Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Lachende Konsumenten"

ID 27457
 
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[16.Kalenderwoche]
Die Comedy-Inflation und das Lachen vom Tonband müssten einen in die Verzweiflung treiben, wenn man nicht gnädig drüber hinweg zappen könnte, sowohl über die Senderstationen wie RTL a bis z, Sat 1, Pro 7 und Vox als auch über den nicht unerheblichen Anteil an jungen und jung gebliebenen Zuschauerinnen, welche sich in dieser Lachkrake verfangen haben und ihren niedrigen Instinkten freien Lauf lassen.
Audio
09:46 min, 9152 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.04.2009 / 09:33

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Kultur, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 14.04.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Pflege des anständig-unanständigen Witzes erscheint daneben als rein zivilisatorische Tätigkeit, wobei man sich fragt, ob man dafür demnächst eigene Abteile in der Gesellschaft einrichten muss wie die berühmten Raucherecken oder Fumoirs. Für die Zigarren heißen die Behälter ja schon länger Humidor, sodass ein Humoridor oder einfach Humorid daneben echte Chancen hätte. Ein solcher Raum müsste Fenster haben wie bei den Filmrequisiten, aus Zucker, glaube ich, damit man jedermann und jede Frau, die sich darin eine seichte Pointe leistet, sofort durchs Glas werfen könnte. Allerdings laufen solche Bemerkungen wie alle Überheblichkeiten auf der Welt Gefahr, ihrerseits platt zu werden. Die Comedy-Inflation hat nämlich nicht einfach die Sex-Expansion abgelöst, wie dies die beiden Protagonisten Hella von Sinnen und Heribert-Hubert-Hermann Baader am besten belegen, übrigens, wenn ich das richtig mitgezappt habe, durchaus in Gesellschaft der ebenfalls von Sinnenen Nina Hagen, sondern sie beruht auf einem lapidaren Umstand: Die Wirklichkeit ist unterdessen so komplex, dass einfache Aussagen praktisch nicht mehr möglich sind, weshalb man sämtliche Äußerung entweder mit einem «ich denke» oder «irgendwie» garniert oder aber eben mit einer Prise bis hin zu einer Überdosis Ironie. Da hat der reine und eigentliche Satiriker überhaupt nichts dagegen anzustinken. Trotzdem ist die allgemein verbreitete Haltung, reflexartig zu kichern, sobald irgendwo Lachgeräusche ab Tonband abgespielt werden, halbwegs frustrierend und verweist direkt in den Bereich der Primatenforschung. Was bedeutet Lachen und Lächeln bei den Primaten? Bei den Hunden ist Lächeln ein Äquivalent von Hecheln, das gilt nicht, aber die Hunde sind ja auch keiner Primaten, sondern Hunde. Was meinen die Primaten, wenn sie lächeln? Gibt es Affenwitze?

Ich weiß es nicht. Dagegen muss ich noch nachtragen, dass es eben auch unter den primitiven Witzen wirklich gute und absurde Exemplare hat, die man allerdings nicht zitieren darf, weil man sich sonst sofort in Gesellschaft ungehobelter Arschlöcher befindet bzw. die Seelen jener schönen Menschen besudelt, mit denen man doch unbedingt weiterhin Mineralwasser und Tee trinken möchte. Ja, vielleicht droht sogar der Entzug der Sendelizenz, wenn man frauenverachtenden Bllödsinn in den Äther bläst wie das, was der Indianer nach dem Essen sagt: Hugh, ich habe gespiesen, man stülpe mir eine Frau über die Eichel. Tut mir leid, verehrtes Publikum, ich kriege diesen Witz nicht aus dem Kopf raus und lache auch heute noch innerlich laut heraus, wenn ich mich dran erinnere; erzählen würde ich den aber niemals, obwohl er derart blödsinnig und absurd ist, dass sich dem Fisch die Gräten verbiegen. Aber was solls. Jedenfalls wird bei uns heute leicht und sofort gelacht, auch ohne dass irgend eine Pointe im Raume schwebt, sondern im Raum schwebt die allgemeine Vermutung, dass alle Äußerung irgend komisch gemeint sein könnte, und deshalb lachen wir auf Vorrat, der Witz wird sich dann schon noch enthüllen.

Neben der Komplexheitsvermutung mache ich noch eine weitere Komponente dieses Humors aus, nämlich seine Kehrseite; grundsätzlich ist uns nämlich ebenso alles komisch wie gnadenlos ernst, und zwar in einem Ausmaß, das ebenfalls topmodern ist. Nämlich geht der moderne deutschsprachige Mensch gleichzeitig davon aus, dass er nach Strich und Faden beschissen wird. Was der Staat auch immer dem einfachen Bürger einbrockt, er muss die Suppe auslöffeln; die Ärmsten der Armen müssen die Gewinne der Superreichen bezahlen, der durchschnittliche Steuerzahler die Schuldenwirtschaft der Banken bzw. der Bankiers, bei der Super-Sonder-Rabattaktion Persil waren in der Spezialsparpackung nur 49 Kilo 600 Gramm Waschmittel anstelle der angeschriebenen 50 Kilo, und die Verschrottungsprämie von 2000 Euro gibt’s nur für die ersten drei eingetauschten Wagen, während der Preis für 6 Cervelat-Würste schon wieder um 20 Cents gestiegen ist. Wahrscheinlich ist diese Mentalität gar nicht mal so besonders neu, aber in letzter Zeit hat mich dieser aufgezogene Konsumentenschutz-Reflex wieder vermehrt beeindruckt. Das Gerechtigkeitsgefühl, das eine durchschnittliche Person auf die Warenwelt anwendet, sucht in der wahren bzw. realen bzw. Personenwelt seinesgleichen. Ein ganz zentrales Merkmal des Konsumentenschutzbewusstseins ist es, gleichzeitig eine anhaltende, wahre und tiefe Empörung gegenüber all den unendlichen Betrügereien der kapitalistischen Warenwelt zu erzeugen wie auch die völlige Abwesenheit eines Mittels oder auch nur schon der Absicht, daran irgend etwas zu verändern. Die Konsumentenschutz-Empörung ist immens, quasi umfassend, sozusagen universal; gleichzeitig ist sie hundertprozentig passiv. Das entspricht auf der anderen Seite wiederum dem herrschenden Humor: Es wird gelacht, was das Zeugs hält, aber von Witz ist eigentlich weiter nichts zu sehen, außer man hielte Dirk Bach und seine Kolleginnen und Kollegen per se für einen Witz, wovon ich abraten möchte.

Ich bin wahrscheinlich auf der ganzen Erde der einzige Mensch, der die Warenwelt nicht für einen Beschiss und auch nicht für einen Witz, sondern bloß für lächerlich hält. Am behämmertsten ist sie wahrscheinlich dort, wo Mode und Marken im Spiel sind, und hier ist mein liebstes Beispiel Dolce und Gabbana. Ich glaube, es gibt unterdessen einen florierenden Berufsstand mit Spezialisten, welche tätowierte Arschgeweihe vom Hintern entfernen; aber für die Entfernung von Dolce-und-Gabbana-Accessoires vom Kopf braucht es einen massiv invasiven Eingriff ins Hirn unter Vollnarkose, und nicht mal dann sind die Erfolgs- und Heilungschancen garantiert. Aber auch im elementaren Bereich ist das Konsumspiel doch nur irre. Wenn man ein kleines Budget hat, geht man bei Aldi einkaufen oder bei Lidl, das geht in Ordnung. Aber dass ich genau die gleichen Produkte von der exakt gleichen Qualität in einem Schuppen nebenan zum Vierfachen des Preises dort kaufen kann, das ist einfach absurd. Wie es die Menschen schaffen, unter solchen Bedingungen so etwas wie ein Konsumentenbewusstsein zu entwickeln und im Ernst auf ihre Rechte als Privateinkäufer zu pochen, die sie gleichzeitig nie einlösen werden, wie sie damit eine ganze Industrie an Konsumentenschutzpublikationen, an Warentests, TV-Sendungen und Werbeoffensiven begründen und am Leben halten – das ist wirklich ein Schauspiel, das seinesgleichen sucht und nicht in die klassischen Kategorien von Tragödie oder Komödie passt.

Nein, geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, in dieser unserer Welt und insonderheit in der Warenwelt ist Ernst nicht die richtige Grundhaltung. Es wäre schön, wenn in einer nicht allzu fernen Zukunft die Menschen scharenweise in die Kaufhäuser strömen würden und sich dort vor den Produkteregalen ganz einfach einem erfrischten Gelächter hingeben würden, aber bis wir soweit sind, müssen wir noch eine ordentliche Strecke auf dem Weg der Emanzipation zurücklegen. Vorderhand empfehle ich als korrekte Einkaufshaltung ein leicht indigniertes Nasenrümpfen. Den Gütern des täglichen Verbrauchs sollte man aber vor allem nicht mit dem Impetus eines Kriminalpolizisten entgegen treten: Ha!, hab ich dich, du Schweinehund, da hinten im Apfelregal liegt in der obersten Reihe ein Exemplar, das aussieht, als würde es in den nächsten Tagen zu faulen beginnen! – Nein, davon ist abzuraten. Kauft ein, was ihr wollt, und kocht, was ihr müsst, aber nicht im Bewusstsein einer fiktiven Warengerechtigkeit. Die Güter, die uns in den Regalen entgegen treten bzw. auf uns harren, sind das Ergebnis eines Zusammenspiels von Millionen einzelner Prozesse und unter der Kontrolle des Total Quality Management, mindestens zum Teil; zunehmend kommen auch biologische, ökologische und sogar soziale Zertifizierungen dazu, was selbstverständlich nur zu begrüßen ist und vielleicht auch ein positiver Nebeneffekt ebendieses Konsumentenbewusstseins ist, obwohl ich daran nicht so recht glaube, weil nämlich dieses Konsumentenbewusstsein einfach unendlich lange gebraucht hat, bis es nur schon so eine Marke wie Max Havelaar endlich als einigermaßen anerkannten Standard hingenommen hat.

Und gleich wie mit der Warenwelt verhält es sich auch mit den politischen Prozessen; auch hier rate ich von einem Konsumentenschutzbewusstsein dringend ab und verweise auf die leichte Indignation mit zugehörigem Nasen- und gegebenenfalls Stirnrümpfen. Aber gleichzeitig möchte ich nicht von einer kritischen Betrachtungsweise abhalten; bloß sollte sie nicht vom konsumentenschützerischen Furor geprägt sein. In der Warenwelt wären heute doch längst andere Kriterien maßgebend, zum Beispiel für umweltbewusste Menschen die Energie, welche für die Produktion aufgewendet wurde, für sozial bewusste Menschen die Angabe der Mindestlöhne an den jeweiligen Produktionsstandorten oder aber für das bessere Verständnis eben der Warenwelt insgesamt ein Katalog all der Komponenten, welche für die Herstellung verwendet wurden, wobei ich vorsichtshalber einmal davon ausgehe, dass heute keine einzige vernünftige Maschine mehr ohne Bestandteile aus Nordkorea mehr auskommt. Solche Informationen oder Indikatoren wären doch ziemlich lehrreich und würden den Blick darauf schärfen, welches Ausmaß die Globalisierung heute bereits angenommen hat. Aber dafür haben sie dann wieder kein Geld, diese profitsüchtigen Metro-Manager.

Wie gesagt: Heute wird zwar allgemein und grundsätzlich und immer gelacht, aber nur bis dort, wo man keinen Spaß mehr versteht, eben im Konsum, wo die Menschen völlig verkrampft ihre Rechte einfordern, die im Prinzip halt nirgends geschrieben stehen, wenn man mal von der Produktehaftpflicht absieht. Aber so etwas wie lachende Konsumenten sieht man bei uns nicht. Die durchschnittliche Einwohnerin befindet sich im Gegenteil im Kaufhaus wie in einer Art Existenzkampf, im Dauereinsatz gegen Armut und für Gerechtigkeit, während sich die Einkaufstüte füllt mit den Erzeugnissen der globalen Arbeitsteilung. Das halte ich für eine ungesunde Einstellung.