"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Indien und Griechien

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Zwischendurch gibt es noch Nachrichten, die in bekannte Schemen passen und damit den eigenen Kopf etwas beruhigen, zum Beispiel die Meldung, dass die britische Mobiltelefoniegesellschaft Vodafone ihr Indien-Geschäft zusammenlegen will mit jenem des Konkurrenten Idea Cellular.
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12:19 min, 28 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 21.03.2017 / 13:27

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Religion, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 21.03.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Der Grund dafür besteht im Umstand, dass der reichste Inder Mukesh Ambani letztes Jahr ein völlig neues 4-G-Breitbandnetz aus dem Boden gestampft hat, auf dem er Gratis-Sprachdienste und Billig-Datenübertragung anbietet. Reliance Jio Infocomm, so heißt das Teil, hat 20 Milliarden US-Dollar gekostet. Die Kombination aus Vodafone und Idea Cellular verfügt über 400 Millionen Kunden, was einem Marktanteil in Indien von 35% entspricht, und der Wert wird auf gut 23 Milliarden geschätzt. Nicht betroffen von diesem Deal ist Indus Towers, ein weiteres Joint Venture zwischen Vodafone und Idea Cellular sowie dem dritten traditionellen Marktführer, Bharti Airtel.

Sodann wurden in diesen Tagen zwei Indizes publiziert, der eine zum Glück, der andere zur Gesundheit. In Sachen Glück hat Norwegen Dänemark entthront an der Spitze der glücklichsten Länder der Welt. Der entsprechende Bericht wird seit 2012 vom UNO-Institut Sustainable Development Solutions Network erstellt. Die Definition von Glück lautet dabei laut Jeffrey Sachs, dem Direktor des Instituts, wie folgt: «Glücklich sind jene Länder, in welchen ein gesundes Gleichgewicht zwischen Wohlstand im konventionellen Sinn und sozialem Kapital besteht, konkret ein hohes Ausmaß an Vertrauen in der Gesellschaft, geringe Ungleichheit und Zufriedenheit mit der Regierung.» Als Parameter werden sechs Fakiren gemessen: Bruttoinlandprodukt pro Kopf, Lebenserwartung, Freiheit, Wohltätigkeit, gegenseitige soziale Unterstützung und das Fehlen von Korruption in Staat und Wirtschaft. Hinter Norwegen und Dänemark folgen Island, die Schweiz, Finnland, die Niederlande, Kanada, Neuseeland, Australien und Schweden. Die Vereinigten Staaten belegen Rang 14, Deutschland folgt auf Platz 16, Großbritannien auf Platz 19 und Frankreich auf Platz 31. Am Schluss der Liste figurieren der Südsudan, Liberia, Guinea, Togo, Rwanda, Tansania, Burundi und die Zentralafrikanische Republik.

Bei der Gesundheit dagegen liegt gemäß dem Bloomberg Global Health Index Italien an der Spitze. Zwar stagnieren die Wirtschaft und damit auch die Berufsperspektiven für die Italienerinnen und Italiener seit Jahren, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 40%, und der Staat wird von einem gewaltigen Schuldenberg fast erdrückt; aber zum einen zählt das Land trotzdem nach wie vor zu den großen Industrienationen, und dann sorgt in erster Linie die italienische Küche für die ausgezeichnete Verfassung der Bevölkerung mit Frischprodukten, Früchten, fettarmem Fleisch, Fisch und dem konsequenten Einsatz von Olivenöl. Hinter Italien finden sich auf diesem Index Island, die Schweiz, Singapur, Australien, Spanien, Japan, Schweden, Israel und Luxemburg.

Bloomberg meldet sodann, dass Griechenland die Kriterien für die Auslösung der nächsten Raten der Notfallkredite, welche Griechenland seit, ich weiß unterdessen schon nicht mehr wie lange über Wasser halten, schon wieder nicht erfüllt hat. Dieses Spektakel wiederholt sich alle paar Monate. Alle wissen, dass die Schulden Griechenlands unter den aktuellen Bedingungen an den Finanz- und Schuldenmärkte niemals zurückbezahlt werden können; alle tun dergleichen, als könnte man die Notfallkredite als Mittel benützen, um die Griechen zu den längstens überfälligen Strukturreformen zu zwingen, und es wird immer klarer, dass alle Griechen gelernt haben, sich in diesem unwürdigen Spiel einzurichten, ohne auch nur einen Gedanken an Strukturen und Reformen zu verschwenden. Bloomberg veröffentlicht eine Grafik des griechischen statistischen Amtes zur Entwicklung des Bruttoinlandproduktes pro Quartal seit 2012; leider war entweder das griechische statistische Amt oder aber Bloomberg nicht in der Lage, die 14 Werte seit dem 3. Quartal 2013 auch mit den entsprechenden Balken anzugeben, es standen dafür nur 13 Stück zur Verfügung, sonst hätte ich sagen können, dass sich seit dem 3. Quartal 2013 in schöner Regelmäßigkeit Zunahmen und Abnahmen ablösen mit Ausnahme des 2. und 3. Quartals 2016, die beide positiv ausfielen, während das vierte Quartal wieder im Minus endete. Griechenland betreibt absolutes und stoisches Nichtstun, es ist unterdessen zum höchstdekorierten Running Gag eines Landes geworden, und es erstaunt mich eigentlich, dass die Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes mit ihrer ebenfalls ausgesprochen mediterranen Küche nicht auf der Liste der Langlebigkeit in der Nähe von Italien auftauchen. Umgekehrt ist es wohl so, dass die Bevölkerung in den Städten von den Spar­maß­nahmen trotz allem recht stark betroffen war mit dem entsprechenden Rückgang von Einkommen und Lebensqualität, während auf dem Land die Einbußen deutlich geringer ausfielen, egal, ob durch Subsistenzwirtschaft, Tourismus oder EU-Gelder. Es ist ein Running Gag, und am liebsten möchte ich erst dann wieder über Griechenland sprechen, wenn mir jemand mitteilt, dass sie jetzt doch endlich ein staatliches Grundbuchregister eingeführt haben. Das Fehlen dieses Katasters ist auf absehbare Zeit bloß eine weitere Facette des Running Gags.

Wie Ihr wisst, verfolge ich die Diskussion rund um das bedingungslose Grundeinkommen mit erhöhtem Interesse; in dem Zusammenhang erhalte ich auch einen täglichen Newsletter, und in den letzten Tagen kam mir da ein Beitrag vor Augen eines gewissen Jochen, welcher den Blog Duckhome betreibt. Es ging dabei um das neue Buch «Radikal Gerecht» des Ökonomen Thomas Straubhaar, in welchem dieser einmal mehr das bedingungslose Grundeinkommen begründet und befürwortet, aus liberaler Sicht, halt, aber das ist erstens nicht verwunderlich von einem Wirtschaftsprofessor, und zweitens lässt sich das Grundeinkommen tatsächlich als liberales Konzept einrichten, mir ist das grundsätzlich egal, solange einfach die wesentlichen Parameter erfüllt sind: individuell, bedingungslos, zusätzlich zu anderen Einkommen und in Existenz sichernder Höhe. Thomas Straubhaar spricht in diesem Zusammenhang meines Wissens zum ersten Mal von 1000 Euro pro Person und Monat, was ungefähr dem aktuellen Stand der Debatte auch bei der Linkspartei oder bei den Kreisen um Götz Werner entspricht. Selbstverständlich weist Straubhaar darauf hin, dass die Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens im politischen Prozess bestimmt wird oder meinetwegen im ökonomischen; je nachdem, wie viel Knete verfügbar ist, kann man das Grundeinkommen auch höher ansetzen. Straubhaar schreibt dazu: «Je höher oder tiefer das bedingungslose Grundeinkommen angesetzt ist, umso teurer oder billiger wird die Finanzierung für den Staatshaushalt und umso schwieriger oder einfacher ist es umzusetzen.» So weit, so knapp, so korrekt, und den Rest dieser Diskussion will ich mir hier ersparen. Er plädiert für eine Quellensteuer auf sämtlichen Einnahmen und Erträgen, also auch Kapitalerträgen und letztlich auch aus von Robotern generierten Einkünften, wobei er hier keine konkreten Modelle formuliert. Daneben führt er die wichtigsten Argumente für die Einführung eines BGE aus liberaler Sicht auf, unter anderem auf der sozialpolitischen Ebene, wo er schreibt, dass blinde Sozialpolitik gute Sozialpolitik sei, sich also distanziert von den sogenannt gezielten Unterstützungsleistungen, oder dann vor allem aus dem Bereich der absehbaren wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen rund um die Industrialisierung 4.0 oder die zunehmende Lebenserwartung. Kurz: ein ganz normales, leserlich geschriebenes Werk, dem ich einen Gedankenfehler und einen gedanklichen Mangel vorhalten würde. Der Gedankenfehler besteht in Straubhaars Forderung, dass alle deutschen Staatsangehörigen ein Anrecht auf das Grundeinkommen haben müssten – auch wenn sie im Ausland wohnen. Das ist natürlich ein großer Unsinn. Das Grundeinkommen kann und muss pro Wirtschaftsraum konzipiert werden, nicht pro Staatsangehörigkeit. Die Freizügigkeit setzt erst dort ein, wo die Menschen ins Rentenalter kommen; dort übernimmt das Grundeinkommen ja auch die entsprechenden Funktionen der Altersrente, und diese muss ganz selbstverständlich überall hin ausgerichtet werden. Aber während dem aktiven Berufsleben kann es nicht an die Staats­ange­hö­rigkeit gebunden werden. Dies ist übrigens auch bei der Altersrente nicht der Fall. Der zweite Mangel, den ich überall immer wieder feststelle, ist ein konzeptioneller: Auch Straubhaar befürwortet das BGE als rationales, gerechtes und zukunftsgerichtetes Modell; aber er vergisst die wesentliche Komponente, dass das Grundeinkommen zu einem Grundrecht für die Individuen und zu einer Institution des modernen Staates werden muss. Dieser Grundrechtcharakter ist von ganz gewaltiger Bedeutung. Aber auch hierzu vielleicht an einem anderen Ort mehr.

Unser Jochen von Ducknet aber betitelt seinen Artikel mit «Die Straubhaarlüge über das Grund­ein­kommen». Für ihn ist Straubhaar ein Apologet des Neoliberalismus, dessen einziges Ziel es ist, die arbeitenden Menschen auszubluten. Als Beweis führt Jochen den Wikipedia-Eintrag zu Straubhaar auf, wo tatsächlich steht, dass Straubhaar Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sei, der Körber-Stiftung, welche auch das Buch herausgibt, und noch ein paar weitere verbrecherische Aktivitäten wie die Mitgliedschaft in einer Finanzholding oder im Bahn-Beirat. Jochen schreibt: «Dass Deutschland heute so zerrissen ist, wie sie es ist, und viele Menschen nicht mehr ein und aus wissen, ist eine direkte Folge auch seiner Lügen. Gäbe es ein Rechtssystem in Deutschland, würde er das Gefängnis vermutlich nie mehr verlassen dürfen, und sein gesamter Privatbesitz würde an die Menschen, die er mit entrechtet und arm gemacht hat, zurückfallen.» Vom Grundeinkommen beziehungsweise davon, was Straubhaar dazu zu sagen hat, weiß Jochen nichts. Die einzige Passage dazu geht so: «Vor kurzem, als in der Schweiz ein bedingungsloses Grundeinkommen ziemlich nah an einer Realisierung war, hatte er vor allem Einwendungen gegen die geforderte Höhe. Ihm geht es nicht um Menschwürde oder gar Anstand. Es geht ihm darum, ein Grundeinkommen festzulegen, da ungefähr auf heutigem Hartz IV oder sogar noch etwas darunter liegt und seinen Auftraggebern, den gnadenlosen Ausbeutern, dient.»

Allerbeste guteste Güte! Straubhaar schreibt über ein BGE von 1000 Euro, Jochen behauptet, er fordere 500 Euro und weniger. Straubhaar will explizit Kapitalerträge gleich besteuern wie Lohnarbeit, was unserem Jochen komplett entgangen ist. Sein Hinweis, «gäbe es ein Rechtssystem in Deutschland, würde er das Gefängnis vermutlich nie mehr verlassen dürfen» erinnert mich übrigens unglücklicherweise an den alten Gremlitza von der «Konkret», der vor einem Jahr behauptet hat, dass bei den Treffen von Spitzenvertretern der deutschen Industrie jeweils mehrere hundert Jahre Justizvollzugsanstalt zusammen kämen. Das ist einfach nur noch debil. Hier sitzen nicht verurteilte Verbrecher zusammen, das ist ja gerade der Trick. Da hat sich ein ursprünglich vielleicht einmal vernünftiger Gedanke, nämlich dass es im Kapitalismus tatsächlich Kapitalisten gibt und andere, in einer Art und Weise verselbständigt, welche das vernünftige Denken gänzlich zerfressen hat. Bei euch wie bei uns auch gibt es tatsächlich einen Rechtsstaat, selbstverständlich einen im Dienste der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, aber es ist nun mal einer. Formulierungen wie die von Jochen oder Gremlitza verweisen auf die Verwechslung von Recht und dem eigenen Gerechtigkeits­emp­finden, welches sich eben nicht an Grundsätze und Gesetzestexte halten muss. Dass dies dem Hirn entgeht und erst recht in die Welt hinausgeschrieben wird, macht den neutralen Beobachter komplett perplex.

Es ist denn auch kein Wunder, dass der Artikel von Jochen, dessen ducknet sich um eine antiimperialistische Haltung bemüht, auf einem anderen Blog abgedruckt wird, nämlich auf brd-schwindel.org, was nichts anderes ist als ein Blog der deutschen Reichsbürger. Die Reichsbürger haben ja genau die gleiche Auffassung vom Rechtsstaat wie Jochen. Mir aber wird schwindlig, wenn ich sehe, wie da Leute im Bewusstsein ihrer vollkommenen Kompetenz vollkommenen Irrsinn in die Tasten hauen – von Gremlitza über Jochen bis hin zu den Reichsbürgern. Das schmerzt.