"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Jordanien & Brasilien

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Also jetzt nochmals in der nötigen Klarheit: Die Rebellen sind lieb und damit beschäftigt, in den Spitälern die Kleinkinder zu pflegen, welche vom bösen Assad-Regime vergiftet und verbrannt wurden. Ungefähr gleich, aber anders böse ist der Islamische Staat, dem es im Moment auf den Kopf regnet.
Audio
10:01 min, 23 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.09.2016 / 14:17

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Religion, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 02.09.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die irakisch-kurdischen Rebellen sind eigentlich auch lieb, aber manchmal halbe Verbündete des bösen Assad-Regimes, manchmal ganze Verbündete der US-Amerikaner, die übrigens sehr lieb sind, manchmal gehen sie aber auch den Türken auf den Geist, welche dann lieb sind, wenn sie gegen den Islamischen Staat und vor allem gegen den bösen Assad vom Leder ziehen, aber etwas weniger, wenn sie dem Islamischen Staat Erdöl abkaufen, seine Kämpfer in ihren Spitälern pflegen und die ganze Hinterland-Logistik bereit stellen, und ebenfalls etwas weniger, wenn sie die irakisch-syrischen Kurden bekämpfen in jenen Phasen, wo diese gerade lieb sind, also gegen den Islamischen Staat und ein bisschen auch gegen den bösen Assad kämpfen.

Alles klar? Wunderbar. Weitermachen.

Etwas weiter in Richtung Europa, am Bosporus und in Kleinasien, sammeln sich oder stauen sich die Flüchtlinge, welche unterdessen nicht mehr nur ein Geschäftsmodell für Schlepper und ähnliche anbieten, sondern mindestens für den Staat Türkei ebenfalls. Darüber hinaus bieten sie ein Geschäftsmodell für Menschen, welche Politik machen wollen durch die Aktivierung von so genannt niedrigen Instinkten in der Bevölkerung beziehungsweise im so genannten Volk. Im Moment scheint es so, dass auch die kleinen Schritte, welche die Gesellschaften in Europa in Richtung hin zu einer echten Demokratie unternommen haben, also die Einrichtung eines säkularen Staates auf der Grundlage einer Verfassung auf der Grundlage der aufgeklärten Vernunft und der daraus resultierenden Grundsätze, zum Beispiel der Menschenrechte, als wären auch diese kleinen Schritte wieder akut bedroht, als stünde die Rückkehr einer monokulturellen autoritären Gesell­schaft unmittelbar bevor, in welcher alle gemeinsam und begeistert Ja und Jawoll brüllen und Hängt sie auf, Prozess brauchen wir keinen. Dieses Geschäftsmodell bietet auf der anderen Seite auch den immerwährenden Moralisten Futter für mehrere Jahre, um diesem neuen latenten Faschismus ihre Besorgnis und ihre aufrechte Gesinnung tapfer entgegen zu stellen. Ich persönlich darf mich aus dieser Verantwortung schleichen und sagen: Soweit wird es nicht kommen, diesen rechts­natio­nalistischen Arschlöchern werden wir den Garaus machen, ohne dass ein einziger Schuss fällt und ohne dass wir zusätzliche Gefängnisse errichten, indem nämlich zwangsläufig ein Aufstand der Vernunft in die Nähe rückt. Im Moment erleben wir den Austritt von Faulgas, vor allem aus dem osteuropäischen, aber auch aus dem westeuropäischen Gesellschaftskörper, wie es sich halt ausbildet, wenn es so viel zu verdauen gibt. Wir leben im Zeitalter der vier Winde, der Fürze, welche in alle Himmelsrichtungen abgehen und ordentlich stinken. Und dann, nach einer gewissen Zeit, ist es wieder gut, dann können wir uns wieder aufrappeln und versuchen, die Umwandlung der aktuellen politischen Systeme von einem Schauspiel der Demokratie in eine echte Demokratie doch wieder in die Hand zu nehmen. Denn dies muss irgendwann möglich sein unter den erwähnten Bedingungen: Alle BewohnerInnen sind in der Lage, selbständig zu denken und Entscheide zu fällen, und alle BewohnerInnen sind im Besitz sämtlicher relevanter Informationen. Was immer das auch heißen mag.

Nun wollen wir uns aber der Frage zuwenden, was eigentlich, nein, nicht Hayden Pannettiere, sondern das Land Jordanien macht? Um dieses rund 90'000 Quadratkilometer große Land ist es in der Regel erstaunlich ruhig, wenn man die unruhige Nachbarschaft ansieht mit der Westbank, also den israelisch besetzten Territorien im Westen des Jordan-Flusses, und im Norden der Syrer. Die Bevölkerungszahl steht nach der letzten Erhebung im Jahr 2015 bei knapp 10 Millionen Menschen, wovon ein Drittel ausländischer Herkunft sind, namentlich Flüchtlinge und illegale Immigranten. Allein 4 Millionen leben in der Hauptstadt Amman. Zu den jordanischen BürgerInnen zählen auch rund 2 Millionen Palästinenser, wobei hier Fragen der Staatszugehörigkeit offen sind vor allem für Leute, die aus der Westbank stammen oder dort ihre Familien haben. Schon früher strandeten immer wieder Flüchtlinge hier, zum Beispiel während dem zweiten Irakkrieg 2003; die meisten dieser fast eine Million IrakerInnen sind aber wieder zurückgekehrt, wobei zahlreiche ChristInnen in Jordanien geblieben sind. Sie werden hier generell toleriert, machen rund 4% der Bevölkerung aus und berufen sich auf eine Präsenz im Land seit dem 1. Jahrhundert nach Christus, selbst­ver­ständ­lich aus Gründen der offensichtlichen geografischen Nähe zu den christlich-biblischen Orten. Der Libanon-Krieg im Jahr 2006 spülte rund 15'000 Menschen ins Land, und die Zahl der SyrierInnen wird auf gut 1.5 Millionen geschätzt.

Wirtschaftlich gesehen entfällt etwa 26% des Bruttoinlandprodukts von rund 38 Milliarden US-Dollars auf den Industriesektor; der Tourismus steuerte knapp 5 Milliarden bei, wobei ein gewisser Teil auf den so genannten Medizintourismus entfällt. Allerdings ist die Anzahl an BesucherInnen seit 2010 wegen der Kriege in der Region um 70% zurückgegangen. Ansonsten gilt das Land als wirtschaftlich recht gut diversifiziert mit gesunden Handels-, Finanz- und Dienstleistungssektoren. Die Außenschuld hat in den letzten Jahren zugenommen und beträgt rund 35 Milliarden Dollars, also 90% des BIP. Die Weltbank schätzt die Kosten der syrischen Flüchtlinge auf rund 2.5 Milliarden Dollar pro Jahr, was 6% des BIP beziehungsweise 25% der gesamten Staatseinnahmen entspricht; ein Teil der Kosten wird von ausländischen Beiträgen gedeckt, Jordanien trägt aber zwei Drittel davon.

Politisch gesehen ist Jordanien eine konstitutionelle Monarchie, wobei der König über weitgehende Rechte verfügt, z.B. kann er bei Bedarf das Parlament auflösen oder die Regierung entlassen. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Senat und dem Abgeordnetenhaus. Der Senat wird vom König persönlich bestückt durch die Ernennung von bewährten Politikern. Das Abgeordnetenhaus wird alle vier Jahre gewählt und umfasst 130 Mitglieder. Und außenpolitisch gesehen bildet Jordanien einen Eckpfeiler der westlichen Präsenz im Nahen Osten. Trotz den großen Problemen, vor allem mit den Flüchtlingen, gilt Jordanien als Land mit gut ausgebildeter Bevölkerung und rangiert weltweit im oberen Mittelfeld.

Soviel an dieser Stelle zu dieser relativ friedlichen Ecke mitten im nahöstlichen Tumult. Daneben werfen wir einen kurzen Blick nach Brasilien, wo die Noch-Präsidentin Dilma Rousseff wohl vergeblich um ihren Verbleib im Amt kämpft. Aus neutraler Sicht erscheinen die Vorwürfe gegen sie einerseits begründet, nämlich die Budgetmanipulationen, nachdem der auf dem Erdöl gründende Reichtum von Brasilien mit den kollabierenden Energiepreisen sich plötzlich in Luft aufgelöst hatte. Wenn man sich aber das große beziehungsweise strukturelle Problem ansieht, das selbst­ver­ständ­lich ebenfalls mit dem Erdölreichtum beziehungsweise dem Einnahmenkollaps zu tun hat, nämlich die grassierende Korruption, dann steht Dilma Rousseff mit vergleichsweise weißer Weste da, namentlich im Vergleich zu ihrem Hauptankläger und ehemaligen Alliierten Michel Temer. Aber das will die Welt wohl gar nicht wissen. Neben und mit der Korruption gilt als weiteres Hauptproblem Brasiliens, dass die Reichen keine Steuern bezahlen. Das ist ein echtes Phänomen, das man in anderen Ländern kaum in diesem Ausmaß beobachtet. Und als weiteres Problem muss man die Freikirchen nennen, die aus den USA importierten Evangelikalen, welche der katholischen Kirche das Leben schwer machen. Es handelt sich hier um weitgehend kommerzialisierte Organisationen mit eigenen Banken, Schulen, Fernsehsendern und so weiter, deren Einfluss selbstverständlich weit in die Politik hinein reicht; ohne Freikirchen hat man in Brasilien keine Chance, und das gilt auch für die angeblich ehemalige Trotzkistin Dilma Rousseff.

Ein Nebeneffekt dieses Freikirchen-Problems ist es vermutlich, dass innerhalb der katholischen Kirche justament in jenem Moment, da an der Spitze ein offensichtlich progressives Oberhaupt steht, die konservativen Tendenzen sich wieder zu verstärken beginnen. Offensichtlich lässt sich in Ländern wie in Brasilien keine Kirche machen mit Vernunft oder so etwas wie vernünftiger Theologie, das ist eine nicht allzu begeisternde Einsicht, und die Verstärkung der reaktionären Tendenzen in der katholischen Kirche ist zweifellos eine Reaktion auf solche Einsichten. Für Brasilien ist das umso betrüblicher, als hier ja vor fuffzich Jahren die Befreiungstheologie recht gut verbreitet war und Hoffnung für die armen und unterdrückten Schichten eröffnete. Heute wird Hoffnung mit Bauernfängerei in Kirchen und Fernsehsendungen erzeugt. Eine weitere Marotte des Weltgeistes, offensichtlich, und als kleine Nebenwirkung stehen in den katholischen Bistümern auch in Europa zunehmend wieder die alten dummen blöden Sturköpfe herum, einfach in neuer Ausführung.

In Hawaii hat ein Team aus Astronauten bzw. Wissenschaftlern nach einem Jahr seine Mars-Mission beendet. Die Jungs und Mädels lebten weitgehend isoliert in einer Art Zelt. Das finde ich dann wieder lustig und auch konsequent. Wenn die Probleme auf der Erde wieder mal unlösbar erscheinen, dann muss sich unsere Energie auf die Suche nach Auswegmöglichkeiten konzentrieren, und sei es auf dem Mars. Das scheint einfacher zu sein als der Aufbau einer modernen Gesellschaft, in welcher die Armut abgeschafft und Existenzängste überflüssig werden.

Vielleicht könnte man bei euch auch mal so ein Experiment starten? Je nach Ausgang der Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern könnte man das Gebiet bestimmen, das zu isolieren wäre. Allerdings ist die Vorstellung, dass die nach einem Jahr alle mit einem steifen rechten Arm aus dem Riesenzelt heraus kommen, auch wieder nicht besonders attraktiv. Also lassen wirs lieber bleiben.