Ein Denkmal fällt und alle schauen zu

ID 4660
 
Im Osten Deutschlands stehen häufig die Denkmale der vergangenen sozialistischen Epoche im Weg. Die Stadtoberen machen es sich manchmal recht leicht mit der Lösung dieses Problems. Haben sie sich das Nachdenken abgewöhnt?
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03:33 min, 1457 kB, mp3
mp3, 56 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 25.07.2003 / 10:12

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Andere, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Götz Rubisch, Halle (Saale)
Radio: corax, Halle im www
Produktionsdatum: 24.07.2003
keine Linzenz
Skript
((Vorschlag für Anmoderation:))
Halle an der Saale ist eine über tausend Jahre alte Stadt in Sachsen-Anhalt, wenige zehn Kilometer nordwestlich von Leipzig gelegen und mit ihren zeitweise dreihunderttausend Einwohnern ein bedeutendes Zentrum von chemischer Industrie und Maschinenbau, letzteres zutreffend wenigstens bis zum Ende der DDR. Deren politische Elite tat nichts lieber, als ihre gesellschaftliche Legitimierung aus der Tradition der mitteldeutschen Arbeiterbewegung herzuleiten. Allerorten versuchte sie diesen Zusammenhang vor Augen zu führen, jede halbwegs große Stadt bekam ihr Denkmal, meistens war es ein Thälmann.
Halle an der Saale bekam gar gleich einen ganzen Thälmann-Platz, heute ein raumgreifender Verkehrsknotenpunkt und trotzdem unfallträchtig und knifflig zu befahren. Dreiunddreißig Jahre lang standen an seinem westlichen Rand vier meterhohe Betonfäuste auf einem großen Sockel, an dessen Rändern Jahreszahlen angebracht waren. Sie standen für historische Daten der deutschen Geschichte und natürlich der Arbeiterbewegung, aber auch für die Umdeutung geschichtlicher Betriebsunfälle in Siegesdaten der sozialistischen Entwicklung. Die Anbringung der Jahreszahl 1968 zeugt davon, wie weit sich Wertungen verbiegen ließen im Dienst an der vermeintlich guten Sache.
Heute heißt das Areal Riebeckplatz und soll nun endlich verkehrstechnisch entschärft werden durch einen Umbau, der finanziell nur schwer zu schultern sein dürfte. Schon früh stand fest, dass die Betonfäuste sehr im Wege stehen würden - also weg damit! Abriss ja oder nein wurde zeitweise heftig diskutiert und zu guter Letzt kam noch eine Leipziger Vermarktungsfirma, die gegen Überlassung der Urheberrechte eine Rettung in Aussicht stellen wollte. Aber die Bedingungen waren wohl nicht so beschaffen, dass man sich guten Gewissens darauf hätte einlassen können.
Am 24. Juli 2003 stand nun der Abrissbagger vor den Fäusten. Götz Rubisch von Radio Corax aus Halle sah ihm eine Weile zu und weiß nun einmal mehr, dass die Bewältigung von Geschichte so einfach nicht funktioniert.

Halle - die Stadt schleift!
((O-Ton Bagger))
Eins der hässlichsten und zugleich symbolträchtigsten Denkmale unserer Stadt zerfällt heute in handliche Teile. Der Abrissbagger hat keine all zu große Mühe, die vier stilisierten Fäuste klein zu kriegen, bestehen sie doch im Wesentlichen aus ummauerter Luft.
((O-Ton Bagger))
Der Straßenverkehr dieses Vormittages fließt ungerührt am Ort des Geschehens vorbei, nur ein einziges Mal betätigt ein Fahrer seine Autohupe, als wolle er seiner unbedingten Zustimmung Ausdruck verleihen.
((O-Ton Verkehr))
Das öffentliche Interesse am zuvor durchaus kontrovers diskutierten Abriss hält sich in Grenzen. Zwar ist ein Streifenwagen der Polizei vorgefahren, als hätte man mit einer Demonstration systemnaher Rentner gerechnet. Tatsächlich aber überwiegt das Interesse der Medien: Fotografen und Kameraleute treten sich gegenseitig fast auf die Füße.
Eifrig wird im Bild festgehalten, wie der wettergegerbte Beton geräuschvoll zu Klümpchen vergeht. Die Platte mit der Jahreszahl 1925 fällt besonders laut - das war das Jahr, als die Polizei im halleschen Volkspark Fritz Weineck, den "Kleinen Trompeter", erschoss.
Tatsächlich stehen weniger die stilisierten Fäuste, sondern einige der an ihnen angebrachten Jahreszahlen für die Brisanz der Außenwirkung. 1918 - November-Revolution in Deutschland, 1920 - Kapp-Putsch, bewaffnete Arbeiteraufstände - das sind Ereignisse, deren Erinnerung man in den Zeiten einer Agenda 2010 so gar nicht brauchen kann.
Im Jahre 1525 erließ der Truchsess von Waldburg, Anführer des Schwäbischen Bundes gegen die Bauernheere des Florian Geyer zu Geyersberg, das Verbot, bei Strafe an Leib und Leben von den Ereignissen dieses süddeutschen Frühsommers zu berichten. Nicht alle sollen sich damals haben einschüchtern lassen.
((O-Ton Bagger))
Ein Denkmal fällt. Es sei im Wege gewesen, versuchen die Planer des Stadtumbaus sich linkisch zu rechtfertigen. Sei's drum. Die nahe Geschichte Mitteldeutschlands gerät ohne die Betonfäuste deshalb nicht schneller in Vergessenheit, um so leichter aber jene Witzfiguren, die aus ihnen Kapital zu schlagen suchten. Weder die greisen Parteihäuptlinge des realsozialistischen Mauerstaates noch jene windigen Urheberrechts-Raubritter aus Leipzig bleiben als Verkörperung von Würde und Anstand im Gedächtnis. Um so mehr aber jene vielen Namenlosen, deren Mut und unbedingter Einsatz hinter der einen oder anderen Jahreszahl stehen und deren Andenken in den Zeiten des absehbaren Beginns sozialer Verwerfungen um so wertvoller wird.
Es wird noch viele Superstars und einige Westerwelles brauchen, dieses Andenken auszulöschen.
Der Fall eines Denkmals jedenfalls reicht dazu nicht.
((O-Ton Bagger))