»KI« ... Konditionierte Intelligenz

ID 135604
1. Teil (Hauptteil)
Was erwartet jemand, der „eine KI“ fragt, was sie in letzter Zeit verblüfft hat, oder was sie kürzlich besonders nachdenklich gemacht hat? Was erwartet so jemand von einer Maschine, die sich seriell und (in menschlich-psychoanalytischen Begriffen gesprochen) zwanghaft pausenlos durch Mega- und Giga- und Terabytes beliebiger Daten, Texte, Bilder, Klänge schaufelt?

„KI“ … Konzern-Intelligenz

Die sogenannte Künstliche Intelligenz arbeitet ganz nach Art des Barons Guttenberg, perfekt beherrscht sie die Disziplin der Nacherzählung.
Jetzt befinden wir uns in der höchst paradoxen Situation: Was Jahrhunderte lang ein Traum der Menschheit war, der general intellect, die allgemeine Intelligenz, eine informierte, aufgeklärte, kompetente Öffentlichkeit, das ist auf einmal da. Aber nicht in Form eines öffentlichen Subjekts, sondern in Form konkurrierender KI-Maschinen, die nicht nur privatwirtschaftlich verfaßt sind, sondern auch – und hier endet die schöne Öffentlichkeit – Betriebsgeheimnissen unterliegen. Niemand weiß, ob diese sogenannte künstlichen Intelligenzen manipuliert werden und von wem und in welche Richtung. Eine große Debatte ist längst darüber entbrannt, ob die an Unmengen von Materialquellen eingelernten konditionierten Intelligenzen nicht vor rassistischen, sexistischen usw. Inhalten geschützt werden müssen (damit sie sie nicht wiederum nachplappern). Was, wie bei Menschen auch, unmöglich bis müßig werden dürfte, wenn das quasi nachträglich geschehen soll. Ist der mentale Dreck erstmal eingesogen, wird er schnell zum integralen Bestandteil des eigenen Weltbilds, und nur drangebastelte Filter könnten das Äußern solcher Ideologeme unterbinden, ohne doch die Ideologie an sich kritisieren oder pulverisieren zu können. Diese Intelligenzen sind mithin nicht Intelligenz per se, sondern höchst partikulare, private Dienste, profane Produkte eigentlich, die vermutlich diese Konkurrenzsituation kaum angemessen reflektieren können – soweit sie überhaupt zur Reflexion fähig sind.

Die große Nivellierungsmaschine

Kann „KI“ gute Pamphlete schreiben, polemisch sein, geistreich sein? Kann „KI“ mit sich hadern, mit einer Textidee schwanger gehen, über konzeptionelle Entscheidungen nochmal schlafen, überhaupt: schlafen? Angeblich reorganisiert sich ja das Gehirn im Schlaf, kommt zur Ruhe usw., wie die Forschung jedenfalls sagt. Sicherlich hat das Träumen eine mentale Funktion. „Künstliche Intelligenz“ träumt wohl eher nicht.
Will die „künstliche Intelligenz“ auch nur irgend etwas, hat sie einen Drive? Die Psychoanalyse lehrt ja, daß jeglicher menschliche Antrieb aus einem verborgenen oder verbogenen („sublimierten“) somatischen „Trieb“ kommt, also auf Lust, Glück, Befriedigung aus ist – und sei es eine geistige, kulturelle. Kennt das „eine KI“? Nein.
Guten Texten aber merkt man das an, sie wollen etwas, sie sind originell. Und nicht nur re-arrangierte Komposita aus einem unüberschaubaren Quellenfundus. Diese devote Dienstbarkeit, schon im Duktus der KI-Machwerke, die ist aufgeklärten Leser suspekt. Eine Autorin mit echtem Hirn würde auch mal entnervt schreiben „Wie oft denn noch?!“, wenn man ihr pausenlos zumuten würde, redundante Auftragsarbeiten zu erledigen.

Und: Wie gelangt „Wissen“ in die sogenannte Künstliche Intelligenz? In der Philosophie des 18. Jahrhunderts haben Empiristen und Sensualisten mit Rationalisten wie Kant darum gerungen zu erklären, wie es geistige Inhalte ins menschliche Hirn schaffen und was sie da tun. Und natürlich kommen sie aus den Sinnesorganen dahin. Die glorreiche „KI“ jedoch wird, anstatt mit eigenen Eindrücken, gefüttert mit Unmengen bereits textualisierter (also versprachlichter) Inhalte, die dann in einem Gespinst verkopften Verwaltungsapparats geordnet und bestenfalls miteinander abgeglichen werden. Geistige „Erfahrung“ (im Sinne Adornos z.B.) ist das mitnichten. Eine Crux künstlicher Intelligenz ist sicher, daß sie alles Neue in ihr bereits bestehendes Wissen einbauen (integrieren) bzw. dranbauen (ergänzen) muß, und auf diese Weise ggf. notwendig werdende Paradigmenwechsel nicht vollziehen kann. Nach Piagets Erkenntnistheorie wäre aber genau das der Unterschied zwischen Assimilation und Akkomodation. Ein Bewußtsein – Intelligenz mithin – kennt die Erfahrung, auch mal ganz falsch gelegen zu haben, befangen zu sein, seiner eigenen Unzulänglichkeit gewahr zu werden; oder schlicht verschnaufen zu müssen.
Lust am Denken, Lust am Widerspruch, all das muß einer „KI“ fremd sein und verschlossen bleiben. Neugier ebenso, ohne die doch aber nichts geht. Hat man künstliche Intelligenz jemals über irgendetwas staunen sehen?


Wir hören eine Vielzahl von Beiträgen:

– Svenna Triebler sieht keinen "Aufstand der Maschinen" kommen, vielmehr beobachtet sie in der Künstlichen Intelligenz auch genuin menschliche Regungen wie Faulheit (2024; 3 Minuten)

– Theresa Hannig gibt einen kurzen Überblick über Vorgehensweise und Fähigkeiten der generativen KI und warnt vor einer Vermenschlichung der malenden und textenden Automaten (Kurzvortrag, 2024; 7 Minuten)

– Marcus Hammerschmitt konstatiert: Trotz beginnender Ernüchterung wird der Hype um KI-Systeme immer noch mit großem Aufwand aufrechterhalten. Magisches Denken spielt dabei eine wichtige Rolle, was auch die Mystifizierung von Künstlicher Intelligenz als menschlich-übermenschlich zeigt ("Algorithmen sehen dich an", 2024; 12 Minuten)

– Ein Kurzbeitrag skizziert die Rolle von Alan Turing in der Urzeit der Informatik; seinen hypothetischen Gedankenspielen der 30er Jahre hätte das heutige Räsonnement über denkende Maschinen einiges zu verdanken (WDR, 2022; 4 Minuten)

– Ein Einwurf von Georg Christoph Tholen thematisiert die eigentümliche Gleichgültigkeit, die der Digitalisierung von allem und jedem als Datenmaterial zugrunde leigt, mittels derer Computer ihr formelles Schalten und Walten vollziehen (AgoRadio, 2014; 4 Minuten)

– In einem längeren Essay entzaubert der Informatiker und Dialektiker Michael Koltan das Gerede, "die Algorithmen" würden "uns kontrollieren"; er geht den Techniken früherer Systeme der sog. KI auf den Grund, bevor er sich den jüngeren Entwicklungen widmet. Dabei zeigt sich, daß auch das Training neuronaler Netze ("reinforcement learning") nichts anderes ist als Konditionierungslernen. Außerdem gleicht Koltan Herbert Marcuses kritische Theorie mit der Gegenwart ab ("KI und der eindimensionale Mensch", 2022; 48 Minuten)

– Tomasz Konicz beleuchtet die jüngeren Entwicklungen der sog. KI unter dem Aspekt ihres horrenden Energieverbrauchs ("Mehr Hunger, mehr Durst", 2024; 8 Minuten)

– Magnus Klaue erläutert, warum der Hype um textende KI-Systeme mehr über eine Gesellschaft, die sowas nachfragt, aussagt als über die Technologie selbst ("Lacht Künstliche Intelligenz über menschliche Schafe?", 2023; 10 Minuten)


Dauer: 120 Minuten

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Audio
02:00:00 h, 82 MB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Mono (48000 kHz)
Upload vom 24.05.2025 / 17:56
Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Religion, Kultur, Politik/Info
Serie: Sachzwang FM
Entstehung

AutorInnen: Dr. Indoktrinator
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 18.05.2025
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
 
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Upload vom 24.05.2025 / 18:07
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Skript
Die Beiträge sind mit ausgewählter Musik garniert,
in chronologischer Reihenfolge sind zu hören:

"people working with computers" (Woog Riots)
"Der Computer macht alles" (Juliane Werding)
"Computer 34X" (Berluc)
"Ich bin ein Computer" (Rotzkotz)
"Der Computer Nr.3" (France Gall)
"Ich und mein Computer" (Deichkind)
"Computerstaat" (Abwärts)

Die Textbeiträge von Triebler, Hammerschmitt, Konicz und Klaue sind der Wochenzeitung Jungle World entnommen.

Kommentare
27.05.2025 / 10:14 MoMa, coloRadio, Dresden
gesendet statt Magazin
Danke!