"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - "Der Mittelstand" -

ID 50114
 
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Das Magazin «Stern» veröffentlicht hin und wieder Artikel, die ich verstehe bezüglich des Themas und des Ansatzes, im Gegensatz zum Beispiel zur «Bunten», die deutlich nicht die gleiche Sprache spricht wie ich, was lese ich da auf denen ihrer Webseite: «Brigitte Nielsen: Total-Absturz – Betrunken und verwirrt im Park», ich weiß nicht, was uns die Bunte damit mitteilen will, oder auch im Gegensatz zum «Manager Magazin», das auf die Webseite den Titel setzt: «Per Zwangsehe zum Weltmarktführer», wobei die Rede von den beiden Lkw-Firmen Scania und MAN ist, mit anderen Worten, in der Bunten ist man ganz unten und im Manager Magazin ganz oben, nun gut, so weit kann ich ja dann doch noch folgen –
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10:49 min, 12 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 08.08.2012 / 12:02

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 07.08.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Und übrigens steht im Stern auch noch ein Interview mit dem Drogeriekönig Dirk Rossmann, der auf Platz 109 der Reichsten-Liste eben des Manager-Magazins steht, was mich erneut ablenkt, weil nämlich im Manager Magazin gleichzeitig der ebenfalls Drogeriekönig oder vielleicht eher Drogeriekaiser Götz Werner zum Ritter geschlagen wird, wenn das denn geht – ein Kaiser, der zum Ritter geschlagen wird... Aber wie auch immer: Mit diesen beiden Drogerie-Baronen scheint mir die Welt- und Wirtschaftsgeschichte einen weiteren Wink zu geben, nachdem ich bereits letzte Woche die Familie Walton von der Wal-Mart-Kette sowie die deutschen Albrecht-Gebrüder von der Aldi-Gruppe als Mitglieder des globalen Geldadels identifiziert hatte: Nicht der Handel, sondern der Einzelhandel macht reich!, abgesehen von einigen anderen Dingen wie zum Beispiel die Telefonie, mit der, hihihi, der reichste Mann der Welt, der Mexikaner Carlos Slim, seine Milliarden zusammen gescheffelt haben will, oder aber Computer oder Energie, selbstverständlich, selbstverständlich. In Deutschland aber sind es eben nicht mehr die Lastwagen und die Automobilaristokraten, sondern die Einzelhändler, welche Kohle scheffeln. Das erinnert mich an eine Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts häufig geäußerte Kritik, wonach eben der Einzelhandel die Arbeiterklasse aussaugen täte. Heute wird aber der Einzelhandel, zu dem unterdessen die Drogerien zweifelsfrei ebenfalls zu rechnen sind, nicht mehr durch das Aussaugen der Arbeiterklasse, sondern durch den Verkauf wohlfeiler und schöner Produkte an dieselbe reich. Was für ein wunderbarer Unterschied, welche traumhafte Metamorphose! Aus diesem Grund sieht man auch die deutschen Urgesteine Spar bzw. Eurospar, Lidl und Aldi in immer mehr Ländern Europas auftauchen. Wohl bekomms.

Aber im Stern ging es nicht so sehr darum, sondern der Kamerad Rossmann gerierte sich da bloß als ein Kapitalist, der anderen Kapitalisten die Leviten liest, weil sie ums Verrecken keine Steuern bezahlen wollen oder aber ihre gemeinnützigen Anstrengungen zu sehr unter den Scheffel stellten. Das sind nun allerdings zwei ziemlich unterschiedliche Aussagen, die nur durch die Kopfknochen von Dirk Rossmann zusammen gehalten werden; ansonsten ist der Steuern hinterziehende perfekte Millionär eben Gegenstand des Stern-Artikels, indem darin nicht nur die verschiedenen Steueroasen auf dem Planeten aufgeführt waren, sondern vor allem eine lustige Gegenüberstellung von Staatsschulden, insbesondere der EU-Krisenstaaten, zum einen und den Privatvermögen der diesen Krisenstaaten innewohnenden reichen Säcke. Der spanische Staat zum Beispiel ist mit 775 Milliarden Euro verschuldet, was übrigens noch nicht besonders hoch ist im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt von etwa 1.2 Billionen; die spanischen Millionäre bringen dagegen immerhin 2.8 Billionen Euro Vermögen auf die Waage. In Griechenland lautet das Verhältnis 280 Mia. Staatsschulden zu 680 Mia. Euro Privatvermögen, das BIP liegt bei etwas über 300 Mia. In Portugal sind die Verhältnisse 190 Mia. Staatsschulden zu 550 Mia. Privatvermögen, in Irland 174 Mia. zu 364 Mia., während für Deutschland 2.1 Bio. Staatsschulden 8.2 Mia. Privatvermögen gegenüber stehen. Auch nicht übel, was? – All diese Zahlen sind etwas abstrakt, konkret wird der Artikel aber ebenfalls mit der Aussage, dass in der Schuldenkrise eben nicht die reichen Säcke die verschuldeten Länder retten, sondern dass der europäische Mittelstand mit seinen Steuern diese Staaten vor dem Abgrund rettet. Und zwar so, dass die Banken einerseits ihre faulen Kredite an die faulen Staaten von den weiterhin funktionierenden Staaten garantiert erhalten und anderseits mit Spekulationen auf die selben faulen Kredite nochmals einen Zusatzgewinn machen dürfen. Letzteres steht zwar nicht im Stern-Beitrag, ist aber eine der, aus Sicht der Banken interessantesten Realitäten; aus Sicht der Steuerzahlenden könnte man auch von einem Skandal erster Güte sprechen.
Nun ist es eigentlich nicht meine Gewohnheit, mich jenem Kunstprodukt mit dem Namen «Der Steuerzahler» an den Hals zu werfen, denn genau dieser Steuerzahler ist dann immer auch jener, welcher tiefere Steuersätze für reiche Säcke fordert, weil eben die reichen Säcke den verhältnismäßig größten Anteil des Steueraufkommens liefern und aus diesem Grund möglichst ganz von der Steuer zu befreien wären, weil sie sonst in irgend ein Schlupfloch verschwinden würden; den Steuerzahler gibt es insofern gar nicht. Was es aber sehr wohl gibt, das ist der Mittelstand, und mit diesem Begriff muss ich mich notgedrungen anfreunden, weil er nämlich unterdessen jene Einkommensklassen abdeckt, die nicht direkt von Armut und Elend bedroht sind; und wenn ich eben, zusammen mit dem Milliardär Götz Werner, die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens fordere, dann fordere ich nichts anderes, als Armut und Elend abzuschaffen, mit anderen Worten: den Mittelstand als unterste Stufe der sozialen Realitäten neu festzusetzen. Die neue Mitte muss völlig exzentrisch unten liegen!, heißt das begrifflich, aber es geht – nicht nur mit dem Grundeinkommen – letztlich darum, jene implizite Drohung der Verelendung ein für allemal abzuschaffen, mit welcher auch die SPD und die Gewerkschaften immer noch politische Münze machen. Soweit es diese Sorte von Armut nach wie vor gibt, gehört sie definitiv abgeschafft, und zwar wie gesagt mit dem Mittel des Grundeinkommens; und wenn wir das einmal geklärt haben, dann können wir uns auch einmal vorstellen, dass heute der Mittelstand eben nicht mehr zwischen den reichen Säcken und der absoluten Armut liegt und sich somit auf beide Seiten wehren muss, sondern dass der Mittelstand heute nur noch dafür sorgen sollte, dass er wenigstens nicht den Reichtum der reichen Säcke mit seinen Steuern bezahlt. Und wenn es so etwas wie eine Internationale des Mittelstandes geben sollte, wozu ich dringend rate und sogar aufrufe, dann wird diese Internationale des Mittelstands dafür sorgen, dass es in Zukunft eben keine Steuerschlupflöcher und keine Steueroasen mehr gibt, weil sich dieser neue, untere und unterste Mittelstand vom Geldadel nicht mehr mit Fluchtdrohungen erpressen lässt.

In der Tat: Was habt ihr bzw. was haben wir denn von Millionären, wenn sie eh keine Steuern bezahlen? Da tun wir doch besser dran, das Gesocks geradewegs auszuweisen beziehungsweise ihre Drohung, bei der nächsten geringfügigen Steuerforderung ihren Steuersitz ins Ausland zu verlegen, dankend anzunehmen. Weg damit! Raus mit dem asozialen Gesindel! Sollen die sich doch auf den Bahamas aalen und sämtliche kleineren Inseln in der Karibik zusammen kaufen und dort in ihrem vermeintlichen Paradies vor lauter Neid auf die noch reicheren Nachbarn unter dem braunen Teint gelb anlaufen – alles egal. Aber hier in Europa könnte man sich zum Bund der aufrechten mittelständischen Nationen zusammenschließen, in welche Vermögensmillionäre nur dann zugelassen werden, wenn sie auf ihre Einkünfte einen Satz von 63,4% bezahlen. Ich möchte wetten, dass das soziale und politische Klima auf einen Schlag deutlich besser würde.

Der Mittelstand, soso. Das hätte ich mir eigentlich nicht gedacht, dass ich einmal in derart positivem Ton davon sprechen würde. Schließlich sind mit dieser Schicht traditionellerweise auch eigenartige Dinge wie z.B. kleinbürgerliche Verhaltensweisen u.dgl. verbunden. Aber es ist einfach so, dass von dem Moment an, da die Produktivkräfte den Stand der Vollautomation erreicht haben, jedes Argument von Armut bloß noch doof ist. Damit will ich nicht sagen, dass es heute in den entwickelten Ländern keine Armut mehr gibt; ich weiß, wie prekär manche Leute durch ihr eigenes Leben müssen. Was ich sagen will, ist bloß, dass dies ein Skandal ist, der überhaupt nichts mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage unserer Staaten zu tun hat, sondern bloß mit irgendwelchen organisatorischen Idiotien, mit bürokratischen Restbeständen aus dem letzten Jahrhundert. Mit den geeigneten Maßnahmen und ein paar modernen Institutionen kommt man dem bei, ohne dass man dafür das ganze System umkrempeln muss, und das Resultat ist dann eben jenes, dass wir keine Unterschicht mehr haben, sondern bloß noch den Mittelstand, auch wenn das begrifflich ziemlicher Nonsens ist.

Somit entsteht noch eine neue Aufgabe: Wir benötigen eine neue Bezeichnung für jene Bevölkerungsteile, welche mehr oder weniger anständige Anteile am Konsum haben, anderseits nicht über wirklichen Einfluss auf die Entscheidungen verfügen, sei es in der Politik oder in den Unternehmen, wobei zu den Unternehmen noch anzufügen ist, dass sie mindestens von einer gewissen Größe an nicht einfach so dem freien Willen einer Entscheidschicht unterstehen, sondern Sachzwängen der verschiedensten Art, sodass ein Unternehmen eben schon länger keine Begriffsunion mehr bildet mit dem ihm zugehörigen reichen Sack, sondern ein Ding, das nur leben und überleben kann, wenn es den Ansprüchen auf ganz unterschiedlichen Ebenen gerecht werden kann. Auch hier erlaube ich mir nochmals ein Zitat von Götz Werner, der ein Unternehmen eine «sozialkünstlerische Veranstaltung» nennt. Das ist sicher nicht die ganze Wahrheit, aber ein erheblicher Teil davon trifft zu, wie gesagt, mindestens von einer gewissen Größe an.

Und wie nennen wir denn nun jene Schicht, in welche nach und nach alle bisherigen Proleten und auch die Prekären aufrücken, wenn wir nicht weiterhin die allerdümmsten sozialen Fehler begehen? Vielleicht könnte man sie mit dem bezeichnen, was ihr mangelt, nämlich Entscheidungsbefugnis und Entscheidungskompetenz. An Gütern mangelt es längst nicht mehr, soviel steht unterdessen fest, aber eben, die Entscheidungen. Und vielleicht, vielleicht auch an der letzten Entschlossenheit, die Welt zu verstehen und zu verändern. Etwas zu unternehmen, unter anderem. Das könnte sich als größtes Defizit erweisen, und wenn das so wäre, dann wäre der heutige Mittelstand ein richtiger Mangelstand.