich nur um die Aufhebung der Zweigeschlechtlichkeit kümmern. Wichtig für Geschlechtergerechtigkeit ist demnach vor allem auch ein Empowerment von Femininität. Es sollten keine neuen Geschlechterhierarchien aufgebaut werden (im Sinne von wer ist queerer) sondern jede Privilegierung und wertende Vorannahmen auf Grund von Geschlechtszuschreibungen sollte vermieden werden.
Diese Forderungen leitet sie von ihrem Geschlechterbild ab. Sie hat ein etwas anderes Modell als das klassische queertheoretische, aber widerspricht auch medizinisch-naturwissenschaftlichen Ansätzen. So geht sie aus ihrer eigenen Erfahrung (auch als Biologin) heraus davon aus, dass es etwas wie ein unbewusstes Geschlecht, oder eine unbewusste Geschlechtsidentität gibt, im Prinzip ein vorbewusstes eigenes Körperbild. Diese natürliche Identität sei noch grundlegender als Sozialisation und biologisches Geschlecht. Dennoch gebe es keine essentiellen Geschlechterunterschiede. Die wichtigsten Kriterien die individuelle Geschlechtlichkeit bestimmen sind demnach das von ihr eingeführte unbewusste Geschlecht, Geschlechtsausdruck, sexuelle Orientierung, und körperliches Geschlecht. Diese seien in einer großen Bandbreite wie auf einer Glockenkurve in ihre Häufigkeit verteilt. Diese Merkmale können dabei ganz unabhängig miteinander kombiniert sein, und insbesondere trans* Menschen machten die Erfahrung, dass sie nicht immer im Einklang miteinander sind. Diese Faktoren sieht sie als relativ unflexibel gegenüber äußeren Einflüssen, und selbst von sehr vielfältigen körperlichen, psychisch-mentalen und gesellschaftlichen Einflüssen bestimmt. Auch im weiteren Verlauf des Buches geht sie detailliert auf Geschlecht sowohl aus naturwissenschaftlicher, besonders aber aus klassisch soziologisch-queertheoretischer Sicht ein, und entwickelt ihr eigenes Modell dass sie aus ihren Erfahrungen als trans* Frau ableitet. Um darüber mehr zu erfahren müsst ihr das Buch aber selber lesen, was ich nur empfehlen kann. Sie bringt einige Punkte in die Debatte ein, die für Queer-feminist_innen sicher noch länger Thema sind, insbesondere mit der Einführung des Begriffs Trans*misogynie in Abgrenzung zu klassischer Trans*phobie.
Mit dieser Überschneidung von klassischem Sexismus und Trans*phobie erklärt sie auch, warum sich trans*phobe Gewalt überwiegend gegen trans* Frauen, und unter diesen wiederum überwiegend gegen Prostituierte richtet. Trans*misogynie ist es aber auch, wenn trans*weibliche Menschen von Frauenräumen ausgegrenzt werden, besonders dann, wenn trans*männlichen Menschen (immerhin meist Männer) nicht auch ausgeschlossen sind. Andere Begriffe die Ich bei ihr zum ersten Mal gelesehen hab sind:
Cissexualismus, womit im Prinzip die Vorannahme gemeint ist, dass alle Menschen cissexuell sind, und die Ausgrenzung und Unsichtbarmachung von trans* die auf diese Art stattfindet.
Aus diesem Cissexismus resultiert das cissexuelle Privileg, dass die eigene Geschlechtsidentität unhinterfragbar und selbstverständlich vorausgesetzt wird.
Dieses Privileg kann zu „Gender-Entitlement“ führen, also dazu, anderen Menschen ihre Geschlechtsidentität und ihren Geschlechtsausdruck abzusprechen, oder sie negativ zu bewerten, wovon in der Regel nur Trans* Menschen betroffen sind.
Basis all dieser unschönen Phänomene ist „oppositional sexism“ also „Gegensatz-Sexismus“ (?), Der Glaube dass es zwei eindeutig abgrenzbare, nichtüberlappende und ausschliessliche Geschlechter gibt. Die ist ausserdem die Basis für klassische Trans*phobie und Homophobie und traditionellen Sexismus.
Ich persönlich habe mich sehr über dieses Buch gefreut.
Endlich ein queertheoretisches Buch aus transweiblicher Sicht! Ein Muss zu lesen für alle trans*weiblichen Menschen die sich schon immer in manchen Situationen unwohl gefühlt haben, aber nicht genau spezifizieren konnten was sie genau gerade stört. Für alle Anderen auch, für Alle die sich kritisch mit Geschlecht auseinandersetzen wollen, eröffnet es einige neue Perspektiven. Auch für Menschen die respektvoll mit trans*weiblichen Menschen umgehen wollen, oder interessiert an trans*weiblichen Erfahrungen sind, ist es das beste Buch, das ich im Moment kenne. Leider gibt es immer noch keine Übersetzung ins deutsche, das amerikanische Original erschien schon 2007. Es wird jedoch eine Sprache verwendet, bei der ich auch mit meinem Schulenglisch nur selten das Wörterbuch benutzen musste. Sicherlich sind einige von Julia Seranos Standpunkten diskutabel, besonders aus einer genderqueeren oder transgender-Perspektive, aber sie bringt endlich eine transweibliche Perspektive zu queeren Themen, die ich lange vermisst habe. Das Buch ist 2007 bei Seal Press Berkeley erschienen, hat fast 400 Seiten, und es kostet nur 16 Euro. Kauft oder klaut, aber vor Allem lest es!



Kommentare
14.04.2011 / 11:53 Konrad, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet im mora
9:15 danke