Die Fotografin und kommunistische Aktivistin Tina Modotti - eine Graphic Novel schildert ihr Leben

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Ihre Bilder hängen heute im MOMA und in allen wichtigen Fotografie-Sammlungen der Welt, doch zu Lebzeiten war sie als kommunistische Aktivistin in etlichen Ländern eine Persona non grata. Nun zeichnet eine Graphic Novel das Leben der italienischen Künstlerin Tina Modotti nach. Einer Frau mit vielen Talenten, deren ereignisreiche Vita Stoff für viele Romane hergeben würde. Tobias Lindemann hat das Buch „Modotti – eine Frau des 20. Jahrhunderts“ von Ángel de la Calle für uns gelesen.


(Angaben zum Buch: „Modotti – eine Frau des 20. Jahrhunderts“ von Ángel de la Calle, übersetzt von Timo Berger, ist im Rotbuch-Verlag erschienen. Das Buch hat 270 Seiten und kostet 16,95 Euro)
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Upload vom 01.02.2012 / 16:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Frauen/Lesben, Kultur
Entstehung

AutorInnen: Tobias Lindemann
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
Produktionsdatum: 01.02.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Skript:

Noch vor 20 Jahren hätte fast jeder Mensch, der sich nur ansatzweise mit Fotografie beschäftigt, gewusst, wer Tina Modotti ist. In den 80er Jahren wurde das Werk der 1896 geborenen Fotografin ausgiebig wiederentdeckt. Ihre innovative, geradezu grafische Arbeitsweise und das ausdrucksstarke Spiel mit Licht und Schatten begeisterten die Fachwelt, und viele ihrer Originalaufnahmen wechselten zu Rekordsummen den Besitzer. Auch die Popsängerin Madonna kaufte bei einer Auktion ein Bild – durch einen Bericht über die prominente Verehrerin stolperte der Comiczeichner Angel de la Calle vor gut 25 Jahren erstmals über den Namen Tina Modotti. Er begann zu recherchieren und die spannende Lebensgeschichte der Künstlerin ließ ihn letztlich nicht mehr los. Sie führte zu seiner biografischen Graphic Novel „Modotti – Eine Frau des 20. Jahrhunderts“, die vor kurzem in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Doch wer war Tina Modotti? Berühmt und der Nachwelt im Gedächtnis geblieben ist sie als Fotografin, dabei hatte sie diesen Beruf bereits Ende der 20er Jahre wieder aufgegeben. Sie war Weggefährtin des US-Fotografen Edward Weston und zeitweise mit ihm liiert. Anfangs noch als Model für ihn arbeitend, zog es Tina Modotti bald hinter die Kamera. Gemeinsam mit Weston experimentierte sie mit einer neuen Formensprache und revolutionierte damit die Kunstform Fotografie. Doch das ist nur EINE Seite ihrer Person.

Die aus der italienischen Provinz Friaul stammende Modotti war als Kind einer armen Landarbeiterfamilie in die USA gekommen. Nach einer kurzen Zeit als Filmschauspielerin in Hollywood ging sie nach Mexiko. Dort blühte nach der Revolution eine linke Künstlerszene auf – schnell kommt Modotti in Kontakt mit den muralistischen Malern David Alfaro Siqueiros, Diego Rivera und José Clemente Orozco. Sie arbeitet für die von ihnen gegründete linke Tageszeitung El Machete und bildet in ausgiebigen Fotoreportagen den politischen Kampf der armen mexikanischen Bauern ab. Als Mitglied der kommunistischen Partei wird sie Zeugin der internen Querelen, mit denen sich die Linke in Mexiko immer wieder selbst schwächt. Sie lernt Frida Kahlo kennen und den amerikanischen Schriftsteller John dos Passos. Mit dem kubanischen Revolutionär Julio Antonio Mella beginnt sie eine Beziehung – und ist auch an seiner Seite, als Mella auf offener Straße ermordet wird. In der Folgezeit verstärkt sie ihr politisches Engagement. Sie reist nach Deutschland und Russland, arbeitet als Spionin und in der Roten Hilfe. Im spanischen Bürgerkrieg schließt sie sich den Internationalen Brigaden an. Doch als der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen wird, bricht für sie, deren Familie aus dem faschistischen Italien flüchtete, eine Welt zusammen. Das Engagement für die kommunistische Idee erscheint ihr immer fraglicher, die stalinistischen Säuberungsaktionen machen inzwischen auch vor Modottis direktem Umfeld nicht halt. 1942 stirbt sie unter ungeklärten Umständen in Mexiko-Stadt. Nicht wenige ihrer Gefährtinnen und Gefährten gehen davon aus, dass sie vergiftet wurde.

Keine Frage, Tina Modotti führte ein Leben, wie es atemberaubender kaum sein könnte. De La Calle versucht in seiner Graphic Novel, der Person hinter den Daten und Bildern auf die Spur zu kommen. Er zeichnet das Portrait einer willensstarken, selbstbewussten Frau, die ihren Idealen ein Leben lang treu blieb. Die Eigenwilligkeit Modottis spiegelt sich auch im Stil der Zeichnungen wider. Mit einem groben, schon fast an Kohlezeichnungen erinnernden Strich und eher kleinen Panels ist de la Calles Ansatz schon fast als Gegenentwurf zur expressiven Bilderflut vieler Graphic Novels zu interpretieren. So karg sein Stil zu Beginn erscheinen mag, so gut kann er aber die ereignisreiche Lebensgeschichte der Künstlerin und Aktivistin abbilden. Immer wieder lässt der Zeichner dabei mit einfließen, wie seine eigene Auseinandersetzung mit Tina Modotti aussah, und wie seine jahrelange Faszination schon fast zu einer Besessenheit wurde. Beeindruckend und einnehmend ist diese Lebensgeschichte natürlich nicht nur, weil Modotti viele epochale Ereignisse ihrer Zeit erlebt und sogar an ihnen mitgewirkt hat, sondern weil es im Hier und Jetzt keine vergleichbaren Persönlichkeiten gibt. Wo sind die Künstlerinnen und Künstler, die politisches Bewusstsein, Radikalität und ästhetische Innovation unter einen Hut bringen? Hätten sie überhaupt die Chance, heute eine ähnliche Wirkung zu entfalten wie Tina Modotti und ihre WeggefährtInnen damals? Das sind nur einige Fragen, die diese intelligente und packende Graphic Novel aufzuwerfen versteht.

Kommentare
06.02.2012 / 16:00 Anja, Radio Dreyeckland, Freiburg
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Focus Kultur vom 6. Februar - Danke!