"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Premier Modi -

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Jetzt ist sie wieder da, die Zeit der Übernahmen. American Realty Capital Healthcare Trust will Griffin-American Healthcare REIT II für knapp 4 Milliarden Dollar kaufen; hier geht es um Spital- oder generell Gesundheits-Immobilien wie z.B. Pflegeheime, und der Chef von ARC Healthcare heißt schlicht und einfach Nick Schorsch.
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11:44 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.05.2014 / 15:48

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 19.05.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das ist bei uns gleichzeitig ein Name und ein Übername, nämlich die französische Version für Georg, am bekanntesten in der Version Schorsch Gaggo, das heißt Georg Kakao, als Bezeichnung für irgendjemanden, dessen Autobiografie man nicht unbedingt gelesen haben muss. Auch in Deutschland gibt es einen recht bekannten Schorsch, nämlich Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen. Aber dies ist natürlich nur ein Nebensatz zu dieser kleineren Großfusion zweier amerikanischer Immobilienriesen; ARCP hat in den letzten Jahren schon größere Akquisitionen getätigt, u.a. 2013 mit dem Erwerb von Cole Real Estate Investments Inc. für 7 Milliarden US-Dollars oder erst kurz vor Griffin einen Kauf- und Leaseback-Deal für über 500 Red-Lobster-Restaurantliegenschaften im Umfang von 1.5 Milliarden Dollars. Nicht zustande kam dagegen die Übernahme des Immobilienfinanzierers NorthStar Realty Finance. Insgesamt geht es also doch um erhebliche Summen, und zwar im Immobiliensektor, wenn auch in einem ziemlich speziellen Segment darin, aber trotzdem; offenbar ist die Immobilienkrise, welche den Kollaps der überhitzten Finanzmärkte vor sieben Jahren auslöste, überwunden, das Spiel kann wieder beginnen beziehungsweise es hat längstens begonnen, und wenn auf Barack Obama wieder ein republikanischer Präsident folgt, kann der auch die unterdessen erlassenen Gesetze und Vorschriften zur Regulierung der Hypothekarkreditvergabe wieder lockern oder abschaffen. Dass das ganze Theater aber schon jetzt in vollem Gang ist, belegt seit einiger Zeit der Investitionsgigant Blackstone, der begonnen hat, wieder im großen Stil Immobilien in den USA zu kaufen. Eigentümer konkurs, Bank pleite, Blackrock kauft. Zu Blackrock kann ich übrigens noch nachtragen, dass der ehemalige Chef der Schweizer Nationalbank, Philipp Hildebrand, jetzt dort Vizevorsitzender ist, nachdem er sich aus dem Nationalbankpräsidium zurückziehen musste, weil er vom Chef-Rechtsnationalisten Christoph Blocher wegen eines Devisengeschäfts seiner Ehefrau verpetzt worden war; es ging dabei um 50'000 Dollar, aber im Kern ging es um die Geldpolitik der Nationalbank, welche nicht nach den Vorstellungen des Volltrottels Blocher ausgefallen war, worauf er eine Intrige gegen den Chef der schweizerischen Notenbank vom Stapel ließ. Aber wie auch immer –

Der Telecom-Gigant AT&T bereitet derweil ein Angebot von knapp 50 Mia. US-Dollar vor für den Satelliten-TV-Betreiber DirecTV, was in den generellen Rahmen der Konvergenz im Sektor Telecom, TV und Internet passt. Die Offerte scheint denn auch nicht auf besonders viel Widerstand zu stoßen.

Höhere Wellen wirft das Übernahmeangebot von Pfizer für die englische AstraZeneca, das in einer ganz anderen Dimension liegt, nämlich bei über 100 Milliarden Dollar und damit echte Erinnerun­gen weckt an die guten alten Zeiten vor der Finanzkrise. Die Engländer befürchten einen Verlust an Arbeitsplätzen und an industriellen Kompetenzen, also in einem Bereich, in dem sie ohnehin nicht besonders stark auf der Brust sind. Die Argumente fallen ebenso nationalistisch wie rührselig aus. Pascal Soriot, der französische Chef von AstraZeneca, sagte vor einem Ausschuss des englischen Parla­ments: «Was sollen wir einem Menschen sagen, dessen Vater an Lungenkrebs gestorben ist, weil es bei der Zulassung eines unserer Medikamente zu Verzögerungen kam, weil unsere beiden Unter­neh­men (also AstraZeneca und Pfizer) mit der Optimierung von Steuern und Kosten beschäftigt waren, statt die Zulassung voranzutreiben?» – Da haben wirs: Pfizer, der Viagra-Produzent mit einer ansonsten eher dünnen Pipeline an Erfolg versprechenden Produkten, setzt ganz ohne Rück­sicht auf die Verlierer der Geschichte und insonderheit der Raucherbein- und Lungenkrebspatienten, welche AstraZeneca ans Herz gewachsen sind, egoistisch auf Lust und Gewinn, also auf puren Lustgewinn, ganz im Gegensatz zur aufrechten angelsächsischen, an den Werten des Humanismus ausgerichteten Non-Profit-Kultur von Pascal Soriot. Hach! Ist es nicht schön zu wissen, dass es auch unter den Kapitalisten noch eine Untergattung von Dumpfbacken und Schwurbelschwaflern gibt? – Jedenfalls ist die Übernahme als solche noch nicht gegessen. AstraZeneca hat soeben das angeblich letzte Angebot von 55 Pfund pro Aktie abgelehnt, was 118 Mio. US-Dollar entspräche; wir erinnern uns allerdings schwach daran, dass bei solchen Übernahmen viel Theater gemacht wird, und deshalb warten wir mal ab. Vielleicht muss sich aber am Schluss auch Astra-Zeneca-Chef Soriot vor einen Zug werfen wie weiland der Ratiopharm- und Heidelberg-Zement-Chef Adolf Merkle nach seinen Fehlspekulationen beim Übernahmeversuch von VW durch Porsche. Aber angesichts der Qualität des englischen Eisenbahnsystems ist es vielleicht eine sicherere Selbstmord-Methode, mit dem Rauchen zu beginnen, um an Raucherbein und Lungenkrebs zu sterben, bevor die nunmehr rein auf Gewinn ausgerichtete AstraZeneca-Pfizer ihre Lungenkrebsmedikamente zur Zulassung angemeldet hat.

A proposito Heidelberg-Zement: Auch in der Zementindustrie kommt es zu einem Zusammenschluss, allerdings eben nicht zu einer Übernahme, sondern zu einer echten Fusion, und zwar zwischen dem französischen Lafarge-Konzern und der schweizerischen Holcim, den Nummern eins und zwei auf dem Weltmarkt. Der Börsenwert der beiden Firmen liegt bei rund 40 Milliarden Euro. Ebenfalls in Frankreich interessiert sich Orange, die Mobiltelefonieunternehmung der ehemaligen France Télécom, für den Konkurrenten Bouygues Télécom, der einen Marktwert von etwa 5 Mia. Euro hat im Vergleich zu den etwas über 30 Milliarden von Orange. Dabei ist ja fraglich, wie lange man mit der Mobiltelefonie überhaupt noch Geld verdienen kann, wenn die neuen leistungsstarken Netze einmal in Betrieb sind und das Roaming völlig abgeschafft ist. Aber das ist wieder etwas anderes.

Ein weiteres Flaggschiff der französischen Industrie scheint ebenfalls zur Disposition zu stehen, nämlich Alstom, die sich an General Electric gewandt hat; sie will ihr Kerngeschäft für gut 10 Millairden Euro an den US-Konzern abtreten. Das wiederum passt der französischen Regierung nicht; sie ist erstens beleidigt, dass der Alstom-Chef Patrick Kron sie nicht einmal angefragt hat, ob ihr der Verkauf genehm sei, und zweitens hat sie die deutsche Siemens um ein Konkurrenzangebot gebeten. Was sich hier konkret ergeben wird, steht noch keineswegs fest, da Alstom durchaus unterschiedliche Sparten im Energie- und Antriebsbusiness betreibt.

So oder so: Der Sesseltanz ist in vollem Gange, und wenn sich die Marktkräfte nicht von Grund auf verändert haben, dann kann man davon ausgehen, dass jetzt noch ein oder zwei Jahre immer mehr Geld an die Börsen strömt, und zwar umso mehr, als sich die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken aus absolut unerfindlichen Gründen zu verlängern scheint. Das heißt, wer irgendetwas verdienen will mit seinem Geld, der muss heute geradezu an die Börsen, einmal abgesehen vom Roh­stoff­ge­schäft und natürlich von Liegenschaften und solchen Dingen. Die Zentralbanken zwingen die Anleger zurück ins Geschäft, möchte man sagen. Ich weiß natürlich nicht, ob die bei ihren regelmäßigen Treffen eine Art von Balance vor Augen haben, eine bestimmte Kapitalmenge, die an den internationalen Börsen mindestens investiert sein muss, bevor man mit den Zinsen wieder hochfährt; jedenfalls gibt es keinen industriell-realwirtschaftlichen Grund, um die Politik des spottbilligen Geldes weiter zu führen, auch wenn die Notenbanken dies Mantra-mäßig immer wieder verlauten lassen.

Sei dem, wie ihm wolle. In Indien hat die Kongresspartei eine verheerende Niederlage erlitten, und das heißt in erster Linie, die dynastische Ghandi-Familie ist nicht mehr im Geschäft. Wie weit die nationalistische Bharatiya Janata Partei sich ebenfalls dynastisch etablieren wird, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls ist der neue Premier Modi als ehemaliger Regierungschef des Bundesstaats Gujarat verantwortlich für die blutigen Pogrome der Hindu-Mehrheit gegen die Muslime, die unter anderem im Film «Slumdog Millionnaire» kurz aufgegriffen werden. Selbstverständlich hat der Regierungschef von Gujarat eine andere Rolle zu spielen als der Premierminister von ganz Indien, obwohl die indische Politik im Großen ebenso stark geprägt ist von der vermeintlichen oder tatsächlichen Bedrohung durch das islamische Pakistan wie die westliche Provinz Gujarat im Kleinen. Über das Ganze gesehen steht dieser Konflikt aber nicht im Vordergrund, weil er seit langer Zeit einigermaßen stabilisiert scheint mit Ausnahme der immer wieder aufflackernden Streitigkeiten im Kaschmir. Vor allem aber interessiert Indien als Juniorpartner in verschiedenen machtpolitischen Bündnissen, lange Zeit mit Vorliebe mit Russland, manchmal aber auch mit China, mit dem man allerdings auch gelegentlich im Krieg liegt, und selbstverständlich mit den Vereinigten Staaten. Insgesamt erscheint Indien als ein unwahrscheinlich großes und disparates Land, dessen pure Existenz eines der modernen Weltwunder ist. Die Widersprüche sind derart massiv, dass jede andere Nation schon längst zerrissen wäre. Indien aber setzt einen relativ stabilen Expansionskurs fort mit Schwergewicht auf modernen Technologien und dank dem Sog einer anhaltenden Verstädterung, die ebenso chaotisch wie produktiv zu verlaufen scheint. Das hat wohl mit der Religion zu tun, die zwar ein behämmertes Kastensystem, aber daneben ein sehr vielfältiges und ebenfalls widersprüchlich schillerndes Universum von Gottheiten und Werten bereitstellt, im Gegensatz zum Beispiel zur relativ eindimensionalen Doktrin der kommunistischen Partei in China beziehungsweise den konfuzianischen Vorläufern. Eines auf jeden Fall ist bei den Indern nicht festzustellen, nämlich eine welt-machtpolitische oder überhaupt nur eine weltpolitische Dimension. Es ist natürlich möglich, dass sich die entsprechenden Bemühungen unter meinem Radar abspielen, aber ich sehe wirklich nichts Vergleichbares zum Beispiel zu den Chinesen, die ihre Erdöl-Claims praktisch vor der vietnamesischen Küste abstecken und dann noch beleidigt die vietnamesischen Behörden auffordern, die antichinesischen Proteste abzufackeln und auch überall sonst in den Ländern der Dritten Welt gewaltig investieren und so Präsenz und Druck aufbauen, oder im Vergleich zu Russland, das seine Energievorräte als Druckmittel einsetzt, von den Vereinigten Staaten von Amerika ganz zu schweigen, welche überall dort, wo sie hinschlagen wollen, zuerst einen Vorwand von Menschenrechtsverletzungen und was auch immer aufbauen und dann munter ihre Interessen verteidigen, und wer wollte es ihnen denn schon verdenken. Nein, in Indien sehe ich nichts dergleichen, was unter anderem zur Folge hat, dass die wachsende indische Community im Ausland auch weitgehend unbehelligt ihre Geschäfte tätigen kann, und darin sind sie in der Regel ebenso Weltklasse wie viele andere Geschäftsleute auch.

Was ich aber unbedingt noch sagen wollte, ist, dass nach dem ARC-Chef Schorsch nun auch der indische Premierminister einen Namen trägt, der für uns in der neutralen Schweiz bekannt und beruhigend tönt, nämlich heißt Modi auf Berndeutsch nichts anderes als Mädchen. Was aber dieser eigenartige Schweizer Dialekt sonst noch für Schätze verborgen hält, die mit Bezug auf die Weltgeschichte relevant sind, darauf komme ich vielleicht später einmal.