Glosse: 30-Minuten-Unterrichtsstunde treibt Lehrer*innen aus ihren Jobs

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Anmod: In Sachsen, speziell in Dresden fällt immer mehr Unterricht aus, planmäßig und außerplanmäßig. Das kann so nicht weitergehen. Deswegen plant das sächsische Landesamt für Schule und Bildung zum neuen Schuljahr sogenannte Personalausgleichmaßnahmen. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass eine Unterrichtsstunde in Zukunft nur noch 30 Minuten lang ist. Klingt aus Sicht der Schüler*innen vielleicht erst einmal gut, doch Jenz Steiner äußert in seiner Glosse seine Bedenken.
Audio
03:27 min, 8087 kB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 05.07.2023 / 12:49
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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Jugend, Kinder, Arbeitswelt
Entstehung

AutorInnen: Jenz Steiner
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 05.07.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Wenn eine Schulstunde statt 45 nur 30 Minuten geht, hat ein Lehrer oder eine Lehrerin rechnerisch an einem Arbeitstag mehr Zeit für Schülerinnen und Schüler. Äh, hoppla, ich meine Zeit für mehr Schülerinnen und Schüler. Das ist ein Unterschied.
Ob eine Schulstunde in Dresden zukünftig nur noch 30 Minuten lang sein sollte, statt 45 Minuten, das war in dieser Woche großes Thema in der Lokalpresse.
Die Gründe liegen auf der Hand. Es gibt zu wenig Lehrer*innen-Nachwuchs. Es fällt sehr viel Unterricht aus.
Planmäßig, weil Stellen und Stunden gestrichen werden. Außerplanmäßig, weil Lehrer*innen krank werden, Kinder kriegen, in Elternzeit gehen oder zur Kur müssen.
Mit Personalausgleichsmaßnahmen zu Beginn des neuen Schuljahrs will das sächsische Landesamt für Schule und Bildung nun Abhilfe schaffen.
Aber mal im ernst. Klar, so wie das jetzt läuft geht es nicht weiter. Doch 30 Minuten Unterricht? Was soll da groß passieren?
Lehrerin kommt in den Klassenraum: Hallo Leute? Sind alle da? Nächstes Thema: Bruchrechnung. Lest Euch mal den Wikipedia-Artikel durch und druckt Euch das Arbeitsblatt aus! Steht alles drauf. Nächste Woche - Test. Ich hau' dann mal wieder rein, muss noch schnell an eine andere Schule in Dresden Gorbitz flitzen. Hilfe! Das klingt nach Sanitätsdienst, nicht nach Pädagogik.

Gruppenarbeit, Vorträge, mal zusammen einen Film zum Thema gucken, eine Exkursion, Unterricht im Freien, mal draußen was vermessen, fotografieren, zeichnen, entdecken. Alles Schnee von gestern. Eigenständige Druckbetankung mit Fachwissen.
Also ich glaube, dieser Karren kann nur gegen den Baum fahren.
Es ist Zeit, den Lehrer*innen-Job mal wieder attraktiver zu machen und die Arbeitsbedingungen an Schulen so zu verbessern, dass Leute wieder Bock haben, auf Lehramt zu studieren. Dafür muss das Studium selber natürlich auch wieder attraktiver werden.

Es ist höchste Eisenbahn, die Lehrkräfte zu entlasten, nicht zusätzlich zu belasten. Die Bildungsgewerkschaft GEW hat schon im März die Alarmglocken geschellt. Ein Drittel der Lehr*innen in Vollzeit arbeitet während der Unterrichtszeit deutlich mehr als das gesetzliche Höchstmaß von 48 Stunden pro Woche. Schon mal was von Arbeitsschutz gehört oder von Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten, liebes Landesamt, liebes Ministerium für Kultus?

Vielleicht lohnt es sich mal zu gucken, wo man ältere Lehrkräfte entlasten kann, um die länger im Job zu halten, statt sie vorzeitig zu vergraulen oder ins Burn-Out zu treiben?
Es gibt Jobs in unserer Gesellschaft, von denen hängt so verdammt viel ab. Das sind nicht nur die Jobs in den Wasserwerken, Krankenhäusern und bei der Stadtreinigung, sondern auch die in den Schulen. Also, liebes Kultusministerium, Liebes Landesamt für Schule und Bildung, Lasst uns Lehrer*innen ab sofort lieber mit Samtpfötchen begegnen, statt sie mit Mistgabeln aus ihren Jobs zu treiben.