Rio +20 oder eher Rio -20? Für die Frauen ist das Abschlussdokument eine Entäuschung.

ID 49363
 
Cai Yiping von der Frauenentwicklungsinitiative DAWN und Rosa Koian von der Bismarck Ramu Gruppe in Papua Neu Guinea kommentieren der Rio +20 Umweltgipfel und nehmen das Abschlussdokumtn "die Zukunft, die wir wollen" kritisch unter die Lupe. Welche Fort- und Rückschritte gibt es für die Frauen. Sie nahmen beide in der Frauen Major Gruppe am Gipfel teil.
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17:48 min, 16 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 29.06.2012 / 11:56

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Frauen/Lesben, Umwelt, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Bianca Migliorette, Radio LoRa und AMARC
Radio: LoRaZH, Zürich im www
Produktionsdatum: 29.06.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Manuskript: Interview 23.6.2012 mit Yiping und Rosa zu Rio +20

Musik

O-Ton

Am Freitag den 22. Juni ging der Umweltgipfel Rio +20 in Brasilen zu Ende.
Für viele Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, war das Papier mit dem Titel "Die Zukunft, die wir wollen" eher eine Enttäuschung oder wie Cai Yiping von der Frauenalternative für eine neue Ära Dawn es ausdrückt "Rio +20 war eher Rio -20."

O-Ton

"Die Demokratie starb in Rio" oder wie Rosa Koian von der Bismarck Ramu Gruppe aus Papua Neu Guinea es sagte "es besteht die Gefahr, dass viele Menschen, über deren Zukunft hier entschieden wird, nicht mitsprechen können."

Ich führte ein Interview mit Cai Yiping und Rosa Koian mit einer Einschätzung den Rio-Umweltgipfels aus Frauensicht und das 53-seitige Abschlussdokument.
Cai Yiping und Rosa Koian nahmen beide in der Frauen Koalition, die Frauen Major Gruppe aktiv am Gipfel in Rio +20 teil.

Als erstes bat ich Sie uns einen Eindruck der Konferenz zu geben. Rosa meinte :


O-Ton

Rosa : Das People's Forum oder Forum der Zivilgesellschaft befand sich 3 Stunden vom offiziellen UNO-Treffen entfernt, das sagt schon einiges über die Architektur des ganzen Umweltgipfels.
Die meisten Punkte, der Zivilgesellschaft, wurden weggelassen. Auch wenn am Gipfel sehr viel diskutiert wurde, hätte dieser Gipfel viel mehr bewirken können.

Yiping war schon zwei Wochen vor dem Gipfel in Rio de Janeiro und hat den ganzen Prozess vor Rio verfolgt :

O-Ton

Yiping : Der Gipfel selbst war nur während drei Tagen aber der ganze Prozess von Rio +20 begann schon viel früher. Nichtregierungsorganisation und die Zivilgesellschaft versuchten sich von Anfang an einzumischen. Der erste Entwurf des Dokuments "Die Zukunft, die wir wollen" kam bereits im Januar 2012 heraus. Darauf folgten mehrere Runden von Diskussionen und Verhandlungen. Dieser Prozess umfasste heisse Debatten.
Hier in Rio gingen die intensiven Diskussionen und Verhandlungen weiter. Es ging unheimlich schnell. Jeden Tag lag ein überarbeiteter Entwurf mit neuen Inhalten vor und als Zivilgesellschaft mussten wir jeden Tag dazu Stellung nehmen.
Der ganze Prozess war eine riesige Herausforderung und es war sehr enttäuschend, dass einige Punkte, die uns sehr wichtig sind, nicht im Enddokument enthalten sind.


Bm : Die Zivilgesellschaft konnte in sogenannten Major Gruppen am offiziellen Gipfel teilnehmen, wie die Major Gruppe der Frauen, der Gewerkschaften, der Indigenen Bevölkerungen, der Jugend etc.
Yiping erklärt wie die Zusammenarbeit mit zwischen den Major Gruppen und den offiziellen Ländervertretungen am Gipfel lief.

O-Ton

Yiping : Ehrlich gesagt, an dieser UNO-Konferenz in Rio zu nachhaltiger Entwicklung wurde zum ersten Mal eine wirkliche Teilnahme der Zivilgesellschaft ermöglicht. Das ist ein Punkt ,den wir loben sollten. Denn dies war bei anderen UNO-Konferenzen überhaupt nicht der Fall.
Das war also gut.

Aber auf der anderen Seite, hat die Struktur der Major Gruppen auch seine Grenzen, bei den Frauen gab es z.B. Mehr als 200 Organisationen mit unterschiedlichen Prioritäten, Strategien und Fachwissen und vor allem unterschiedlichen Erwartungen. Es ist also äusserst schwierig eine so grosse Vielfalt zu koordinieren und unter einen Hut zu bringen.

Viele Themen der Frauen Major Gruppe wurden auch von anderen Major Gruppen aufgegriffen. Z.B. Die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen wurden auch in der NGO Major Gruppe, der Jugendgruppe und der Indigenen Gruppe thematisiert. Wir haben also auch viel Solidarität unter den verschiedenen Major Gruppen der Zivilgesellschaft erlebt.

Bm :Vergleichen wir das Enddokument "die Zukunft, die wir wollen" mit der Rio-Deklaration von 1992, vor 20 Jahren, welche Fortschritte oder Rückschritte gab es für die Frauen ?

O-Ton

Cai Yiping sagt, Das Enddokument ist eine Enttäuschung, denn viele wichtige Punkte der Frauen Major Gruppe wurden nicht aufgenommen, wie z.B. Die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen und der direkte Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung. Auch im Punkt über die Green Economy oder Grüne Wirtschaft wurde die unbezahlte Reproduktions- und Pflegearbeit, die auf den Schultern der Frauen lastet, mit keinem Wort erwähnt.

In anderen Teilen des Dokuments wurden aber auch progressivere Töne angeschlagen. Zum Beispiel der Teil über die Meerre, der neu aufgenommen wurde.
Es gelang uns auch viele guten Punkte des alten Dokuments zu bewahren.

Aber generell muss ich sagen, das Dokument "Die Zukunft, die wir wollen" ist eine grosse Enttäuschung. Deshalb nennen einige Leute diesen Gipfel statt Rio +20, Rio -20.
Wir haben so stark dafür gekämpft, das zu retten, wofür wir vor 20 Jahren gekämpft haben, Im Wissen, dass diese viel zu wenig ist für eine Nachhaltige Zukunft.

Bm : Die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen umfassen im Wesentlichen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper, darüber zu entscheiden wann und wie viel Kinder sie haben wollen und das Recht auf medizinische Versorgung bei Schwangerschaft und Geburt.
Ich wollte von Yiping wissen, warum gerade die Reproduktiven Rechte der Frauen im Zusammenhang mit Umwelt und nachhaltiger Entwicklung so wichtig sind?

O-Ton

Yiping : Die sexuellen und reproduktiven Rechte sind Teil des Kapitels über Gesundheit und Gesundheit ist ein Menschenrecht. In der Diskussion über die Gesundheit wurden die reproduktiven Rechte der Frauen einfach ausgeklammert.
Besonders besorgniserregend sind die Einwände einiger kleiner aber sehr lauter Staaten. Wie der Vatikan, die versuchen sexuellen und r eproduktive Rechte von nachhaltige Entwicklung abzuspalten.

Wie können Frauen ihre anderen Rechte, wie die ökonomischen Rechte, das Recht auf Bildung etc. wahrnehmen, wenn sie nicht gesund sind. Für mich ist es wirklich absolut unlogisch, die Reproduktiven Rechte der Frauen vom Recht auf Gesundheit zu trennen und damit auch von nachhaltiger Entwicklung.
Deshalb hat die Frauen Major Gruppe eine Schweigedemonstration durchgeführt mit der Forderung Reproduktive Rechte für nachhaltige Entwicklung auf Plakaten.

Bm : Ein anderes heiss debattiertes Thema ist die sog. Grüne Wirtschaft. Einige preisen sie als die Lösung, andere als die Bedrohung, weil ihr die altbekannte kapitalistische Gier innewohne.
Rosa Koian aus Papua Neu Guinea erklärt, was sie von der grünen Wirtschaft hält ?

Rosa : Für mich ist die grüne Wirtschaft vielmehr ein grün waschen der Entwicklung, die sie wollen. Wenn die sog. Grüne Wirtschaft Gewalt hervorruft und zu Blutvergiessen führt, was ist grün an dieser Wirtschaft ?
Wir wollen eine Wirtschaft, die frei ist von Unterdrückung und Gewalt. Einem Wirtschaftsmodell eine Farbe zu geben, verändert die Situation nicht, es nimmt höchstens die Schuldgefühle, derer die ihre Geschäfte auf Kosten anderer verfolgen.
Im Dokument hat die grüne Wirtschaft eher die Auswirkung, die Verantwortlichen für Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen und all die anderen Misshandlungen von ihrer Verantwortung frei zu sprechen.

O-Ton

Ich komme aus Papua Neu Guinea, wo die Landvertreibung ein riesiges Problem ist. Wie können wir von nachhaltiger Entwicklung sprechen, wenn ganze Bevölkerungen von ihrem Land vertrieben und in Armut getrieben werden. Das ist eine kranke Wirtschaft, die wirtschaftliche Entwicklung ohne soziale und Umweltentwicklung vorantreibt.

Auch Cai Yiping von der Frauen-Entwicklungsalternative für eine neue Ära warnt vor der grünen Wirtschaft.

O-Ton

Das Konzept der grünen Wirtschaft ist eine Initiative der Länder des Nordens, die von der EU und die OECD-Ländern als ein Ausweg aus der momentanen Krise vorangetrieben wird.
Es besteht keine Einigkeit darüber zwischen dem Norden und dem Süden, was unter grüner Wirtschaft verstanden wird. Ist es ein Instrument, eine Ansatz oder ein Ziel ? Es gibt keine klare Definition der Grünen Wirtschaft, die im Dokument erwähnt wird. Deshalb gibt es viel Verwirrung und Misstrauen. Von Anfang an war der Begriff grüne Wirtschaft sehr umstritten zwischen dem Norden und dem Süden.
Es wird uns vorgegaukelt, dass die grüne Wirtschaft eine Alternative zum herrschenden Wirtschaftssystem sei. Dem ist aber nicht so, denn die Grüne Wirtschaft stellt das Streben nach ständigen Wirtschaftswachstums nicht in Frage.

Yiping warnt aber auch von einer anderen sehr besorgniserregenden Entwicklung, die am Rio +20 Gipfel beobachtet werden konnte, und die Hand in Hand mit der grünen Wirtschaft einher geht.

O-Ton

Yiping : Ein anderer sehr besorgniserregender neuer Aspekt in diesem Dokument ist der Schutz der Privatindustrie, der einher geht mit der grünen Wirtschaft. Überall wird die Rolle des privaten Sektors bei der Entwicklung hervorgehoben. Zum ersten Mal hat die UNO in einem Dokument der Privatindustrie so viel Bedeutung beigemessen.
In ihrer Rede am 22. Juni widmete Hillary Clinton, die Staatssekretärin der USA, einen Drittel ihrer Redezeit der positiven Rolle die die Privatindustrie in der Entwicklung spiele. Das zeigte auf, wie die grüne Wirtschaft Hand in Hand mit dem privaten Sektor in ein UNO-Dokument eingeführt wird.
Das machte viele Leute sehr misstrauisch gegenüber der grünen Wirtschaft und wer schlussendlich davon profitieren wird.

Bm : Die konkrete Umsetzung vieler Punkte im verabschiedeten Dokument müssen erst noch in New York an der UNO genauer verhandelt werden. Ich wollte von Yiping und Rosa wissen welche Strategie haben die Frauenorganisationen, damit sie die Reglementierung der Umsetzung des Papiers "die Zukunft, die wir wollen" beeinflussen können ?

O-Ton

Yiping meint, vieles wurde nicht klar definiert und wird im post Rio +20 Prozess verhandelt. Für die Gruppen der Zivilgesellschaft, die sich weiterhin am Prozess beteiligen, besteht eine der Strategien darin, darauf zu bestehen, dass der Rio +20 Prozess offen bleibt für die Teilnahme der Zivilgesellschaft. So wie es an diesem Gipfel durch die Major Gruppen möglich war. Wir bezweifeln aber, dass diese Struktur der Major Gruppen auch in New York beibehalten wird. Es kann gut sein, dass die Zivilgesellschaft keine Möglichkeit haben wird, an den Verhandlungen teilzunehmen.
Eine Strategie besteht also darin, die Lobbyarbeit und Proteste an der Basis auf nationaler Ebene mit der Lobbyarbeit auf der UNO-Ebene zu verbinden. Damit die Leute, die in New York sind nicht das alleinige Recht beanspruchen können, über unsere Themen zu diskutieren. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir die globale Lobbyarbeit mit den Kämpfen an der Basis auf Gemeinschafts-, nationaler und regionaler Ebene verbinden.

O-Ton

Rosa ergänzte : Welche Zukunft wollen wir ? Wenn die UNO nicht bereit ist, auf allen Gruppen wie die Frauen, NGOs, Bäuerinnen und Bauern zu hören, besteht die Gefahr, dass viele Leute nicht mitbestimmen können.
Wenn wir bessere Resultate vor allem für die Länder des Südens wollen, ist die Art der Zusammenarbeit und Teilnahme sehr wichtig. Sprechen wir zu den betroffenen Leuten oder sprechen wir mit den betroffenen Leuten. Da ist ein wichtiger Unterschied.

O-Ton

Abschliessend meinte Yiping : Viele Leute der Zivilgesellschaft sagten "Demokratie starb in Rio", weil das Schlussdokument nicht wirklich die Interessen der Menschen, sondern die Interessen der Firmen vertritt. Rio war also nur der Anfang einer weiteren Runde des Kampfes damit unsere Stimmen in diesem multilateralen UNO-Verhandlungsprozess gehört werden. Speziell wir Frauen sind uns bewusst, Rio ist nicht das Ende. Die SDGs – die nachhaltigen Entwicklungsziele werden bald in der UNO diskutiert. Die Millennium Entwicklungsziele werden demnächst überprüft. Kairo +20, 20 Jahre nach der Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklung findet demnächst statt.
Es gibt also noch viele verschiedene Schlachten an der Frauenfront zu führen. Insbesondere was das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper betrifft. Der Krieg geht weiter.

Bm : Herzlichen Dank.

Das war ein Interview von Bianca Miglioretto von AMARC und Radio LoRa mit Cai Yiping von der Frauenentwicklungsalternative DAWN und mit Rosa Koian von der Bismarck Ramu Group aus
Papua Neu Guinea, zu Resultaten des Rio +20 Umweltgipfels für die Frauen.
Musik







Kommentare
01.07.2012 / 12:45 timo, Querfunk, Karlsruhe
gesendet
02.07.12
 
02.07.2012 / 12:18 Nicole, Radio LoRa, Zürich
heute im Fraueninfo
Merci!
 
12.07.2012 / 19:59 johannes,
gespielt am 17.07. im Umweltmagazin "Grüner wirds nicht"
Herzlichen Dank!