"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Malta

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Am Sonntag veröffentlichte der Espresso die Ergebnisse einer 3-monatigen Recherchierarbeit des Journalistenteams European Investigative Collaborations, welche sich mit den auf der Mittel­meer­insel Malta domizilierten Unternehmen befasste.
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12:59 min, 30 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 23.05.2017 / 13:41

Dateizugriffe: 2007

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 23.05.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Dem Espresso geht es in erster Linie um die italienischen Politiker, Manager, Industriellen, Financiers, aber auch Leute aus der Unter­hal­tungs­industrie sowie um Personen mit Verbindungen zur Mafia. Nach den Panama-Leaks handelt es sich um einen weiteren Coup eines investigativen Journalistennetzwerks, diesmal aufgrund von öffent­lich zugänglichen Unterlagen. Wir können erneut nur den Hut ziehen vor der Arbeit dieser wahren Kreuzritter der Wahrheit, die auf Malta sowieso am richtigen Ort gelandet sind. Das Bild der Steuer­migranten, wie der Espresso sie nennt, welche ihre Finanzen mehr oder weniger parallel zu den großen und kleinen Schiffen der Welthandelsflotte in ihren jeweiligen Paradiesen, eben Malta oder halt auch Panama oder wo auch immer registrieren lassen, um Gewinne auf legale Art und Weise an den lokalen Behörden vorbei zu leiten, bestimmt unsere Wahrnehmung ja nicht erst seit gestern, vielmehr ist es schon längstens ein zentraler Bestandteil der allgemeinen Weltanschauung geworden, mindestens bei jenen Menschen, welche ihre Informationen nicht aus Verschwö­rungs­theorien oder direkt von Fox News und Russia Today beziehen.

Die Malta Files enthalten Informationen über eine gute halbe Million Personen aus gut 60 Ländern, und der Espresso streicht mit einer besonderen Sorte von Stolz hervor, dass Italien dabei die weitaus grösste Delegation stellt. Rund 8000 auf Malta registrierte Unternehmen befinden sich im Besitz von italienischen Aktionären, und der tatsächliche Unternehmenszweck ist häufig allein jener, die Steuern zu minimieren. So sinkt hier die Unternehmensgewinnsteuer bei Erfüllung einfachster Auf­lagen von 35% auf 5%, und verschiedene Einnahmenquellen wie Darlehenszinsen oder Lizenz­ge­büh­ren sind gänzlich von Steuern befreit, und so weiter und so fort. Gleichzeitig figuriert Malta weder bei der EU oder bei der OECD auf der schwarzen Liste jener Steuerparadiese, welche den anderen Staaten mit Tricks Steuersubstrat entziehen, die dem Geist des internationalen Zusam­men­lebens widersprechen; die Insel verfügt also über einen Omo-, Ariel- und Persilschein. Dem­ent­sprechend nimmt die Zahl der im Handelsregister von La Valletta eingetragenen Firmen jährlich um 4000-5000 Stück zu; Ende 2016 waren es insgesamt über 70 000 Firmen. Trotzdem behauptet die Regierung kühn, Malta sei kein Offshore-Staat. Aber das sagen die Engländer ja von den Kanal­inseln oder ihren Dominion-Staaten in der Karibik ebenfalls, und Luxemburg kann von sich erst Recht behaupten, dass es kein Offshore-Staat sei: Dieses Land liegt nicht nur mitten in Europa, sondern leistet seit Jahren regelmäßig personelle Beiträge zur Führungsspitze der Europäischen Union, gegenwärtig in erster Linie den mit allen Wassern der Finanzweichspülerei gewaschenen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.

Auf 4 Milliarden Euro schätzen die Grünen im Europaparlament in einer im Januar veröffentlichten Studie die Summe, welche den anderen Staaten jährlich durch die Steuermigration nach Malta entzogen wird. Wenn man dies ins Verhältnis setzt, zum Beispiel zum gesamten Steueraufkommen in Deutschland, erscheint der Wert allerdings nicht besonders berückend. Noch wenn man annimmt, dass eine volle Milliarde dem deutschen Fiskus zuzurechnen wäre, würde es sich nur um ein Siebtel Prozent des gesamten Steueraufkommens handeln. Mit solchen Summen macht man keinen Staat, da kann man zum Beispiel man nur etwa 100 Megawatt Windenergieleistung installieren. Es geht also weder in Malta noch in Luxemburg noch auf Guernsey oder in der Schweiz um die absoluten Summen, welche die anderen Staaten wegen der Steuermigration verlieren. Neben der Steuermi­gra­tion gibt es noch weitere legalen Tricks wie jenen von General Electric, den ich kürzlich erwähnt hatte, bei dem vor zwei Jahren ein paar Milliarden steuersparend aus der Schweiz nach Ungarn und von dort nach Holland verlagert wurden, nachdem General Electric die entsprechenden Anlage­wer­te von der französischen Alstom übernommen hatte, während die zu den Anlagewerten gehörenden Arbeitnehmer jetzt auf die Straße gestellt werden. Und es gibt ein echtes Babuschka-Universum, welches auch alle legalen Firmen benutzen mit Schachteln und Puppen in aller Herren Länder, Apple hat mindestens einen Firmensitz in Irland, wo ihr der Staat mit derartigen Vorzugskonditio­nen den Arsch buttert, dass sogar die auf Steueroptimierung geradezu gedrillte Europäische Kom­mis­sion aufgemuckt hat, das will etwas heißen, aber insgesamt benutzen wirklich alle Unternehmen diese Konstrukte, eben auf den Kanalinseln, in der Karibik, in Panama und bequemerweise in der EU selber, während die neutrale Schweiz etwas abgetaucht ist in dieser Beziehung. Das beste Beispiel dafür liefert unser Bundespräsident des Jahres 2016, der Herr Johann Schneider-Ammann, der vor seiner Zeit als Bundesrat für seine Firma ein paar hundert Millionen Franken in Luxemburg und in Jersey vor den Schweizer Steuerbehörden in Sicherheit gebracht hatte und dies inbrünstig verteidigte als eine Maßnahme zur Sicherung von Arbeitsplätzen, als die Geschichte vor drei Jahren ans Licht kam. Mit anderen Worten: Sogar die Schweizer Kapitalisten bringen unterdessen ihre Kohle vor dem Schweizer Fiskus im Ausland in Sicherheit und werden dafür sogar gelobt. Aber tun tun es alle.

Und alle wissen auch, dass man gegen diese Steuerflucht überhaupt nichts ausrichten kann. Dazu bräuchte es ja eine konzertierte Aktion aller Länder. Da aber in allen Ländern die Regierungen nicht ohne oder sogar gegen die jeweiligen Eliten regieren können, Eliten übrigens, welche schon international waren, als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch nicht einmal national zu denken pflegten, werden diese Eliten auf absehbare Zeit hinaus zu verhindern wissen, dass die Gesetzgebung sowie die Instrumente zu ihrer Durchsetzung vereinheitlicht werden, sei es in Europa, sei es global. Die absolute Maximalstrafe für die Steuermigranten besteht darin, in einem Magazin wie dem Espresso enttarnt zu werden – aber Schaden anrichten können diese Berichte nicht, denn wie gesagt: Das Vorgehen ist pumpenlegal, einerseits, weil die betroffenen Eliten die Gesetze selber machen oder machen lassen und anderseits, und das muss uns interessieren, weil die entsprechenden Summen letztlich eben nicht systemrelevant sind.

Das heißt am Beispiel Deutschlands: Eine theoretische globale Vereinheitlichung der Steuer­gesetz­gebung, und zwar auf deutschen Standards, bei vollständig effizienten Werkzeugen würden dem deutschen Staat vielleicht zusätzlich zur hypothetischen Milliarde aus Malta noch fünf, zehn, zwanzig oder, wenns hoch kommt, 50 Milliarden weitere Euro an Staatseinnahmen bringen. Aber die gesamte Finanzlage wird nicht von solchen Steuergeschichten bestimmt. Solche Summen würden auch nicht zur Verbesserung des Haushaltes der notleidenden Kommunen verwendet, falls sie tatsächlich im Finanzamt landen täten. Insgesamt hat Deutschland schlicht und einfach genug Geld, sodass sich die Frage gar nicht stellt, beziehungsweise wenn sich die Frage stellt, so nicht nach der Steuerhinterziehung, sondern nach den Einkommens- und Vermögensungleichheiten. Steuer­hinter­ziehung schafft keine Einkommens- und Vermögensungleichheiten, die entstehen anderswo.

Sogar in Italien, wo nicht die legale Steuerflucht, sondern der Komplex von Korruption und Be­ste­chung praktisch das gesamte Funktionieren des Staates bestimmt, bleibt man nach der Lektüre all der journalistischen Glanzleistungen weitgehend ratlos sitzen. Vor allem die Teams aus der Repub­blica und vom Espresso zeichnen praktisch Tag für Tag irgendwelche Sauereien nach, die an­fäng­lich vor allem im Süden am Tag waren mit der Beseitigung von Giftmüll norditalienischer oder rest­europäischer Firmen auf Schrottkähnen, welche man absaufen ließ und für welche man an­schlie­ßend noch die Versicherungs­summe einstrich, mit dem ganzen Müll-Geschäft, wo für den Abfall und seine Beseitigung immer bezahlt wurde, jedoch nie irgendetwas gebaut, mit astro­no­mi­schen Rechnungen für schlechte Ar­bei­ten zum Beispiel im Autobahnbau. Heute sind Betrügereien und Bestechungsgelder und Günstlings­wirtschaft schon längst über Rom hinaus in den Norden gezogen. Berlusconi hatte schon vor dreißig Jahren einen Mafioso als Stallmeister angestellt; Mailand ist der natürliche Anziehungspunkt für Kapitaldienstleister der legalen und extralegalen Art. Aber auch in den roten Regionen und Städten haben sich die früheren Kommunisten und Sozialisten nicht durchgängig als widerstandsfähig gegen die Korruption erwiesen. Wenn man regelmässig die exzellenten Artikel und Recherchen des Espresso liest, erhält man den Eindruck, dass Italien heute in zwei Sorten von Menschen aufgeteilt ist, in die ehrlichen aller Sorten, also Arbeitnehmende, Handwerker, meinetwegen auch Arbeitslose, Schüler und Studentinnen, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die Intelligenten. Das sind jene, welche in kleinerem oder größerem Ausmaß Anteil haben an der Verteilung von Knete aus kleinen und größeren Aufträgen, vor allem im Staatszusammenhang. Die Vergabe eines Auftrags, die überrissene Rechnung für den Auftrag, die Gewährung einer kleinen Umzonung für ein kleines Grundstück, die Bestellung eines günstigen Beschlusses einer Verwaltungs- oder Regierungs­behör­de auf allen Stufen, all das ernährt unterdessen mindestens einen Drittel der italienischen Bevöl­ke­rung neben den offiziellen und auch versteuerten Einnahmen. Ach ja, die Mehrwertsteuer ist unter­dessen ein Punkt geworden, bei dem in Italien selbst die ehrlichen Dummen regelmäßig schwach werden. Aber das ist schon längere Zeit zum System geworden. Es ist spätestens seit jener Zeit Sys­tem, als Massimo D'Alema die erste Regierung Prodi stürzte. Aber vermutlich war der Dale­mis­mus bei der italienischen Linken schon früher angelegt und kam 1998 erst so richtig zum Ausbruch.

Bei den anderen ist man sich das ja eh schon gewöhnt, und dass sich die Mafia in diesem Land seit hundert Jahren hält und dass sie gedeiht und prosperiert und ihr Geschäftsmodell nach und nach auf das ganze Land ausdehnt und dabei dem modernen Unternehmertum anpasst, also weniger mit Blut als vielmehr mit Verträgen zu arbeiten beginnt, das passt ganz ausgezeichnet zu Italien. Es scheint auch bekömmlich zu sein, denn Italien erhält nach wie vor die Bestnoten für die Lebensqualität. Wer seine Ferien dort verbringt, kann das in der Regel nur bestätigen.

Aber auch hier gilt: Korruption und Steuerhinterziehung in allen Ehren, aber was die Finanzkrise vor zehn Jahren angerichtet hat, stellt die Auswirkungen dieser Elemente nach wie vor in den Schatten, wie man jetzt gerade in Italien anhand der Spätfolgen bei Monte di Paschi, aber auch bei den anderen relevanten Banken sieht, und von der Beteiligung der Deutschen Bank wollen wir überhaupt nicht sprechen – die ist unterdessen in einem Prozess in Mailand von den Klägern als kriminelle Vereinigung eingestuft worden. Ob das Gericht dieser Klassierung stattgibt, steht noch nicht fest beziehungsweise es erscheint mir als eher unwahrscheinlich, aber schon der Antrag hat es in sich.

A propos Finanzkrise: Geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, im Jahr 2017 unserer Zeit können wir festhalten, dass wir die letzten zehn Jahre ohne weiteren Kollaps hinter uns gebracht haben, hipp, hipp, hurra! Zwar sind die Deregulierer überall wieder am Werk, die Regulierungsversprechen wurden praktisch nirgends eingehalten, aber was solls. Ich gehe mal davon aus, dass die Groß­ban­ken selber eher Krebsgeschwüre als Vereinigungen zur Vollbringung eines schönen Selbstmordes sind, und deshalb haben sie die Kontrollmechanismen wohl im eigenen Interesse verbessert, ab­ge­sehen davon, dass sich die Finanzmärkte sehr stark weiter entwickelt haben und die Kapital­al­lo­ka­tion unterdessen völlig neue Wege geht, vielleicht nicht bei den sogenannten Jahrhundert­projekten, aber bei handelsüblichen Projektfinanzierungen eben schon. Damit braucht es nicht mal mehr so schöne Sachen wie die Effizienzmarkttheorie zur Rechtfertigung der idiotischsten Instrumente und Manöver.

Die Steuermigranten dagegen wollen wir trotz der relativen Aussichtslosigkeit des Unterfangens weiterhin denunzieren, dass es eine Pracht ist, und wenn das Resultat auch nur mickrig ist wie zum Beispiel anhand der Publikation des Malta-Artikels des Espresso. Ein paar Tage vor Erscheinen des Heftes trat der toskanische Politiker Enrico Cantone zurück. Er war ins Regionalparlament gewählt worden für die Protestpartei Cinque Stelle, welche unter anderem gegen Betrug und Steuer­hinter­ziehung und solche Sachen wettert. Cantone hatte leider vergessen zu deklarieren, dass er Inhaber von 2 auf Malta domizilierten Unternehmen war. Als ihn der Espresso um eine Stellungnahme zu den Recherchen bat, warf er den Bettel hin. Aber Cantone kann man nicht mal als Bauernopfer bezeichnen. Ein Tropfen in einem Ozean, ein Sandkorn in der Wüste oder was der schönen Bilder mehr sind.