"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Verschiedene Sachen

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Ich gehe davon aus, dass Shinzo Abe, während ihm die Golfbälle des amerikanischen Präsidial­kaspers um die Ohren flogen, kurz darauf hingewiesen hat, dass er nichts vom Ausstieg aus dem Atom-Deal mit dem Iran hält.
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11:33 min, 6368 kB, mp3
mp3, 75 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.11.2017 / 11:16

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 07.11.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich gehe davon aus, dass Shinzo Abe, während ihm die Golfbälle des amerikanischen Präsidial­kaspers um die Ohren flogen, kurz darauf hingewiesen hat, dass er nichts vom Ausstieg aus dem Atom-Deal mit dem Iran hält. Tatsächlich pflegte Japan als Land ohne jegliche eigene Rohöl­vor­kom­men traditionell gute Beziehungen mit dem Iran, unter anderem mit einer Beteiligung der japanischen staatlichen Erdöl-Importgesellschaft INPEX an der Erschließungsgesellschaft für das iranische Asadegan-Feld am persischen Golf, in der Nähe der Grenze zum Irak; dieses Feld wird als eines der größten Rohöllager weltweit angesehen mit geschätzten Reserven von 42 Milliarden Fass. Zum Ver­gleich: Das Feld Libra vor der brasilianischen Küste, das vor vier Jahren an ein Kon­sor­tium aus Petrobras, Shell, Total und zwei staatlichen chinesischen Gesellschaften versteigert wurde, wird auf acht bis zwölf Milliarden Fass geschätzt, also vier Mal weniger. An der Asadegan-Gesell­schaft war die japanische INPEX einmal mit 70% beteiligt, wurde dann aber im Lauf der Atom-Sanktionen dazu gedrängt, diese Be­tei­ligung abzubauen; im Jahr 2010 stand sie noch bei 10%, und auch dieser Anteil wurde dann verkauft an die China National Petroleum Corporation. Diese musste ihre Aktivitäten in der Zwi­schenzeit ebenfalls einstellen, angeblich, weil sie ganz besonders schlecht gewirtschaftet hat, aber das muss man nicht so ernst nehmen. Jedenfalls wird die Asadegan-Konzession Anfang nächsten Jahres erneut vergeben, voraussichtlich wieder an ein Konsortium, z.B. mit Royal Dutch Shell, Total, BP und Gazprom. Ob Shinzo Abe da noch einen Fuß in die Türe kriegt, hängt weitgehend davon ab, ob der US-amerikanische Kongress den Atom-Deal umstößt und erneut Sanktionen gegen den Iran und seine Handelspartner verhängt. Da könnte Japan natürlich nicht mucken, da Japan im Pazifik für die USA so etwas wie den Kopf darstellt, während Israel im Nahen Osten die Rolle des Schwanzes spielt, und zwar jenes Schwanzes, der mit dem Hund wedelt, während im Pazifik der Kopf dazu nickt.

Wenn ich hier gerade einen halbwegs satirischen Nebensatz zu Israel platziere, so kann ich gleich den Verweis zum Urteil gegen Abdelkader Merah anbringen, den Bruder von Mohammed Merah, der im Jahr 2012 zunächst drei Soldaten umgebracht und dann in Toulouse einen Lehrer und drei Kinder vor einer jüdischen Schule erschossen hatte. Abdelkader hatte Mohammed dabei geholfen, die Mordanschläge durchzuführen. Die Brüder erinnern uns daran, dass der gelebte Antisemitismus durchaus nicht den Neofaschisten vorbehalten ist, sondern unter Moslems weit verbreitet ist, vor allem in Frankreich, einmal abgesehen von den Ländern im Nahen Osten. Dies ergibt eine durchaus interessante Schnittmenge zwischen den Patriotischen Europäern gegen die Islamistisierung und den Islamisten selber. Die einzigen, die dabei nichts zu lachen haben, sind die Jüdinnen und Juden. Die Zeitung «Le Monde» meldete am 2. November, dass in Bagneux in der französischen Region Hauts-de-Seine das Mahnmal, das zum Gedenken an den im Jahr 2006 entführten, gefolterten und ermordeten Juden Ilan Halimi schon zum zweiten Mal beschädigt worden sei. Es wurde von seinem Sockel gestürzt und mit antisemitischen Sprüchen sowie einem Hakenkreuz bemalt. Zwar hätten die antisemitischen Übergriffe etwas nachgelassen, schreibt Le Monde; während im Jahr 2014 noch jeder zweite rassistische Vorfall gegen die Juden gerichtet gewesen sei, die im Übrigen gerade mal 1 Prozent der Bevölkerung ausmachen, so sei es im Jahr 2016 nur noch jeder dritte gewesen. Diese neuen Judäophobie würde vor allem in den Vorstädten über die Sozialen Netzwerke transportiert. Diese wissen wieder einmal von nichts.

Den Hinweis auf den Merah-Prozess dagegen habe ich diesmal aus der November-Ausgabe des deutschen Charlie Hebdo, der im Dezember 2016 erstmals für euer Land gedruckt wurde, 200'000 Mal. Wie hoch die Auflage unterdessen ist, habe ich nicht herausgefunden, wohl aber, dass das Magazin auch heute zur Hauptsache französische Themen abhandelt, wobei natürlich auch die katalanische Unabhän­gig­keits­bewegung im Editorial mit dem Titel «Willkommen bei den Zom­bies» ziemlich unfreundlich kommentiert wird. Daneben bietet der Charlie den französischen Kom­mentar zur deutschen Studie über die drastische Abnahme der Fluginsekten mit einem Bericht über die Behörde für Lebens­mittel­sicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz ANSES, welche sich hauptsächlich damit be­schäftigt, immer neue Insektizide des französischen Chemie-Multis DuPont zuzulassen, im konkreten Fall Closer und Transform. Beide sind Neonicotinoide, welche letztlich das zentrale Nervensystem der Insekten zerstören, die sich mit den behandelten Pflanzen befassen. Das Insektizid Glyphosat winkt schon vom Titelbild des Charlie herab.

Daneben präsentiert uns das International Consortium for Investigative Journalists in Washington wieder mal die Beute aus einem feinen Hacker-Raubzug in der Karibik, Ihr habt sicher davon gehört oder gelesen. Hier in der Schweiz interessiert uns zunächst Jean-Claude Bastos, ein jung­dy­na­mischer, vorbestrafter Geschäftsmann, der mit Offshore-Firmen einen angolanischen Staatsfonds im Umfang von 5 Milliarden Dollar verwaltet, dabei eigene Geschäfte macht und sich als gewal­ti­ger Wohltäter Afrikas aufspielt, wozu er auch die Präsidentin der Schweizerischen Bundesbahnen ins Boot geholt hat sowie einen ehemaligen Leiter der staatlichen schweizerischen Entwicklungs­zu­sam­menarbeit, neben einer ehemaligen Bundesrätin als Rechtskonsulentin. Weniger erstaunen tut uns die Präsenz von Glencore, dem Rohstoff-Multi, dessen Chef vor ein paar Jahren dank einer Steuergesetzreform in der Schweiz zu einem vollständig steuerbefreiten Zusatzeinkommen von 100 Millionen kam. Aus den Paradise Papers geht hervor, wie Ivan Glasenberg für Glencore dank den guten Beziehungen zum Israeli Dan Gertler und dessen kongolesischem Freunde Katuma Mwanke im Kongo Schürf- und Förderkonzessionen für lau erhielt. 585 Millionen Dollar hätte er im Jahr 2008 dafür hinblättern sollen, am Schluss warens dann noch 140 Millionen. – Nun soll man aber nicht damit kommen, dass Glencore oder Glasenberg diese Summen den armen Kongolesinnen und Kongolesen vom Maul und von der Nase abgerissen hätten. Wären die 480 Millionen Dollar im Land geblieben, hätte die Bevölkerung davon gesehen: null. Oder auch: nichts. Das wäre dann ein­fach direkt auf Joseph Kabilas Bankkonten in der Schweiz geflossen anstatt wie nun in der prak­tisch-kapitalistischen Realität in die Bilanz von Glencore und von dort dank unserem be­dep­per­ten FDP-Bundesrat Merz steuerfrei in Glasenbergs privaten Geldseckel, mindestens im Umfang von 100 Millionen Franken. Und apropos FDP-Bundesräte: Unser aktueller FDP-Bundesrat Schneider-Ammann hat bis zu seiner Wahl in den Bundesrat ein Unternehmen geleitet, das allerlei Maschinen für Straßen und Tunnelbau herstellt, und von diesem wurde vor etwa drei Jahren bekannt, dass es seit eh und je Offshore-Konten in der Karibik unterhält mit Geldern, welche dem Schweizer Fiskus vollständig unbekannt sind. Beziehungsweise bekannt sind sie ihm unterdessen sehr wohl, bloß Zugriff darauf hat er keinen. Der Finanzminister kann das Schwarzgeld seiner eigenen Firma nicht besteuern. – Aber das habe ich an dieser Stelle seinerzeit bereits einmal erzählt, wenn ich mich recht erinnere. Kleine Fische.

Die Paradise Papers erinnern daneben an die Publikation der Ergebnisse eines anderen Jour­na­lis­tenteams, der European Investigative Collaborations, zum Thema der auf Malta domizilierten Un­ternehmen, nachdem die Kreuzritter-Insel schon zuvor in den Panama Papers in schlechtem Licht aufgeschienen war. Ein halbes Jahr später wurde die prominente maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia vermittels einer Autobombe eliminiert. Sie hatte offensichtlich zuviel geschrieben, in erster Linie über die Regierung rund um den Premierminister Joseph Muscat. Das erinnert ein bisschen an Sizilien, vor allem aber erinnert es an Russland und Anna Politowskaja, die vor elf Jahren erschossen wurde. Im Fall Politowskaja weisen verschiedene voneinander unabhängige dicke Pfeile in den Kreml, da fällt mir gerade zufälligerweise ein Name ein: Wladimir Putin. Ja, genau. Putin hat Frau Politowskaja auf dem Gewissen. Nein, das ist falsch, ein Gewissen ist keine Kategorie des modernen Machtmenschen; er hat sie einfach umgebracht, sei es direkt durch An­ord­nung, sei es indirekt durch mangelnden Schutz vor den Mördern, die er beziehungsweise sein Geheimdienst mit Sicherheit kannten und die mit Sicherheit nicht jene waren, die 2014 verurteilt wurden. Punkt. In Malta verhält es sich gleich. Der Mörder heißt auf jeden Fall Joseph Muscat. Dafür spricht gerade, dass er von einer barbarischen Tat und von einem schwarzen Tag für die maltesische Demokratie und ihre Meinungsfreiheit sprach. Muscat und seine Kreise haben diese Tat in Auftrag gegeben oder mindestens nicht verhindert. Mich nimmt wunder, was die EU-Außenministerin Francesca Mogherini dem Muscat zu diesem Thema geflüstert hat. Man weiß es halt nicht.

Seit einiger Zeit regt sich die Öffentlichkeit beziehungsweise jener Teil davon, den ich zur Kenntnis nehme, darüber auf, dass in Hollywood und anderswo das Begrabschen von Frauen an der Tages­ordnung ist. Das begreife ich nicht. Das ist doch jetzt nichts Neues, oder? So funktioniert Hollywood, so funktionieren Privatunternehmen, so funktioniert die Welt. Wer die Macht hat, der kann vor sich hin pimpern, wenn, wann und wen er will, aber grundsätzlich gilt nach wie vor der Grundsatz der Mafia: Mandare è meglio che fottere. Befehlsgewalt bringt weit mehr Lustgewinn als Ficken. Das gilt übrigens für Frauen genau gleich wie für Männer. Die sexuellen Übergriffe sind eigentlich gar keine, vielmehr bildet die unbestrafte Anmache bis hin zur Vergewaltigung eine primäre, wenig entwickelte Form von oben und unten, von wer wen, von Subjekt und Objekt. Wer hinauf will, muss die Beine breit machen oder den Arsch hinhalten, das ist eine weit verbreitete Möglichkeit des sozialen Aufstiegs, die seit fünftausend Jahren dokumentiert ist. Die Macht selber aber ist in der Regel viel sublimer, ein normaler Mächtiger steckt seinen Pimmel nicht überall rein, der hört lieber Schönberg-Quartette, während er seine Entscheide fällt. So sieht das aus in meinem Weltbild, und wer sich darüber aufregt, der soll mir mal klar machen, wie das denn anders zu organisieren wäre. Etwa nach Fähigkeiten, Verdiensten, Erfahrungen und so weiter? Das kommt immer mal wieder vor, aber die Regel ist das nicht. Die Regel ist Macht und Reichtum, dann kommt lange nichts mehr. Dann kommt der Chef und seine Sekretärin, der Chefarzt und die Kranken­schwes­ter, der Manager und seine Assistentin, der Filmproduzent und die Nachwuchs­schau­spie­lerin. Wie gesagt, zunächst hat dies mit dem Geschlecht nichts zu tun. Frauen haben nur das Pech, dass sie in den Führungs­po­si­tio­nen sehr schlecht vertreten sind, und das muss dann im Hintergrund wohl doch irgendetwas mit der patriarchalen Struktur und Tradition unserer Gesellschaften zu tun haben, wenn ich mich nicht irre.

Versteht mich nicht falsch: Ich finde das nicht gut, aber solange mir niemand einen Hinweis darauf gibt, wie solche Verhältnisse in Zukunft von Grund auf zu verbessern wären, halte ich das Lamento über Sex in der Sex-Industrie für reichlich blöde. Es wäre etwas anderes, wenn sich ein amtierender Präsident als Muschi-Grabscher herausstellen würde, aber diese Story kennt Ihr ja selber gut genug.