"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Flugwaffe -

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Sprechen wir doch zur Abwechslung einmal von Krieg, und zwar hier, in Europa.
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11:43 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 13.05.2014 / 12:30

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 13.05.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Nicht etwa wegen der Ukraine, das ist ein anderes Thema, daraus wird uns in nächster Zeit kein richtiger Krieg, da mag es den Nato-Generalsekretär noch so jucken im Finger an allen Abzügen. Nein, ich meine die Kerngebiete, also zum Beispiel Deutschland, von dem aus bekanntlich nie wieder ein Krieg ausgehen darf und das jetzt doch seit langer Zeit von seinen Nato-Alliierten dazu gedrängt wird, seinen Teil zum globalen Kriegsgeschehen beizutragen, was die Bundeswehr denn auch mehr oder weniger ungern tut. Natürlich kommt ihr entgegen, dass ein zunehmender Anteil der Aus­ein­an­der­set­zungen am Schreibtisch erledigt werden kann, namentlich mit Drohnen, aber auch mit sonstigen elektronischen Geräten; trotzdem sind in Afghanistan seit 2001 54 deutsche Soldaten gefallen. Für einen Krieg ist das nicht besonders, 54 Tote in 15 Jahren, man ist fast versucht, diesen Krieg etwas zu kritisieren, wenn man an die Verluste bei anderen Auseinandersetzungen denkt, aber gut, wir wissen natürlich, dass im gleichen Zeitraum die USA über 2000 Angehörige der Streitkräfte verloren haben, während zwischen 50'000 und 100'000 Zivilpersonen das Leben verloren. Dabei versteht sich von selber, dass die zivilen Verluste laut Angaben der Nato hauptsächlich auf das Konto der Taliban gehen. – Aber alles in allem gerechnet sind Verluste von, sagen wir mal insgesamt 200'000 Menschen während 15 Jahren Krieg nicht besonders viel, auch wenn selbstverständlich immer jeder Tote einer zuviel ist.

54 Todesfälle hat also die deutsche Fremdenlegion zu verzeichnen, was wie gesagt nicht viel ist für fünfzehn Jahre Krieg, aber für 15 Jahre Frieden ist es doch eine ansehnliche Zahl. Trotzdem kann sich Deutschland nicht aus den Verpflichtungen des Weltpolizeidienstes stehlen und muss sich wohl auch an den Kosten beteiligen, was im Fall Afghanistan rund eine Milliarde Euro im Jahr beträgt, was erneut eher wohlfeil erscheint für einen richtigen Krieg; die Gesamtkosten belaufen sich auf Seiten der Alliierten auf um die 150 Milliarden jährlich. Korrekterweise müsste man noch die Gefallenen und Kosten im Halbkrieg an den Grenzen in Pakistan dazu rechnen, aber das ist mir zu kompliziert. In einem gewissen Sinne habt Ihr dabei ja noch Schwein, indem Ihr Euch vorderhand aus Afrika raushalten könnt, wo zweifellos die mörderischsten Auseinandersetzungen toben; da es keinen Südatlantik-Verteidigungspakt gibt, kommen dort bloß Uno-Blauhelme da und dort zum Einsatz, und die werden meistens in Afrika selber rekrutiert, abgesehen von ein paar Kontingenten aus Südostasien und ebenfalls abgesehen von der Unterstützung der echten, einzigen und französischen Fremdenlegion.

Europa aber ist befriedet und unterhält seine Armeen mehr oder weniger pro forma, einerseits als Form der ökonomischen Verteilung unter den entwickelten Nationen, wozu auch der regelmäßige Kauf und Verkauf von Rüstungsgütern gehört auf einem Markt, der nichts von seiner romantischen Dimension verloren hat. Letzthin habe ich gelesen, wie die US-Amerikaner in Norwegen derart lange gegen ein Konkurrenzprodukt intrigiert haben, bis die norwegische Luftwaffe einen FA-ichweißnichtwieviel erworben hat; man kann sich gut vorstellen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen solche Aufträge für das Verkäuferland hat, begonnen mit der Amortisation der Entwicklungskosten bis hin zu den volkswirtschaftlichen Folgen eines 50-Milliarden-Auftrags im entsprechenden Werk. Nach den Norwegern sind nun auch wieder mal die Schweizer an der Reihe, deren Mitwirkung im Chor der Weltpolizei eigentlich überhaupt nie angefordert wird, mit Ausnahme einiger friedenssichernder Detachemente, zum Beispiel im Kosovo oder aber an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea, aber dafür braucht es nun wirklich keine Kampfflugzeuge. Trotzdem will die Regierung jetzt Ersatz besorgen für die demnächst auszumusternden F-5 Tiger, um den Schweizer Luftraum autonom schützen zu können, was ja sowieso sehr logisch und kohärent tönt. Was ist schon ein Land ohne Kontrolle des eigenen Luftraums! – Auf jeden Fall wurden drei Offerten für die Ersatzbeschaffung eingereicht, eine für den Eurofighter, eine für die französische Rafale sowie eine für den schwedischen Gripen, der allerdings noch fertig zu entwickeln ist, der sich aber trotzdem durchgesetzt hat. Allerdings ergriff eine Allianz aus notorischen Kriegs- und Armeegegnern einerseits, den unterlegenen Mitbewerbern anderseits das Referendum, sodass wir nun am nächsten Wochenende über die Beschaffung dieses schwedischen Greifvogels abstimmen werden. Und diese Abstimmung zeigt echte Risse in der Bevölkerung, die sich zum Teil mitten durch die Familien ziehen. Ich zum Beispiel bin wohl der einzige in meinem näheren Umfeld, der zugunsten des schwedischen Kampfflugzeugs stimmte. Ich finde meine Begründung eben kohärent. Es geht hier nämlich nicht um die Luftwaffe, sondern darum, Geld zu schöpfen beziehungsweise Geld in einen kleinen Zweig der Realwirtschaft zu stopfen, und das geschieht so oder so, und man kann sich einfach aussuchen, wohin man dieses Geld stopfen will. Aus dieser Sicht erscheint mir Schweden die geradezu zwingende Variante. Erstens gibt es den Flieger noch gar nicht, zweitens wird sich die Firma Saab, welche das Teil produziert, mit Sicherheit nie zum richtigen globalen Player entwickeln, ganz im Gegensatz zur französischen Militärindustrie, welche nicht nur auf eine kontinuierliche Tradition darin zurückblickt, sondern auch weiterhin ein fester Bestandteil der Weltpolizei bleiben dürfte, eben in erster Linie in Afrika, wo sie ironischerweise die Engländer schon seit längerer Zeit abgelöst hat, welche diese Rolle mit eigenen militärischen Mitteln durchaus nicht mehr spielen können oder wollen. Der Eurofighter dagegen erscheint als eine echte Missgeburt aus jener Zeit, da man Europa konstruieren wollte unter anderem durch industrielle Kooperationen. Die Zwillingsschwester des Eurofighter ist in diesem Sinne der Airbus, der allerdings seinen Platz auf den Weltmärkten behauptet, aus welchen Gründen auch immer; vermutlich spielen hier ebenso wie bei den Militärflugzeugen dies- und jenseits des Atlantiks die riesigen Regierungssubventionen eine Rolle, die man ja auch als eine Art der fortgesetzten Wirtschafts- oder Strukturpolitik interpretieren kann und soll.

Auf die Schweden aber ist Verlass. Die haben eine ähnliche Neutralitätstradition wie die Schweiz, ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg war ebenso wie hier geprägt von der vollumfänglichen wirt­schaft­li­chen Kooperation mit dem deutschen Reich, und es gibt noch viele weitere Parallelen, ganz abge­se­hen davon, dass die US-Amerikaner Switzerland und Sweden sowieso immer in einen Topf werfen. Noch lieber als von den Schweden würde ich allenfalls von den Norwegern Militärgerät erwerben, aber die verfügen nicht über die entsprechenden Produkte, ich weiß nicht, wo denen ihre Stärken liegen, vielleicht bauen sie Überschallharpunen, die wir aber auf dem Festland eben nicht einsetzen können. – Norwegen ist übrigens jenes Land mit den höchsten Zuwachsraten an Elektro­autos, habt Ihr das gewusst? Dieser Staat baut einerseits voll auf Erdöleinnahmen, wobei er diese nicht umgehend verplempert, zum Beispiel für Militärgerät, sondern brav in Dinge wie einen rie­sigen staatlichen Pensionsfonds einspeist, der explizit für die Zeit nach dem Erdöl gedacht ist und unterdessen derartige Ausmaße angenommen hat, dass jede und jeder BürgerIn Norwegens indirekt zur MillionärIn geworden ist; anderseits fördert er eben alternative Energien auf Teufel komm raus. Er macht also insgesamt praktisch alles richtig, in erster Linie natürlich dadurch, dass er die Ge­winne aus dem Erdölverkauf nicht privatisiert. Das ist absolut bemerkenswert und einer sozial­de­mo­kratischen Staats- und Gesellschaftsform, wie sie in den skandinavischen Ländern auch unter bürgerlichen Regierungen herrscht, unbedingt zuträglich ist.

Wie auch immer: Meinen schwedischen Argumenten gegenüber ist der Rest meines Bekann­ten­kreises absolut nicht zugänglich. Das sind lauter so ne Friedensanhänger, um nicht zu sagen Friedensfanatiker oder Friedensextremisten, die gar nichts davon wissen wollen, dass meine Argumente ja durchaus keinen Krieg befürworten oder vorhersagen. Sowas ist uns in der kleinen und neutralen Schweiz sowieso verwehrt. Dabei bezieht sich das nicht unbedingt auf die territorialen Grenzen. Unlängst hat die Schweiz ein Angebot erhalten von Sardinien beziehungsweise von einigen separatistischen Kräften auf dieser italienischen Insel. Vielleicht interessiert sich auch das Veneto für einen Beitritt, nachdem vor ein paar Wochen eine Online-Umfrage eine überwältigende Mehrheit für eine Abspaltung vom italienischen Zentralstaat ergeben hat. Wenn man da die Krim als Präzedenzfall herbeiziehen täte, dann müssten wir jetzt ein paar Detachemente von Tessiner Soldaten nach Belluno einschleusen und dort die erste venetische Landsgemeinde einberufen lassen, die dann tatsächlich die Abtrennung von Italien und den Anschluss, na, vielleicht doch eher an Österreich beschließen würde. Oder an Deutschland; soviel ich gehört habe, erhält demnächst die Deutsche Bahn den Zuschlag, um im Veneto das regionale Bahnnetz zu betreiben.

Davon abgesehen weiß man wirklich noch nicht so richtig, wie sich Italien ohne den Berlusconi-Fatzken machen wird. Der absolviert im Moment seine Freiheitsstrafe, die darin besteht, dass er einen Nachmittag pro Woche als Altenpfleger arbeitet, das heißt, strikt betrachtet, er kann sich einen halben Tag lang selber pflegen. Daneben ist er zwar in seinen politischen Rechten eingestellt, kann diese aber nach Belieben wahrnehmen, zum Beispiel beim Wahlkampf für das Europa­parlament. Der neue Ministerpräsident Renzi gibt sich forsch mit Reformen, die allerdings zum Teil eine seltsame Gestalt angenommen haben. Dass er seine anfänglichen Versprechen nicht einhält – so hat er zum Beispiel 3.5 Milliarden Euro für den Unterhalt und Ausbau von Schulgebäuden in Aussicht gestellt, in der Praxis sind daraus 250 Millionen geworden –, das mag man ihm nachsehen. Aber die fantastische Reform des Wahlsystems erscheint als pure Spiegelfechterei. Er hat sich auf den Senat konzentriert, den er zuerst ganz abschaffen wollte; heute sieht es so aus, dass von neu 148 Senatoren 21 vom Staatspräsidenten nominiert werden sollen, dazu kommen wie bisher 5 Senatoren auf Lebenszeit; dann gehören die 21 Präsidenten der Regionen und der autonomen Provinzen dazu, verdoppelt durch die Bürgermeister der jeweiligen Regional- und Provinzhauptstädte; zwei Vertreter pro Region entstammen den Regionalparlamente und nochmals zwei werden aus den regionalen Bürgermeistern nominiert. Das heißt, es gibt überhaupt keine Direktwahlen mehr für den Senat, und die Zusammensetzung unterliegt den jeweiligen regionalen Wahlen, welche durchaus nicht mit den nationalen Wahlterminen übereinstimmen. Da wird sich in der Praxis wirklich nichts verbessern.

Aber es geht ja in erster Linie darum, dem Land Italien und seiner Wirtschaft einen neuen Schwung zu verleihen, und dies wird wohl kaum von der Zusammensetzung des Senates abhängen. Wer hier die entscheidenden Schritte zu machen hat, ob die Gewerkschaften mit der Lockerung ihrer klientelistischen Positionen oder die Unternehmer mit einer Steigerung der Investitionen, und welche politischen Maßnahmen dafür notwendig sind, das verbirgt sich in den Katakomben eines politischen Systems, das ich am liebsten von Grund auf abgeschafft und durch ein neues ersetzt sähe, meinetwegen und beispielsweise das deutsche. Aber das ist wohl nur ein frommer Wunsch, den auch Matteo Renzi nicht erfüllen wird.