"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Yes We Can -

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Mit der gebührenden Asynchronität zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa nimmt der Slogan aus dem ersten Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama bei uns politische Form an, sogar wörtlich in Spanien mit der Bewegung «Podemos», Yes, we can. Wir können etwas tun gegen die Sparprogramme, welche bei den öffentlichen Haushalten für anhaltende Trockenheit sorgen, während die Verursacher der Staatsschuldenkrise schon längstens wieder Geld scheffeln wie Heu.
Audio
10:00 min, 23 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 03.02.2015 / 09:46

Dateizugriffe: 671

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur, Politik/Info, Andere, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 03.02.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Wobei: Soviel Heu gibt es ja auf der ganzen Welt nicht, wie es Geld gibt. Die Federal Reserve und jetzt neuerdings auch die Europäische Zentralbank pumpen Liquidität in die Finanzmärkte, dass sich die Konten biegen. Nur eines liegt offenbar nicht drin, nämlich diese Liquidität so zu kanalisieren, dass die normalen Menschen oder die schwächeren Staaten etwas davon abbekommen. Das wäre mal eine Frage, mit der konkret zu beschäftigen sich lohnen täte: Wie kriegt man so etwas hin? – Und die Antwort liegt auf der Hand: Sicher nicht mit Worten, mögen sie noch so intelligent sein, sondern nur mit Taten. We Can beinhaltet ja gerade dieses, wir können es tun. Also, was könnte oder müsste man denn so tun?

Ich bin bekanntlich der letzte, der zu Gewalt aufruft, und insofern tut es mir leid, dass ich rein logisch zunächst auf keinen anderen Schluss komme als auf einen gewalttätigen. Weil ich aber gegen Gewalt bin, muss ich vorausschicken, dass ich mich von diesem logischen Schluss in aller Form distanziere. Trotzdem lässt es sich einfach nicht vermeiden, dass man darauf kommt. Nämlich:

Der weltgrößte Asset Manager Black Rock verwaltet laut eigenen Angaben Kundenvermögen von 4.3 Billionen Dollars, also von 4300 Milliarden Dollars. Unsere Schweizer UBS steht diesbezüglich bei etwa 1.5 Billionen Dollars, also bei 1500 Milliarden. Nehmen wir mal an, dass es auf der Welt so um die 100 Banken und Asset Manager in dieser Größenordnung gibt, dann kommt man bei einem Mittelwert von 2500 Milliarden Dollar auf zirka 250'000 Milliarden Dollar. Um nicht nur auf diese Summe zu kommen, sondern auch an sie ran, gibt es, wie gesagt rein logisch, nichts anderes als einen konzertierten Überfall auf die Führungsspitzen all dieser Banken und Asset Manager. Man setzt die Damen und Herren fest und zwingt sie, sagen wir mal die Hälfte der Kundengelder rauszurücken.

Tut mir Leid, aber das ist tatsächlich die logische Konsequenz dieses Finanzsystems. Das könnte man übrigens auch tatsächlich machen, allerdings wohl nicht als politische Forderung zum Beispiel in Südportugal. Vielmehr bräuchte es dazu eine hoch konspirative kriminelle Vereinigung, und von diesem Moment an besteht selbstverständlich die Gefahr des tatsächlichen Kippens in die Krimi­nalität; der Zweck der Operation wird durch die Art der Operation selber tendenziell gefährdet.

Übrigens erinnert mich diese Vorstellung ziemlich stark an alte James-Bond-Filme, aber eben.

Einen etwas weniger Illegalen Weg gibt es auf der Stufe der Nationalstaaten, soweit sie noch einen gewissen Handlungsspielraum haben mit ihren eigenen Notenbanken. Die könnten sich jetzt mit Gratisgeld massiv verschulden – es kommt eh nicht mehr drauf an – und mit diesen Schulden verschiedene Infrastrukturprojekte an die Hand nehmen, man kann sich dabei aussuchen, worauf man sich kaprizieren will, Stromtrassen, Straßenerneuerungen, Eisenbahn oder irgendwelche andere Projekte, egal was. Ich möchte sagen, es sei im Moment fast verantwortungslos, wenn man nicht auf diese Art und Weise mit Geld um sich schmeißt. Die nächste Finanzkrise kommt bestimmt, und da ist es nur gerecht, wenn wirklich alle auf der Schuldenseite ihre Finger drin haben.

Soviel hierzu. Zu Podemos in Spanien, Syriza in Griechenland und in einem kleineren Ausmaß Matteo Renzi in Italien kann man dann trotz aller Skepsis zunächst nur gratulieren. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn sich erhebliche Teile der Bevölkerung nicht einfach auf dem Kopf herum trampeln lassen, da ist eine Reaktion mit politischen Linksrutschen und Massendemonstrationen natürlich schon am Platz. Besonders erfreulich dabei ist, dass sich offenbar der dumpfe Nationalismus fast nur in Ungarn so richtig durchgesetzt hat, während sich Spanien diesbezüglich komplett abstinent verhält, und in Griechenland hat die Zusammenarbeit mit einer kleinen Rechtsaußen-Partei schon fast so etwas wie Charme; man geht generell davon aus, dass die Besetzung des Verteidigungsministeriums mit dem Chef dieser Partei ein geradezu genialer Schachzug war, auch im Hinblick auf mögliche kommende Auseinandersetzungen zwischen der Regierung, die halt auch nicht alles wird richten können, und den weiterhin Unzufriedenen.

Aber, Ahaber! – Was konkrete Pläne und ihre Umsetzung angeht, so steht ziemlich alles in den Sternen. Dass man in Griechenland die Privatisierung von Staatsbetrieben stoppt, soweit diese vernünftig und effizient arbeiten, das ist geschenkt; aber es sollte mich wundern, wenn die Syriza darauf verzichten würde, einfach wieder Personal zu engagieren, das eben wie seit eh und je keine produktive Funktion hat. Und das ist nun mal ein Teil des Strukturproblems in diesem Land; aus diesem Grund waren die Sanktionen der Troika insgesamt eben doch vertretbar. Ich habe keine Ahnung, was da jetzt kommt. Bei Podemos in Spanien weiß man auch nicht so recht, ob die viel mehr Substanz haben als vor ein paar Jahren die Piraten in Deutschland oder meinetwegen auch die AfD, das heißt, ob sie irgendwelche Vorstellungen zur Entwicklung eines modernen Staates und einer modernen Gesellschaft haben. Ein Grundeinkommen hatten die mal weit oben im Programm, aber seither ist es wieder herunter gerutscht auf der Prioritätenliste. Da bleiben auch ziemlich alle Fragen offen. Und der Italiener vollends, der Matteo Renzi: Offenbar ist er doch geschickter, als man zunächst angenommen hat wie sich bei der Wahl des neuen Staatspräsidenten herausgestellt hat; aber ob das ausreicht, nicht nur die nach wie vor heillos zerstrittene, so genannte Linke zusammen zu halten und erst noch institutionelle Fortschritte zu erzielen, das weiß man auch hier in keiner Art und Weise. Auf jeden Fall ist mir von Matteo Renzi noch kein einziger Satz bekannt, der etwas mit traditionellen sozialistischen oder sozialdemokratischen Programmen zu tun hat. Selbst­verständlich sind solche Aspekte in der Regel ganz einfach selbstverständliche Bestandteile der Regierungsprogramme, aber ich wette, der weiß nicht, wer Karl Marx war.

Das tut auch nichts zur Sache. Ich wette ferner, dass von den heutigen zwanzig- bis dreißigjährigen Menschen in Kerneuropa nahe bei hundert Prozent ebenfalls nicht wissen, wer Karl Marx war und was es mit solchen Schunken wie dem Kommunismus oder dem Kapital für eine Bewandtnis hat. Einerseits kann einen das etwas bedenklich stimmen, indem man sich natürlich fragt, ob denn da nicht gewisse Grundsätze einer modernen Gesellschaft verloren gehen könnten; anderseits ist es schlicht und einfach ein Fakt, dass wir mit den Verhältnissen nichts mehr zu tun haben, wie sie noch vor zwanzig Jahren die Regel waren. Da hat sich alles gründlich aufgelöst, aber nach meiner Beobachtung durchaus nicht so, dass dabei gewaltige Rückschritte getätigt wurden; der einzige Vorbehalt, den ich gegenüber dieser Entwicklung äußern möchte, ist der, dass wir nach wie vor keine vernünftige Diskussion darüber am Laufen haben, wie wir das Zusammenleben besser und modern einrichten können, egal, ob in Deutschland oder in Malta oder in Tunesien. Dieses Defizit wird weder durch weise Orakelsprüche verdienter Altlinker noch durch die eher weniger verdienten Orakelsprüche von Wirtschaftsfachleuten ausgeglichen. Das ist ein Problem, und vielleicht harrt dieses Problem tatsächlich einmal einer gewalttätigen Lösung, wie ich eingangs erwähnt habe. Man muss ja nicht gleich jemanden köpfen, aber wenn es irgendeiner Sondereinsatz­truppe gelänge, rund 100'000 Milliarden Dollar fruchtbar in die reale Welt umzuleiten, das wäre halt schon verdammt schön. Was machen denn diese verdammten Anlagevermögen bittesehr sonst, außer dass sie gewisse Hirnregionen der gesamten Menschheit in Panikzustände versetzen?

Die modernen Produktions- und Kommunikationsinfrastrukturen würden es der gesamten Mensch­heit erlauben, vollkommen beschwerdefrei in einen Zustand des friedlichen und satten und krea­tiven Zusammenlebens überzutreten. Ja Hergottsakra nochmals, weshalb tun wirs denn nicht ein­fach? – Klar, selbstverständlich, es braucht globale Lernprozesse, namentlich die Ablösung jener uralten Gesellschaftsformen, welche heute noch Gegenstand eifriger ethnologischer Forschungen sind, tut mir Leid, mit denen lässt sich in aller Regel kein Staat errichten, mindestens kein moder­ner. Ich bilde mir durchaus nicht ein, dass diese Transitionsphase einfach ist, und anderseits bin ich davon überzeugt, dass wir mitten drin stecken, einfach in einer unordentlichen Art und Weise und ohne jegliche Reflektion, was einer Gesellschaft aus Menschen, welche sich ihres Intellekts rüh­men, ganz wunderbar miserabel ansteht. Vor allem begreife ich einfach nicht, weshalb von Seiten der entwickelten Länder derart absurde Entwicklungshemmnisse aufgebaut werden wie eben zum Beispiel die modernen Finanzmärkte. Dass die USA nach wie vor Geopolitik betreiben, brauche ich nicht gut zu finden, aber ich verstehe es und damit natürlich auch die Konfrontation mit Russland, die ich ebenfalls nicht für gut befinde, ohne dabei etwa den Putin gut zu finden oder allenfalls in Syrien den Baschir Al Assad, aber dem gäbe ich denn doch noch den Vorzug gegenüber dem Islamischen Staat, der sich nun auch der letzten Reste seiner Religiosität begeben hat mit der Köpfung japanischer Geiseln, weil kein Lösegeld bezahlt wurde. Die Halbwertszeit dieses Projektes, also des Projektes IS, beträgt vermutlich gleich viel wie jene der Piratenpartei oder möglicherweise von Podemos, unter dem Vorbehalt, dass ich die Podemos-Leute weiter noch nicht kenne, vielleicht steckt da etwas mehr dahinter.

Wie auch immer: Wenn die Syriza-Leute jetzt einen Monat lang feiern, dann hebt das möglicherweise ihre Stimmung so nachhaltig, dass sie sich mit dem, was darauf folgen wird, wieder etwas besser arrangieren können. Und eines ist sicher: Das Ende der Austerität, wie wir sie gekannt haben, ist gekommen, und das ist auch gut so. Jetzt sind wir mal gespannt.