"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Afrika Februar 2017

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Gemäss der Verfassung von Burkina Faso muss der neu ernannte Premierminister einen Monat nach seiner Amtseinsetzung seine Politik in den grossen Zügen vorstellen.
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Upload vom 21.02.2017 / 14:42

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur, Politik/Info, Religion, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 21.02.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Anfang Februar ist dies nun auch tatsächlich erfolgt, und zwar zum ersten Mal in der jungen Ge­schichte des Landes: Paul Kaba Thieba wurde nach dieser Präsentation vom Parla­ment in seinem Amt bestätigt, und zwar von 72 Abgeordneten, während sich 53 Vertreter der Partei des im Oktober 2014 gestürzten Präsidenten Blaise Compaoré sowie jene des unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Zéphirin Diabré der Stimme enthielten. Premierminister Thieba war Anfang Januar von Präsident Roch Marc Christian Kaboré eingesetzt worden, ein früherer Premierminister unter Campaoré, der im November 2015 in freien Wahlen mit 53.19 Prozent der Stimmen gewählt worden war. In Burkina Faso sind die Verhältnisse, mit anderen Worten, recht stabil. Die Beseitigung des Machthabers Compaoré, der seine Amtszeit ins Hundertste und Tausendste verlängern wollte und dafür immer wieder Verfassungsänderungen durchsetzte, erfolgte am Schluss vergleichsweise friedlich, obwohl es nach dem Putsch noch einen Gegenputsch gab, der aber einigermassen friedlich abgeschlossen werden konnte. Am 15. Januar 2016 gab es einen Terroranschlag im Geschäftszentrum von Ougadougou, dem vor allem ausländische Geschäftsleute und Diplomaten zum Opfer fielen, insgesamt 20 Menschen, unter ihnen übrigens der ehemalige Generaldirektor der Schweizer Post, der schon während seiner Amtszeit zahlreiche Kooperationsprojekte in Afrika gefördert hatte. Aber sonst ist der Staat ruhig und stabil.

Während eure Frau Bundeskanzlerin einen Besuch in Algerien abstattet, freut man sich drei Länder weiter im Osten über deutliche Anzeichen einer wirtschaftlichen Belebung. Ägypten hat nach einem Einbruch des Wechselkurses Anfang November 2016 um fast 50 Prozent, oder anders gesagt nach einem Anstieg des Wechselkurses von 10 Pfund pro Euro auf 20 Pfund, aktuell 17 Pfund, eine deutliche Stärkung seiner Exporte erfahren, und auch beim Hauptwirtschaftszweig Tourismus ziehen die Indikatoren wieder an, nachdem die Zahl der Besucher von 9.3 Millionen im Jahr 2015 auf 5.3 Millionen im Jahr 2016 zurückgegangen war, hauptsächlich wegen der Angst vor Terroranschlägen und ganz speziell nach dem Absturz eines Flugzeugs mit russischen Touristen im Oktober 2015. Diese Zahl erlaubt übrigens eine Wirtschaftlichkeits- oder Kosten/Nutzen-Rechnung für einen solchen Anschlag: 4 Millionen Touristen, wohl eher im Niedrigpreis-Sektor, geben, sagen wir mal 300 Dollar pro Person aus, macht Einnahmen von 1.2 Milliarden Dollar, welche Ägypten hier verloren hat. Bei, sagen wir mal 500'000 Dollar, welche der Anschlag selber gekostet hat, ein ansehnliches Resultat. Und eben, der Terror ist als Wirtschaftsfaktor nicht zu unterschätzen. Noch zum Vergleich: Ägypten exportierte im Jahr 2014 Waren für insgesamt 33.2 Milliarden, unter anderem Rohöl für 6.84 Milliarden, Raffinerieprodukte für 1.34 Milliarden oder Videodisplays für 757 Mio. Dollars.

Jetzt zieht der Sektor wieder an; im Dezember 2016 ist die Zahl der Touristen von 440'000 im Vorjahr wieder um einen Viertel gestiegen auf 551'600, und auch die Buchungen haben zugelegt. Die grösste chinesische Reiseagentur bestätigt bereits für das Jahr 2016 einen Anstieg der Reisen nach Ägypten um 58%. Den Ausschlag geben werden aber die Touristen aus England und Russland, vor allem für die Sinai-Halbinsel. Für die entsprechenden Destinationen haben auch die skandinavischen Länder ihre Reiseeinschränkungen Anfang Februar 2017 aufgehoben. Trotzdem wird es noch eine Weile dauern, bis das Niveau aus dem Jahr 2010 mit 14.7 Millionen Touristen wieder erreicht wird.

Kennt ihr Lamido Sanusi, den Emir von Kano? Vielleicht hört ihr bald mehr von ihm, denn der einflussreiche moslemische Führer in Nigeria hat vor, die Polygamie per Gesetz zu verbieten. Gemäss lokalen Medienberichten hat er kürzlich folgende Argumente vorgebracht: «Wir haben gesehen, wohin es führt, wenn die Männer vier Frauen heiraten, sie aber nicht ernähren können. Sie zeugen zwanzig Kinder, die keine Erziehung geniessen, auf den Strassen gross werden und zu Gängstern und Terroristen werden.» Und weiter zum Familiengesetz: «Dieses Gesetz konkretisiert, was der Islam zur Ehe zu sagen hat. Es verbietet Zwangsheiraten, es stellt häusliche Gewalt unter Strafe, es legt die Voraussetzungen fest, die erfüllt sein müssen, um eine zweite Frau zu heiraten, und es definiert die Verantwortung der Väter beim Aufziehen der Kinder, über die Zeugung selber hinaus.» Und schliesslich: «Mit diesem Gesetz wird zum ersten Mal in Nigeria der Zivilstand gemäss moslemischem Recht kodifiziert, von der Einwilligung in die Ehe, vom Unterhalt bis zur Scheidung, den Unterhalt der Kinder und zum Erbrecht.»

Sambia blickt wie Ägypten wieder zuversichtlicher in die Zukunft, nachdem der Preis für seinen Hauptexportartikel Kupfer innerhalb von vier Jahren von über 10 000 Dollar pro Tonne auf unter 5000 Dollar im Jahr 2016 gesunken war. Jetzt hat wieder eine Aufwärtsbewegung eingesetzt, der Preis steht knapp unter 6000 Dollar. Sambia gilt generell als eines der stabilsten Länder in Afrika und verzeichnete im Rahmen des Rohstoffbooms bis 2012 starke Wachstumsraten, welche sich allerdings auch in einem starken Bevölkerungswachstum niederschlugen, was wiederum die Zunahme des Wohlstandes pro Kopf sabotiert, ganz abgesehen davon, dass der Reichtum aus dem Rohstoffgeschäft immer nur in Bruchteilen im Herkunftsland bleibt; der Grossteil alimentiert den Reichtum der entwickelten Welt, unter anderem über Firmen wie Glencore, über deren Chef Ivan Glasenberg ich kürzlich gesprochen habe beziehungsweise über die Tatsache, dass er dank einer fantastischen Unternehmens­steuerreform seine Dividenden aus dem Rohstoffgeschäft ganz und gar steuerfrei beziehen konnte. Auch in Sambia spielen übrigens chinesische Direktinvestitionen eine erhebliche Rolle.

Auf einem anderen Kontinent fristet ein kleines Land, ungefähr so groß wie Rumänien, ein Schattendasein mit seinen neuneinhalb Millionen Einwohnern und einem negativen Bevölkerungswachstum. In den Fokus der Geschichte ist es erst seit Kurzem wieder gerückt, seit die internationalen Flüchtlingsströme das Land als Einfallstor nach Polen und Litauen entdeckt haben. Ja, es handelt sich um Weißrussland, und im Moment ist die Europäische Union dabei, mit Weißrussland die gleichen Verträge auszuhandeln wie mit dem anderen Diktator, welcher die Ostgrenze der EU sichert, dem türksichen Sultaniner Erdogan. Alexander Lukaschenko ist erst 61 Jahre alt und wird sein Land noch mindestens zwanzig Jahre lang regieren, wenn es gut geht, sogar noch 40. Er selber nennt eine Zahl dazwischen. «Mein Sohn Kolja braucht noch 30 Jahre, bis er versuchen kann, Präsident zu werden», soll er laut der Süddeutschen Zeitung gesagt haben. Ob die Macht so lange halten wird, ob die Flüchtlinge ebenso lange in ihren Auffangzentren bleiben und so weiter, kann man nicht wissen.

Auf einem weiteren Kontinent wird momentan gewählt, zum Beispiel in Ecuador, wo der offizielle Kandidat der Regierungspartei pünktlich zum 100-Jahr-Jubiläum der Oktoberrevolution Lenin Moreno heißt. Er lag am Montag deutlich vor seinem konservativen Gegner, der ebenfalls einen programmatischen Namen trägt: Guillermo Lasso. Um gleich in der ersten Runde abzuräumen, braucht Lenin aber 40% der Stimmen, und dies stand beim Verfassen dieser Zeilen noch nicht fest. In einem zweiten Wahlgang sind seine Chancen nicht so sicher, denn die an dritter Stelle liegende Cynthia Viteri, deren Namen keinerlei Assoziationen weckt außerhalb der Person, welche ihn trägt, hat angekündigt, dass sie Lasso unterstützen wird. Lasso gegen Lenin – es dürfte ein knapper Wahlgang werden, wenn es soweit kommt.

Letzthin besuchte ich ein ethnologisches Museum mit einer Ausstellung von Ritual- und Totempfählen aus Neuguinea. Bei dieser Gelegenheit stellte ich fest, dass ich keine Ahnung habe von dieser Inselgruppe, was eigentlich schade ist, denn der Ahnungs-Status wird allgemein unterschätzt, so ein bisschen eine Ahnung sollte man mehr oder weniger von allem haben, und dann hat der Ahnungs-Status noch den Vorteil, dass er nicht zum Irrtum verleitet, dass man etwa alles oder auch nur das Wichtigste wisse über den be-ahnten Gegenstand. Nun ich aber also keine Ahnung hatte von Papua Neuguinea, schlug ich im Schlauen Buch des Fähnleins Fieselschweif den entsprechenden Artikel auf, und das erste, was mir auffiel, war die autonome Region Bougainville, natürlich wegen der Bougainvilléa-Blume. Dann kam aber sogleich die Passage zum Krieg, ich zitiere: «um die von Rio Tinto betriebene umweltvergiftende und bis dahin weltweit zweitgrößte Kupfer/Gold-Mine in Panguna», der mit dem Sieg der Bougainville Revolutionary Army endete und Mitte der nuller Jahre in die Wahl einer autonomen Provizregierung mündete. Spätestens 2020 soll ein Referendum über die vollständige Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea durchgeführt werden. Solange bleibt Queen Elizabeth offiziell Oberhaupt des ganzen Landes.

Eine Information zu Papua-Neuguinea dürfte dagegen die Freunde von Alternativ­währungen freuen, ich zitiere: «Zur Stabilisierung der internen Wirtschaftskreisläufe wird seit 2002 der Gebrauch des traditionellen Muschelgeldes der Tolai als Komplementärwährung offiziell gefördert. Im Februar 2002 wurde in der Nähe von Rabaul auf der Insel Neubritannien die weltweit erste Muschel-Bank eröffnet. Die Tolai Exchange Bank wechselt das Muschelgeld in harte Währung, den Kina. Der aktuelle Wechselkurs beträgt vier Kina für ein fathom (eine Kette mit Muscheln). Allein auf der Gazelle-Halbinsel schätzt man einen Umlauf an Muschelgeld in Höhe von acht Millionen Kina.»

Soviel hierzu, und über die Wiederaufnahme des Betriebs in der Pangunamine laufen selbstverständlich Verhandlungen. Gift und Gold treibt die Welt an.

Kommentare
22.02.2017 / 10:54 Matthieu, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet im MoRa am 22.2.
danke