"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Neujahr 2015 -

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Zu Beginn des neuen Jahres stelle ich fest: An den Zukunftsvorstellungen hat sich nichts geändert, bloß die Realität rückt ihnen näher. Oder auch nicht: Wie vor vierzig Jahren unken und murmeln die Futurologen, die unterdessen ihre Bärte abrasiert haben, weil sie nicht in Verbindung gebracht werden wollen mit radikalen Moslems, davon, wie die Computer in ihrer Robotergestalt bezie­hungs­weise vermittels ihrer Kommunikationsfähigkeiten mindestens 50% der Arbeitsplätze vernichten werden, und zwar so ziemlich in sämtlichen Bereichen der Produktionswelt.
Audio
10:49 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.01.2015 / 10:33

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 06.01.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Mit einer Portion empirischer Wissenschaft würden sie feststellen, dass die Wirtschaft auf solche Tendenzen bisher immer mit der Produktion nicht neuer Güter, aber immerhin neuer Arbeitsplätze reagiert hat, zum Teil in bisher unbekannten Bereichen, aber mit Vorliebe in der Verwaltung. Man könnte sagen, dass die zukünftige Wirtschaftswelt sich am Arsch orientiert, denn sie besteht immer mehr aus Sit­zun­gen, und es ist nicht falsch, wenn man in diesem Zusammenhang auch an heiße Luft denkt in der Form von Fürzen. Die Kunst des Systems besteht darin, radikal unproduktive Tätigkeiten erstens zu finanzieren und zweitens im Rahmen eines größeren Sinnsystems als superproduktiv darzustellen. Wie das in der Praxis funktioniert, das weiß jede und jeder selber genau, die und der in der freien Marktwirtschaft an irgendeiner Stelle tätig ist. Im konservativen und strikten Sinne müsste man sich über diesen Verschleiß beklagen und darüber, dass die Produktivitätsgewinne nicht so eingesetzt werden, dass die Menschen endlich auf der ganzen Welt von entfremdeter Arbeit befreit werden, sondern in zunehmend absurden Strukturen irgendwelchen Scheiß verrichten; aber so strikt darf man eben nicht sein, sondern man muss zwei Dinge berücksichtigen, erstens nämlich, dass die meisten Menschen gar nicht auf Anhieb in der Lage wären, ihre Tage selbstbestimmt mit erfüllenden Tätigkeiten auszufüllen – denn dazu benötigt es nicht nur die individuellen Voraussetzungen, also eine breitest mögliche Allgemeinbildung inklusive handwerkliche Fähigkeiten, Programmieren und so weiter, sondern auch gesellschaftliche Strukturen zu deren Entfaltung –, und zweitens soll sich der erwachsene Geist ganz einfach daran erfreuen, dass das Zeitalter nach der Industrialisierung zu einem rein dadaistischen, surrealistischen Konstrukt geworden ist. Wir taumeln als Marionetten ohne Marionettenspieler in einem mehr­di­men­sio­nalen virtuellen Raum herum und tun dergleichen, als bewegten wir uns und handelten noch nach den Gesetzmäßigkeiten der siebziger Jahre. Aus erkenntnistheoretischer Sicht ist das zwar katastrophal, aber in der Praxis kann das viel Freude bereiten. Es ist alles erlaubt, also möchte ich die Gelegenheit hier mal benutzen, um euch zu Beginn des neuen Jahres dazu aufzurufen, es halt auch zu tun. Tut alles! Gebt alles! Und setzt eure ernstesten Mienen auf!

Damit meine ich natürlich nicht, dass ihr Moscheen anzünden sollt. Absurd, surrealistisch und dada­istisch ist alles andere als bekloppt. Stattdessen könntet ihr eine Moschee bauen, sofern ihr noch keine habt, oder aber ihr gründet eine Bank. Es ist keine besonders neue Erkenntnis, dass das Geld spätestens seit dem Verlust der Golddeckung zuerst zur reinen Glaubenssache geworden ist und anschließend zur vorherrschenden Glaubenssache. Wer an Geld glaubt, egal, ob an die absurden Wechselkurse oder daran, dass er im Aldi tatsächlich für einen Euro dreiunddreißig einen Liter guten algerischen Rotweins kriegt, der liegt derart richtig, dass er noch nicht mal merkt, dass er sich in einem reinen Glaubenssystem bewegt. Von den Tollereien auf den Finanzmärkten und bei den Staatsschulden wollen wir gar nicht erst sprechen; dort sind, genau genommen, die Grenzen des Glaubenssystems längstens überschritten worden, hier beginnt eine neue Glaubensstufe, das ungläubige Staunen, also der Unglaube über den Glauben, der zum stehenden Glauben wird, und das hat natürlich seine echte und wahre Schönheit – was sollen all die Kümmerhirne, die in Dresden, im Tal der Unwissenden, gegen die Islamisierung jammern angesichts solcher globaler und echter Weltwunder?

Nun gut, die Migrationsbewegungen, welche tatsächlich Hunderte und Tausende von Giaurs, von Andersgläubigen ins christliche Abendland spülen, die sind natürlich ebenfalls eine Tatsache, über die man sich nicht zu wundern braucht, auch sie werden uns im Jahr 2015 begleiten. Wir brauchen aber gar nicht so unschuldig zu tun. Während den Festtagen ist die Ferienplanung ein beliebtes, wo nicht das wichtigste Thema im öffentlichen Raum, und mich soll eine Blattlaus treten, wenn nicht restlos alle Menschen von irgendwelchen Migrationsbewegungen in alle Welt sprachen, vom Eintages-Einkaufstrip nach New York über Schnorchelferien in Ägypten bis zu den bekannten Lateinamerika-Touren, Neuseeland, Australien, sehr viel Thailand, etwas weniger Indonesien und China und auch ordentlich Nordafrika neben den bekannten Destinationen Mallorca, Madeira, Karibik, Kapverden und so weiter. Was die fremdenfressenden Europäer alles an Meilen fressen, um in fernen Ländern Rostbratwurst zu spachteln, das geht auf keine Kuhhaut. Und solange das so ist, hat kein christlicher Abendländer das moralische Recht, auch nur einen Papp zu sagen gegen die Migrationsströme, die aus Menschen bestehen, welche nach Europa nicht in die Ferien, sondern auf Arbeit wollen.

Hier liegt übrigens der wahre Glaubenskonflikt, es ist nicht jener zwischen Islam und Christentum, sondern es ist der Glaube daran, dass Geld tatsächlich Wunder bewirkt, welcher die Massen an Geld erst erzeugt, die die entwickelten Länder auszeichnen. Europa ist sozusagen das Lourdes der Menschen in Afrika. Von Syrien will ich nicht sprechen, da ist einfach die Staatenbildung neu im Gange, angestoßen von Wilhelm Busch, dem übrigens tatsächlich sein Bruder im Amt des Präsidenten nachfolgen soll. Das wird mal ein spaßiger Wahlkampf: Der Sohn und Bruder eines Präsidenten kämpft gegen die Gattin des Nachfolgers des Vaters und Vorgänger des Bruders. So etwas ist einfach in mehreren Dimensionen zum Kotzen, und dank dieser Mehrschichtigkeit bekleckert man sich nicht dabei, wenn man etwas aufpasst. Jedenfalls ist mir da ein echter ausgewachsener Autokrat lieber oder vielleicht so ein Putin, der seinen Gegnern immer mal wieder zeigt, wo der Bartel den Most holt und, wenn er schon den Kritiker nicht direkt verurteilen lässt, aus welchen Gründen auch immer, so doch wenigstens dessen Bruder in den Knast wirft. Da werden meine relativ atavistischen Bedürfnisse nach klaren Strukturen und einem eindeutigen Bösewicht ganz direkt befriedigt, und deswegen bin nicht nur ich, sondern sind auch die simpel gedrechselten Teile der rechtsextremen Bevölkerung begeisterte Anhänger von Vladimir Putin. In den USA dagegen wird der Begriff der Vetternwirtschaft zu einem progressiven politischen Programm. Meine Güte.

Für Aufheiterung sorgen angesichts solcher Probleme immer wieder die luxemburgischen Politiker, welche sich nach der Veröffentlichung ihres Produkteangebots im Bereich der internationalen Steuerhinterziehung schlagartig in die ersten, ernsthaftesten und eifrigsten Bekämpfer dieses Sortiments verwandelten. Im neuen Jahr sah ich im Fernsehen, wie der luxemburgische Finanzminister das Steuergeheimnis als Auslaufmodell bezeichnete, das man dringend aufgeben müsse. Er folgte so dem neuen Präsidenten der EU-Kommission, welcher die energische Bekämpfung aller Finanzkonstrukte zwecks Steuerhinterziehung zuoberst auf die Prioritätenliste der Kommission setzte – zwei Tage, nachdem die Luxileaks mit all diesen Konstrukten, die er selber erarbeitet hatte, publiziert worden waren. Für solche Leute ist in früheren Zeitaltern mal zuerst der Ohrfeigenbaum und dann im Zug der Industrialisierung die Ohrfeigenmaschine erfunden worden. Schade, dass es die heute nicht mehr gibt. Beziehungsweise, ich vermute ja, dass die internationalen Bilderberger diese Ohrfeigenmaschine irgendwo versteckt haben. Wie wäre es, wenn die Montagsdemonstranten in Dresden einmal dagegen protestieren würden?

Um nochmals auf diese christlichen Abendländler zurückzukommen: Die Medien in Deutschland und auch anderswo benutzen auch diese Ereignisse, um einen auf Panik zu machen, wie dies unterdessen die Hauptfunktion von Presse, Funk, Fernsehen und Internet geworden ist, übrigens kommt mir hier gerade in den Sinn, dass Oh mein Gott oder auch Oh my god nichts anderes heißt als Insch’Allah, glaube ich. Der Hauptvorwurf geht dabei nicht an die Abendländler, sondern an Frau Merkel, welche die CDU/CSU mit SED-ähnlichen Mehrheiten, nun ja, wenigstens innerhalb der CDU, auf einem stramm sozialdemokratischen Kurs hält, ganz in der Tradition ihres Gönners und Vor-Vorgängers Helmuth Kohl – diesen letzteren Hinweis unterlassen die Medien übrigens in der Regel. In diesem Zusammenhang seien innerhalb der CDU sämtliche rechten und rechts­extremen Positionen aufgegeben worden, sodass sich dieses Gesocks nun außerhalb oder aber in der Allianz für Deutschland oder in ähnlichen Vereinigungen ansammle. Diesen außerordentlich schwe­ren Vorwurf lasse ich persönlich aus neutraler Sicht nun gerne auf Frau Merkel sitzen und finde, dass jener Teil des Gesellschaftsspiels, der Politik heißt, wohl nicht mehr im Ernst mit rech­ten und rechtsextremen Positionen zu betreiben sei, mindestens nicht in jenen Gebieten, in welchen der Glaube an die Geldwirtschaft derart ausgeprägt ist wie in Deutschland. Vielmehr wird die Kraft des wahren Verlaufs kräftigstens in Richtung einer Weiterentwicklung der gesell­schaft­lichen Verhältnisse verlaufen, welche sich einen Deut um die Pegida scheren. An die Stelle von Pegida tritt das lenkerfreie Auto von Google, in welchem die gestressten Verwaltungsangestellten von einer mordsmäßig wichtigen Sitzung zur nächsten gefahren werden. Als nächste Eskalationsstufe wer­den den Autos dann wohl auch jene Drehflügel angeheftet, welche es ihnen erlauben, den unteren Luftraum mit zu benutzen, nachdem das Gedränge auf den Straßen vor lauter Binnen­migra­tion ja nicht mehr auszuhalten ist, während die Bahnunternehmen sowieso nicht die Absicht haben, die neuen Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen.

Zum Abschluss noch ein Steuerschmankerl, diesmal aber kein luxemburgisches, sondern ein schweizerisches: Eine besondere Kategorie von Migranten, nämlich die Superreichen, erhalten in der Schweiz neben allen Aufenthaltsrechten auch ein Steuerprivileg, nämlich die so genannte Pauschalbesteuerung, wenn sie keine anderweitigen Einkünfte haben, das heißt, sie werden gemäß ihrer Lebensführung besteuert. Damit lässt sich ein hübscher Batzen Geld einsparen, glaubt es mir, bloß sollte man nachweisen, dass man den Lebensmittelpunkt tatsächlich in der Schweiz hat. Zu den derart Pauschalbesteuerten gehört nun aber unter anderem niemand Geringerer als ein Gouverneur aus dem ukrainischen Dombass. Wie sich die Schweizer Steuerbehörde davon überzeugen ließ, dass der Gouverneur einer ukrainischen Provinz, und überhaupt, wieso nicht gleich der Präsident der Ukraine den Lebensmittelpunkt nicht in der regierten Provinz, sondern im vorliegenden Fall in Genf hat, das ist ein weiteres Weltwunder, deren wir allerdings deutlich mehr als sieben aufweisen in der heutigen Zeit.