Das social Distel-Ding - Lockerungen, Masken und die Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht beim Arzt

ID 101734
 
AnhörenDownload
Teil 19 der social distancing Kolumne. Diesmal mit Lockerungen, Masken und der Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht für Atteste. Mundschutz tragen und Maul aufreißen!
Audio
04:17 min, 10 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 20.04.2020 / 17:32

Dateizugriffe: 2882

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 20.04.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Wieder Montag. Wieder social distancing. Diesmal mit Lockerungen. Ab heute dürfen sich einzelne social Distel-Dinger auch in Bayern wieder mit einer einzelnen anderen Person im Freien treffen. Die Baumärkte und Gärtnereien sind wieder geöffnet und die Schlangen davor werden, durch die Abstandsregelung von mindestens 1,5 Metern, besonders lang ausfallen. Das Semester an den Unis geht los, aber nur als Fernunterricht über Internet, genauer gesagt an vielen Universitäten über die viel kritisierte Anwendung Zoom.
Während die Unis also auf Fernunterricht setzen gilt bei Ärzten ab heute wieder Anwesenheitspflicht. Atteste gibt es jetzt wieder nur, wenn Mensch sich ins Wartezimmer mit anderen Kranken und Krankzuschreibenden setzt und nicht mehr nach einem Anruf und der Beschreibung der Symptome. Entschieden hat das der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Krankenkassen, Krankenhäuser, Ärzte und Psychotherapeuten. Verstehen können das allerdings nur wenige. Letztlich sind damit nicht nur die Patient*innen sondern auch die Ärztinnen und Ärzte sowie das medizinische Fachpersonal einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Wie schon häufiger scheinen die Regelungen zur Eindämmung der Pandemie etwas willkürlich und wenig an den tatsächlichen Voraussetzungen orientiert. Schließlich gab es in letzter Zeit kein großes Aufatmen, weil jetzt alle Schutzausrüstungsprobleme plötzlich gelöst wären. Die Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht beim Arzt birgt damit das nicht zu unterschätzende Risiko, die vorsichtigen Lockerungen zu konterkarieren und vor allem weitere Risikogruppen einer Gefährdung auszusetzen. In Folge könnten die Todesfälle an Covid-19 mehr werden und uns allen ein verlängertes Dasein als social Distel-Ding blühen.
Aber bisher kann das natürlich keiner wissen und somit bleibt Arbeitnehmern nichts anderes übrig als die Entscheidung ob sie, bei selbst diagnostiziertem Covid-19 Verdacht, lieber ihre Kolleginnen und Kollegen anstecken oder die chronisch Kranken die mit ihnen das Wartezimmer teilen. Die verantwortungsvollste Reaktion darauf wäre fraglos zuhause zu bleiben und zu versuchen einen Test zu bekommen, was allerdings eine Abmahnung durch den Arbeitgeber zur Folge hätte und damit vermutlich nicht die beste Grundlage für den Arbeitsmarkt in der Rezession wäre. So befindet sich das potentiell erkrankte social Distel-Ding in einem moralischen Patt und bekommt nebenbei noch mehr Sorgen aufgeladen.
Zum Glück kriegen wir als kleine Beruhigung für unsere Moral noch ein Maskengebot aufgegeben, das ab nächster Woche zu einer Maskenpflicht verschärft wird. Die bedeckten Gesichter zeigen uns dann endgültig, dass in der Luft eine Gefahr lauert, vor der wir uns schützen müssen. Doch dieser Schein trügt: An sich ist es genau andersrum, nämlich so, dass wir selbst die Gefahr sind und die Atemluft der anderen vor den potentiell in uns vorhandenen Viren mit den Mund-Nase-Masken oder Schals schützen. Trotzdem ist beides richtig. Der Effekt der Masken ist sowohl der, dass sie in der Öffentlichkeit keine Corona-Vergessenheit mehr aufkommen lassen, als auch der, dass die Masken die Verbreitung der Viren über Husten, Niesen oder feuchte Aussprache behindern sollen.
Einen kompletten Schutz können sie nicht bieten, auch nicht in den Wartezimmern der Praxen. Aber sie geben uns wieder etwas worauf wir uns konzentrieren können. Gerade die selbstgenähten oder dekorierten Masken ermöglichen uns wieder einen Ausdruck der Individualität, eine neue Leinwand unserer Persönlichkeit. Oder eben auch eine neue Möglichkeit unsere Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Repolitisierung des öffentlichen Raums kann auch durch Masken geschehen. Die Forderung mehr als 47 Minderjährige aus den höllischen Verhältnissen in Moria zu retten könnte auf allen Masken prangen. Und nicht nur die.
Wir sollen uns zwar etwas vor den Mund spannen, aber den Mund verbieten lassen wir uns nicht. Das Motto der Zeit könnte ja auch sein:
Mundschutz tragen und das Maul aufreißen!