Aus Neutraler Sicht KW 14/2004: Kabarett

ID 6533
 
Albert Jörimann ("unser Mann in der Schweiz") produziert jede Woche einen ca. zehnminütigen Kommentar zu aktuellen politischen Themen.
Audio
11:45 min, 11 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.03.2004 / 20:55

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 30.03.2004
keine Linzenz
Skript
Wenn wir schon von Kabarett reden: Am letzten Samstag war ich in einer Vorstellung eines Wieners, mindestens aber Österreichers mit dem schönen Namen Puntigam, der mich aufs Heftigste an einen Willkommensgruss der Stadt Salzburg erinnerte, als ich mal da war, da war nämlich die ganze Stadt zugepflastert mit Bierwerbung, nämlich eben: Bockzeit hammar, Puntigamer. Also diese Melodie geht mir nicht mehr aus dem Sinn, es ist wie Tadadadidaa von Deutsche Telekom und andere Werbeelemente, deren Schönheit in ihrer absoluten Sinnlosigkeit besteht. Bockzeit hammer, Puntigamer. Übrigens tragen dementsprechend in Österreich auch die Fussballclubs der ersten Division die Namen ihrer Hauptsponsoren, also zum Beispiel Wacker Bockzeit hammer Puntigamer Innsbruck, oder wenn der erste Fussballclub Wien zum Beispiel Reklame machen täte für Salzburg, würde er heissen: Erster Fussballclub Mozartstadt Salzburg Wien. Vielleicht gibt es demnächst einen Club, den Silvio Berlusconi finanziell unterstützen wird, der könnte dann zum Beispiel Sturm Forza Italia Graz heissen. Ihr seht: Kabarettisten haben es auch in Österreich wirklich schwer, weil die Wirklichkeit jeglicher Verspottung spottet. Dementsprechend musste dann auch dieser Kabarettist Puntigamer sehr nahe an die Grenze des guten Geschmackes reisen, wo er alsogleich ein Ausreisevisum erhielt. Er gab da als Charakter bzw. als Person einen Studienabbrecher mit ein paar Gewalt- und Sexualphantasien und –praktiken und Ambitionen als Personenschützer, dem kaum einmal der Sprung ins Politische gelang, sondern dessen Witz nur aus den Abgründen bzw. korrekter: aus dem seichten Teich dieses Mikroganoven schöpft. Und das halte ich für problematisch, das halte ich abgesehen von allem anderen auch bei den meisten Figuren von Gerhard Polt für problematisch, die den Durchschnittsbayern als auf Ewigkeit zu extremstem Spiessbürgertum verdammten Protoegoisten darstellen – sowohl Polt wie Puntigam mauern an der These herum, wonach der Mensch grundsätzlich schlecht sei. Ich weiss, ich weiss, auch das ist ein Auftrag des Kabaretts, die Leute mit dem Mittel des Lachens zur Moral zu treiben, aber es ist eben nicht der einzige Auftrag, das Kabarett hat auch noch andere Aufträge, die absolut gegenläufig lauten können, zum Beispiel den Menschen im Publikum mit lauter intelligenten Ideen und präzisen, aber auch absurden Beobachtungen und Bemerkungen den Kopf zu verdrehen. Das ist etwas grundsätzlich anderes. Und vor allem: Politik muss sein, die Verbindung vom einfachen Kopf zum grossen Weltgetriebe, ohne das geht kein Kabarett. Und das kam bei Puntigam erst im zweiten Teil noch ganz ein bisschen hervor, als er immerhin mitteilte, dass Bundeskanzler Schüssel einen sehr grossen Penis hätte. Das war wohl sehr lustig.

Mit anderen Worten: Puntigam war nur beschränkt lustig, am sogenannten Wording wäre da noch ebenso sehr zu arbeiten wie an der Grundidee und an allen anderen Ideen. Aber immerhin etwas muss man festhalten: Seine Bühnenpräsenz war absolut unglaublich dicht. Also wie der da seinen Monolog von der Rampe stösst – doch, das konnte man stehen lassen, und dafür war auch der Eintrittspreis wirklich nicht zu schade. Eben, jetzt noch ein bisschen mehr Witz statt Zote und so weiter – dann gibt uns das am Schluss noch einen wirklich Grossen in der Welt des Kabaretts.

Was mir bei diesen Bett-, Blut- und Spermageschichten durch den Kopf gegangen ist, kann ich jetzt nicht alles wiedergeben, aber zwei Gedanken möchte ich hier doch formulieren. Zum einen hat Eduard Fuchs in seiner Sittengeschichte oder Sexualitätsgeschichte einmal geschrieben, dass sich der Mensch vom Tier dadurch unterscheide, dass sich Mann und Frau beim Koitus in die Augen schauen könnten. Für einen Sexforscher ist eine solche Erkenntnis natürlich angemessen, wie denn sonst. Für normale Menschen hingegen... Da gibt es so ne Plakate aus historischen Filmen, fast überall sind Männer und Frauen drauf abgebildet, o.k., nicht beim Koitus, aber bei einer Vorform davon, beim Küssen nämlich, und wenn man diese Filmplakate genau ankuckt, dann stellt man fest, dass Mann und Frau anatomisch überhaupt nicht dafür geschaffen sind, sich von Bauch zu Bauch zu begegnen, und dann eben erst recht, was Mann und Frau angeht – in aller Regel ist der Menno einen Kopf grösser und küsst, anatomisch gesehen, somit knapp über den Scheitel der Frau hinaus, nein, natürlich nicht, aber er muss den Kopf furchtbar nach unten neigen und sie, nämlich die Frau, den ihren nach oben, damit da eine Schnittstelle entsteht. Und er aber hält dann die Frau wie im Polizeigriff in verschiedenen Varianten, am liebsten an den Oberarmen, wenn man auch nur einigermassen Körpersprache versteht, dann weiss man sofort, dass es eigentlich der gleiche Griff ist wie bei einem Hühnchenbein, in das man hineinbeisst. Also von wegen, beim Sexualverkehr einander in die Augen schauen, das ist eine absolut unzulässige Verkürzung, eine parteilich eingefärbte Schönrednerei eines völlig anderen, völlig unanatomischen Verhaltens zwischen den Geschlechtern.

Und dann und vor allem aber ging mir imperativ durch den Kopf, ungefähr gleich, wie der Vers: Pockzeit hamma, Puntigamma, dass Ordnung doch im wesentlichen von innen her kommt. Mich selber betrifft das vor allem, weil ich bin ja ziemlich unordentlich, und das muss an meinem Innen liegen, wahrscheinlich liegen bei mir auch alle Organe ziemlich unaufgeräumt herum, was weiss ich, aber die Gedanken dann vollends. Um so mehr leuchtet mir ein, eben, dass Ordnung im wesentlichen von innen her kommt, und damit sie aber den Weg richtig nach aussen nehmen kann, sollte man immer gebügelte Unterwäsche tragen.

Ich bin übrigens sicher, dass dieser Gedanke mir deswegen gekommen ist, weil die Bühnenpräsenz des Kabarettisten Puntigam auf einer sehr grossen Körperlichkeit beruht. Also der läuft uns zu Beginn wirklich halbnackt hin und her, wenn er von seiner Familiengeschichte erzählt, er trägt einen Weiberrock, der sich dann als tragbare Umkleidekabine entpuppt – es ist schon sehr drall, was der Herr Kabarettist von sich selber zeigt, aber das könnte ein einfacher kultureller Unterschied sein zwischen Zürich und Wien, wo sowas vielleicht ganz selbstverständlich ist. Und es ist typisch, dass ein Zürcher Bewohner dann eben auf den Gedanken kommt, dass Ordnung von innen her kommt, während der Österreicher Sittengeschichtler Fuchs hier auf ganz andere Ideen kommt.

Na gut. Am Abend davor hatte ich in Ottis Schlachthof im Bayrischen Fernsehen noch einen anderen österreichischen Kabarettisten gesehen, der dann doch etwas politischer war; zum Beispiel sagte er wortwörtlich, dass es bei der österreichischen sozialdemokratischen Partei, der SPÖ, schon längstens nicht mehr um Inhalte gehe, im Gegensatz zur deutschen SPD. Das fand ich eine wirklich hübsche Pointe. Aber lassen wir das.

A proposito SPD bzw. Rentenreform: Wie geht’s denn so voran? Das Jammern, das da über die Grenzen dringt, ist so allgemein und laut, dass man als neutraler Beobachter gar nicht anders kann, als auf einen gesunden Volkskörper zu schliessen. Den Vitalitätstest habt Ihr bestanden, und dafür muss man doch dem Schröderkanzler auch wieder danken. Das Seltsame an dieser Rentenreform ist ja eigentlich nicht, dass sie durchgeführt wird, sondern dass sie ohne jede Perspektive durchgeführt wird. Nirgends ist die Rede von einem Projekt, von einer Verbesserung der Gesellschaft, von höherer Gerechtigkeit, von steigender Sicherheit oder von grösserem Wohlbefinden. Die Rentenreform wird durchgestottert, während die Grundlagen für die Rente, nämlich das bürgerliche Erwerbseinkommen, seinerseits sämtliche Grundlagen verliert. Und so zwickelt und zwackelt man denn den Menschen ein paar Euro hier, ein paar Euro dort ab, während im Hintergrund dieser lächerliche Prozess um die Abfindungen bei Mannesmann stattfindet, als ob Abfindungen in Millionenhöhe das Zeugs zu einem Verbrechen in sich hätten – wirklich, diese Posse hätten sich die Richter ersparen können. Dieses System hier, in dem wir leben, ist zwar keiner mehr, aber es nennt sich nach wie vor Kapitalismus. Der Kapitalismus ist jenes System, in dem die einen Menschen den Mehrwert schaffen und die anderen ihn abschöpfen. Unser ganzes Rechtssystem ist auf die Abschöpfung des Mehrwertes hin ausgerichtet, also bitte schön, weshalb sollte denn nun plötzlich diese Abschöpfung unrecht sein? Das ist allerdings ein Witz. Und dass einer der Gewerkschaftsbosse hier tapfer mit garniert hat, ist doch nur eine Bestätigung der effektiven Machtverhältnisse in Deutschland und auch anderswo in Europa: Die Gewerkschaften sind längstens einer der wichtigsten Stabilitätsfaktoren in diesem System, und zwar um so stabiler, je lauter sie ihre Kritik am Kapitalismus und an seinen Auswüchsen herausbrüllen.

Naja. Davon abgesehen: Letzthin hatten wir da ein grosses Wiedersehen mit einer Person, die ganz und gar von der Weltbühne verschwunden war, mit Frau Condoleezza Rice. Was für ein Kalkül steht nun hinter der Aktivierung dieser längst ausgemusterten Figur? Frau Rice steht im Ruf, ohne zu überlegen alles wiederzugeben, was George Wilhelm Busch ihr vorgekaut hat. Genau deswegen wurde sie wohl aus dem Verkehr gezogen, weil sie nämlich allzu offensichtlich nicht nur keine eigene, sondern überhaupt keine Meinung hatte, und nun hält die Frau plötzlich wieder echte Pressekonferenzen ab? Das muss wohl eine demografische Erklärung haben. Condoleezza Rice könnte jene Wählerinnen und Wähler mobilisieren, die mehr oder weniger eine schwarze Mittelschicht darstellen. Wie dann allerdings der Aussenminister Colin Powell eingesetzt wird im Wahlkampf, darüber werde ich mir dann noch den Kopf zerbrechen müssen. Vielleicht kommt der demnächst auch mit einer Autobiografie hervor, in der er seine Intimitäten mit Bush Vater und Bush Sohn und deren beschränktem geistigen Potenzial herausbringt. Das wäre cool. Ich weiss ja nicht, wie weit der US-Präsidentschaftswahlkampf von Meinungen aus dem Ausland beeinflusst wird, aber wenn es solche Einflüsse gibt und wenn solche Einflüsse aus Europa auch nur einen kleinen Beitrag leisten in diesem Wahlkampf, dann müsste John F. Kerry diese Wahl gewinnen.

Ich weiss, ich weiss, das ist reines Wunschdenken, und vor allem ändert es vermutlich nicht allzu viel an der Politik der Vereinigten Staaten. Entgegen seinen Versprechungen kann John F. Kerry keine Arbeitsplätze schaffen, wenn der technische Fortschritt in der Elimination von Arbeitsplätzen besteht. Er wird vielleicht die etwas sanftere Art und Weise des Imperialismus anwenden, aber keineswegs den Imperialismus aufgeben, das wissen wir doch allesamt auch. Aber eben: Wir wissen auch, dass uns manchmal nur schon die schauspielerische Leistung beziehungsweise die Abwesenheit jeglicher schauspielerischer Leistung vorkommt wie eine Wohltat gegenüber jenen verlogenen symbolischen Gesten, die George Wilhelm Busch vor, während und nach dem Irakkrieg mit einem weithin sichtbaren Jungen-Stolz vom Stapel gelassen hat. Ja, dort wars ihm wohl, als grösster Feldherr aller Zeiten, knapp vor Darius und Xerxes. Na Bravo. Anderseits: Wenn die jetzt den Bush vollends abwählen, auf wen sollen wir dann unsere negativen Gefühle gegenüber dem US-Imperailismus konzentrieren? Auch wieder schwierig. Genau so wie in Italien: Sollte Berlusconi je in die Luft gesprengt werden, an wen werden wir uns nachher halten? Über den katastrophalen D’Alema kann man sich schon aufregen, aber so ein riesiges, umfassendes Arschloch wie Silvio Berlusconi, das ist dann doch einmalig. So gesehen, sollte es uns eigentlich noch ein bisschen erhalten bleiben, um unser Weltbild klarer polarisieren zu können.