"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Obamas Widerwahl -

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Umfragewerte zu politischen Themen sind manchmal zuverlässig und manchmal nicht, oder kurz gesagt: Die Welt ist schön und alles was der Fall ist. Wittgenstein hätte also seine Freude gehabt an der Politik, aber was mich angeht, so bin ich in letzter Zeit ein bisschen beunruhigt wegen der Beliebtheitswerte des US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama im Hinblick auf die Wahlen vom Herbst dieses Jahres.
Audio
10:31 min, 19 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 29.06.2012 / 13:51

Dateizugriffe: 439

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 26.06.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Der republikanische Herausforderer, Unternehmenssanierer und Hedge–Funds-Manager Mitt Romney liegt zum Teil richtiggehend vor Obama, und das gibt mir zu denken, beziehungsweise es bestätigt meine Vorurteile gegenüber der Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Dass sich im Moment die beiden Kandidaten auch noch um die spanischsprachigen Bevölkerungsschichten balgen, macht die Sache nicht besser, mindestens in Bezug auf Romney nicht, der mit seinen konservativen und reaktionären Republikanern einen noch viel ausgeprägteren Antiimmigrationskurs gegen die LateinamerikanerInnen fährt als die Regierung. Und sein Gehabe als Wirtschaftssanierer ist vollends unausstehlich; der Knabe hätte mal unter dem Jockgockel Wilhelm Busch seine angeblichen Kenntnisse anwenden können, aber dem aktuellen Präsidenten das Versagen seines republikanischen Vorgängers vorzuwerfen, das finde ich dann doch ziemlich stinkig. Aber eben, so wie es Menschen gibt, die Roquefort-Käse mögen, so gibt es wohl auch welche, die den Gestank in der Politik nicht missen möchten. Das sollte unsereinen nun nicht gerade zum Ausspruch «Scheiß auf Amerika» verleiten, aber ein Nasenklämmerchen erlauben wir uns doch, wenn wir heute über den Atlantik blicken.

Eine Nasenklammer gegen einen Anblick! Dieses Bild entbehrt nicht einer hohen poetischen Kraft. Und deshalb will ich auch noch anfügen, dass ich davon ausgehe, dass unser Herr Präsident in Washington jetzt dann mal seine eigene Wahlkampfmaschinerie anwirft, denn dafür scheint es mir unterdessen wirklich Zeit. Auch wenn unterdessen die Euphorie verflogen ist, die Barack Obama in sein Amt getragen hat, so dürfte es doch allen vernünftigen Menschen klar sein, dass die Republikaner mit ihren Teetassen niemals mehr an die Macht kommen sollten in den Vereinigten Staaten, unabhängig von allen anderen Ereignissen und Nichtereignissen. Aber eben, zu diesem Behuf muss man zunächst auch mal ein bisschen in die Hosen, Herr Präsident. Sie sind ja nicht der Präsident von Europa!, denn auf dieser Seite des Atlantiks würde Barack Obama zweifellos locker gewählt, mindestens wenn als Alternative Mitt Romney im Angebot stünde oder vielleicht Angela Merkel, die vermutlich nur in gewissen Teilen Europas eine Mehrheit erhielte. – Wobei man sich nicht täuschen sollte: Beliebtheitswerte sind das eine, das Wahlverhalten das andere, und wenn es auch noch hypothetisch ist. – Oder müsste ich hier sagen: hypothetisch wäre? – Wie auch immer: Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die EuropäerInnen eher Angela Merkel wählen würden, wenn es darum ginge, eine Person zu wählen, der man am ehesten zutraut, die aktuelle Lage konstruktiv weiter zu entwickeln. Das hat man ja auch in Griechenland gesehen, wo die Konservativen eine Mehrheit erhielten, um zusammen mit den alten Bekannten von der alten Pasok eine Regierung zu bilden, welche jetzt weiterhin die notwendigen Strukturreformen verschleppen wird, was offensichtlich ganz im Sinne der griechischen Bevölkerung ist.

Aber dies nebenbei. Bis die EuropäerInnen wirklich einen gemeinsamen Europa-Präsidenten wählen, ist der Weg noch weit, man könnte sagen: Der Weg ist noch parallel und wird sich nicht so bald zur Präsidentschaft überschneiden. Schließlich haben wir noch nicht einmal die Fundamente einer gemeinsamen Budget- und Wirtschaftspolitik, erst eine gemeinsame Währung, welche also per Definition überhaupt nichts zu tun hat mit Budget- und Wirtschaftspolitik, das ist mir ja eine wunderbare Neuschöpfung. Ich muss allerdings einräumen, dass es bis zum Kollaps Griechenlands gedauert hat, dass ich das realisiert habe; zuvor dachte ich, die Euro-Einführung sei nichts weiter als eine weitere technische Vereinheitlichung wie z.B. bei der Papiergröße oder der Stromdichte oder bei der Krümmung von parallelen EU-Gurken. Aber da habe ich mich offensichtlich glorios getäuscht, vielmehr: Ich habe keinen einzigen Gedanken darauf verschwendet, dass irgendein Staat auf der Welt derart prachtvoll gegen jedes Funktionieren eingerichtet sein könnte wie der griechische. Aber das wird Barack Obama auch nicht groß helfen. –

Wie gesagt: In die Hosen, Herr Präsident! – Gegenwärtig hat man den Eindruck, als stünde unser Parade-Hawaiianer ganz ohne Wahlkampfteam da und würde mehr oder weniger blindlings in sämtliche Fallen tappen, die ihm das gegnerische Komitee unter der Führung des reaktivierten Karl Rove in der Landschaft so aufstellt. Nachdem sich offenbar auch die Wall Street für Romney und gegen Obama entschieden hat, dürfte der Kampf auch finanziell eher zugunsten von Romney starten. Aber so ganz ohne Mittel und Organisation wird doch auch der amtierende Präsident nicht gelassen, oder? – Und so warte ich nach wie vor, wenn auch etwas schüttereren Mutes, auf die Erfüllung meiner Prognose eines deutlichen Wahlsieges unseres ersten afroamerikanischen Präsidenten mit mehrheitlich schwarzer Hautfarbe. Und eines kann ich jetzt schon sagen: Meine Befürchtungen bezüglich eines sofortigen Mordkomplotts gegen Obama war offensichtlich übertrieben, mindestens reichten die entsprechenden Verschwörungen nicht bis in die entsprechenden Sphären im Weißen Haus hinauf oder hinein. Und das spricht allein schon für dieses Land, denn das werde ich trotz allem nicht vergessen: Sich gerade einmal 50 Jahre nach Ende der Apartheid einen schwarzen Präsidenten zu geben oder zu nehmen, das ist insgesamt halt trotz allem eine historische Leistung, die Respekt verdient, unabhängig vom Ausgang der Wahlen in diesem Herbst.

In Deutschland hat es ja noch deutlich weniger lange gedauert, bis die Bundeskanzlerin endlich eine aus dem Osten war, wenn sie auch aus dem Norden des Ostens kommt und nicht aus Dresden, wie es eigentlich der Vollkommenheit halber hätte sein müssen. Und wie sich Frau Merkel in ihrem Amt entwickelt hat, wie sie äußerlich und innerlich an Postur gewonnen hat und ihre Widersacher einen um den anderen sorgfältig weggebissen hat, um gleichzeitig eine absolut zeitgemäße, sprich sozialdemokratische Politik zu betreiben bis hin zuletzt zur Abkehr von der Atomenergie, das verdient Respekt, und wenn sie auch jetzt als neoklassizistische Bergsteigerin auf den verschiedenen Weltgipfeln nicht sofort dem Druck einer angeblich vernünftigen öffentlichen Meinung nachgibt, so braucht dies kein schlechtes Zeichen zu sein. Ferien auf Ischias statt auf der Jacht von Maschmeyer und Veronica Ferres, das hat doch Stil. Jetzt setzt sie, angeblich auf Drängen der SPD, auch noch die Kapitaltransaktionssteuer um, die von attac seit Jahren gefordert wird, und wenn sie uns in einer kommenden Regierungsperiode dann auch noch das bedingungslose Grundeinkommen bringt, dann wird meine Bewunderung vollends ebenfalls bedingungslos, während sie im Moment noch eher bedingt ist; aber eine gewisse Bewunderung habe ich durchaus, ich muss es gestehen.

Allerdings bin ich mir nicht so sicher bezüglich der Wiederwahl. Nämlich hängt dies ja in erster Linie von der Verfassung ihrer eigenen Partei ab, und hier orte ich verschiedene programmatische Schwachstellen. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die SPD während der Regierungszeit von Gerd Schröder ihr eigenes Programm komplett über Bord geworfen hat, wobei aber der linke Rand mit den stabilisierenden Überbleibseln aus früheren ideologischen Glanzzeiten sich als stabilisierendes Element recht gut gehalten hat; in der CDU gibt es so etwas nicht, und der Konsens zwischen kleinbürgerlicher Mitte und Großkapital ist unter der Attacke der Schröder-SPD gründlich zertrümmert. Sonst hätte sich Frau Merkel nämlich auch nicht an den Atom-Ausstieg gewagt, da mögen Atomkraftwerke rund um die Welt bersten noch und nöcher. Damit entsteht aber ein echtes Problem, ein Identitätsproblem für die ganze Partei, aus dem sie sich möglicherweise nur mit einem wirklich zukunftsgerichteten Programm befreien kann. Das würde mir schon rein begrifflich gefallen, denn wie oft geschieht es nicht, dass sich das Fortschrittliche nach einer gewissen Zeit ins Reaktionäre wendet, und wieso sollte sich nun nicht die Konservative CDU plötzlich als Keimzelle des Fortschrittes entpuppen?

Nein, das geht natürlich nicht. Die Jungs und Mädels sind mindestens auf lokaler Ebene allzu stark in die jeweiligen Organisationsmuster eingebunden, als dass sie tatsächlich die Kraft für eine Modernisierung der Institutionen finden täten. Dies gilt jedenfalls unter der Voraussetzung, dass sich nicht ein paar versprengte oder auch nicht versprengte Linke unterdessen daran gemacht haben, auf dieser Ebene das gleiche zu leisten wie bei der Kapitaltransaktionssteuer, das heißt, subkutan die Themen auf kommunaler Ebene aufzugreifen und unter neuen Blickwinkeln so aufzuarbeiten, dass vielleicht ein Teil dieser Arbeit auch im Kopf eines CDU-Bürgermeisters einen Platz findet. Die so genannten Commons bedeuten ja gerade eine Rückkehr zum Thema des Gemeingutes, das unter dem Dampfhammer der neoliberalen Ideologie praktisch ausgestorben schien. Und da steht es schon wieder in voller Pracht auf der Weltbühne, beziehungsweise es bewegt sich dort sogar in sehr unterschiedlichen Formen, wenn ich zum Beispiel an die Transition Towns denke, die für mich exakt in diesen Zusammenhang gehören. Möglicherweise leben wir mitten im Untergang der alten Parteienwelt, wobei diese durchaus von innen her neu belebt werden kann, aber eben durch ziemlich sachfremde Initiativen, die sich dann nicht mehr in erster Linie um die ideologische Ausrichtung kümmern, sondern um die praktischen Projekte auf Ebene von Kommunen und Ländern und dann bei Gelegenheit mal auch von Bund und Europäischer Union. Umgekehrt ist die Verbreitung solcher kommunaler Bewegungen sicher auch darauf zurückzuführen, dass sich gerade die Gewichte in den oberen Machtorganen neu formieren. Insgesamt kann man darin bei etwas gutem Willen eine logische Konsequenz davon sehen, dass sich die Organisationsformen unter dem Druck der veränderten Verhältnisse ebenfalls zu verändern beginnen. Und damit meine ich natürlich nicht nur die Beziehung zwischen den einzelnen Ländern und der EU, sondern im Kern die sozialen Verhältnisse in modernen sozialdemokratischen Gesellschaften, welche sich bei Gelegenheit nicht mehr nur um den Pol zwischen Lohnarbeit und Kapital bilden sollten. Solange die Wertschöpfung und Reichtumsverteilung nach wie vor zur Hauptsache in diesem Kreis stattfindet, wird es ein wichtiger Pol bleiben, aber eben längst nicht mehr der einzige und mit der Zeit auch nicht mehr der bestimmende.