"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Pirinçci -

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Auf der Webseite «Politically Incorrect» meint ein Herr Akif Pirinçci: «Ich kann in Deutschland schreiben, was ich will, und denken, was ich will.» Denken kann eigentlich jede und jeder überall, was sie und er so will, aber das mit dem Schreiben ist sozusagen ein anderes Kapitel, denn die meisten können gar nicht schreiben, auch wenn sie noch so stark wollen.
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11:59 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.05.2014 / 11:34

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 06.05.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Bei Pirinçci ist es anders. Er hat ein paar Krimis hergestellt und ist vor ich weiß nicht wie vielen Monaten in den anschwellenden rechten Mainstream gesprungen mit einer Fortsetzung des Kassenschlagers «Deutschland schafft sich ab» von Thilo Sarrazin; sie trägt den Titel «Deutschland von Sinnen – Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer». Ich habe das Werk in der Titanic entdeckt, und zwar mit ein paar Originalzitaten, die einfach zu präzise sind, um etwas daran zu ändern, ich zitiere jetzt also diese Zitate aus der Titanic: «Die meisten der in dieses Land strömenden Asylanten, Flüchtlinge oder Einfach-so-Kommenden sind ungebildet, arbeitsunfähig oder –unwillig und legen sich schnell ein unverschämtes Anspruchsdenken gegenüber ihren Gastgebern zu. Ihre archaische Kultur ist mit unserer inkompatibel und wird es auch immer bleiben, und sie werden uns ewiglich auf der Tasche liegen.» – «Kultur schön und gut, aber bitte nicht die unsrige. Jede andere gern, meinetwegen solche Kulturen, in denen man kleine Mädchen in Kopftücher verpackt und die etwas älteren in Schleier, Jungs zu Paschas und Totschlägern aufpimpt oder in denen man Zigeunern das Klauen und Rauben als Folklore durchgehen lässt, aber bitte, bitte nicht die deutsche Kultur. Denn die ist belastet, sie trägt die berühmt-berüchtigte deutsche Schuld in sich.» – «Diese Politikerkaste bedient allein die Interessen ihresgleichen, honoriert Ballaballa-Ideen von Nix-Anständiges-Studiert-Habenden (Gender Mainstreaming/Multikulturalismus, sprich lasst mehr Muslims und Ungebildete ins Land) und sich linksdrehenden Journalistendarstellern, verschenkt Unsummen an Leute, die unseren Lebensstil verachten, verschiebt Milliarden an Staaten, deren Medien uns immer noch in SS-Uniform wähnen, verödet unsere wundervolle deutsche Landschaft mit teurem Erneuerbare-Energien-Geschiss zu einem Industriepark und erzählt unseren kleinen Kindern in der Schule, wie schön es sei, dass es Männer gibt, die sich gegenseitig in den Arsch ficken.» – «Die meisten Vergewaltiger sind in Europa inzwischen Muslims.» – «Frauen erfinden bekanntlich fast nichts.»

Ich bin mir nicht sicher, was den Pirinçci angeht, nämlich ob der sich nicht den Jux erlaubt, als Türke zehnmal deutscher zu tun als der übelste Nationalsozialdemokrat; dass er sich auf einer Webseite von christlich-abendländischen rechts gescheitelten Blähköpfen ergeht, spricht zunächst noch nicht gegen die Jux-These, und die soeben zitierten Stammtischsprüche entbehren derart kantig jeglichen Realitätsbezugs, dass ich geneigt bin, hier eine neue Form der Wallraffiade zu vermuten. Sie ist natürlich insofern geglückt respektive kann überhaupt nur insofern glücken, als die Formulierungen eben schon sehr vollendet sind, zwar als vollendeter Blödsinn, aber eben sehr stimmig. Die Immigranten sind ungebildet, arbeitsunfähig und arbeitsunwillig mit einem unverschämten Anspruchsdenken gegenüber den Gastgebern, wenn man das hört, dann hört man auch gleich das donnernde «Jawoll!» aus vielen Männerkehlen, denn um Männer geht es Pirinçci schon sehr hauptsächlich; dass Frauen bekanntlich nichts erfinden, ist nur das Krönchen auf dem Schaum vor dem Mund des Stammtischs. Die zugrunde liegende Angst des deutschen Mannes dagegen findet ihre Sprachform mit dem anderen Zitat, dass in Europa die Mehrheit der Vergewaltiger inzwischen Moslem sei. All das ist einfach viel zu drastisch, als dass jemand mit hinreichend operativer Vernunft, um die logisch-grammatikalische Ordnung eines Gedankengangs zu erstellen, etwas im Ernst so formulieren würde, bei allem Respekt vor dem erwähnten anschwellenden rechten Mainstream.

In der «Titanic» stellt sich Stefan Gärtner, welcher schon seit einiger Zeit die Nachfolge von Eckhard Henscheid als Mann fürs Ernste angetreten hat, ungefähr die gleiche Frage, aber er kommt zum Schluss, dass es nicht nur der Webseite Politically Incorrect und den anderen christlich-abendländischen Israelfreunden, ebenso wie den christlich-abendländischen Antisemiten und Holocaust-Leugnern, sondern eben auch dem Autor Pirinçci Ernst sei und dass der Türke hier eben fast mit akademischer Glaubwürdigkeit den reinen Deutschen heraushänge, wohl weil sich dies ein deutscher Deutscher auch heutzutage noch nicht so richtig toll und voll leisten könne. Leider komme ich um den Hinweis nicht herum, dass eine solche Interpretation nicht nur die politisch Unkorrekten zufrieden stellt, sondern auch jenen aussterbenden Teil der kritischen Linken, dessen Identität, mindestens aber Selberlegitimation zu immer größeren Teilen aus einem permanenten Faschismusverdacht gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft besteht. Gärtner zitiert diese verzweifelt schnaubenden Mahner denn auch, zum Beispiel den «Zeit»-Literaturkritiker Ijoma Mangold oder und vor allem den «konkret»-Herausgeber Hermann Gremliza, der von Gärtner ebenfalls mit der entsprechenden Kernpassage zitiert wird, wonach das Eis dünn sei, auf dem sich diese Gesellschaft über den Faschismus bewegt. Und das ist einfach Nonsense, zu dessen Selbst-Entlarvung man ihn erst wieder einmal ans Tageslicht treiben musste – in diesem Sinne: herzlicher Dank, Herr Pirinçci.

Umgekehrt ist trotz den Hinweisen aufs Gegenteil möglich, dass es Pirinçci Ernst ist, und was natürlich so oder so ins Gewicht fällt, ist die Tatsache, dass nicht nur die Webseite Politically Incorrect, die sich übrigens als israel- und amerikafreundlich ausgibt, sondern vor allem viele, viele Leser das Buch koofen, weil es ihnen gefällt, weil sie im Ernst den Eindruck haben, die Deutschen und das Deutsche würden auf der Welt verfolgt und unterdrückt und unterlägen einem veritablen Genozid auf allen Ebenen, kulturell und vor allem wirtschaftlich, denn genau dies sind doch die Kernaussagen der vorherigen Zitaten. Aus neutraler Sicht bleibt mir da nichts anderes übrig, als euch zu trösten: Nein, es läuft gegenwärtig kein Genozid gegen Deutschland und gegen die deutsche Kultur; vielmehr ist Deutschland Exportweltmeister und hat innerhalb der EU einen Großteil der anderen Staaten an die Wand gedrückt, ganz egal, ob wegen der Hartz-IV-Gesetzgebung mit dem anschließenden Absturz der Lebenshaltungskosten oder wegen irgendwelchen anderen Faktoren; ja, jawoll, Deutschland ist Exportweltmeister geworden mit, dank und wegen der sozialdemokratischen Organisation der Gesellschaft, zu deren Begleiterscheinungen auch das so genannte Gutmenschentum gehört, also die Bereitschaft, fremde Kulturen zunächst einmal als solche überhaupt wahrzunehmen, bevor man sie überfällt und in den Sack steckt, und im Fall einer globalen Globalisierung die Angehörigen fremder Kulturen nicht zum Vornherein als minderwertig zu bezeichnen, weil man nämlich, und das ist ein echter Trick der Sozialdemokratie, diesen fremden Kulturen irgendwann mal auch Produkte andrehen könnte, was viel schwerer fällt, wenn man sie mit einem historischen, kulturellen und überhaupt Übermenschenanspruch unnötig vor den Kopf stößt; ja, die sozialdemokratische Organisation geht so weit, dass man beispielsweise den Griechen berechtigte Vorwürfe machen und sie an die Kandare nehmen kann, obwohl ein Teil ihrer Staatsschulden aus Staatsausgaben für Rüstungsgüter stammt, die man selber dahin geliefert hat und für welche man auch jene Schmiergelder bezahlt hat, welche zum Funktionieren des nicht funktionierenden Staates dazu gehörten und ursächlich für die nachmalige Katastrophe waren, und so weiter und so fort. Nein, geschätzte Freundinnen und Freunde aus und in Deutschland, wir mögen euch in eurer sozialdemokratischen Existenz- und Erscheinungsform, das garantiere ich hiermit, aber wir würden euch durchaus nicht mehr mögen, wenn ihr ansatzweise zu meinen beginnen täten, die Menschen in anderen Ländern Europas und der ganzen globalen Welt seien von Grund auf etwa anders konstruiert als ihr, mit Ausnahme eben jenes durchaus zentralen, aber eben doch nicht besonders biologischen kulturellen Aufbaus, der tatsächlich die Gesellschaften sich voneinander unterscheiden lässt, aber dazu habe ich mich soeben geäußert. Wir mögen euch, genau, weil wir davon ausgehen, dass es bei euch nicht so bald wieder zum Ausbruch, neben der wirtschaftlichen auch noch einer politisch-kulturellen Vermessenheit kommen wird – auch wenn wir wissen, dass es in Deutschland, genau so wie in allen anderen Ländern auch, einen ansehnlichen Teil der Bevölkerung gibt, der auf die Breitbanddummheiten aus dem erwähnten Buch durchaus anfällig ist, ganz egal, ob es sich nun um eine Realsatire handelt oder um den Versuch, «Mein Kampf» neu zu schreiben. Diesen Verdacht hat offenbar der «Zeit»-Literaturchef Mangold geäußert, und das ist allerdings lachhaft genug, um ihn sofort ins Ressort Celebrities and People zu versetzen, welches die «Zeit» doch hoffentlich ebenfalls führt wie jede andere seriöse Zeitung auch.

Das erinnert mich an die alte Frage: Wie geht es eigentlich Hayden Panettiere? Ich glaube, es geht ihr gut, abgesehen davon, dass ihre Nashville-Soap offenbar nicht so besonders gut läuft; jedenfalls ist sich der produzierende Sender ABC nicht sicher, ob er wirklich noch eine dritte Staffel nachlegen soll. Ob Hayden dagegen eifrig Ukrainisch lernt, um ihrem Schwager beim ukrainischen Nationalfeiertag in seinem Privatgarten dereinst die ukrainische Nationalhymne vorzuträllern, davon weiß ich nichts. Was ich dagegen weiß, ist, dass unser aller Barack Obama anlässlich des Korrespondenten-Dinners im Weißen Haus einen Eins-a-Auftritt als Kabarettist hatte; natürlich nicht ein Kabarettist der Schenkelklopfer-.Sorte, aber doch mit ziemlich viel Selbstironie und gut gesetzten Pointen. Dass er hoffe, dass die Bewohner von Colorado bei ihrem nunmehr legalen Haschisch-Konsum nicht etwa dächten, die NSA würde ihre Gespräche abhören und ihren Mail-Verkehr überwachen, war noch eine der schwächeren davon.

Aber nochmals zurück zu Hartz IV. Könnt ihr mir vielleicht sagen, ob das berühmte Lied «Arbeitslos und Spaß dabei» seinerzeit einen Einfluss hatte auf die Revision des Arbeitslosengeldes zwei? Letzthin habe ich gelesen, dass der Aufbau Ost bisher insgesamt fast zweitausend Milliarden Euro gekostet habe, wovon zwei Drittel in den Sozialbereich geflossen seien, der Großteil davon als Renten. Da darf man sich natürlich nicht noch gesanglich lustig machen über diese gewaltigen Leistungen. Gleichzeitig wundern wir uns darüber, dass Deutschland einerseits diesen Gewaltakt vollbringen musste und es zum gleichen Zeitpunkt schaffte, die meisten anderen Länder Europas wirtschaftlich zu überflügeln. Kann es sein, dass hier ein Zusammenhang besteht, dass man also nicht jammern sollte über die ungeheuren Aufwände im Innern, sondern diese vielmehr als Beweis ansehen sollte dafür, dass der Binnenkonsum beziehungsweise die Investitionen im Landesinnern und im Sozialbereich und insbesondere in die Renten letztlich entscheidend zur Blüte des Gesamtgebildes beigetragen haben? Dies widerspricht natürlich zu 100% der wirtschaftsliberalen Weltanschauung, aber das braucht die Welt und die Wirtschaft ja nicht zu kümmern. Immerhin will ich in diesem Zusammenhang noch einräumen, dass die Sozialinvestitionen in den neuen Bundesländern erstens unabdingbar waren, weil man nämlich nicht auf bestehende Sicherungssysteme zurückgreifen konnte, und dass sie somit auch direkt und fast zu 100% wirtschaftlich wirksam wurden, was man in den alten Bundesländern nicht im gleichen Ausmaß sagen kann, weil nämlich in den alten Bundesländern schon mindestens 50 Jahre länger gespart worden war. Hier besteht nach wie vor der größte Unterschied zwischen der ehemaligen DDR und der ehemaligen BRD. Mich nähme es wunder, einmal hierzu ein paar Angaben zu lesen.