"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - CDU-Wahlplakat -

ID 58535
 
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Als ich das riesige CDU-Wahlplakat beim Hauptbahnhof Berlin zum ersten Mal gesehen habe, auf dem neben dem CDU-Logo nichts anderes als die Hände von Frau Merkel zu sehen sind, war ich beeindruckt. Die Pose beziehungsweise Position ist unverwechselbar, Merkel-Marke, wobei es sich natürlich um eine Figur aus dem Repertoire der Rhetorik handelt, und das macht die Sache vollends lustig.
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10:43 min, 10 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.09.2013 / 10:21

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.09.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Eure Bundeskanzlerin hat die Gewohnheit, die Kuppen der leicht gespreizten Finger beider Hände gegeneinander zu halten, ungefähr auf Höhe der Milz oder des Magens oder des Ober-Bauchs, und die Botschaft dieser Figur ist international eindeutig, sie heißt: «Nun –». «Nun» wiederum steht für «In Erwägung allen Hin und Widers, aber auch des Dafür und des Dagegen und unter allgemeiner und besonderer Berücksichtigung von Dies und Jenem». Wenn man diese Hände sieht, dann hört man die Denkmaschine rattern, aber nicht im Aktiv- oder Handlungsmodus, sondern im Abwägen, im Temperieren; die gespreizten Hände können jederzeit auseinander fahren zum Einerseits oder zum Anderseits und wieder zurückschnellen in die Grundposition, wo sie mit allem Gefühl in den Fingerspitzen auch einen unauffälligen Weichteilschutz bilden und sogar abwehrend, wo nicht gar angreifend nach vorne auskragen. «Bitte nicht stören», heißt dieses Schild zwar nicht gerade, aber es signalisiert immerhin, dass man die Besitzerin dieser Signaltafeln besser mit Vorsicht behandelt, wo nicht überhaupt rücksichtsvoll; vielleicht passt die zwar klare, aber doch durchbrochene Form mit den leicht gespreizten Fingern einerseits zu einem Häkelmuster, anderseits durchaus zu einer Tasse Tee.

Ich habe das Fernsehduell zwischen Frau Merkel und Herrn Steinbrück nicht gesehen, gehe aber davon aus, dass es sich auch um ein Duell der Hände handelte. Herr Steinbrück setzte vermutlich mit entschlossenen Bewegungen Linien in die Luft mit eng angelegten Fingern, vielleicht gar einmal in die Figur der Faust geballt als Zeichen nicht nur von Tatkraft und Entschlossenheit, sondern auch als Reverenz an die Gewerkschaften, während Frau Merkel jeweils eher knapp den Fingertrichter öffnete, vielleicht kippte sie ihn zwischendurch einmal nach außen, beschrieb kleine Kreise mit dem Handgelenk oder klappte die Arme aus dem Ellenbogen heraus mal nach außen und dann wieder ein.

Auf dem Plakat steht die Rhetorik allerdings still und verweist dabei auf ein anderes Paar Hände in der deutschen Geistesgeschichte, auf jene von Albrecht Dürer. Mit ihnen haben die von Frau Merkel gemein, dass sie nicht besonders stark aneinander gepresst werden. Die von Dürer liegen vielleicht mit den Handballen noch aneinander, sonst ist da viel Luft, dieses Gebet ist kein Ringen oder kein dramatischer Hilferuf, sondern eine schon fast intellektuelle Geste. Der Glaube findet grundsätzlich innen statt, nicht in ostentativen Gebärden, und so ist eben auch Frau Merkel konfiguriert: Sie ist die mächtigste Frau der Welt, indem sie die Fingerkuppen leise aneinander legt.

Ja, das ist wahrlich hohe Politik. Die Wahlen werden kaum von diesen Händen entschieden, trotzdem will ich noch kurz darauf verweisen, was eben hohe Politik nicht ist: Ihr erinnert euch an die Wahlkampagnen vor 12 Jahren mit dem Bratpfannenhände schwingenden, klatschenden und herum grinsenden Guido Westerwelle? Ihr erinnert euch nicht, und das ist gut so, denn eben, so läuft das nicht mit all diesen politischen Organen.

In Syrien der Syrer setzt Chemiewaffen ein, man weiß nicht genau, welche Seite, man weiß bloß, dass es bisher noch nicht im gleichen Umfang der Fall war wie seinerzeit beim Saddam Hussein, als der noch der Alliierte von Ronald Reagan war und die iranischen Truppen zum einen, die kurdische Bevölkerung im eigenen Land zum anderen mit diesen Giften niedermachte. Laut Wikipedia stammte die Ausrüstung für die Produktion dieser Waffen übrigens zur Hälfte aus Deutschland, das eine gewisse Tradition im Vergasen vorweisen kann. Heute aber will der Ketchup-Gatte und Außenminister John Kerry beziehungsweise sein schwarzer Vorgesetzter Barack Obama, will also diese schwarz-rote Koalition um jeden Preis einen Militärschlag gegen die Regierung Al Assad führen, was mir unterdessen auch schon fast egal ist, denn ich kann eh nichts dagegen tun, und ich bin auch nicht Mitglied im Fanclub von Baschir Al Assad, was ich aber insofern für außerordentlich bemerkenswert halte, als sich die Jungs offensichtlich keinen Deut um die Uno und ihre Institutionen und Mechanismen scheren. Mit anderen Worten: Was die US-Regierung sagt, hat hinfort ultimative Gültigkeit; das heißt noch anders: Der amerikanische Präsident ist unfehlbar. Die Praxis ist ja mit den Drohnen-Hinrichtungen schon seit einiger Zeit gängig, und kombiniert mit den Abhöranlagen hat seine Macht tatsächlich ein Ausmaß angenommen, wie es früher höchstens mal die Kirche erreicht hat. Und ich Naivling dachte bisher immer, dass Geld zu so etwas wie dem Nachfolger der Religion geworden sei. – Nun gut: Man braucht ihm wenigstens nicht zu glauben, dem Obama und seinen herauf kommenden Nachfolgern und Nachfolgerinnen, man muss nur kuschen, insofern handelt es sich nicht um ein Glaubens-, sondern eher um ein reines Machtsystem; und indem ich in bestehenden Machtstrukturen schon reflexartig ihren Untergang sehe, muss ich auf absehbare Zeit, das heißt in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren, für die Vereinigten Staaten von Amerika eine echte Krise ihrer Hegemonie in Aussicht stellen. Warum so schnell? – Weil die Macht, wie schon immer, ein vielschichtiges Ereignis ist, und wenn sich innerhalb dieser Schichten plötzlich ein Teil, ein Element, ein Bereich sozusagen verselbständigt, dann kriegt er eins auf die Nuss, und zwar eben relativ fix. Die US-Amerikaner interessieren sich bekanntlich nach wie vor keinen Deut für den Nahen und Mittleren Osten, sondern bloß fürs Erdöl, aber sie haben es eindeutig geschafft, in dieser Region stabile und ausgewachsene Feinde zu produzieren, einmal abgesehen von ihren Allianzen mit dubiosen Kreaturen wie eben seinerzeit dem Saddam Hussein.

Aber wie gesagt, mich fragt ja eh niemand, und so will ich nur noch jenen Gedanken festhalten, der mich gestern während einer Fahrt in einem dieser neuen Automobile durchzuckt hat: Es versteht sich ja von selber, dass diese hoch persönlichen Fahrzeuge, diese Ausweitungen des Subjekts in Zukunft unter dem Titel des Luxus vollständig in der Lage sein werden, nicht nur automatisch einzuparkieren oder die Fahrenden haargenau an ihr Ziel zu befördern, ohne dass sie sich auch nur ums Lenkrad bemühen müssen, sondern dieses Automobil wird in Zukunft zum Paradeplatz der vollständigen Überwachung. Die Dingens sind ja unterdessen komplett ausgestattet mit Elektronik und Kommunikationsgeräten, mit GPS, Fahrtenschreiber, Bluetooth und Internet, da wäre es doch höchst seltsam, wenn niemand auf die Idee käme, eine Sendefunktion einzubauen. Begründet würde dies zum Beispiel damit, dass der Automobilhersteller oder der Lieferant so in der Lage sei, laufend die Informationen zum Fahrzeug zu kontrollieren und eine heran nahende Reparatur rechtzeitig zu identifizieren und anzuzeigen. Aber da geht natürlich der ganze weitere Plunder mit. In Zukunft hören die Amerikaner, aber nicht nur sie, sondern je nach durchfahrenem Land auch die nationalen Sicherheitsdienste jeden kleinen Furz mit an, der in diesen Fahrzeugen gefurzt wird. So ist das nämlich. Einmal abgesehen davon, dass unterdessen auch die biometrischen Erkennungssysteme so weit sind, dass man die Menschen auf der Straße identifizieren kann; um wie viel mehr im Fahrzeug. Vielleicht bedeutet dies, dass in Zukunft der Verkauf von Schminke und Perücke zu einem rentablen Wirtschaftszweig wird, nur für den Fall, dass Ihr Euch Gedanken machen solltet über jene Zukunftsvisionen, welche sich nach der Solarenergie anbieten.

Das ist übrigens ein seltsames Ding, nicht wahr? Da buttern alle Regierungen nach der Explosion des Atommeilers Fukushima Geld wie wild in die Förderung von alternativen Energien, und was ereignet sich? Der Strommarkt wird liberalisiert, das heißt, der Atomstrom aus Osteuropa hat ungebremst Zutritt in die europäischen Stromnetze, die Preise purzeln wie von weit, und die Solarindustrie geht ebenfalls ungebremst den Bach runter. Wirklich, Zufälle gibt es, einer schöner als der andere.

Bezüglich der immer lückenloseren Überwachung fragen wir uns nun aber im Chor mit der SPD: Wieso unternimmt Frau Merkel eigentlich nichts dagegen? – Aber hier verlassen wir das gemeinsame Konzert sofort wieder und sagen, dass es unter einer SPD-Regierung oder unter Rot-Grün oder was auch immer für einer Konstellation mit absoluter Wahrscheinlichkeit nicht ein Jota anders wäre. Und was Frau Merkel beziehungsweise ihre Stellung und Rolle in diesem Überwachungsdingsbums angeht: Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit dieser ominösen Handhaltung, mit dem Abhörschirm, den ihre Finger vor dem Bauch formen? Sendet eure Bundeskanzlerin euch eine Geheimnachricht?

Mitten in dieser Gesamtüberwachung führen wir aber unser Leben weiter, als wäre nichts geschehen, und das funktioniert ganz gut, weil wir uns nämlich nie irgendetwas zuschulden kommen lassen. Vielleicht läuft das mit der Überwachung überhaupt nur in solchen Ländern anständig, die sich ohnehin konform verhalten. Ich könnte mir gut vorstellen, dass ein solches System in Italien oder in Griechenland mit Schwierigkeiten zu kämpfen hätte. Dabei ist Italien eigentlich das Vorzeigeland, nämlich der Telefonüberwachung. Mafia und Ministerpräsidenten werden seit Jahr und Tag gleichermaßen abgehört, und seit Jahr und Tag finden die Abhörprotokolle ihre Wege in die freie Presse. Aber das ist eben etwas anderes, weil hier der Justizapparat am Werk ist, nicht der Geheimdienst. Und die Abhörmanöver haben sich wohl eher zufällig ergeben aus der puren Möglichkeit dieses neuen Kommunikationsmittels, günstig an alle intimen Informationen heran zu kommen; dagegen diskutieren wir bei uns beziehungsweise bei den Amerikanern heute die systematische Aushorchung bzw. Observierung aller Einwohnerinnen und Einwohner. Denn soviel leuchtet allen ein: Es gibt keine gezielte Überwachung von Terroristinnen und Terroristen, welche sich immer der Bevölkerung assimilieren, in welcher sie leben wie die Fische im Wasser, und deshalb müssen wir uns wohl oder übel alle immer überwachen lassen. Daraus entsteht dann ein begrifflich fassbares Einheitsverhalten, das übrigens durchaus abweicht von früheren Verhaltenskodizes, zum Beispiel im Bereich Sex; Sex interessiert Barack Obama überhaupt nicht. Aber abweichendes Verhalten, und eben wohl bald auch einmal abweichendes Autofahren oder abweichendes Kreditverhalten, was weiß ich. Wir führen unser Leben weiter, als wäre nichts geschehen, indem wir uns unserseits tagtäglich an neue Überwachungsrealitäten assimilieren. Ein seltsamer Zustand.

Kommentare
17.09.2013 / 14:43 hikE, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in Frühschicht 16.9.2013
gesendet. Danke!