"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Krimkrams -

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Gibt es jetzt zur Feier des 100-jährigen Geburtstages des Ersten Weltkriegs ein Feuerwerk in der Form eines weiteren Krieges, aus Jubelgründen eine Neuauflage eines bereits da gewesenen Kriegs, nämlich des Krimkriegs?
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10:53 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.03.2014 / 11:11

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.03.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich gehe mal davon aus, dass es in den Arsenalen noch genügend Rest­bestände an Vernunft gibt und dass diese neben all den symbolischen Maßnahmen und mehr oder weniger wilden Drohungen auch zum Einsatz kommen, sodass wir auf diese Sorte an Spektakel ver­zich­ten müssen. Die Krim ist keinen Krieg wert, mindestens so lange, als dort das Selbstbe­stim­mungs­recht der Völker nicht mit dem Hammer geschlagen und mit der Sichel gemäht wird, und so schaut es mir nämlich nicht aus, indem die dort ansässige mehrheitlich russophile, wo nicht über­haupt russischstämmige Bevölkerung im Moment kaum den Drang verspürt, sich an die Tressen von Julia Timoschenko zu hängen. Ansonsten sollte man sich einfach daran erinnern, wie sich der Russe selber in seiner Haut fühlt: Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich die Nato die ehe­ma­li­gen Satellitenstaaten im Osten militärisch einverleibt, während die EU das Baltikum, Polen, Ru­mä­nien und Bulgarien einheimste, eine durchaus reiche Ernte, ganz abgesehen vom Balkan, der sich jetzt Stück um Stück dazu gesellt, und auch die Türkei scharrt weiterhin vor den Toren. Am Sonn­tag hat der nicht mehr ganz neue iranische Premierminister im Gespräch mit der EU-Außen­minis­te­rin Ashton angekündigt, dass er die Beziehungen intensivieren wolle. Und so weiter. Dass der Russe unter solchen Umständen, aber auch generell und sowieso mindestens ein Hintertürchen für einen Zugang zum Mittelmeer offen halten will mit den Marinestützpunkten am Schwarzmeer, ist nichts weiter als elementare Logik, eine Logik, die man verstehen muss, wenn man nicht im Kern gegen sämtliche Varianten von Geopolitik ist. Wenn man aber gegen Geopolitik als solche ist, dann sollte man seine Wut zunächst an den Vereinigten Staaten von Amerika auslassen, denn die sind der alles dominierende Akteur zu Luft, zu Wasser und zu Lande. Das Gewäffel von John Kerry und Barack Obama sind vor diesem Hintergrund nichts anderes als billige Schmierenkomödie.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Ukraine, in diesem Selbstbedienungsladen, in dem die Bevölkerung gerade mal die Wahl hat zwischen den einheimischen Oligarchen und dem Ver­scher­beln der nationalen Besitztümer an die internationalen Großkonzerne, wofür die heilige Julia steht? – Nicht im Ernst kann man auch nur annäherungsweise von Selbstbestimmungsrecht spre­chen. Dazu würde ja prominent gehören, dass diese Völker überhaupt wissen, worüber sie zu bestimmen haben oder wer sie überhaupt sind. Davon habe ich in den letzten Jahren noch nie etwas festgestellt. Stattdessen habe ich ein andauerndes Gerangel beobachtet zwischen allen möglichen Interessengruppen, welche allerdings immer auch von ausländischen Interessen gesponsort wurden, namentlich eben Russland einerseits und das Gespann EU und Nato auf der anderen Seite. Immer­hin verlief das Gerangel demokratisch, wo nicht sogar lupenrein demokratisch, es gab regelmäßig Wahlen, bei denen sich die Gruppierungen an der Macht ablösten; der letzte demokratisch gewählte Ministerpräsident wurde von seinem Parlament abgesetzt, Ihr erinnert Euch, was man bezeichnen kann, wie man will, aber unter völkerrechtlichen Titeln ist dies mehr als fragwürdig. Immerhin werden wir in Erinnerung behalten, wie die Medien im Westen die öffentliche Meinung davon überzeugten, dass die Macht der Straße die echte und einzige demokratische Macht ist, wenn es nämlich dann hier auch wieder einmal so weit kommen sollte. Davon abgesehen hatte die ein­hei­mische Bevölkerung keine Rechte auf Selbstbestimmung und hat sie auch mit den Demonstrationen auf dem Maidan nicht gefunden. Hierzu ist zu sagen, dass einer solchen einheimischen Bevölkerung ihre Selbstbestimmung halt auch nicht einfach geschenkt wird, auch so etwas muss man sich erar­beiten in einem Prozess beziehungsweise korrekter: in einer Vielzahl von kleinen Prozessen, die nicht gratis zu haben sind. Es gibt dazu nicht einmal besonders strenge Form­vor­schriften, das heißt, man kann so etwas in der Form von Nationalisierung oder Verstaatlichung machen ebenso wie in irgend einer Form der Marktwirtschaft; aber es gibt weder in die eine noch in die andere Richtung oder überhaupt in eine Richtung irgendwelche sichtbaren Anstrengungen, und deshalb würde ich der öffentlichen Meinung empfehlen, die Ukraine die Ukraine bleiben lassen und ein gewisses Verständnis dafür aufzubringen, dass Russland die Heimat seiner Schwarzmeerflotte nicht einfach so preisgibt. Es reicht ja schon, wenn die Avancen und Kreditzusagen der Europäischen Union und von Onkel Sam Hoffnungen wecken, die genau so wenig erfüllbar sind wie alle anderen.

Abgesehen davon brauche ich mich nicht als Fan von Wladimir Putin zu geben. Der Mann hat seine Schuldigkeit getan, von mir aus kann der jetzt gehen. Seine Schuldigkeit, das war die Stabilisierung einer völlig verworrenen Lage nach der vorübergehenden Machtübernahme von König Alkohol in der Form der Wodkaflasche Boris Jelzin. Jetzt stehen Reformen in Verwaltung und Wirt­schaft an, von denen unsereins ja noch nicht einmal dann etwas mitbekommen würde, wenn sie tatsächlich geschehen würden, denn unsere westliche Medienwelt ist nach wie vor treu im Blockdenken des Kalten Krieges verankert, dafür brauchen wir nicht den Krim-Konflikt und die Ukraine. Jedenfalls habe ich seit längerer Zeit keine optimistisch stimmenden Meldungen mehr empfangen aus diesem riesigen Reich, dem im Moment auch noch die niedrigen Energiepreise einen Streich spielen. Wer etwas mehr darüber weiß, soll das doch bitte melden. Mir selber stehen gegenwärtig bloß tele­pa­thi­sche Kanäle nach Russland offen, aber ich verstehe zuwenig Russisch, um die Inhalte richtig mitzubekommen und hier anständig wiederzugeben.

In einem ARD-Beitrag habe ich am letzten Sonntag einen Korrespondenten in Sewastopol gesehen, der von der russischen Propagandamaschinerie sprach, welche auf der Krim auf Hochtouren laufe, sodass man sie, die unabhängigen Fahnenträger der journalistischen Objektivität, auch schon mal verärgert schubse, wenn sie wieder eine antirussische Stellungnahme vor die Kamera zerren möchten. Da bin ich akut versucht, Oh My God zu rufen. Oh My God, was ist das denn? – Da watscheln diese Kriegsberichterstatter herum und beschweren sich über gleichgeschaltete Menschen, wenn sie prorussisch sind, das heißt dann auch der Mob, während der gleiche Mob, wenn er die gesuchten prowestlichen Sprüche absondert, eine Ansammlung von lauter Freiheitshelden ist. Hier also doch in der großen Mehrheit ein Mob, der ganz genau weiß, was am anderen Ende der Leitung heraus kommt, nämlich ganz genau diese eingebettete Propaganda für die westliche Maschine, die im übrigen von sich selber offenbar ebenfalls keine Ahnung hat, denn abgesehen von militärischen Raumgewinnen lässt sich in der Ukraine gar nichts holen, was nicht schon aufgeteilt wäre, Landwirtschaft, Bergbau, Energieleitungen, und bringen wird die EU noch viel weniger. Das Selbstbestimmungsrecht der Medien existiert offensichtlich, aber auch die Medien wissen damit nichts anzufangen.

Das Selbstbestimmungsrecht, heidewitzka, Frau Oberkommandierende! Wenn man diese argu­men­tative Panzerhaubitze mal in Afghanistan auffahren würde, was täte denn dort heraus kommen? Ich meine, ich habe nur schon Mühe, meine eigene Selbstbestimmung wahrzunehmen, nicht zuletzt deshalb, weil ich im Lauf der Zeit immer stärker realisiere, wie stark ich eigentlich fremdbestimmt bin, zum Beispiel während meiner ganzen Kindheit von meinen Eltern, später dann von guten und schlechten KollegInnen, von der Schule, von der Arbeit und nicht zuletzt auch von all den Kriegs­bericht­erstatterinnen in ARD und ZDF und weiteren glaubwürdigen Medien. Letztlich verfüge ich noch nicht mal persönlich über ein wirkliches Selbst, über das ich bestimmen könnte. Die Ukraine dagegen, hin und her gerissen zwischen Nationalisten, prorussischen Oligarchen, prowestlichen Schnäpp­chen­jägerinnen, leeren Versprechungen des Westens, Drohungen aus dem Osten – wer hat denn hier das Recht zu bestimmen? Man weiß es nicht, und damit montieren ganz einfach die Me­dien ein Selbstbestimmungsrecht, nämlich das eigene, und operieren damit in der öffentlichen Mei­nung herum, als ginge es hier um die Verteidigung der Menschenrechte.

Schwamm drüber. Macht uns einfach keinen Krieg draus, und ansonsten sollen alle Völker weiter­hin wählen und abstimmen, wie sie wollen, ich bin da grundsätzlich nicht abgeneigt, nur damit das klar ist.

Das moderne Leben ist ein schwieriges. Soeben habe ich gelesen, dass auf der Welt im Jahr 2013 Schuldpapiere im Wert von 100 deutschen Billionen zirkulieren, wobei ich Billionen nicht im Sinne von Reichsmark verstehe, sondern im Gegensatz zu den englischen Billionen, die auf Deutsch Milliarden heißen, und die Währungseinheit lautet US-Dollar. Es handelt sich um eine Schätzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, und die liefert auch noch weitere Vergleichs­an­ga­ben: Vor der Finanzkrise, im Jahr 2007, seien es ungefähr 70 deutsche Billionen gewesen, und der Anteil der staatlichen Schuldpapiere an der Gesamtsumme belaufe sich auf etwas über 40 Prozent. Die Staatsschulden hätten seit Mitte 2007 um 80% zugenommen. Das wundert uns nach all den Bankenrettungen keine Sekunde lang. Dem gegenüber stehen die privaten Vermögen, die von der Allianz-Versicherung alle Jahre im Global Wealth Report ermittelt werden; sie ermittelte für das Jahr 2012 dafür eine Summe von 112 deutschen Billionen; hier ist die Währungseinheit Euro, was also ungefähr 150 deutsche Billionen an US-Dollars ausmacht. Das ist doch eine nette Koinzidenz: 100 Billionen Schulden stehen 150 Billionen Vermögen gegenüber. Dabei will ich nicht verschweigen, dass das Pro-Kopf-Vermögen vermutlich in der neutralen Schweiz auch 2013 am höchsten war. Im Jahr 2011 jedenfalls führte die Schweiz die entsprechende Tabelle laut der gleichen Allianz-Studie mit Abstand an; damals betrug es rund 140'000 Euro, und dahinter lagen Japan mit 93'000 Euro und die USA mit 90'500 Euro. Das viertplatzierte Belgien wies dann einen deutlichen Abstand auf mit 68'500 Euro, dann folgten die Niederlande, Taiwan, Kanada, Singapur, Großbritannien, Israel, Dänemark, Italien und Frankreich; für Schweden wies die Allianz-Studie ein Pro-Kopf-Vermögen von 42'100 Euro aus, für Österreich 40'600 und für Deutschland eines von 38'521 Euro. Merkt Ihr etwas? – Dass die Schweizer reich sind, das ist allgemein bekannt, es hat mit dem starken Franken und auch mit der hohen Millionärsdichte zu tun. Aber dass Euch Italien um mehr als 4000 Euro Vermögen abgehängt hat, das müsste Euch doch zu denken geben.

Kommentare
10.03.2014 / 20:20 coloradio, coloRadio, Dresden
gesendet im montagsmagazin
danke fein