Hopp und Hass - oder von der Flüchtlingswelle zur La Ola - ein Kommentar

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Fußball, Hopp, Flüchtlingswelle und die große Frage: Woher kommt der Hass? Beschreibt das auch ihr medial erlebtes Wochenende, wenn sie den Corona Virus außer acht lassen? Dann geht es ihnen wie unserem Kollegen Fabian Ekstedt. Hören Sie nun seinen Kommentar zur Debatte um Hopp und Hass.
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11:36 min, 11 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 02.03.2020 / 18:17

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Sport, Wirtschaft/Soziales
Serie: LORA Magazin
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 02.03.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Woher kommt der Hass? Diese Frage beschäftigte in der letzten Woche viele Talkshows, Titelblätter und Kommentarspalten. Auslöser: Die rassistische Anschlagsserie von Hanau, die zeigt, dass die Enttabuisierung einer gewalttätigen und menschenverachtenden Sprache eben dazu führt, dass wahnsinnige Menschen sich zu unfassbar grausamen Taten verleiten lassen. Viel mehr noch, sie fühlen sich durch diese Sprachwahl dazu aufgerufen, da sie in Chatgruppen, sozialen Medien und sogar in parlamentarischen Äußerungen erleben, dass ihre von Wahnvorstellungen durchsetzte Weltsicht mit der eines selbsternannten Volkskörpers übereinstimmt. Die Dringlichkeit der gewählten Worte, die Angst und der Schrecken der von ihnen ausgeht, führt direkt zu Tatendrang. Die Worte hier zu wiederholen, scheint daher nicht geboten. Nur sei daran erinnert, dass gerade wieder von einer „Flüchtlingswelle“ berichtet wird, die „uns“ zu „überrollen“ droht. Bei solchen verbalen Schreckensszenarien kommt man schnell zu einer technischen Lösung: Es braucht einen Damm, an dem die Flüchtlingswelle abebben kann.
Und so dreht sich das Thema um – nicht mehr das Leid, die Fluchtursachen oder die Hoffnungen auf ein neues besseres Leben derjenigen Menschen, die sich auf den Weg Richtung Europa machen, steht im Fokus. Nein, es geht um uns gegen die Welle… Dabei wird suggeriert, dass wir, die wir in Frieden, Freiheit, Gleichheit und Sicherheit leben, Festland sind. Die Küstenlinie, die überschwemmt werden könnte, der Deich der zu brechen droht, Fundamente die vor Feuchtigkeit geschützt werden müssen um das Haus Europa nicht absinken zu lassen…
Korrekter wäre der Begriff der Welle vielleicht, wenn man die ganze Menschheit als Wasser annimmt. Dass wir alle nur einzelne H²O-Moleküle in einem großen Ozean der Menschen sind. Im Menschenmeer kennen wir auch das Phänomen der Welle, vor allem aus dem Stadion. Hier ist eine La-Ola, was nichts anderes als Welle auf spanisch bedeutet, ein weltweit gefeiertes und Menschen verbindendes Symbol der spontanen gemeinsamen Schaffenskraft. Es gibt wenige Momente in den Menschen untereinander so sehr ihre Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit spüren und sehen können, wie in einer La-Ola die ihre Runde durch ein Stadion zieht. Alle gemeinsam zeigen, dass ihre Bewegung etwas großes auslösen kann. Jeder der mitmacht, ist ein Teil davon.
Aber auch ohne Menschenwellen ist das Fußballstadion ein Ort der Gemeinsamkeit. Oder besser gesagt, hier geben sich Menschen hin für etwas, was größer ist als sie selbst. Der Einfluss jeder und jedes Einzelnen auf die Geschicke des unterstützten Vereins ist verschwindend gering. Aber durch die Zusammenarbeit, das gemeinsame Mitfühlen, Anfeuern und Unterstützen, schaffen sie beeindruckende Atmosphären und laden den Moment mit Bedeutung auf. Ohne die Fans sind da nur 22 Männer oder Frauen auf dem Platz, die einem Ball hinterherjagen um in irgendwelchen Statistiken dafür zu sorgen, dass sie besser abschneiden als andere. Wen interessiert das? Mit Fans sind das mehrere Helden oder Heldinnen auf dem Platz, die Bewegungen des Balles werden prognostiziert und kommentiert, die Statistiken sind nicht nur nackte Zahlen sondern Erinnerungen und Erlebnisse, ein Sieg gleichbedeutend mit einem Erfolg im eigenen Leben.
Der eigene Einfluss mag zwar verschwindend gering erscheinen, dennoch hat Mensch selbst daran teilgenommen. Und damit sind wir wieder bei der Frage: Woher kommt der Hass? Diesmal mit der Ergänzung: Auf Dietmar Hopp. Denn hier fühlen sich anscheinend der gemeinnützige Verein Deutscher Fußball-Bund e.V. und die Deutsche Fußball Liga GmbH aus den Fan-Rängen von einer Welle des Hasses gegen den Mäzen der TSG Hoffenheim überrollt, der Einhalt geboten werden soll. Und wie sich das gehört, wenn ein Multimilliardär und ein Milliarden-Euro-Geschäft etwas durchsetzen wollen, wird gleich mal gezeigt wer am längeren Hebel sitzt. Aufgrund eines geschmacklosen Transparentes, das tatsächlich als Gewaltaufruf verstanden werden kann, wird die gesamte Anhängerschaft des BVB für die nächsten drei Jahre von allen Spielen ihrer Mannschaft im Kraichgau ausgeschlossen. Das bedeutet: Die Fans, die mit ihrer Leidenschaft das sinnlose Spiel von 22 Mannen mit einem Ball auf dem Rasen erst mit Bedeutung füllen, sollen ihre Mannschaft nicht mehr auswärts unterstützen dürfen, weil einzelne es gewagt haben Dietmar Hopp in den Fokus und sogar ins Fadenkreuz zu setzen. Also den Mäzen, der ihnen durch seine Finanzkraft aufzeigt, dass es massive Machtunterschiede gibt. Auf der einen Seite die Fans, die Zeit, Geld und Kreativität einsetzen um ihren Verein voranzubringen, siegen zu sehen, aufzusteigen, feiern zu können. Die aber teilweise auch erleben dürfen, wie ihrem Verein aufgrund der finanziellen Spielregeln der Profiligen der Aufstieg unmöglich gemacht wird, die eigene Arbeit entmachtet wird. Auf der anderen Seite der Multi-Milliardär, der mit seiner Finanzkraft und seinem Einsatz innerhalb von weniger als 20 Jahren einen Kreisliga-Klub in dem er selbst gespielt hat in die Bundesliga brachte und dort etablierte. Und der auf die Anfeindungen gegen seinen Club 2007 folgendes Statement veröffentlichte: "Jedermann ist glücklich darüber, dass der Deutsche Fußball Bund und die DFL mit konsequenter Härte gegen Rassismus vorgehen. Wir würden uns wünschen, dass man Diskriminierung, wie sie Herr Heidel betreibt, mit der gleichen Konsequenz verfolgt. Denn diese infame Diffamierung unseres Clubs, die wohl bewusst den Hass auf Hoffenheim schüren soll, ist auch geeignet, Gewalt gegen uns auszulösen."
Damals hatte Christian Heidel, Manager des FSV Mainz, nach einem 2. Liga Duell seiner Mannschaft gegen den Aufsteiger TSG Hoffenheim gesagt: "Schade, dass so eine Mannschaft einen der 36 Plätze im Profi-Fußball wegnimmt".
Diese Äußerung wurde also auf eine Stufe gestellt, wie Rassismus und Diskriminierung von Minderheiten. Völlig zu Recht wird darauf hingewiesen, dass Sprache zu Gewalt führen kann. Völlig zu Unrecht wird allerdings der Schutz eines Multimilliardärs und seines Vereins auf eine Stufe gestellt, mit dem Schutz von Minderheiten und tägliche Gewalt erfahrenden Menschen.
Wohin das führt konnten wir dieser Tage erleben. Spiele werden aufgrund von Transparenten unterbrochen, die sich vor allem gegen die Kollektivstrafe des DFB und den diese durchkämpfenden Dietmar Hopp wenden. Andere Spiele, in denen Spieler über Rassismus von den Rängen klagen und sichtbar in ihrem Spiel beeinträchtigt werden, werden nicht unterbrochen. Mehr noch, beim Pokal-Spiel von Hertha gegen Schalke wurde das Ziel der rassistischen Beleidigungen, Hertha-Spiler Jordan Torunarigha, vom Platz gestellt, nachdem er am Spielfeldrand eine Getränkekiste auf den Boden geworfen und dafür die zweite gelbe Karte im Spiel gesehen hatte. Dabei wollte er zuvor schon von sich aus den Platz verlassen um den rassistischen Schmähungen zu entgehen. Eine Strafe gab es hier durchaus, 50.000 € muss Schalke für das Fehlverhalten seiner Fans berappen. Allerdings eine Spielunterbrechung mit Hinweis weshalb, wie es sie zuletzt bei Bayern gegen Hoffenheim gab, wurde nicht gepfiffen. Dadurch gab es auch wenig Möglichkeit für die Fans, sich öffentlich gegen die Rassisten unter ihnen zu äußern, sich mit Torunarigha zu solidarisieren. Einen solchen Moment hat man sich stattdessen für den Multimilliardär Hopp aufbehalten. Er scheint die Unterstützung der Fans dringender zu benötigen um weiterhin so viel Einsatz für den Fußball zu zeigen. Um weiterhin oben auf zu schwimmen auf der La-Ola des Fußball-Stadions. Seine Macht ist schützenswert, die Ohnmacht der Diskriminierten, der Fans, der einfachen Menschen hingegen soll erhalten bleiben. Das ist die Nachricht die der DFB damit aussendet. Die Millionen Menschen die zu den Spielen gehen, sollen nicht den Eindruck bekommen, dass sie politische Macht aufbauen oder auch nur einen politischen Willen entwickeln können. Sie sollen konsumieren was ihnen der DFB vorsetzt, wann er es ihnen vorsetzt und unter den Spielregeln die er ihnen vorsetzt. Die Menschenwelle in den Stadien muss klein gehalten werden und darf nicht aufbegehren gegen die Mächtigen.
Was nicht heißen soll, dass eine Abbildung von Dietmar Hopp im Fadenkreuz zu verteidigen ist. Hier gilt das eingangs erwähnte Prinzip: Aus Worten und Darstellungen können Taten folgen, die nicht zu rechtfertigen sind.
Deshalb achten wir genauer, worüber gesprochen wird aber vergessen nicht, dass hier die Solidarisierung der Fußball-Fans gebrochen werden soll um weiterhin ungestört ein Milliarden-Geschäft auf ihrem Rücken zu betreiben. Denn das ist es, was geschützt werden soll: Kapital und Status. Das ist es was Dietmar Hopp, DFB und DFL verteidigen und ausbauen. Das ist es aber auch, was als Landmasse gegen die neue „Flüchtlingswelle“ steht. Die Menschen können eine La-Ola bilden, aber diese Zusammenarbeit soll bitte nicht die Geschäfte ins Wanken bringen. Denn aus der VIP-Loge sind sie alle nur Ameisen und Fußvolk, aber zumindest zahlen die Fußball-Fans dafür auch Eintritt. Dass dieses Fußvolk aus Menschen besteht, die gemeinsam das Spiel, die Gesellschaft und die Spielregeln mitbestimmen wollen, mitspielen und die Mannschaft voran bringen können, wird als Bedrohung der eigenen Position abgelehnt. Nicht jeder kann einen Platz an der Sonne haben, manche müssen eben auch im Schatten der großen, starken, und weißen alten Männer ihren Platz finden.
Ein Ausbruch aus dem Schatten ist nur möglich indem eine solidarische Gemeinschaft sich ihrer Macht bewusst wird. Im Fußball werden die Montagsspiele großflächig boykottiert und nicht als Normal akzeptiert. In der sogenannten Flüchtlingskrise lassen sich Menschen vor Gericht zerren, weil sie Menschenleben retten, gehen Menschen auf die Straße um ihre Solidarität zu zeigen, arbeiten Menschen seit Jahren daran Anschlusspunkte für Geflüchtete zu schaffen, klären Menschen darüber auf, wie Sprache Fremdenfeindlichkeit nährt, stehen wir zusammen um eine friedliche Gemeinschaft möglich zu machen.
Trotzdem laufen die Montagsspiele weiter, trotzdem wird wieder von einer Flüchtlingswelle geschrieben, werden Auflagen mit hetzerischen Aussagen in die Höhe getrieben. Es ist und bleibt ein Kulturkampf zwischen denjenigen die den Sport und die Gesellschaft leben und lieben, und denjenigen, die Sport und Gesellschaft als einen Bereich ansehen, in dem Kapital, Status und Wert gleichbedeutend sind, verteidigt werden müssen und in einem elitären Kreis verteilt werden sollen, der nur einem bestimmten Typus Mensch offensteht. Mehr Mitsprache, mehr Verteilungsgerechtigkeit, Spielregeln die nicht die Vermögenden fördern, sondern allen eine Chance geben in dieser Liga und in dieser Gesellschaft aufzusteigen, das alles sind Forderungen die in einer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich sein sollten.
In unserer Liga, der Bundesrepublik, wollen viele aufsteigen. Es werden auch noch viele aus anderen Ländern dazu kommen und sie werden dafür arbeiten, dass sie den Aufstieg schaffen. Es ist also keine Welle, die auf uns zu kommt und uns zu überschwemmen droht. Es sind Menschen, die unsere La-Ola mächtiger werden lassen, die unsere Fangesänge lauter werden lassen, die mit uns in Frieden, Freiheit und vor allem Sicherheit leben, arbeiten und feiern wollen. Gemeinsam können wir dieses Spiel und dieses Leben feiern. Unabhängig von Herkunft und Kapital.
Olè!

Kommentare
03.03.2020 / 18:05 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 3.3.. Herzlichen Dank! Exzellente Analyse!