Das social Distel-Ding – Ausmisten und die Welt vermüllen - oder - Klimawandel oder Corna-Krise, wir können beides haben

ID 102926
 
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45. Teil der Kolumne aus dem social distancing - Heute mit dem Streit im Müllhäuschen, Konsum als Wirtschaftstreiber und der zarten Hoffnung, dass Recycling auch eine profitable Industrie werden könnte.
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07:26 min, 17 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 12.06.2020 / 17:06

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Umwelt, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 12.06.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Können wir das noch brauchen oder kann das weg? Diese Frage haben sich vermutlich in den letzten Schlechtwettertagen oder in den Tagen der rigorosen Kontaktbeschränkung einige gestellt. Die viele Zeit in der eigenen Wohnung hat viele social Distel-Dinger dazu gebracht daheim auszumisten, umzustellen und den Raum lebenswerter zu gestalten. Und wo viel ausgemistet wird, dort fällt auch viel Müll an.
In der Wohnanlage dieses social Distel-Dings führte das mittlerweile zu einem Kleinkrieg der Bewohner mit dem Hausmeister bzw. der Immobilienverwaltung. Während die Mieterinnen und Mieter immer wieder Sperrmüll im Müllhäuschen abladen und hoffen, dass er schon irgendwie weg kommt, reagiert der Hausmeister passiv-aggressiv. Mit Zetteln auf denen in roten Großbuchstaben folgende Botschaft geschrieben steht: „Toll, wenn sie jetzt in der Coronakrise die Zeit gefunden haben ihren Keller auszumisten (Ausrufezeichen) Bitte finden sie dann auch die Zeit ihren Sondermüll selbst zu entsorgen (Ausrufezeichen)“
Aktuell klebt dieser Zettel auf einem Kühlschrank der auf einem Eisfach neben den Restmüll-Tonnen steht. Scheinbar wurden mittlerweile also auch Elektrogeräte ausgetauscht und nicht nur, wie bisher, Sofas, Lattenroste, Klamotten, Bücher, Dekorationsartikel, VHS-Kasetten, Lernmaterialien, Kissen und eine Plastikreplik eines Steinbockkopfs.
Diesen Überblick über den Müll anderer Leute bekommt Mensch, weil diese Dinge teilweise bewusst neben die Mülltonnen gelegt werden, weil die Leute selbst wissen, dass es eigentlich nicht weggeschmissen werden müsste und noch voll gebrauchsfertig ist oder in kurzer Zeit repariert werden könnte. Sie selbst brauchen es nicht mehr, aber vielleicht kann es ja jemand anderes brauchen. So kann Mensch davon träumen, dass der Plastik-Steinbockkopf noch jemand anderem Freude bereitet, statt grausam in der Müllverbrennung in giftige Dämpfe aufzugehen.
Denn auch wenn in der Bundesrepublik viele Menschen leben, die die Mülltrennung zur Profession gemacht haben, der getrennte Müll wird dadurch kein wertvoller Rohstoff. Stattdessen zeigt sich vor allem bei Plastik ein großes Problem: China will unsere Müllexporte seit 2018 nicht mehr, die inländischen Müllverbrennungsanlagen kommen nicht mehr hinterher und so wird er stattdessen von findigen Mülldeponiebetreibern illegal auf Deponien in Polen von angeblichen Brandstiftern in angezündet.
Nun ist die Müllwirtschaft und Recycling-Industrie nicht wirklich ein Thema der Zeit. Wir wollen ja die Wirtschaft wieder ankurbeln, Arbeitsplätze sichern, produzieren und sollen weiter verbrauchen. Aber genau hier liegt ein Chance für einen langfristigen Wirtschaftsauf- und -umbau. Schließlich gehört die chemische Industrie auch zu den deutschen Schlüsselindustrien. Frei nach dem Motto: Schwerter zu Pflugscharen, könnten wir die geballte Kompetenz in der Chemie, dem Maschinenbau, der Energieerzeugung und der Elektroindustrie, die in diesem Land weitläufig vorhanden ist, anwenden um endlich in einer der Schlüsselindustrien der von Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung geprägten Zukunft Vorreiter zu sein: Der Recycling-Industrie.
Die chemische Auftrennung der Verbundstoffe, die Wiedernutzbarmachung von teuren Materialien und die umweltverträgliche Vernichtung von Abfallstoffen, all das dürfte in kurzer Zeit ein Exportschlager werden.
Die derzeitige spät-koloniale Variante den Müll in ärmere Länder zu schicken und dann wegzusehen, wie Menschen damit vergiftet, Landstriche unbewohnbar gemacht und Generationen unter den Langzeitfolgen leiden werden, ist nicht nur unerträglich, sie macht auch volkswirtschaftlich keinen Sinn. Eine Investition in die Wiedergewinnung schon verbauter Rohstoffe ist nicht nur eine Investition mit Aussicht auf ökologischen Gewinn, sondern ermöglicht uns auch politisch mehr Unabhängigkeit von den Exportländern und verspricht sowohl im Arbeitsmarkt als auch finanziell lohnend zu sein.
Trotz aller Freude, dass mit der Wasserstofftechnik zumindest eine ansatzweise zukunftsfähige Technologie im Konjunkturpaket mit Wumms gefördert wird, ist dieser Weg maximal ein langfristiger. Bis nicht ein absoluter Überschuss an erneuerbarer Energie auch langfristig zur Verfügung steht, ist die Wasserstofftechnologie keine wirklich klimafreundliche Alternative. Es mag durchaus Sinn machen, sich langfristig in diesem Markt zu etablieren und Patente und Kompetenzen zu erarbeiten. Nur zielt dieser Markt aktuell immer noch auf ein Weiterführen des Bekannten.
Statt schnellen Verbrennern bauen wir jetzt schnelle E-Autos und irgendwann bauen wir dann schnelle Wasserstoffautos. Die Vorstellung einer Welt, in der nicht mehr so viele Autos gebraucht werden, kommt darin nicht vor. Und der Realität, dass alles was gebaut wurde und gebaut wird, irgendwann Schrott ist und nur noch Platz wegnimmt, verschließt sich die Politik scheinbar konsequent. Der Mut eine Zukunft zu planen, die auch den unbequemen Wahrheiten Rechnung trägt scheint, ist abhanden gekommen. Wir fahren auf Sicht.
So wie die Werften in Deutschland, die weiter darauf hoffen, dass die Kreuzfahrtindustrie wieder zu ihren Boomphasen zurückkehrt. Die Flexibilität aus einem Kreuzfahrtschiff ein schwimmendes Lazarett, ein menschenfreundliches Vehikel zu machen, das nicht nur für Spaß und Entspannung der westlichen Touristen konzipiert ist, fehlt einfach. Weiter wie bisher ist die Perspektive, die ganze Wirtschaftszweige an disruptive Technologien opfert. Nicht umsonst ist Tesla mittlerweile an der Börse mehr wert als VW und Daimler zusammen.
Zu glauben, durch Nachahmung der Technologie oder durch Geld könnten sich abzeichnende Entwicklungen aufhalten lassen, ist naiv. Nur scheint der Blick aus Deutschland in die Zukunft davon auszugehen, dass die zukünftigen Generationen der Bevölkerung aus Klonen der aktuell bestimmenden Generation besteht. Das schon heute das Versprechen des Grünen Punkts nicht mehr gilt, das schon heute klar ist, dass die Gewinnung von wertvollen Rohstoffen durch Kinderarbeit keine elegante Lösung ist und das schon heute die Folgen unserer Lebensweise in den Ozeanen, im Wetter, in der Luft und in den Wäldern zu beobachten ist, mag einige nicht dazu veranlassen, weiter als zur nächsten Wahl, zum nächsten Dividendentermin zu denken. Ein Großteil aber lebt in der Diskrepanz zwischen dem, wie Mensch in der Welt leben möchte und dem, wie er oder sie als Deutsche*r die Welt beeinflusst.
Neurotisches Joghurtbecher-Ausspülen und die Nachbarn auf die Mülltrennung hinzuweisen hilft vielleicht dabei, das Gewissen zu beruhigen. Wenn dann aber der ausgespülte Joghurtbecher im Urlaub am anderen Ende der Welt wieder auftaucht, dürfte die eigene Handlung nur noch als Wasserverschwendung gelten.
So bleibt uns nur die Hoffnung, dass sich einige findige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesem Thema annehmen und sie Unterstützer finden, die sie, beim Unterfangen das Müllproblem nachhaltig anzugehen, finanzieren.
Den social Distel-Dingern unter uns, die nichts dazu beitragen können, bleibt in dieser Situation nur eines: Müllvermeidung bzw. Tauschbörsen.
So bleiben die Müllhäuschen dann zwar leerer, aber es bleibt eben auch ein Problem für Politik und Gesellschaft: Wiederverwertung und Tauschgeschäfte bringen die Wirtschaft nicht zum Laufen.
Das bedeutet aktuell: Wer nicht kauft und konsumiert gefährdet die Volkswirtschaft und Jobs, verursacht Arbeitslosigkeit, verringert die Renten und zerstört ganze Branchen. Tja, und so bleiben wir mittendrin in unserem Dilemma: Pest oder Colera, Klimawandel oder Corona-Krise… Nur in diesem Fall kann Mensch beides haben.

Kommentare
15.06.2020 / 18:00 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 15.6.. Vielen Dank!