Buchmesse - welche Jugendbücher gibt es zu entdecken?

ID 37004
 
Bericht von meinem Tag auf der Frankfurter Buchmesse. Schwerpunkt zu Jugendbüchern, in vielen O-Tönen werden verschiedene Bücher vorgestellt.
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Upload vom 02.11.2010 / 19:39

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur, Jugend, Kinder
Entstehung

AutorInnen: Arvina
Radio: ara-LU, Luxemburg im www
Produktionsdatum: 02.11.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
„Was? Du fährst zur Frankfurter Buchmesse? Wow, da wollt ich auch schon lange mal
hin!“ - das bekam ich zu hören, wenn ich erzählte, dass ich zur Buchmesse nach Frankfurt
fahren werde. Ich hatte spontan die Möglichkeit bekommen, dorthin zu fahren und
natürlich nicht „nein“ gesagt. Aber was mich bei der weltweit größten Buchmesse genau
erwarten würde, wusste ich ehrlich gesagt nicht so genau. Ich war noch nicht auf vielen
Messen gewesen, aber von der Frankfurter Buchmesse hatte ich dennoch schon öfter
etwas gehört.
Noch etwas müde, aber sehr gespannt stieg ich also an einem frühen Donnerstagmorgen
in den Bus mit dem es nach Frankfurt ging. Nach ein paar Stunden Fahrt fuhren wir aufs
Messegelände. Inzwischen war ich auch etwas schlauer, denn im Gespräch mit meiner
Mitfahrerin hatte ich einiges von der Buchmesse erfahren. Und als ich dann die erste
Messehalle betrat, beschlich mich eine Befürchtung: Ich würde nie und nimmer alles
sehen können, was ich sehen wollte!
Die Buchmesse war aufgeteilt auf 6 Messehallen. Jede war einem bestimmten Bereich
gewidmet: Film und Medien, Kinder- und Jugendliteratur, Internationale Literatur,
Wissenschaft, Comics, … und viele mehr. Die ersten Stunden verbrachte ich in Halle 3 bei
den Kinder- und Jugendbüchern. Ravensburger, Oettinger Verlag, … an großen Ständen
und in Pavillions stellten die großen Verläge ihre Bücher aus. Aber auch viele kleine
Verläge gab es an den Ständen zu entdecken.
Beim Oettinger Verlag bleibe ich vor einem Regal stehen in dem nur ein einziges Buch
steht und das ungefähr 20 Mal. Das Cover zeigt ein Mädchen mit kinnlangen braunen
Haaren. Sie trägt ein rotes T-Shirt und eine blau-rot gestreifte Kravatte. Daneben steht in
gold-gelber Schnörkelschrift „Oksa Pollok“. Ich schlage das Buch auf und blicke auf leere
Seiten, ich blättere um und auch die nächsten Seiten sind leer. Das ganze Buch ist leer!
Was ist da los? Diese Frage stelle ich Karina Mathern vom Oettinger Verlag.
O-TON: Ja, wir wollen es natürlich noch ein ganz bisschen spannend machen bis zum 3.
März.
Die deutsche Übersetzung von Oksa Pollok erscheint nämlich erst im März 2011. Das
Buch wurde von Anne Plichota und Cendrine Wolf geschrieben und erschien im Original
auf Französisch. Karina Mathern war Lektorin von Oksa Pollok. Das heißt, sie hat das
französische Buch gelesen und da es ihr gut gefallen hat, soll es nun auch im Oettinger
Verlag erscheinen. Sie erzählt, um was es in dem Buch geht:
O-TON: Bei „O. P.“ geht es darum, dass die 13jährige Oksa feststellt, dass sie magische
Kräfte hat und muss damit erstmal zurecht kommen und das schlucken und verdauen.
Und weiß dann, dass es ihre Aufgabe sein wird, den Zugang zu einem verlorenen Land
wiederzufinden. Und Oksa ist einfach eine unglaublich tolle Heldin mit vielen Fehlern, aber
trotzdem ganz liebenswert und die sich dem Ganzen auf ne ganz wunderbare Weise stellt
und deswegen packt es einen auch sofort von der ersten Seite an. Der Titel ist auch in
Frankreich ein riesen Erfolg gewesen, es gibt da ne riesige Gruppe von Fans, die sich
„Pollok-Mania“ sogar nennen und die sich jetzt auch schon darauf freuen, dass die
deutschen Leser das jetzt lesen können.
Den Fans ist auch ein großer Teil des Erfolges zu verdanken. Die beiden Autorinnen aus
Straßburg veröffentlichten das Buch 2007. Sie fanden aber keinen Verlag für Oksa Pollok.
Trotzdem wurde das Buch schnell bekannt, über Mund-zu-Mund-Propaganda und
Internetblogs. Die ersten 14.000 Exemplare wurden direkt bei den Autorinnen bestellt.
Dass sich kein Verlag fand, machte die Fans so wütend, dass sie Briefe an Buchverläge
schrieben mit der Forderung, Oksa Pollok zu drucken. Nachdem der Brief in einer
französischen Zeitung erschien, entschied sich einer Pariser Verlag das Buch zu drucken.
Gleich nachdem das Buch dort erschienen war, gehörte es zu den meistverkauften
Büchern Frankreichs. Viele sagen schon Oksa Pollok sei die neue Harry Potter und so
sieht es auch Karina Mathern, als ich sie frage, für welches Alter das Buch gedacht ist:
O-TON: Also es richtet sich an Jugendliche ab 12. Ich bin aber auch ganz sicher, dass
auch Erwachsene an dem Text Spaß haben werden. Also es ist in dem Sinne ein bisschen
wir Harry Potter, weil es wirklich eine Geschichte ist, die alle anspricht. Also dem Charme
dieser Heldin wird man sich wahrscheinlich gar nicht entziehen können.
Oksa Pollok erscheint in Deutschland am 3. März im Verlag Oetinger.
In diesem Verlag sind auch die Bücher von Cornelia Funke erschienen. Sie gehört zu den
beliebtesten deutschen Schriftstellerinnen und schreibt viele Fantasieromane wie zb. die
Tintenherz-Triologie. Dass ihre Fantasieromane sowohl Jugendliche als auch Erwachsene
begeistern, erklärt sie sich so:
O-TON: „Ich bin einfach ein klassischer Geschichtenerzähler und ich denk mir, als wir
noch alle auf'm Marktplatz gesessen haben, da hat man auch nicht unterschieden
zwischen Kindern und Erwachsenen, die einem zuhörten.“
Am Stand vom Chicken House Verlag wird mir das Buch „Numbers – den Tod im Blick“
empfohlen. Auch diese Geschichte spielt in unserer Welt und doch ist die Realität der
Hauptperson nicht so, wie wir sie kennen. Es ist ein Roman von Rachel Ward, einer
britischen Autorin. Er richtet sich an Jugendliche ab 14 Jahren. Dass das Buch aber auch
Erwachsenen gefallen kann, davon ist Anja Kemmerzell überzeugt. Sie arbeitet beim
Chicken House Verlag und erzählt mir, wovon das Buch handelt:
O-TON: Es geht um Jam. Jam hat ne besondere Gabe, wenn sie in fremde Augen schaut,
sieht sie das Todesdatum ihres Gegenübers. Und das ist im Prinzip mehr Fluch als Gabe.
Das kann, diese Fähigkeit besitzt sich schon ihr ganzes Leben lang und die lässt sie zur
absoluten Außenseiterin werden, weil sie es nicht ertragen kann, andere Menschen
anzuschauen, weil sie da einfach permanet mit Tod konfrontiert wird. Das heißt sie sucht
sich dann immer einsame Orte, wo sie sich allein so ein bisschen rumdrücken kann, sie ist
ein bisschen underdark. Und da begegnet ihr Spinne, das ist ein Typ aus ihrer Klasse. Der
ist lang, spiddelig und stinkt unglaublich und hat nur noch drei Monate zu leben. Aber
irgendwie verbindet die beiden was und sie fangen an, sich ein bisschen anzufreunden
und Spinne bringt Jam sogar dazu, zum London Eye zu gehen. Das ist so ne Art
Jahrmarkt, ein Riesenrad. Und als sie sich anstellen wollen, um ein Ticket zu kaufen, sieht
sie alle Leute in der Schlange haben das heutige Datum. Und sie weiß, da wird irgendwas
Schreckliches passieren und sie weiß, sie müssen schnell weg, weil irgendwas gleich
passieren wird. Und tatsächlich gibts auch zu ne Explosion. Und das ist der Moment, in
dem die beiden gejagt werden, von der Polizei, von den Medien, von den Menschen. Und
das ist der Moment, in dem es zu einer absoluten Flucht und dramatischen Geschichte
wird. Und das Ende werd ich natürlich nicht verraten. Weil Spinnes Todesdatum näher und
näher rückt und sie auch ihn gerne retten möchte und versucht herauszufinden, ob sie das
Schicksal beeinflussen kann. Das ist ne Geschichte, die absolut unter die Haut geht, die
spannend ist, die ne philosophische Tiefe hat, weil sie sich damit auseinandersetzt: Ist
Schicksal vorherbestimmt oder hab ich ne Möglichkeit einzugreifen? Ne Geschichte, die
keinen in Ruhe lässt.
Numbers – den Tod im Blick von Rachel Ward. Erschienen im Jahr 2009. Dieses Jahr im
Sommer erschien ein Fortsetzungsroman mit dem Titel „numbers – the chaos“, bisher
allerdings nur auf Englisch.

Ich komme zum Stand vom Gabriel Verlag. Im Regal entdecke ich ein Buch mit rotem
Cover, darauf steht in weißen Buchstaben „mutige Menschen“ und eine Grafik deutet ein
zerbrochenes Hakenkreuz an. Ich frage Kathrin Rau, die am Stand informiert, worum es in
dem Buch geht.
O-TON: In mutige Menschen hat Herr Nürnberger, der Autor, 12 Menschen portraitiert, die
im Dritten Reich Widerstand geleistet haben. Er hat Personen aus ganz unterschiedlichen
Bereichen genommen, kirchlicher Widerstand, aber auch militärischer Widerstand,
Staufenberg z.B. Dann sind auch Leute wie die Irena Sandler z.B. dabei, die in Polen
Juden geholfen hat, versteckt hat. Ja, es ist ein sehr breiter Querschnitt.
Im Regal steht auch eine Version für Schulen. Handelt es sich bei „Mutige Menschen“ um
ein Buch, das speziell für den Schulunterricht gedacht ist?
O-TON: Nicht jetzt speziell gedacht, aber es eignet sich einfach sehr gut. Weil man das
stückweise, es sind ja einzelne Portraits und dann kann man mal das eine Portrait lesen
und mal das andere. Ja, deswegen haben wir uns entschieden, dann auch noch ne
Schulausgabe anzubieten, weil wir einfach gehört haben, dass es gern im Unterricht
eingesetzt wird.
Das Buch „Mutige Menschen“ von Christian Nürnberger eignet sich für Jugendliche ab 13
und ist im Gabriel Verlag, der zum Thienemann Verlag gehört, erschienen.
Der letzte Stand mit Jugendbüchern, an dem ich mich umschaue, ist der des
Ravensburger Verlag. Ich frage Johanna Just, Pressesprecherin des Verlages, welche
Bücher sie mir empfehlen kann. Sie erzählt mir von dem Roman „Die Lügen, die wir
erzählten“ von Judy Blundell:
O-TON: Es geht um ein junges Mädchen, das erwachsen wird. So kann man das mal
ganz kurz umschreiben. Es spielt 1949 in den USA. Es fängt an mit einem Mädchen und
es hört auf mit einer jungen Frau. Und das ist alles die gleiche Person. Es geht auch sehr
viel um Schuld, um ein Verbrechen, um die Auseinandersetzung mit der Mutter dieses
Mädchens. Und einfach eine ganz unglaublich toll, athmosphärisch geschriebene
Geschichte.
Ich frage sie, ob es wohl vor allem eine Geschichte für Mädchen und Frauen ist.
O-TON: Ja, würd ich schon sagen. Wobei die Jungs, denke ich, wenn sie Lust an tollen
literarischen Texten haben, das auch sehr mit Genuss lesen können. Es ist
hochliterarisch. Es ist auch wie gesagt ein Thriller, es geht um einen Mord, der aufgeklärt
werden muss. Es spielt halt eben in New York und Florida. Man kriegt ein unglaublich
tolles athmosphärisches Bild dieser Zeit, also der Nachkriegszeit in den USA. Und einfach
– man kann nicht mehr aufhören. Also es ist ein großartiges Buch!
Der Roman erschien 2008 mit dem Titel „what I saw and how I lied“, er wurde von Miriam
Pressler ins Deutsche übersetzt.
Frau Just stellt mir noch einen beliebten Fantasy-Roman vor:
O-TON: Ein ganz toller, spannender Roman für Jugendliche ist Gone von M.B. das ist ein,
ja, Fantasieroman. Bisschen apokalyptisch. Es geht darum, dass die Kinder eines Tages
aufwachen, es ist eine große Katastrophe passiert und alle Eltern, alle Erwachsenen sind
weg. Das ist für manche vielleicht keine Katastrophe. Aber es geht halt jetzt los, es gibt
einen wahnsinnigen Überlebenskampf, Verdrängungskampf, um ja das beste Überleben.
Es gibt Gangs die gegeneinander kämpfen und jeder muss gucken, wo er bleibt und das
ist für die Jugendlichen halt eine wahnsinne Herausforderung.
Angelegt ist „Gone“ auf vier Bände, bisher sind die ersten zwei erschienen, „verloren“ und
„Hunger“.
Mit fällt auf, dass es oft Fantasy-Geschichen sind, die die Leserinnen und Leser
ansprechen. Viele Menschen tauchen gern in eine andere Welt an, lesen von Menschen
mit außergewöhnlichen Gaben oder Fabelwesen oder reisen in eine andere Zeit. Die
Geschichten begeistern sowohl alte und als auch junge Menschen.
Cornelia Funke gab auf der Buchmesse ein Interview. Dort wurde sie gefragt, ob dieser
Fantasie-Trend dazu dient, sich abzulenken und vor anderen Problemen, die die Welt hat,
zu flüchten.
O-TON: „Es gibt Statistiken, dass Leute, die Fantasy lesen, wesentlich politisch aktiver
sind als Leute, die das nicht tun. Das heißt, das allgemeine Argument des Eskarpismus ist
inzwischen wirklich sehr überholt. Es gibt auch dieses wunderbare Zitat von Tolkin, der
gesagt hat: „Wer hat denn etwas gegen die Flucht außer dem Gefängniswärter?“. Das
heißt, ich glaube fantastisches Erzählen ist nötig, damit wir unsere Realität als das
Seltsame, Bizarre und Fremde sehen, das sie ist, sie in Frage zu stellen und vielleicht
auch zu verändern.“
Inspiriert von den vielen Büchern, in denen ich gestöbert habe, laufe ich weiter durch die
Messehallen, um nun auch noch andere Themenbereiche, Bücher und Verläge zu
entdecken. Etwas bizarr und fremd kommt mir mein Umfeld gerade allerdings schon vor.
Heute ist die Messe nämlich nur für Fachpublikum geöffnet, das heißt um mich tummeln
sich lauter Menschen von Verlägen, Betrieben und der Presse, außerdem Illustratoren
und Schriftstellerinnen, die für ihre Arbeit werben. Es werden Hände geschüttelt,
Visitenkarten in die Hände gedrückt und Meetings abgehalten. Auch wenn dies nicht so
ganz meine Welt ist, kann ich doch noch einiges Interessantes entdecken.
Als es Zeit für die Rückfahrt des Busses ist, stelle ich fest, dass ich bei Weitem nicht alles
gesehen habe, was ich sehen wollte und doch zufrieden bin: Ich habe viel Neues entdeckt
und mehr hätte ich auch nicht aufnehmen können, so voll bin ich von Eindrücken.