"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Kabarett

ID 80202
 
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Auch wenn ich weiß, dass es euch, geschätzte Hörerinnen und Hörer in Thüringen, sehr deutlich egal ist, was die bayrischen Späßemacher und Kabarettistinnen grad so alles anstellen, will ich doch wieder mal einen Blick nach München werfen.
Audio
10:27 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.11.2016 / 09:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, Internationales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 30.11.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Den Anlass dazu gab mir ein Film, den ich am letzten Wochenende im Bayrischen Staatsfernsehen gesehen habe und in welchem Florian Karlheim einen Kriminalinspektor gab so, wie man ihn eben kennt, wenn man ihn kennt. Kennen gelernt habe ich ihn vor, was weiß ich, zehn Jahren in den ersten Folgen der Polizeirevier-Serie «München 7», die auch heute noch in der ix-ten Fortsetzung läuft, nachdem es eine erhebliche Pause gegeben hatte zwischen der ersten und der zweiten Staffel. Die aktuellen Folgen sind in der umfassenden Inhalts- und Bedeutungslosigkeit verschwunden und werden nur noch getragen von den Protagonisten, in erster Linie dem grummelnden Andreas Griebel, von dem ich ansonsten und kabarettistisch schon einige Zeit lang nichts mehr Neues gehört habe, und eben dem Karlheim Florian. Dieser ist zwar eindeutig um mehr als die zehn oder fuffzehn Jahre älter geworden, die seit der Ausstrahlung der ersten Staffel vergangen sind, während die Zeit an Andreas Griebel vorbei gezogen ist, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen; Florian Karlheim dagegen sieht unterdessen aus wie eine Fehlentwicklung, ein Wesen, das mit verschiedenen Teilen des äußeren Persönlichkeitsbildes ein Teenager geblieben ist, während Haupthaar und Gesichtshaut die Merkmale eines Fünfzigjährigen aufweisen. Durchschnittsalter somit fünfunddreißig, und das könnte hinkommen.

Im Film «Paradies 505» aus dem Jahr 2013 spielt Karlheim den Kriminalkommissar Lederer. Es ist eine Nebenrolle, für welche ihm die Regie einen Requisiten-Schnurrbart auf die Oberlippe geklebt hat, der neben den Mundwinkeln nach unten zieht. Aber auch hier bricht in gewissen Abständen jene erratische, fast außerirdische Komponente durch, welche Karlheim seinerzeit als Felix zu einer der interessantesten Figuren in der nicht eben schmalen bayrischen Darstellerpalette gemacht hat. Das beginnt mit seinem Gehwerk, einem Gang, als wäre er soeben nach einem wochenlangen Ritt durch den Wilden Westen aus dem Sattel gestiegen, staksig mit dünnen O-Beinen, welche entfernt an Charlie Chaplin erinnern. Das verleiht ihm nun eben im hohen Alter einen sehr eigenartigen Geh-Charakterausdruck. Vor allem aber gibt es in seinem Spiel immer wieder unvermittelte Brüche, Stillstand statt Fortschritt, die mich immer an eine Begebenheit mit dem Kind eines bekannten Ehepaares erinnert. Wir schickten uns damals an, eine Kirche in Lausanne zu besichtigen, und der Vater sagte zu besagtem Kinde, dass man in den Kirchen jeweils ruhig zu sein pflege. Während wir aufs Tor zu gingen, begann das Kind plötzlich zu schreien oder zu singen in einer Lautstärke, dass die Passanten stehen blieben und unsere Gruppe interessiert musterten. Das Kind war keineswegs traurig oder zornig oder was auch immer, es brachte nur auf seine ganz besondere Art zum Ausdruck, welche Assoziationen der bevorstehende Kirchenbesuch in ihm auslöste. Wir bogen rechts ab und nahmen den Weg zum nächsten Hamburger-Stand. Genau so spielt Florian Karlheim seine Rollen. Plötzlich brüllt er irgendwo jenseits aller Zusammenhänge im Zeugs herum, um gleich darauf zu verstummen, ohne dass das Gebrüll eine Funktion für die Geschichte oder den Film gehabt hätte. Und so passt er auch in diesen angeblichen Kriminalfilm, in welchem der Bayrische Rundfunk ziemlich viele Elemente zwischen Volkstheater und Tatort in der Manier von Frankenstein zusammensetzt.

Florian Karlheim ist dabei meines Wissens gar kein Kabarettist, er ist einfach beheimatet im Umfeld der Damen und Herren Gruber, Giebel und wie sie alle heißen. Es gibt dabei auch einige Bewegung. Zum Beispiel hat Helmut Schleich insonderheit mit seinem Schleich-Fernsehen praktisch alle Durchschlagskraft eingebüsst. Zwar ist seine Darstellung des Franz Josef Strauß nach wie vor sehenswert, aber aus einer zwanzig Jahre alten Masche presst man nun mal keinen wirklich großen kabarettistischen Saft mehr raus, und den Rest kann man sich voll ersparen, vielleicht noch mit Ausnahme jenes Stanzerl-Tonis, den er jeweils aus einer Schublade in den Requisiten heraus holt; aber sonst gibt es nichts mehr zu lachen. Vollkommen von meinem Radar verschwunden ist sodann der Erwin Barmwasser mit seiner Figur Pelzig; vor einem halben Jahr habe ich ihn in einem Randgebiet noch mit seiner Sendung «Pelzig hält sich» gesehen, aber ansonsten findet er in der bayrischen und auch sonst deutschen Kabarett-Öffentlichkeit nicht mehr statt, obwohl er zweifellos jener Kabarettist ist, der inhaltlich die höchste Dichte bei einem absolut anständigen Witz-Koeffizienten aufweist. Aber die Zeiten verstreichen, und das gilt auch für jenen anderen Vogel, der es anlässlich der ersten Wahl von Frau Bundeskanzlerin Merkel verpasst hat, sein Visier neu einzustellen beziehungsweise zu justieren. Urban Priol hat von der ersten Sekunde an gegen Merkel gelästert und gewettert, als sei sie so etwas wie der zukünftige Orban eines totalitären Deutschlands oder auch nur eine verschärfte Ausgabe der bayrischen Ministerpräsidenten, egal, ob sie Stoiber oder Berghammer oder Seehofer heißen — der Priol hat ganz einfach den Puck nicht gesehen, und so geisterte er mit dem Pelzig zusammen noch eine Zeitlang in der «Anstalt» des ZDF herum, bis er sich jetzt in eine Ecke verkrümelt hat, in welche ich keine Einsicht mehr habe. Und das ist mir im Gegensatz zum Pelzig auch recht, denn der Priol zeigte seine widerständig kritische Haltung jeweils in erster Linie mit seiner Haartracht, welche er widerspenstig aufgeföhnt zur Schau stellte und so die ganze Zeit über wie mit dem Zeigefinger auf sich selber deutete: Schaut mal her, ein derart massiv origineller Wirrkopp bin ich im Fall! - Und diese Form der Selbstvermarktung ist mir zuwider, erst recht dann, wenn sie weit neben den Tatsachen liegt.

Dagegen hat der Schlachthof nach dem Ausscheiden von Ottfried Fischer zu einer neuen und durchaus eigenständigen Form gefunden mit Christian Springer und Michael Altinger. Altinger ist an und für sich nicht im politischen Kabarett groß geworden, er bringt in erster Linie sich selber auf die Bühne, im Gegensatz zum eminent politischen Springer, aber die beiden machen ein sehr funktionales Duo her und fahren mit ihren Gästen quer durch die Tagespolitik.

Ebenfalls nicht ausgesprochen politisch, dafür aber umwerfend komödiantisch ist Günther Grünwald, der sich durch Sprache und Sinn hangelt, dass es nur so funkt, und das macht immer große Freude. Bisher habe ich erst ein Soloprogramm von ihm gesehen, aber ich bemühe mich, seine monatlichen Sendungen im Bayrischen Rundfunk unter dem Titel Grünwald Freitagscomedy nicht zu verpassen. Die bisher schwächste Sendung mit ihm sah ich am vergangenen Freitag, nämlich eine Hommage zu seinem 60. Geburtstag, moderiert von Hannes Ringelstetter, der ein guter Schauspieler sein mag, aber als Kabarettist taugt er nichts, und dementsprechend lahm war die Feier-Übung.

Soviel hierzu. Und dann nimmt man in Zeiten wie diesen, übrigens wie schon in Zeiten wie gestern und mit Garantie auch in künftigen Zeiten gerne Zuflucht zu kleinen Glücks­meldungen wie zum Beispiel jener aus dem Newsletter des Cannabis-Samenhändlers Sensiseed mit dem Titel: «Rektale Anwendung von Cannabis» vom 30. Oktober dieses Jahres. Die Reporterin Scarlet Palmer hat einen Selbsttest mit Cannabis-Zäpfchen unter­nom­men und begleitet ihn mit anatomischen Angaben zur Lage der oberen, mitt­leren und unteren Rektalvene, während die Zusammenfassung der vor­lie­gen­den wissenschaftlichen Daten eher auf ein Ausbleiben eines Rausch- oder Entspannungs­erlebnisses hinweisen. Ihr eigener Erlebnisbericht bestätigt dagegen das Auftreten eines Flashes, und zwar wie folgt: «Obwohl meine Erfahrung ein eindeutig erkennbares Cannabis-High war, war es doch anders als das, was ich gefühlt hatte, als ich Cannabis gegessen, geraucht oder verdampft hatte. Mein Kopf war klar, und ich fühlte mich friedlich, aber munter: Ein High, wie es sich typischerweise bei Sativa-Sorten einstellt, allerdings ohne den sich steigernden Headrush oder eine mögloiche Verwirrung. Es war außerordentlich angenehm, aber keineswegs so, dass ich mich ausgeliefert fühlte, sondern vielmehr wirklich munter war. Die Drachenbäume in meinem Wohnzimmer sahen faszinierend aus. Wieder unter die Bettdecke zu kriechen, war sehr angenehm. Der Zustand der Zufriedenheit und Entspannung hatte durchaus Opiat-Qualität, allerdings ohne Übelkeit oder das Gefühl der Abkoppelung.» Und sie schließt mit der Feststellung, dass die Wirkung viel länger angehalten hätte als bei anderen Einnahme-Formen.

So schön das auch ist: In der Schweiz wollen wir einfach hoffen, dass kein helles Licht bei der rechtsnationalen SVP diese Meldung gelesen haben, sonst lancieren die uns noch eine Volksinitiative, mit welcher die rektale Zufuhr von Cannabis mit einem Verfassungsartikel verboten wird.

Noch ein Wort zur Politik. Neben Deutschland wird 2017 bekanntlich auch in Frankreich gewählt, und ich bin gespannt, ob der amtierende Präsident François Hollande erstens tatsächlich noch einmal antritt, wie er es offenbar gerne möchte, aber vielleicht nicht un­be­dingt seine Partei, aber wie auch immer und zweitens, wie er dann abschneidet im ersten Wahlgang. Man kann François Hollande vorwerfen, was man will, aber eines steht fest: Er hat versucht, als Präsident nicht jeder Versuchung der Popularität nachzugeben, und er hat ebenfalls versucht, seine Unabhängigkeit zu erhalten, auch wenn das oft ein seltsamer Wert ist, der dich nicht wirklich weiter führt als die effektiv bestehenden Ab­hän­gigkeiten. Im Gegensatz zu fast allen seinen Vorgängern hatte ich bei ihm immer den Eindruck, dass er sich bei seiner Amtsführung redlich um das Wohl des Landes bemühe und nicht darum, selber möglichst glänzend dazustehen oder gar einen Extraprofit aus seiner Position zu ziehen. Und genau aus dieser Beobachtung entsteht die Spannung, indem die Frage lautet, ob ein anständiger Prozentsatz der wählenden Bevölkerung in Frankreich zum Zeitpunkt der Wahlen zu einem ähnlichen Schluss kommt wie ich jetzt gerade oder eben nicht? Eine ausgesprochen spannende Frage, ein echtes Barometer der aktuellen moralischen Verfassung des Landes, so wie wir anfangs dieses Monats eine Messung aus den Vereinigten Staaten erhalten haben.