Kommentar - Die Münchner Generalstaatsanwaltschaft und die Vorverurteilung der Letzten Generation

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Zur gestrigen Razzia und der Domain-Beschlagnahmung bei Aktivist*innen der Letzten Generation hören Sie jetzt einen Kommentar von unserem Kollegen Fabian Ekstedt.
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06:26 min, 6044 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 25.05.2023 / 19:52

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 25.05.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Kommentar Letzte Generation

"Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)"
Das stand gestern auf der Domain der Letzten Generation geschrieben, die von der Generalstaatsanwaltschaft München beschlagnahmt worden ist. Wo zuvor gewarnt wurde, dass der Klimakollaps unsere Lebensgrundlagen und damit auch unsere Gesellschaft zerstören wird, jetzt also die Warnung vor strafrechtlichen Konsequenzen. Während zuvor immerhin noch die Handlungsoption im Raum stand aktiv zu werden und durch persönliche Aufopferung das Ruder vor dem Abgrund der Kipppunkte noch herumzureisen, standen nun nur noch die weiß-blauen Rauten des BLKA, die den vorgeschlagenen Handlungsoptionen die Hände binden.
Mittlerweile musste die Generalstaatsanwaltschaft München auf NDR Nachfrage einräumen, dass diese Formulierung ein Fehler war. Schließlich besteht erst einmal nur der Anfangsverdacht, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte. Hier müssen Gerichte entscheiden.
Dass ein Gericht entschieden hat, dass zumindest der Anfangsverdacht gegeben ist und damit die 15 Razzien und die Beschlagnahmung der Domain beauftragte, ist schon erschreckend. Und dann auch noch ein bayrisches, oha.
Einerseits ist immer von der Unabhängigkeit der Gerichte auszugehen und für den Fall, dass diese Entscheidung nicht wirklich unabhängig getroffen wurde, hat ein Gericht darüber zu entscheiden, dass dem so war. Punkt. Andererseits ist die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München die beschlagnahmte Website zu nutzen um auf ihr eine unzulässige Vorverurteilung vorzunehmen ziemlich eindeutig politisch motiviert. Nicht unbedingt parteipolitisch, auch wenn die CSU sich sicherlich damit schmücken wird, dass Bayern mal wieder hart durchgreift, im Gegensatz zu den anderen Bundesländern. Auf jeden Fall aber ist es als eine gesellschaftspolitische Einflussnahme zu verstehen. Eine staatliche Stelle, also die Generalstaatsanwaltschaft, die in ihren Veröffentlichungen an ein Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot gebunden ist, stellt ein Urteil als Fakt dar, das noch nicht gesprochen wurde. Die Letzte Generation und ihre Unterstützer*innen werden also von offizieller Stelle als Kriminelle Vereinigung dargestellt, ohne dass ein offizielles Urteil gesprochen ist. Das ist ein klassischer Fall von Vorverurteilung der dann auf Nachfrage als „Fehler“ eingestanden und abgeändert wurde. Soweit bekannt ohne irgendwelche Konsequenzen.
Und so reiht sich die Generalstaatsanwaltschaft München ein in die Reihen der CSU Äußerungen zum aktivistischen Part der Klimabewegung, von Klima-RAF, Taliban bis Klima-Terroristen. Mit Vorverurteilung und Diskreditierung wird gehetzt gegen diejenigen, die daran glauben, dass die Wissenschaft und die UNO recht haben, wenn sie sagen: „Wir können das Überleben der kommenden Generationen retten, wenn wir heute, sofort, innerhalb der nächsten 2-5 Jahre, massive Änderungen unseres Wirtschaftens vornehmen und wirklich CO2 einsparen!“
Wer nicht daran glauben mag, dass sich etwas ändern kann, sei daran erinnert, dass Untätigkeit in dieser Situation Tatsachen schafft.
Wer auf eine Kindergartengruppe zuraßt und nicht bremst und vielleicht nur ein wenig vom Gas runter geht, tötet. Wer mit im Auto sitzt und sich nur um sich selbst kümmert, tötet. Wer lieber lautstark über andere Dinge diskutiert als sich auf die Straße zu konzentrieren, tötet. Und den Kindern ist es egal, ob einen persönlich nur eine Teilschuld trifft, sie sind dann einfach tot. Untätigkeit in der falschen Situation schafft Tatsachen.
Die Letzte Generation schafft auch Tatsachen durch ihren Protest, die sicherlich unangenehm sind. Sie setzen sich hin und schaffen Staus, sie stören, rütteln an den Grundfesten all dessen, was wir als selbstverständlich wahrnehmen: Das bequeme Leben! Doch dieses bequeme Leben wird mit überwältigender Wahrscheinlichkeit immer unbequemer werden. Das erleben wir heute schon in Form von Extremwetter. Eines muss klar werden: Die Staus die heute von Aktivistis ausgelöst werden, sind nichts zu dem, was die Klimakatastrophe auslöst. Heute ist es Nötigung, übermorgen höhere Gewalt in Form von Überschwemmungen, Blowholes auf den Straßen, Hagel, Sturm, Waldbrände. All das haben wir in den letzten Jahren erlebt, aber dafür übernimmt niemand die Verantwortung.
Die Aktivist*innen der Letzten Generation hingegen versuchen Verantwortung zu übernehmen. Sie retten mit ihren Aktionen sicherlich nicht das Klima und sparen kaum CO2 ein. Aber sie stören das Wegsehen, stören die Ablenkung, stören soweit, dass der Staat oder zumindest die Münchner Generalstaatsanwaltschaft sich verantwortlich fühlt, sie aufzuhalten. Und durch ihre Störung stoßen sie tagtäglich Menschen auf ihr Anliegen: Schnellst möglich umzusteuern! Und umso mehr Menschen darüber nachdenken, umso näher kommen wir vermutlich einer Veränderung. So wie die Letzte Generation indirekt eine Folge von Fridays for Future ist, wird sich auch an diesem Punkt die Bewegung weiterentwickeln. In welche Richtung, das haben wir in der Hand, die wir verstanden haben, dass die Untätigkeit Tatsachen schafft. Eine von CSU und Bild an die Wand herbeigeredete und geschriebene Radikalisierung ist bei weitem noch nicht ausgemacht. Denn früher oder später wird sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch auf niederen Gerichten durchsetzen und das macht klar: Klimaschutz ist Grundrechtsschutz. Die nächste Schlussfolgerung daraus ist dann: Kriminelle Vereinigungen bestehen aus denjenigen die für den eigenen Profit das Klima wissentlich schädigen oder sie dabei politisch oder finanziell unterstützen.