"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Steuern -

ID 46281
 
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[06. Kalenderwoche]
In der Schweiz hat die Finanz- und Wirtschaftskrise zwei Gesichter: Einerseits sind Staat und Wirtschaft recht glimpflich davon gekommen. Die Eidgenossenschaft hat in jenem Zeitraum, in dem sich die gesamte westliche Staatenwelt bis über die Ohren verschuldete, um die Haut der Banken zu retten, ihre Verschuldung sogar um 20 Milliarden Franken reduziert, und die Staatsgarantie über 70 Milliarden Franken für die UBS musste mindestens bisher nicht aktiviert werden.
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10:47 min, 10 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 08.02.2012 / 11:19

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 07.02.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Beschäftigung ist nach wie vor hoch, obwohl oder vielleicht sogar weil in den letzten Jahren ein paar zehntausend Buschauffeure, Krankenschwestern, Ärztinnen und andere Akademikerinnen aus Deutschland eingewandert sind. Zwar leidet die Wirtschaft unter der Euro-Schwäche, aber durchaus nicht in dem Ausmaß, wie man es sich vorstellen würde bei einem Wechselkursschwund bzw. einer Verteuerung der Schweizer Werte um über 20%. Anderseits hat ein Prozess eingesetzt, der einen vertrauensbildenden Mythos des Schweizer Bankplatzes zu erodieren droht, nämlich das Bankgeheimnis. Die Liste der Klagen, Anklagen, Druckversuche, Verfahren und Prozesse gegen die Banken, aber auch gegen die Schweizer Behörden wird immer länger, und es ist kein Ende abzusehen; damit dürfte es demnächst ein Ende haben mit der Steuerhinterziehung dank Schwarzgeldkonten in Zürich und Genf. Und dies scheint mir doch eine Notiz wert, weniger wegen der Schweiz bzw. der Schweizer Banken, welche über Jahrzehnte hinweg von diesem Mythos und von der damit verbundenen Realität profitiert haben, sondern in erster Linie aus dem Grund, dass unter dem Druck der Finanz- und Schuldenkrise die Staaten in der entwickelten Welt nun plötzlich Ernst machen mit der Jagd auf Steuersünder.

Man muss sich einfach wieder mal vergegenwärtigen, dass die Schweizer Bankiers zwar sicher so etwas wie profitorientierte Gnomen oder Zwerge waren, die aber in erster Linie damit Geschäfte machten, dass andere Staaten ihre eigenen Eliten in keiner Art und Weise an der Steuerflucht hinderten. Vielmehr ist die nationale Gesetzgebung und noch viel mehr die nationale Administration überall so eingerichtet worden, dass die reichen Säcke stets die ihnen nötig erscheinenden Schlupflöcher zur Verfügung hatten, und eines dieser Schlumpflöcher war halt die Schweiz. Die Kritik an der Schweiz muss auf diesem Niveau immer auch als Kritik an der Steuerpraxis in den anderen Ländern formuliert werden. Dies war auf jeden Fall mit ein Grund dafür, dass die Schweiz immer wieder den Beitritt zur Europäischen Union oder zum Europäischen Wirtschaftsraum abgelehnt hat, also durchaus nicht etwa eine weise Voraussicht, wie dies heute oft gelobt wird, sondern das höhere Interesse der Eliten in den EU-Mitgliedstaaten selber. Nichts ist so kommod wie ein neutrales Land mitten in der EU, in dem die EU-Normen keine Gültigkeit haben und wo man eben sein Schwarzgeld ganz unproblematisch parkieren kann. Wäre dem anders, dann hätte sich die EU schon vor Jahren ganz anders bemerkbar gemacht.

Diese Epoche ist jetzt offenbar abgeschlossen, und das ist zunächst mal ein Grund zum Feiern, wobei man sich gleichzeitig fragen muss, ob denn die Einkünfte und Vermögen der reichen Säcke jetzt tatsächlich vom Fiskus erfasst werden. Und hierzu habe ich bloß eine herzhafte Nein-Vermutung. Ich glaube nicht, dass sich nachhaltig etwas bewegt in Sachen Gerechtigkeit bei der Verteilung der Vermögen in den entwickelten Ländern über das Steuersystem. Vielmehr haben wir in den letzten Jahren gesehen, wie die internationalen Lobbyisten der Reichen und Superreichen aus allen Rohren gegen alle Formen der Staatseinnahmen geschossen haben, natürlich nicht mit dem Zweck, den Staat seiner Funktionen zu beschneiden, sondern ausschließlich, um hohe Steuersätze für hohe Einkommen abzuschaffen. Angesichts der Schuldenkrise, in welcher ihre Vermögensdealer ihrerseits von den Staaten gerettet werden mussten, können sie gegenwärtig nicht mehr eine so dicke Lippe riskieren, aber verstummt oder gar verschwunden sind diese Intriganten noch lange nicht. Sobald in der Öffentlichkeit, nämlich auf Stufe Werbung wieder eindeutige Botschaften auftauchen wie Geiz ist geil, welche ziemlich präzise die entsprechende und zugrunde liegende Geisteshaltung aufgreifen bzw. ihre Reflexion in der Volksseele, dann sind wir wieder so weit. Bloß im Moment ist die Stunde ungünstig, und die einsichtigeren unter den Vielvermögenden fordern denn auch die Besteuerung ihrer Reichtümer ein, als wären sie irgendwelche Robin Hoods oder Wilhelm Tells oder nach Schweizer Lesart Arnold Winkelriede der öffentlichen Moral, wo sie doch nur den Mut haben, sperrangelweit offen stehende Türen einzutreten. Damit sie als wahre Freiheitskämpfer erscheinen, brauchen sie natürlich noch den Hintergrund von hoffnungslos geisteskranken politischen Strömungen wie der Tea Party in den Vereinigten Staaten, die in Europa ihr Äquivalent in erster Linie in rechten und rechtsextremen, zum Teil aber auch nur in nationalistischen und ebenfalls zum Teil in anarchistischen Kreisen finden. Sobald sich aber die Lage normalisiert hat, werden diese gleichen Köpfe wieder zuklappen und gemächlich zu jenem Business as Usual zurückkehren, das ihnen der sozialdemokratische Staat eben im Normalfall nicht nur ermöglicht, sondern geradewegs garantiert und wofür sie übrigens den Regierenden nur höchst selten mal einen um einen Prozentpunkt verbilligten Hypothekarkredit einräumen, wie dies bei Eurem Bundespräsidenten unterstellt wird – das braucht dieses System nicht, es funktioniert nicht so, es funktioniert nämlich ganz normal vor euer aller Augen und ohne die kleinste Schlagzeile in der Berichterstattung von Bild, Zeit, der Welt, dem Focus und dem Spiegel. Darauf könnt ihr mehrere feuchte Fürze lassen.

Im Moment aber scheint sich auch der halbwegs zivilisierte Teil der Superreichen daran zu erinnern, dass ihr Superreichtum nur dann Bestand hat, wenn er vom Staat zum gegebenen Zeitpunkt auch geschützt wird und dass jetzt nicht die Zeit zur Steuerhinterziehung ist. Wenn sich zur Hebung der Steuermoral bzw. zur tatsächlichen Durchsetzung der längst existierenden Steuergesetze dann auch noch die Kapitaltransaktionssteuer gesellt, wozu ich an dieser Stelle einmal nachdrücklich meine Gratulation an attac aussprechen möchte, also der Association pour la taxation des transactions financières et pour l’action citoyenne, dann ist auch diese Epoche abgeschlossen, und als neue Aufgabe wartet dann auf uns erstens die Ortung der allerneuesten Möglichkeit, seine Gelder dem Zugriff des Steueramtes zu entziehen; man kann davon ausgehen, dass bereits jetzt ganze Horden an Bank- und Steuerkanzleien mit den entsprechenden Arbeiten beschäftigt sind, und was zum Beispiel die Vereinigten Staaten angeht, so warte ich nach wie vor über ein paar Meldungen zu den Steuerparadiesen in der Karibik. Allerdings ist vielleicht die Überwachung der Finanztransaktionen in dieser Region für die amerikanischen Geheimdienste einfacher, das könnte natürlich sein und würde erklären, wieso die sich dort nicht um die Bereinigung auf juristischem, sondern eher auf faktischem Weg bemühen. In Europa dagegen leistet Großbritannien noch standhaft Widerstand und kultiviert seine eigenen kleinen Paradieschen auf den Kanalinseln, dass es fast schon ein Pläsier ist, es mutet einen an wie ein finanzhistorisches Präparat aus einer längst untergegangenen Epoche, aber all das passt natürlich in die verzweifelten Versuche der britischen Regierungen, ihren Finanzplatz in möglichst allen Teilen zu erhalten, egal, ob diese Teile dann zum Teil vergiftet sind oder nicht.

Das scheint im Moment in der Schweiz nicht der Fall zu sein. Hier nennt sich die Strategie der Bankiervereinigung offiziell Weißgeld-Strategie, und das tönt wohl nicht nur gut, sondern ist auch so gemeint, weil man nämlich auch mit der legalen Vermögensverwaltung durchaus ein bisschen Geld machen kann, und bei allen Einwänden können die Zürcher Institute nicht ganz ohne Stolz darauf verweisen, dass sie aus der Finanzkrise ziemlich ungeschoren herausgegangen sind. Damit will ich weder diese Institute noch andere noch den Bankenplatz insgesamt schön reden; ich bin überzeugt, dass die Frage der Legalität in der Bankenpraxis nach wie vor eine Frage des Risikomanagements ist und nicht der Compliance bzw. der Gesetzeskonformität, da braucht man sich keinen Illusionen hinzugeben. Trotzdem leben wir eben in einer Zeit, in welcher das Gesetz auch in den höheren Management- und Reichtumsetagen verstärkt auf Einhaltung drückt, das heißt in einer Zeit, in der nicht immer und nur die Kleinen gehängt und die Großen laufen gelassen werden. Das ist ja wie Urlaub!

Urlaub in Griechenland, womöglich. Ich bin ja nicht persönlich dabei, aber was man so hört, kommt das Land nicht aus der Bredouille heraus, eine Bredouille, die einerseits darin besteht, dass die Sparprogramme die Menge an umlaufendem Geld reduzieren, anderseits und vor allem aber darin, dass die Griecherer, egal, ob arm oder reich, den Staat seit Langem nicht mehr als eine übergeordnete Instanz begreifen, welche aus dem Großen und Ganzen der Bevölkerung entsteht und letztlich auch dem Großen und Ganzen der Bevölkerung dient, sondern nur als einen Apparat, aus dem nach Möglichkeit Gelder abzuzwacken sind bzw. dem nach Möglichkeit keine Gelder zuzuweisen sind. Im Protest gegen die Kürzungen bzw. gegen das Versiegen der staatlichen Geldflüsse sind sich alle einig, aber sie sind sich auch alle einig darin, dass der Staat keinen roten Heller kriegt, jetzt erst recht nicht. Das Geld flüchtet Hals über Kopf ins Ausland, solange es noch den bürgerlichen Namen Euro trägt und als Euro auf den internationalen Banken anerkannt wird. Es scheint auch keinen Aufstand im produktiven Sektor zu geben, da dieser offenbar kaum ausgebildet ist, und somit können wir vielleicht demnächst mal eine Fallstudie anstellen, wie solch ein Staatsgebilde zerfällt. Die gebührenpflichtigen Dienste, namentlich die Elektrizität, vielleicht aber auch die Wasseraufbereitung, werden noch aufrecht erhalten, an die Stelle der öffentlichen Verkehrsbetriebe treten Taxis und Privatbusse, Straßenreinigung und Abwasser dagegen verschwinden bald, und vor allem die Polizei muss ihre Rolle von Grund auf neu definieren. Der Tauschhandel dagegen ist ja nie so richtig ausgestorben, deshalb wird er aufblühen, und wie gesagt, als nächstes wird die türkische Lira oder das ägyptische Pfund als Parallelwährung übernommen.