"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Ärgernisse

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Seit dem 23. Mai dieses Jahres heider Leiter der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom Ghebre Jesus; er war früher Gesundheits- und Außenminister in Äthiopien und eine Autorität in Sachen Malaria.
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Upload vom 24.10.2017 / 11:48

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache:
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 24.10.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Seit dem 23. Mai dieses Jahres heider Leiter der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom Ghebre Jesus; er war früher Gesundheits- und Außenminister in Äthiopien und eine Autorität in Sachen Malaria. Geboren wurde er im heutigen Eritrea, und dort hat er auch lange gearbeitet, bevor er in die Dienste der äthiopischen Regierung trat. Seine neueste Heldentat als WHO-Direktor hat am Mittwoch rund um den Erdball für Gelächter gesorgt: Er ernannte Robert Mugabe, den 93-jährigen Diktator von Zimbabwe, zum Goodwill-Botschafter für seine Organisation, und zu diesem Mugabe und seinen Verdiensten um das Gesundheitssystem in Zimbabwe nur soviel, dass er dieses oder letztes Jahr zirka fünf Mal in Spitalbehandlung war, und zwar in Singapur. Daneben hat er sich offenbar jüngst wieder ein paar Rolls Royce gekauft, aber diese Meldung kann ich nicht überprüfen.

Ghebre Jesus widerrief diese Ehrenvergabe, nachdem er vom Mittwoch auf den Donnerstag, vom Donnerstag auf den Freitag, vom Freitag auf den Samstag und vom Samstag auf den Sonntag darüber geschlafen und sich gewundert hatte, dass ein derartiges Aufhebens um seinen Freundschaftsdienst gemacht wurde.

Was denken sich diese, durchaus verdienstvolle Herren, wenn sie sich von solchen Blutsaugern bezahlen lassen und ihr Renommee innerhalb von drei Sekunden auf null herunter fahren? Herr Ghebre Jesus müsste doch wissen, dass die Weltgesundheitsorganisation nicht zu vergleichen ist eben mit Zimbabwe, wo um sowas sicher kein Aufhebens gemacht würde, oder vielleicht mit Südafrika, wo das korrupte Schwein Jacob Zuma das Renommee nicht in erster Linie von sich selber, was eine Sache für sich wäre, sondern in erster Linie der Antiapartheidbewegung, der schwarzen revolutionären Partei ANC und letztlich insgesamt der schwarzen Bevölkerung in den Mist getreten hat? – Denn selbstverständlich heißt es nun an den globalen Stammtischen, dass die Buren recht gehabt hatten, als sie diese Zuma-Typen von allen Entscheidungshebeln fern hielten.

Naja, als Beweis ist das nicht gerade perfekt, weshalb sollten denn die Schwarzen letztlich die besseren Menschen sein als die Weißen, zugegeben; und so versucht halt einfach ein weiterer Profiteur der Stunde, seine Vorteile aus dem Zerfall der Institutionen zu ziehen, wie wir dies seit Jahren kennen, aber vielleicht in den letzten Jahren wieder vermehrt beobachten. Ja, es wäre halt schon schön gewesen, wenn sich in Afrika am einen oder anderen Ort die Hoffnungen erfüllt hätten, welche auch die weißen und westlichen fortschrittlichen Bewegungen in die Dekolonialisierung und in den antiimperialistischen Diskurs der neuen Machthaber gesteckt hatten. Dann war halt eben nichts damit.

Aber geradeaus den Robert Mugabe? Warum nicht den saudiarabischen König als Botschafter für Frauenrechte? Möglicherweise an der Seite des iranischen Präsidenten, da hätten die beiden mal ein gemeinsames Projekt zu bekauen. Es ist ein Rätsel. Offenbar ist man sich in Äthiopien keiner internationalen Öffentlichkeit bewusst, welche sich an der Habgier des Präsidenten der WHO stoßen könnte. Rätsel über Rätsel.

Rätselhaft bleibt uns in seinem Wesen auch der ehemalige Osten, und ihr in der ehemaligen DDR seid da zum Teil schon auch mitgemeint, ich spreche in erster Linie von den an die Tschechei angrenzenden Gebieten, dem ehemaligen Tal der Ahnungslosen und der reinrassigen Schönheit der Elbe. Ein weiteres Rätsel stellt die Wahl des neuen tschechischen Präsidenten Andrej Babis. Der sozialdemokratische Medienkonsens im westlichen Westen jault auf und jammert von einem scharfen Rechtsruck. Ich weiß nicht, wie die auf so etwas kommen. Wenn man sich die angebliche Linke in den Ländern des ehemaligen Ostblocks ankuckt, von den Sozialdemokraten bis hin zu den Sozialisten in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei, Tschechien und meinetwegen auch in Polen, dann stellt man einfach fest, dass die mit dem sozialdemokratischen Verständnis von linken Positionen überhaupt nichts zu tun haben. Stattdessen widmen sich die meisten wie ihre angeblich rechten oder bürgerlichen Widersache mit Hingabe der Behändigung mögichst großer Anteile an Budget und Projekten für ihre eigene Kasse oder für jene der Partei oder von befreundeten Gruppen; unglücklicherweise ist so etwas absolut un-links und un-rechts, das ist einfach der Status quo; aber, und insofern hat der sozialdemokratische Medienkonsens natürlich Recht, dieser Status quo entspricht durchaus nicht den Mechanismen im Westen, wo die Verteilung von Privilegien, Pfründen und Apanagen schon längstens in geltendes Recht geformt wurde, während die Länder des Ostens noch um eine solche Rechtsangleichung an die Praxis ringen.

Populismus wirft man dem Babis vor. Ho, ho, ho. Ein schwerer Vorwurf, zumal im Westen die Wahlen bekanntlich immer mit klaren Positionen gewonnen werden, die eben grundsätzlicher Natur und deshalb beim Volk unbeliebt sind. Ja, da haben wir ihn gerade entdeckt, den kleinen Unterschied zwischen Westen und Osten. Im Osten gewinnen die Populisten, und im Westen gewinnen die Philosophen der bürgerlichen Freiheiten. Ho, ho, ho.

Dafür hatte ich am Wochenende wieder mal ein paar Unterhaltungen mit Gleichgesinnten. Weshalb zum Teufel trifft man sich immer mit Gleichgesinnten? Vor allem, wenn die wortwörtlich den Unsinn wiedergeben, den sie im Monde Diplomatique und in einer so genannten Dokumentation auf arte gesehen haben? Ich bin ja gar nicht gleich gesinnt wie meine gleichgesinnten Bekannten, sondern vielmehr glühe ich rot vor Zorn über die Kolportage von Stuss, wenn er nur aus der richtigen, nämlich gut meinenden Quelle stammt. Wer zu einem derartigen Verzicht auf den eigenen Denkapparat bereit ist, der unterscheidet sich letztlich keinen Deut von Verschwörungs­theoretikern, und tatsächlich geht es hier auch um eine vermutete Verschwörung, nämlich des Imperialismus und des Weltkapitals nicht nur gegen die Ärmsten der Armen, sondern auch gegen die Natur, und in diesem Fall noch gegen die Natur in ihrer reinsten Form: Sand.

Ich habe mich vor ein paar Monaten bereits einmal über den gigantischen Blödsinn ausgelassen, den da ein paar Journalistinnen und Journalisten vom Stapel haben laufen lassen, als ihnen nichts anderes Weltkritisches mehr in den Sinn gekommen ist. Das internationale Kapital verschwört sich nun auch noch zur Ausbeutung der letzten natürlichen Sandreserven auf der Welt. Eine Kollegin, eben: eine Gleichgesinnte trug dies im Tone ernster Besorgnis vor, während ich an der Decke klebte und verzweifelt versuchte, meine Signalfähnchen zu ordnen. Ich weiß schon, ich weiß schon, dass es darum geht, dass für die Aufschüttung von künstlichen Inseln im Golf von Persien Sand vor bestimmten Archipelen in der Südsee oder im indischen Ozean oder im Pazifik abgesogen wird, welcher die richtigen Sandkorn-Eigenschaften hat, und Papi Papo. Aber es ist einfach lächerlich, genauer: Es ist sittenwidrig, aus so einem, vielleicht im Einzelfall durchaus fragwürdigen Ausbeutungsvorgang eine Weltverschwörung des internationalen Großkapitals zu konstruieren, unter welcher, wie gesagt: der Sand zu leiden hat.

Es gab dann eins das andere, und schon waren wir beim Anstieg des Meeresspiegels, wo ich erneut mein Beispiel zum Besten gab, dass der famose Lateinamerikakorrespondent der Zürcher Wochen­zeitung, Toni Keppeler, vor zirka zehn Jahren die Behauptung aufgestellt hat, der Meeresspiegel vor Panama sei in den letzten vierzig Jahren um einen Meter gestiegen. In den Nachbarländern Costa Rica und Kolumbien hat man davon nichts bemerkt, weshalb es jetzt an den Grenzen Ganz­meeres­schleusen gibt, damit dieser Höhenunterschied bewältigt werden kann. Quatsch, es war einfacher Unsinn, den der Keppeler da von sich gegeben hatte, und auf der Redaktion der Wochenzeitung war niemand Manns genug, um diesen Artikel, der halt ganz exakt in den sozialdemokratischen Klima­wan­del-Medienkonsens hinein gepasst hat, auch nur ein bisschen zu hinterfragen und vielleicht wenigstens die Kommas in seinen Berechnungen an die richtige Stelle zu rücken.

Sei's drum. Eine andere gutmeinende Kollegin und Gleichgesinnte brachte dann zum Vortrag, dass ihr kürzlich ein Bekannter erzählt hätte, dass er höchst persönlich bei seinem letzten Besuch auf den Seychellen gesehen hätte, dass das Meer viel näher an den Strandhäusern liege als bei den Besuchen davor. Aha, oho, persönlicher Erlebnisbericht, da kann man natürlich nicht einfach Nein sagen, sondern man blättert nach auf dem Internet. Da findet sich zum Thema Seychellen und Anstieg des Meeresspiegels zunächst nichts bis auf einen Beitrag des Deutschlandfunks aus dem Jahr 2010, in welchem zu lesen steht, dass die Meeresströmungen den Sand auf den Seychellen je nach Jahreszeit auf die eine oder andere, auf die Luv- oder Leeseite der Inseln beförderten, und das erschien mir zunächst als Antwort ausreichend. Aber der Deutschlandfunk beziehungsweise die beiden umweltbewussten Autorinnen Antje Diekhans und Andrea Rönsberg wäre nicht ein guter und umweltbewusster Funk, wenn er nicht auf die Gefahr und Bedrohung durch den Anstieg des Meeresspiegels hinweisen täte, und zwar untermauert er dies durch ein Zitat des Leiters des Meteorologischen Dienstes, Vincent Amelie, wie folgt: «Wir haben hier noch keinen dramatischen Anstieg des Meeresspiegels beobachtet.» – Äch, falsches Zitat; Amelie sagt, dass das Meer in den letzten Jahren um etwa 0.66 Zentimeter pro Jahr gestiegen sei, was keine Auswirkungen auf die Küste hätte. Diese Zahl vergleiche ich mal mit den Messungen des Permanent Service for Mean Sea Level des ozeanografischen Zentrums in Liverpool: Zwischen 1901 und 2010 sei der Meeresspiegel jährlich im Durchschnitt um 1.7 Millimeter gestiegen, zwischen 1973 und 2010 um durch­schnitt­lich 2 Millimeter und zwischen 1993 und 2010 um duchschnittlich 3.2 Millimeter pro Jahr, Tendenz also steigend. Trotzdem stelle ich noch einen gewissen Unterschied fest zwischen durchschnittlich 3.2 Millimeter pro Jahr gemäss dem PSMSL und den durchschnittlich 6,6 Millimetern, welche Vincent Amelie angibt. Das wären dann ja in 50 Jahren doch 330 und in 100 Jahren 660 Millimeter, also ein Anstieg um 66 Zentimeter. Der Deutschlandfunk fährt nun aber fort und zitiert Amelie weiter: «Wir befinden uns hier nur vier Meter über Normalnull (also über dem Meeresspiegel). Den Vorhersagen zufolge wird der mittlere Meeresspiegel im Jahr 2100 damit etwa auf dieser Höhe sein.» – Und hier werden wir Zeuge eines dieser wundersamen Bekehrungs- und Zeugnis-Journalismus-Ereignisses: Soeben hatten wir noch anhand der empirischen Werte einen Anstieg bis im Jahr 2100 von 66 Zentimeter weniger 6.6 Zentimeter, also von knapp 60 Zentimetern errechnet, und jetzt sind es schon «den Vorhersagen zufolge» 4 Meter. Einfach so. Den Vorhersagen zufolge.

Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr mich so was ärgert. Aber vermutlich habt ihrs auch so gemerkt.