"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Mongolei -
ID 68377
Wovon ich schon immer sprechen wollte: Die Mongolei! Das Land hat trotz der geringen Bevölkerungsdichte auf einem riesigen Staatsterritorium echte Wirtschaftsprobleme; wir erinnern uns an die Berichte über jene Menschen, die in Ulan Baator in den Kanälen hausen, wo die Fernwärmeleitungen durchführen, um den Winter zu überstehen, und zwar in einem Zustand von mehr oder weniger kompletter Bewusstlosigkeit, benebelt von, ich weiß nicht, vielleicht in den Fernwärmeleitungen selber gekochtem Alkohol oder was weiß ich.
Audio
11:59 min, 16 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.01.2015 / 10:50
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Dateizugriffe: 735
Klassifizierung
tipo: Kommentar
idioma: deutsch
áreas de redacción: Politik/Info, Umwelt, Wirtschaft/Soziales
Entstehung
autoras o autores: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
fecha de producción: 19.01.2015
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Ein besonders modernes Land würden wir es nicht zum Vornherein nennen, aber es gehört zum Standard einer jeden Asienreise, dass man in der Mongolei zwei oder drei Nächte in einer Jurte übernachtet und vor dem Zubettgehen vor die Türe tritt, um den sternenklaren Nachthimmel zu bestaunen, das heißt, man versetzt sich in Trance und imitiert jenen Bewusstseinstaumel, der im jeweiligen Reiseführer für diesen Moment angegeben ist. Wie groß ist doch das Weltall, und wie klein sind wir, beziehungsweise korrekter: wie klein bin ich! – Und nach Erledigung dieses Schwachsinns nimmt man noch einen Schluck Jurtensaft und haut sich aufs Ohr.
Nichts gegen die Natur und nichts gegen Naturerlebnisse, bloß sollte man sie nicht unter dem Titel Bewusstseinserweiterung verkaufen, da besorgt ihr euch mal lieber einen LSD-Trip oder lest ein gescheites Buch. Habe ich schon gesagt, dass ich mich gegenwärtig mit einer mittleren Reisegeschwindigkeit von zehn Seiten pro Woche durch das nachgelassene Buch «Der bleiche König» von David Foster Wallace pflüge? Unter anderem beschreibt der Junge seine Bewusstseinserwieterungen rund um die Philosophie der Besteuerung zum einen, der Ausgestaltung des Steuerwesens zum anderen, und man muss dazu noch anfügen, dass David Foster Wallace tatsächlich eine Zeitlang als subalterner – aufgemerkt: subalterner!, also nicht in Führungspositionen, sonst wäre er nämlich später kaum Schriftsteller geworden und hätte sich in einer Scheune an einem Strick aufgehängt – subalterner Beamter also beim US-amerikanischen IRS gearbeitet hat, seine Ein- und Auslassungen zum Thema sind dementsprechend präzise bis in die Haarspitzen und gleichzeitig tausend Mal exotischer als eine touristische Exkursion in die mongolischen Nächte. Beispiel gefällig?
«Wie sich hier noch so mancher erinnern wird, wurde 1977, zu einer Zeit hoher Inflation, hoher Staatsschulden und meiner zweiten Einschreibung an der Universität DePaul, in Illinois ein haushaltstechnisches Experiment angestellt und eine progressive Mehrwertsteuer anstelle einer proportionalen eingeführt. Damals machte ich wahrscheinlich zum ersten Mal die Erfahrung, wie die Einführung einer Steuerrechtsreform das Leben der Menschen faktisch verändern kann. Mehrwertsteuern sind, wie gesagt, normalerweise fast überall Proportionalsteuern. So wie ich es heute verstehe, steckte hinter der versuchten Einführung einer progressiven Mehrwertsteuer der Gedanke, die Steuereinnahmen zu erhöhen, ohne die Armen des Bundesstaates in Bedrängnis zu bringen oder Investoren abzuschrecken, und darüber hinaus bekämpfte man die Inflation, indem man den Verbrauch besteuerte. Man sagte sich, je mehr jemand kaufe, desto mehr Steuern bezahle er, was die Nachfrage senken und die Inflation dämpfen werde. Der geistige Vater der progressiven Mehrwertsteuer war 1977 irgendjemand weit oben im Landesfinanzministerium von Illinois. Wer genau dieser Jemand war und ob er nach dem sich ergebenden Debakel irgendwie in Schwulitäten kam, weiß ich nicht, aber sowohl der Landesfinanzminister als auch der Gouverneur von Illinois mussten wegen des Fiaskos jedenfalls zurücktreten. Egal, wer letztlich die Schuld hatte, steuerpolitisch hatte er einen kapitalen Bock geschossen, der übrigens unschwer zu vermeiden gewesen wäre, wenn sich irgendjemand im Landesfinanzministerium die Mühe gemacht hätte, hinsichtlich der Zweckmäßigkeit dieser Steuerreform mit dem Service (IRS) Rücksprache zu halten. Obwohl innerhalb der Staatsgrenzen von Illinois sowohl das Büro des Steuerkommissars für die Region Mittlerer Westen als auch ein regionale Prüfzentrum lagen, ist es eine verbürgte Tatsache, dass es keine Rücksprache gab. Obwohl die Landesfinanzbehörden für die Durchsetzung des Landessteuerrechts von den Bundessteuererklärungen und der Stammdokumentation im Computersystem des Service abhängig sind, gibt es in den Landesfinanzdirektionen eine Tradition der Autonomie und des Misstrauens gegenüber Bundesbehörden wie dem IRS, die manchmal in entscheidenden Kommunikationsstörungen kulminiert, und das Mehrwertsteuerdesaster 1977 in Illinois ist im Service ein klassischer Fall davon und Thema unzähliger Witze und Anekdoten geworden. Wir praktisch jeder hier in Abteilung 047 denen hätte sagen können, ist es eine Grundregel jeder effizienten Steuerpolitik, sich präsent zu halten, dass der durchschnittliche Steuerzahler immer aus finanziellem Eigennutz handelt. Das ist ein ökonomisches Grundgesetz. Im Steuerwesen wird der Steuerzahler daher alle legalen Mittel anwenden, um seine Steuern zu senken. Das liegt in der Natur des Menschen, in die sich die Verantwortlichen in Illinois entweder nicht hineindenken konnten, oder aber sie ignorierten deren Implikationen für Geschäftsvorgänge, die von der Mehrwertsteuer betroffen waren.» Und so fort; die Auflösung dieses spannenden Falls mit der progressiven Mehrwertsteuer findet sich im besagten Buch auf den Seiten 221 folgende, und publiziert hat den Schunken der Verlag Kiepenheuer und Witsch. Und möchte ich noch anfügen, dass David Foster Wallace in diesem Roman in zwei Beziehungen direkt an Jean Paul Friedrich Richter anknüpft, nämlich erstens mit einer zunächst sehr unliterarischen Thematisierung des richtigen Lebens, wie sie Jean Paul mit dem gewaltigen Buch «Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten Firmian Stanislaus Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel» unternimmt, und zweitens mit der Form der ausschweifenden Anmerkungen oder überhaupt Ausschweifungen, welche sich bei David Foster Wallace beziehungsweise im bleichen König halt als Wesensmerkmale des Steuerrechts ganz von selber ergeben, wo also die Assoziativkraft von Jean Paul plötzlich zum Kern der modernen Organisationsweise und damit auch ihrer Beschreibung wird – mit dem IRS oder meinetwegen mit David Foster Wallace kommt Jean Paul Friedrich Richter erst so richtig zu seinen gesellschaftlichen Rechten. Und weiter: Dieses Prinzip des assoziativen, ausschweifenden, mäandrierenden Schreibens befindet sich in einem ebensolchen Gegensatz zur linearen Erzählweise wie die Komplexität der modernen Welt zu den Versuchen, sie als einfache zu begreifen, beispielsweise als Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit oder meinetwegen Christentum und Islam, und ich beeile mich noch, hier anzufügen, dass es sich bei diesem Ringen um Einfachheit für einfache Köpfe ebenso wie für gebildete letztlich um nichts anderes handelt als um eine auktoriale Haltung, welche einerseits vorgibt, alles überhaupt wissen und erzählen zu können und anderseits auf dem Individuum als Subjekt der Geschichte in der Form des Helden beruht, also auf der Fiktion, dass ein einzelnes Individuum, zum Beispiel ein Unternehmer, der Geschichte tatsächlich den Stempel aufdrücken beziehungsweise ihren Gang prägen könne – eine sehnsüchtige Haltung aus den untergegangenen Zeiten großer Helden und Entdecker und ihrer Verherrlicher. Diese Haltung eignet sich übrigens ausgezeichnet, um damit Politik zu machen – denn jene, die tatsächlich Politik machen, wissen selbstverständlich, dass es sich grad anders rum verhält, aber sie bearbeiten ihr Wahlpublikum mit der auktorialen Fiktion. – Und soviel noch hierzu. –
Aber wo waren wir, bei der Mongolei: Eben, die Mongolei hat ihre ihr eigenen Wirtschaftsprobleme mit weiten Landstrichen, die nichts einbringen außer Wind. Darunter aber, unter dieser Landschaftsdecke, da befinden sich durchaus interessante Stoffe, die nur der Ausbeutung harren. Gegenwärtig ist aber die internationale Anlegerschaft nicht so begeistert, weil offenbar im Parlament nationalistische Töne hörbar sind, die darauf beharren, dass die Bodenschätze der Mongolei auch tatsächlich der Mongolei zugute kommen sollten – was für eine seltsame, anachronistische Haltung im Zeitalter des Machtkampfs zwischen Finanzkapital und Islamischem Staat! Dabei geht es bloß um Gold-, Kupfer- und Eisenerzvorkommen im Wert von rund 1500 Milliarden US-Dollars. Und das Bergbauministerium hat letzten Freitag angekündigt, dass der Ausschreibungsprozess am 26. Januar 2015 in die Wege geleitet werden sollen. In diesem Zusammenhang sind zusätzlich 10.1 Mio. Hektaren zur Erkundung möglicher Vorkommen freigegeben werden; damit steigt der Anteil der potenziellen Bergbau-Ausbeutungsflächen im ganzen Land auf rund einen Fünftel der Gesamtfläche.
Das Land hängt weitgehend vom Bergbau ab. Kupfer aus der riesigen Mine Oyu Tolgoi, die von Rio Tinto betrieben wird, macht gegenwärtig 44% der Gesamtexporte aus, dann kommt Kohle mit 15%, und Eisenerz trägt 8% bei. Allerdings machen sich die fallenden Rohstoffpreise negativ bemerkbar, und im Jahr 2013 hat ein mongolisches Gericht 106 Lizenzen annulliert im Rahmen eines Korruptionsprozesses. Daneben sucht man ausländische Unterstützung für die noch vorhandenen Staatsbetriebe oder die Zusammenarbeit mit Unternehmen wie China Shenhua Energy oder der japanischen Sumitomo. Auch die Deutsche Bahn hat ihre Finger in einem Bahnprojekt, das die Beförderung von Kohle nach China ermöglichen soll.
Daneben halten sich in der Mongolei auf einer Fläche von eineinhalb Millionen Quadratkilometern gerade mal knapp 3 Mio. Menschen auf, wovon 1.2 Millionen in der Hauptstadt Ulan Baator; das Durchschnittsalter beträgt 27 Jahre, die Lebenserwartung bei der Geburt 69 Jahre, und die Nettomigrationsrate liegt bei minus 0.85 pro 1000 Menschen. Bezüglich verschiedener negativer Aspekte liegt das Land weit hinten im internationalen Vergleich, zum Beispiel bei den AIDS- bzw. HIV-Infektionen auf Position 160 oder bei Übergewicht auf Position 122; umgekehrt wird eine Kinderarbeitsquote von 1% gemeldet, eine Jugendarbeitslosigkeit von 12%, und Lesen und Schreiben können so ziemlich 98% der Bevölkerung. Der Staatspräsident heißt Tsachia Elbegdori, und der Regierungschef ist Norov Altankhujag, gleichzeitig Chef der Demokratischen Partei. Nennenswert ist noch die Tatsache, dass viele Leute Deutsch lernen, ein Erbe des früheren Austausches mit der DDR im Rahmen des damaligen Ostblocks.
Und noch eine Bemerkung zur Armee beziehungsweise ein Zitat aus dem entsprechenden Wikipedia-Artikel: «Die Militärausgaben betrugen 2005 um die 12 Millionen Dollar im Jahr. Modernisierungsprogramme sind derzeit nicht geplant. Da Russland und China gute Beziehungen zur Mongolei haben und die Mongolei sich auch sonst keiner Bedrohung gegenüber sieht, werden Streitkräfte weiterhin als überflüssig angesehen. Es wird aber diskutiert, innerhalb der nächsten 15 Jahre zwei Schützendivisionen aufzustellen, eine als Nationalgarde und eine für internationale Einsätze. Die Ausrüstung dafür wird möglicherweise von Russland gestellt.» Und noch zum Schluss: «Derzeit sollen noch neun MiG-21 flugfähig sein; der letzte Übungsflug soll 2003 stattgefunden haben.» – Irgendwie wirkt das doch sehr sympathisch.
Nichts gegen die Natur und nichts gegen Naturerlebnisse, bloß sollte man sie nicht unter dem Titel Bewusstseinserweiterung verkaufen, da besorgt ihr euch mal lieber einen LSD-Trip oder lest ein gescheites Buch. Habe ich schon gesagt, dass ich mich gegenwärtig mit einer mittleren Reisegeschwindigkeit von zehn Seiten pro Woche durch das nachgelassene Buch «Der bleiche König» von David Foster Wallace pflüge? Unter anderem beschreibt der Junge seine Bewusstseinserwieterungen rund um die Philosophie der Besteuerung zum einen, der Ausgestaltung des Steuerwesens zum anderen, und man muss dazu noch anfügen, dass David Foster Wallace tatsächlich eine Zeitlang als subalterner – aufgemerkt: subalterner!, also nicht in Führungspositionen, sonst wäre er nämlich später kaum Schriftsteller geworden und hätte sich in einer Scheune an einem Strick aufgehängt – subalterner Beamter also beim US-amerikanischen IRS gearbeitet hat, seine Ein- und Auslassungen zum Thema sind dementsprechend präzise bis in die Haarspitzen und gleichzeitig tausend Mal exotischer als eine touristische Exkursion in die mongolischen Nächte. Beispiel gefällig?
«Wie sich hier noch so mancher erinnern wird, wurde 1977, zu einer Zeit hoher Inflation, hoher Staatsschulden und meiner zweiten Einschreibung an der Universität DePaul, in Illinois ein haushaltstechnisches Experiment angestellt und eine progressive Mehrwertsteuer anstelle einer proportionalen eingeführt. Damals machte ich wahrscheinlich zum ersten Mal die Erfahrung, wie die Einführung einer Steuerrechtsreform das Leben der Menschen faktisch verändern kann. Mehrwertsteuern sind, wie gesagt, normalerweise fast überall Proportionalsteuern. So wie ich es heute verstehe, steckte hinter der versuchten Einführung einer progressiven Mehrwertsteuer der Gedanke, die Steuereinnahmen zu erhöhen, ohne die Armen des Bundesstaates in Bedrängnis zu bringen oder Investoren abzuschrecken, und darüber hinaus bekämpfte man die Inflation, indem man den Verbrauch besteuerte. Man sagte sich, je mehr jemand kaufe, desto mehr Steuern bezahle er, was die Nachfrage senken und die Inflation dämpfen werde. Der geistige Vater der progressiven Mehrwertsteuer war 1977 irgendjemand weit oben im Landesfinanzministerium von Illinois. Wer genau dieser Jemand war und ob er nach dem sich ergebenden Debakel irgendwie in Schwulitäten kam, weiß ich nicht, aber sowohl der Landesfinanzminister als auch der Gouverneur von Illinois mussten wegen des Fiaskos jedenfalls zurücktreten. Egal, wer letztlich die Schuld hatte, steuerpolitisch hatte er einen kapitalen Bock geschossen, der übrigens unschwer zu vermeiden gewesen wäre, wenn sich irgendjemand im Landesfinanzministerium die Mühe gemacht hätte, hinsichtlich der Zweckmäßigkeit dieser Steuerreform mit dem Service (IRS) Rücksprache zu halten. Obwohl innerhalb der Staatsgrenzen von Illinois sowohl das Büro des Steuerkommissars für die Region Mittlerer Westen als auch ein regionale Prüfzentrum lagen, ist es eine verbürgte Tatsache, dass es keine Rücksprache gab. Obwohl die Landesfinanzbehörden für die Durchsetzung des Landessteuerrechts von den Bundessteuererklärungen und der Stammdokumentation im Computersystem des Service abhängig sind, gibt es in den Landesfinanzdirektionen eine Tradition der Autonomie und des Misstrauens gegenüber Bundesbehörden wie dem IRS, die manchmal in entscheidenden Kommunikationsstörungen kulminiert, und das Mehrwertsteuerdesaster 1977 in Illinois ist im Service ein klassischer Fall davon und Thema unzähliger Witze und Anekdoten geworden. Wir praktisch jeder hier in Abteilung 047 denen hätte sagen können, ist es eine Grundregel jeder effizienten Steuerpolitik, sich präsent zu halten, dass der durchschnittliche Steuerzahler immer aus finanziellem Eigennutz handelt. Das ist ein ökonomisches Grundgesetz. Im Steuerwesen wird der Steuerzahler daher alle legalen Mittel anwenden, um seine Steuern zu senken. Das liegt in der Natur des Menschen, in die sich die Verantwortlichen in Illinois entweder nicht hineindenken konnten, oder aber sie ignorierten deren Implikationen für Geschäftsvorgänge, die von der Mehrwertsteuer betroffen waren.» Und so fort; die Auflösung dieses spannenden Falls mit der progressiven Mehrwertsteuer findet sich im besagten Buch auf den Seiten 221 folgende, und publiziert hat den Schunken der Verlag Kiepenheuer und Witsch. Und möchte ich noch anfügen, dass David Foster Wallace in diesem Roman in zwei Beziehungen direkt an Jean Paul Friedrich Richter anknüpft, nämlich erstens mit einer zunächst sehr unliterarischen Thematisierung des richtigen Lebens, wie sie Jean Paul mit dem gewaltigen Buch «Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten Firmian Stanislaus Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel» unternimmt, und zweitens mit der Form der ausschweifenden Anmerkungen oder überhaupt Ausschweifungen, welche sich bei David Foster Wallace beziehungsweise im bleichen König halt als Wesensmerkmale des Steuerrechts ganz von selber ergeben, wo also die Assoziativkraft von Jean Paul plötzlich zum Kern der modernen Organisationsweise und damit auch ihrer Beschreibung wird – mit dem IRS oder meinetwegen mit David Foster Wallace kommt Jean Paul Friedrich Richter erst so richtig zu seinen gesellschaftlichen Rechten. Und weiter: Dieses Prinzip des assoziativen, ausschweifenden, mäandrierenden Schreibens befindet sich in einem ebensolchen Gegensatz zur linearen Erzählweise wie die Komplexität der modernen Welt zu den Versuchen, sie als einfache zu begreifen, beispielsweise als Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit oder meinetwegen Christentum und Islam, und ich beeile mich noch, hier anzufügen, dass es sich bei diesem Ringen um Einfachheit für einfache Köpfe ebenso wie für gebildete letztlich um nichts anderes handelt als um eine auktoriale Haltung, welche einerseits vorgibt, alles überhaupt wissen und erzählen zu können und anderseits auf dem Individuum als Subjekt der Geschichte in der Form des Helden beruht, also auf der Fiktion, dass ein einzelnes Individuum, zum Beispiel ein Unternehmer, der Geschichte tatsächlich den Stempel aufdrücken beziehungsweise ihren Gang prägen könne – eine sehnsüchtige Haltung aus den untergegangenen Zeiten großer Helden und Entdecker und ihrer Verherrlicher. Diese Haltung eignet sich übrigens ausgezeichnet, um damit Politik zu machen – denn jene, die tatsächlich Politik machen, wissen selbstverständlich, dass es sich grad anders rum verhält, aber sie bearbeiten ihr Wahlpublikum mit der auktorialen Fiktion. – Und soviel noch hierzu. –
Aber wo waren wir, bei der Mongolei: Eben, die Mongolei hat ihre ihr eigenen Wirtschaftsprobleme mit weiten Landstrichen, die nichts einbringen außer Wind. Darunter aber, unter dieser Landschaftsdecke, da befinden sich durchaus interessante Stoffe, die nur der Ausbeutung harren. Gegenwärtig ist aber die internationale Anlegerschaft nicht so begeistert, weil offenbar im Parlament nationalistische Töne hörbar sind, die darauf beharren, dass die Bodenschätze der Mongolei auch tatsächlich der Mongolei zugute kommen sollten – was für eine seltsame, anachronistische Haltung im Zeitalter des Machtkampfs zwischen Finanzkapital und Islamischem Staat! Dabei geht es bloß um Gold-, Kupfer- und Eisenerzvorkommen im Wert von rund 1500 Milliarden US-Dollars. Und das Bergbauministerium hat letzten Freitag angekündigt, dass der Ausschreibungsprozess am 26. Januar 2015 in die Wege geleitet werden sollen. In diesem Zusammenhang sind zusätzlich 10.1 Mio. Hektaren zur Erkundung möglicher Vorkommen freigegeben werden; damit steigt der Anteil der potenziellen Bergbau-Ausbeutungsflächen im ganzen Land auf rund einen Fünftel der Gesamtfläche.
Das Land hängt weitgehend vom Bergbau ab. Kupfer aus der riesigen Mine Oyu Tolgoi, die von Rio Tinto betrieben wird, macht gegenwärtig 44% der Gesamtexporte aus, dann kommt Kohle mit 15%, und Eisenerz trägt 8% bei. Allerdings machen sich die fallenden Rohstoffpreise negativ bemerkbar, und im Jahr 2013 hat ein mongolisches Gericht 106 Lizenzen annulliert im Rahmen eines Korruptionsprozesses. Daneben sucht man ausländische Unterstützung für die noch vorhandenen Staatsbetriebe oder die Zusammenarbeit mit Unternehmen wie China Shenhua Energy oder der japanischen Sumitomo. Auch die Deutsche Bahn hat ihre Finger in einem Bahnprojekt, das die Beförderung von Kohle nach China ermöglichen soll.
Daneben halten sich in der Mongolei auf einer Fläche von eineinhalb Millionen Quadratkilometern gerade mal knapp 3 Mio. Menschen auf, wovon 1.2 Millionen in der Hauptstadt Ulan Baator; das Durchschnittsalter beträgt 27 Jahre, die Lebenserwartung bei der Geburt 69 Jahre, und die Nettomigrationsrate liegt bei minus 0.85 pro 1000 Menschen. Bezüglich verschiedener negativer Aspekte liegt das Land weit hinten im internationalen Vergleich, zum Beispiel bei den AIDS- bzw. HIV-Infektionen auf Position 160 oder bei Übergewicht auf Position 122; umgekehrt wird eine Kinderarbeitsquote von 1% gemeldet, eine Jugendarbeitslosigkeit von 12%, und Lesen und Schreiben können so ziemlich 98% der Bevölkerung. Der Staatspräsident heißt Tsachia Elbegdori, und der Regierungschef ist Norov Altankhujag, gleichzeitig Chef der Demokratischen Partei. Nennenswert ist noch die Tatsache, dass viele Leute Deutsch lernen, ein Erbe des früheren Austausches mit der DDR im Rahmen des damaligen Ostblocks.
Und noch eine Bemerkung zur Armee beziehungsweise ein Zitat aus dem entsprechenden Wikipedia-Artikel: «Die Militärausgaben betrugen 2005 um die 12 Millionen Dollar im Jahr. Modernisierungsprogramme sind derzeit nicht geplant. Da Russland und China gute Beziehungen zur Mongolei haben und die Mongolei sich auch sonst keiner Bedrohung gegenüber sieht, werden Streitkräfte weiterhin als überflüssig angesehen. Es wird aber diskutiert, innerhalb der nächsten 15 Jahre zwei Schützendivisionen aufzustellen, eine als Nationalgarde und eine für internationale Einsätze. Die Ausrüstung dafür wird möglicherweise von Russland gestellt.» Und noch zum Schluss: «Derzeit sollen noch neun MiG-21 flugfähig sein; der letzte Übungsflug soll 2003 stattgefunden haben.» – Irgendwie wirkt das doch sehr sympathisch.