Das Tollwowd in München, eine kritische Begehung

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Zwei Mal im Jahr ist Tollwood in München. Im Winter auf der Theresienwiese und im Sommer im Olympiapark, rund um die neulich abgebrannte Freiheitskirche von Väterchen Timofey. Das Tollwood Festival, veranstaltet von der Tollwood GmbH, versteht sich als öko-kulturelles Festival. Jedes Jahr wird dabei ein Schwerpunkt gesetzt und über ihn aufgeklärt. Dieses Jahr ist es das Wasser. So gibt es rund um das Wasser Aufklärungsangebote und Kunstinstallationen. Unser Redakteur David Westphal kennt das Tollwood-Festival schon seit seiner Kindheit. Aus einer Abendlaune heraus ist er am Eröffnungswochenende gewesen und hat ein paar Eindrücke gesammelt.
Trotz guter Stimmung: der sogenannte Markt der Ideen ein Freiluft-Kaufhaus; die mahnenden Kunstinstallationen reine Wasserverschwendung; die Müllproduktion und der Energieverbrauch enorm. Tollwood setzt damit negativ-Maßstäbe für ökokulturelle Festivals seiner Art, auch wenn der Unterhaltungswert für manche hoch sein mag.
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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt, Kultur
Serie: LORA Magazin
Entstehung

AutorInnen: David Westphal
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 21.06.2023
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
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Tollwood-Kommentar

Letztes Wochenende – eines angenehm warmen Sommerabends – habe ich mich spontan dazu entschlossen, das Tollwood im Olympiapark zu besuchen. Es ist seit über dreißig Jahren eine Institution in München. Das kleine Festival besteht schon seit 1988, daher kenne ich es bereits aus meiner Kindheit. Es war der Ort, an dem Menschen, die man sonst nicht so oft im Münchner Stadtbild sieht, einen Teil ihres Sommers verbrachten. Man dürfte sie Hippies nennen, ohne ihnen viele Jahre später unrecht getan zu haben. Das Thema von diesem Jahr ist das Wasser: Wasser – pures Leben. Denn das Tollwood-Festival versteht sich als ökokulturelles Festival, das ökologischen und kulturellen Themen Gewicht geben möchte. In der Regel tut es das, in dem einiges an Aufklärungsständen und Kunstinstallationen zum Thema überall auf dem Festivalgelände verteilt sind. Immer mit von der Partie sind Musik-Acts und andere Klein- und Großkünstler, das Angebot ist groß und vielfältig. Ich hingegen habe an diesem besagten Abend kein bestimmtes Ziel. Einfach etwas schlendern, so war die Idee.
Zum Hintereingang hinein, erfahre ich erst einmal von den Stadtwerken München, wie hoch der direkte Wasserverbrauch pro Kopf so im Schnitt ist und wie man Wasser einsparen kann. Außerdem wird mir auf einem Schild versichert: Tollwood ist Öko! Denn alle Lebensmittel, die sich auf dem sogenannten Markt der Ideen verzehren lassen, sind Bio-zertifiziert. Ich laufe also weiter, an einigen Essensständen vorbei. „Ganz schön teuer, das alles“, denke ich mir. Aber Qualität hat eben seinen Preis und es wird alles frisch vor den Augen der BesucherInnen zubereitet, an allen Ecken steigen einem appetitliche Düfte in die Nase. Dann die erste Kunstinstallation. Eine zimmergroße Fläche, in der Mitte geteilt. Auf der einen Seite eine Dürre, auf der anderen Seite ein Wasserbecken. Denn die Wasserverteilung auf dem Planeten ist nicht ausgewogen und aus der Balance, darum geht es bei dieser Installation. Leuchtet ein. Nur: verdunstet bei so einem Wasserbecken nicht ganz schön viel Wasser? „Sei es drum, vielleicht erreicht es ja die Richtigen“, denke ich mir. Eher zufällig beginnt wenige Minuten später die Eröffnungsshow. Dafür haben sich die Tollwood-MacherInnen etwas ganz zeitgenössisches einfallen lassen. Eine Drohnenshow, die über dem nahegelegenen Sportplatz stattfindet und vom ganzen Gelände aus gut sichtbar ist. Aus den Lautsprechern tönt Richard Strauss Also sprach Zarathustra, die Drohnen steigen empor. Ein sehr bekannter Sprecher beginnt mit sonorer und professioneller Stimme eine kurze Geschichte unseres Planeten voller Pathos zu erzählen. Erst war alles mit Wasser bedeckt, bis sich die Kontinente bildeten. Bei wechselnder Musik beschreibt er, wie wir Menschen uns die Welt zum Untertan gemacht haben, wie wichtig Wasser sei und wie ungerecht unsere planetare Ausbeutung ist. „Wasser ist Leben“ pinseln die LED-bestückten Drohnen gegen Ende der Show in den Himmel. Man kann sich so eine Drohnenshow vorstellen wie eine 3D-Animation aus einzelnen Lichtern mitten am Himmel. Wahrlich eindrucksvoll! Am Ende senken sich die Drohnen zu We are the world nieder, wie sie aufgestiegen waren. Toll! Richtig toll, wie sie in einem Quader langsam absinken. Ein guter Moment, schnell mal die Drohnen zu zählen: 128 Stück müssen es gewesen sein. „Ganz schön viel Technik für eine wichtige Botschaft. Gibt es Fairtrade-drohnen?“, frage ich mich selbst. Benötigt man nicht viele verschiedene seltene Erden, Kupfer und Plastik für so viele Drohnen und die Technik drum herum? Ist der Wasser- und Menschenverbrauch im Bergbau nicht extrem intensiv? Puh.
Nach einer so imposanten Show brauche ich ohnehin erst einmal was zu trinken. „Immerhin trinkt hier niemand Wasser“, denke ich mir. Das beliebteste Getränk auf dem Tollwood ist nämlich das naturtrübe Bio-Hacker, dass die Großbrauerei Hacker-Pschorr exklusiv für das Tollwood braut. Auch das ziemlich teuer, aber „Exklusivität hat ihren Preis“, denke ich mir. Und für ein so großes Festival benötigt man schon die Versorgungssicherheit einer Großbrauerei, die zu einem soliden Teil Heineken gehört. Heineken ist neben AB-inbev das größte, internationale Bier-Unternehmen. Die werden schon wissen, was ein ökokulturelles Festival benötigt. Moment: war da gerade ein Brunnen?
Egal, denn eigentlich könnte ich eine neue Hose brauchen und Kleidung gibt es sehr viel auf diesem Markt der Ideen! Zwischen bunten Goa-Hosen und bunten Goa-Hosen ist eigentlich alles dabei. Es mag eine gefühlte Wahrheit sein, aber irgendwie haben die meisten der wirklich sehr vielen Kleidungsstände ungefähr dasselbe. Nicht unbedingt ein Kennzeichen von Ideen-Reichtum auf diesem Markt der Ideen. Und noch etwas fällt auf: das meiste ist aus Schwellen- oder Entwicklungsländern. Die Festival-Leitung beteuert, dass alle Händler wenigstens eine Erklärung zum Ursprung ihrer Waren abgeben müssen, so steht es im Festival-Magazin. Es haben also wenigstens alle ein Lippenbekenntnis abgegeben. Ob sie auch Angaben zum Wasserverbrauch und CO2 Ausstoß machen müssen? Neben Kleidung gibt es auch äußerst viel Schmuck. Die wenigsten schauen so aus, als wären sie kleine Kunsthandwerker, wie ich es noch aus meiner Kindheit kenne. Es wirkt eher wie billiger Modeschmuck, bis auf ein paar Ausnahmen. Nur günstig ist hier nichts. Auf der Straße erzählt man sich, dass die Standmiete ziemlich hoch sein soll, denn so finanziere das Festival den kulturellen non-profit Zweig, der von dem Markt und den kostenpflichtigen Veranstaltungen in einem profitablen Zweig ergänzt werde. Ist ja immerhin eine ganz normale GmbH, die Tollwood GmbH.
Der Magen knurrt von diesem vielen Nachdenken. Was nehme ich nur, es ist gar nicht leicht. Ich entscheide mich für einen frischen Baumkuchen – und bekomme ihn in einer praktischen Einwegtüte. So wie an den meisten Essensständen für die zu erwartenden 900.000 BesucherInnen während des gesamten Festivals. Immerhin scheinen die Mülleimer in engem Turnus geleert zu werden. Neben einem der Mülleimer ein kleines Schild: keep the oceans clean. Wir Deutschen trennen den Müll am besten! – produzieren und exportieren aber auch mitunter am meisten. Ob das Schild neben dem Mülleimer hilft? Während ich also weiter laufe, Baumkuchen in der Hand und im Mund, erreiche ich den Haupteingang. Aus irgendeinem Grund ist dort alles nass. Der Grund dafür ist nicht zu übersehen: ein sieben Meter hohes Wassertor. Im Prinzip ist das riesige Wassertor eine überdimensionierte Dauer-Dusche, die zwar mit ihrem Wasserkreislauf wirbt, aber im Prinzip ist die städtische Wasserversorgung auch ein Kreislauf. Dass das so nicht aufgeht, liegt auf der Hand. Ich denke an die sonore Stimme aus der gigantischen Drohnenshow zurück: Verschwendung gefährdet die Versorgungssicherheit. Und an die Schilder der Stadtwerke, die mich über den direkten Wasserverbrauch und Einsparungsmöglichkeiten aufgeklärt haben. Zum Glück sind die Wasserinstallationen auf dem Gelände ja nur indirekter Wasserverbrauch. Er legt sich somit auf alle MünchnerInnen um. Ich kann also – so wie viele – genüsslich an der überdimensionierten Kunst-Dauer-Dusche planschen. Das war mein erster Tollwood-Besuch dieses Jahr und er lässt mich irritiert zurück. Hippies und eine alternative Szene habe ich übrigens nicht zu Gesicht bekommen, dafür den Chor der begeisterten FestivalkundInnen zu We are the world, am ende der Drohnenshow. Auf dem Heimweg, jenseits des Festival-Geländes, komme ich an zwei vollkommen überfüllten und überquellenden Altkleidercontainern vorbei. Höchste Zeit zum Schlafen gehen, der Kopf schwirrt, der Traum von einer besseren Welt hat heute stark gelitten.