Interview mit Sevval Kilia, trans*-Aktivistin in Istanbul

ID 42012
 
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Ich habe Sevval zur Lebenssituation von trans*Frauen in Istanbul befragt. Dabei kommen aber auch viele Verknüpfungen zur Sprache die andere politische Themen und Anliegen betreffen, wie die Menschenrechtslage allgemein, die Situation von Minderheiten, die zurückliegenden Wahlen, die zunehmende Macht der Religion in der Türkei, Medienzensur, Gentrifikation,HIV, Prostitution, Gesundheit und vieles mehr. Könnt ihr alles unten auch lesen.
Audio
14:24 min, 13 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 11.07.2011 / 21:36

Dateizugriffe: 313

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Schwul, Jugend, Frauen/Lesben, Religion, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: sakura, transgenderradio Berlin
Radio: Freies Radio Berlin, Berlin
Produktionsdatum: 11.07.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Mein Name ist Sevval, ich Arbeite für die Human ressource Developement Foundation seit 16 Jahren. Wir haben ein Programm geschaffen, das Womans Door heisst, in Englisch, in Türkisch „“. Normalerweise arbeiten wir mit Sex-Arbeiter_innen, wegen sexuell übertragbaren Krankheiten wie Aids, bis zum Jahr 2000. Seit dem Jahr 2000 arbeiten wir größtenteils zu Menschenrechtsverletzungen, und rechtlicher Unterstützung für Sex-Arbeiter_innen, bis heute. Seit zwei Jahren arbeite ich auch mit Istanbul LGBTI, wir sind eine LGBTI-Organisation, aber arbeiten hauptsächlich für Trans*Menschenrechte.
-Und ihr organisiert auch den Trans-pride in Istanbul, oder?
Ja. Ja, zum zweiten mal dieses Jahr. Letztes Jahr entschieden wir, öffentliche Aufmerksamkeit zu schaffen, und die Aufmerksamkeit der Regierung zu Trans*-themen zu lenken. Weil in der Türkei, alle Trans*Frauen sind Sexworker_innen. Deshalb sind einige ihrer Probleme anders als die der lgbti-Community. Zum Beispiel Hassverbrechen, oder Sexarbeit. Deshalb haben wir den Trans*pride ins Leben gerufen, um Aufmerksamkeit für Trans*themen in der Türkei zu schaffen.

-Ich weiss bereits dass es viele Probleme für Trans*frauen gibt, wie ist die Situation für Transmänner, ist sie ähnlich?

Nein, das kann ich im Moment nicht sagen, in Zukunft einige Probleme geben. Sie sind unsichtbar. Sie können unsichtbar sein in der Gesellschaft. trans*Frauen können das nicht. Sie wollen nicht entdeckt werden. Vor zehn Jahren waren alle trans*Frauen wie Discokugeln. Wir haben geleuchtet bis in einen Kilometer Entfernung. Aber Jetzt, wenn du nach Istanbul kommst und die trans*Frauen siehst, sind sie unsichtbar. Sie tragen Hüte, riesige Hemden, normale Hosen, Schuhe ohne Absätze, Lalala... . Weil sie nicht auffallen wollen. Vor 2 Jahren fing die Polizei eine neue Strategie an, und begann Strafzettel an trans*Frauen zu verteilen. Es ist kein Verbrechen, aber Fehlverhalten. Vor Zehn Jahren griff die Polizei dich noch körperlich an, und schlug dich ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Weil sie von der nationalistischen Ideologie kamen. Jetzt haben sie eine religiöse Ideologie. Sie berühren dich nie, sie schlagen dich nie, aber natürlich wissen wir alle das Gewalt viele Abstraktionen hat. Sie benutzen diese neue Strategie um uns in unserem zu Hause festzuhalten wie in einem Gefängnis. Geh nicht raus!, sei unsichtbar! Lalala. Sobald sie dich draussen sehen schreiben sie Strafzettel. Wir haben eine Kampagne dagegen gestartet, und wir beschuldigten den obersten Polizeichef von Istanbul, und in einem Tag wurden all diese Strafzettel gestoppt. Jetzt glaube ich ist die Zeit auf unserer Seite, manchmal ist es sehr langsam, manchmal geht es schnell, aber die Zeit ist auf unserer Seite. Es ändert sich ein wenig weisst du, die alten queeren Leute in den Medien, in den Fernsehshows, Sprecher_innen sind meistens queere Leute, wir verehren queere Leute, aber wir sagen es nicht gerne. Ja, wir leben in einer sehr verlogenen Welt. Sie wurden verbannt aus dem Fernsehen, vor 5 Jahren, zensiert, alle queeren Leute, auch die Programmmacher, sehr berühmte, sehr reiche Leute. Jetzt kommen sie zurück in die Fernsehshows Lallala. Etwas passiert, aber ich weiss nicht was passiert. Es gab ein Medienembargo, für Trans*Menschen, es gab nichts in den Medien über trans*Menschen für 5 jahre. Und auch aus dem Fernsehen sind wir verbannt. Nur linke Medien sind an uns interessiert. Aber dieses Jahr, nach dem Trans-Pride, sind wir in allen Medienkanälen, und sehr politisch.

-Wie offen ist die Gesellschaft im Alltag, gibt es offene Ablehnung von konservativen Menschen?

Wir haben keine Nazis hier, nein, wir haben Nationalisten hier, oder Radikale, aber wir haben nur Angst vor der Polizei. Nationalisten und Konservative sehen uns nicht als Bedrohung, als politische Bewegung, im Moment. Weil sie uns nicht angreifen. Nur die Polizei greift uns manchmal an. Aber seit zwei Jahren gab es keinen Angriff und keine Restriktionen. Wir machen unsere Demonstrationen sehr frei, wir vertreten unsere Anliegen, und nichts schlimmes passiert.

-Du hast gesagt, die Polizei hat ihr Verhalten gegenüber trans*Personen geändert?

Genau, weil sie nun aus einer religiösen Richtung kommen. Gülen? hast du es schon gehört? Atollah? Gülen, er ist ein großer Guru für Muslimische Menschen, er hat Schulen, er hat unglaublich viel Geld, Lalala. Die neue Generation in der Polizei, kommt aus dieser Richtung, aus der religiösen Richtung. Sie berühren dich niemals, weil du sündig bist, weil du eine trans*Frau bist. Weil du den Islam zurückweist, Lalala. Sie schlagen dich nie, aber sie haben andere Strategien, um dich zu misshandeln oder zu foltern, weisst du. Folter hat viele Seiten. Nicht nur Körperliche. Aber wir haben Anwälte, wir haben Ärzte, wir haben Aktivist_innen hier, wenn sie neue Strategien haben, finden wir auch neue Strategien. In den letzten Jahren ist die trans*Bewegung sehr stark gewachsen. Wir sind nicht mehr nur eine Demonstrationsgruppe, wir reagieren sofort auf alles, schaffen Aufmerksamkeit, und wir haben Verbündete. Viele Organisationen, anarchistische Gruppen, linke Gruppen, kurdische Gruppen, feministische Gruppen, sie helfen uns sehr viel.

Ich habe gehört es gibt ein Bonussystem für die Polizei?

AHH, du weisst alles! Ja, genau. Zum Beispiel, wenn die Polizei einen Plakatierer fängt, kriegen sie 5 Punkte, wenn sie einen Dieb kriegen 10, und wenn sie eine trans*Frau finden kriegen sie 20 Punkte. Wenn sie in einer Woche hundert Punkte sammeln, kriegen sie mehr gehalt. Es ist eine Hexenjagd. Seit zwei Jahren. Sie verletzen dich nie, sie fassen dich nicht an, „Bitte, ich tue dir nichts, ich möchte nur einen Strafzettel schreiben, und dann lasse ich dich gehen.“ und die Girls glauben das, weil die Polizei sie nicht schlägt, und sie akzeptieren die Strafzettel zuerst. Jetzt haben wir entdeckt, wenn wir die Strafen auf rechtlichem Weg zurückweisen, im Gericht kriegen wir Recht. Sie sind frei und müssen es nicht zahlen. Letztes Jahr hab ich 50 Briefe gegen Strafzettel am Tag geschrieben. Kannst du dir das vorstellen? Und sie Lügen, ich ging die Strasse lang mit meinem Hemd, meiner Hose, sehr geschlossen, weil, sie beschuldigen dich, du würdest die Öffentlichkeit stören. Oder dich zur Schau stellen. Oder sogar dass du gegen die Strassen verkehrsordnung verstossen würdest. Sogar die Verkehrspolizei schreibt Strafzettel, weil die Girls auf der Strasse warten, auf Autos warten. Jetzt weisen wir sie zurück, und das ganze fällt in sich zusammen.

-Ich habe gelesen dass es ein großes Problem mit Gentrifizierung gibt, dass große Teile Istanbuls aufgewertet werden sollen, besonders die Teile wo auch trans*Personen leben?

Ja, genau, Gentrification, es gibt einen Ort, der Tarlabasi heisst, einen sehr alten Stadtteil, dort ggab es Kureden, Roma, trans*Frauen, Sex-Arbeiter_innen, alle Minderheiten lebten dort. Weil es billig war. Und es gab viel Kriminalität dort. Ich glaube, dass die Regierung die Kriminalität dort hielt, weil die Mieten dort sehr niedrig waren. So kauften die großen Firmen Strassenweise, nicht einmal Haus für Haus. Weil es so billig war. Das ist die Politik. Politik ist eine schmutzige Arbeit. Wir fragten die Verwaltung, „was wird aus den Minderheiten?“ „wir wollen sie nicht in der Stadt, wir wollen sie aus der Stadt raus haben.“ Das Abreissen der Häuser hat bereits begonnen. Die Gentrifizierung hat begonnen. Einige Glückliche haben vor vielen Jahren Häuser gekauft, die bleiben, aber die meisten haben keine Chance Im Stadtzentrum zu bleiben.

Die Gesundheitssituation für trans*Menschen, Ist es möglich in der Türkei Hormone verschrieben zu kriegen? Musst du dir die Hormone selbst besorgen?

Nein, du kannst sie so kriegen, aber das ist keine gute Sache, weil, niemand weiss, was zu nehmen ist, wie es zu nehmen ist, wie viel, weisst du, es ist keine gute Situation. Wir helfen ihnen, sie sollen zu Endokrinolog_innen gehen, „teste dein Blut“ Lalala, Ja, jetzt ist es umsonst. Aber seit 2002, die Operationsprozedur wurde sehr hart. Es braucht zwei Jahre, vor 2002 war es einfach. Du kriegtest Operationen und fragtest die Regierung deine Papiere zu ändern. Aber jetzt dauert es 2 Jahre. Sie versuchen zu ergründen ob du geistig krank bist, oder ob du eine Frau werden willst. Danach suchen sie. Sehr dumm. Auch daran arbeiten wir. Ich glaube es ist auch ein „womens door“-Erfolg, seit 15 Jahren verteilen wir Kondome, wir bringen Wissen, wir besuchen die Häuser, das ist das wichtigste, über deine Gesundheit, trans*Frauen haben große Angst hässlich zu werden. Weil HIV dich hässlich macht, sind sie sehr sensibilisiert, aufzupassen, unsere Untersuchungen haben ergeben, das HIV bei den Transfrauen am meisten zurückgegangen ist, seit wir es untersucht haben bisher. Das ist ein Glück.

AHH, also was denkst du, gibt es heute auch mehr Akzeptanz in den Familien?

Die Familiensituationen sind ein sensibles Thema, weisst du. Wenn du Leute fragst, Alle sind Muslime, aber darüber hinaus, wir bedecken unser Haar nicht, Istanbul ist eine relativ moderne Stadt. Aber trotzdem, die Familiensituation ist ein empfindliches Thema, sie verstehen nicht, das ist geschlechtliche Identität, Lalalala. Sie denken eher: „etwas ist mit meinem Kind passiert“.

Istanbul hat viel Zuzug von trans*Menschen, weisst du. Alle kommen nach Istanbul um trans* zu leben. Es ist eine große Stadt, sie können irgendwie überleben hier. Die Familiensituation ist nicht sehr gut im Moment. Sie akzeptieren es nicht, natürlich.
Aber zum Beispiel, meine Mutter sagte mir, „okay, ich akzeptiere dein Schwulsein, aber halt dein persönliches Leben aus unserem Haus, und werd bloss keine Frau!“ sagte sie zu mir. Aber, nach dem ich eine Frau geworden war, oder Besser, nach meiner geschlechtsangleichenden OP, sagte sie: „du solltest verheiratet sein, du solltest einen Ehemann finden, und find einen Job!“ Alles was sie sagte habe ich gemacht, und sie ist sehr zufrieden. (lacht). Aber ich hatte großes Glück. Sehr ist keine große Chance einen Job, oder einen langfristigen Freund zu finden. Die Dinge ändern sich zwar, aber einige unserer Ziele können nur langfristig erreicht werden.. Nicht an einem Tag.
Wir arbeiten auch an der Verfassung, wir versuchen die beiden Begriffe, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung, in die Verfassung zu kriegen. Natürlich, das geht nicht von einem Tag auf den Anderen. Nichts ändert sich an einem Tag, ich weiss das.

Und wie reagiert die Regierung darauf? Reagiert sie überhaupt?

Sie ignorieren uns. Sie sagen: Vielleicht können wir in hundert Jahren daran arbeiten. Einen Monat vor den Wahlen, in der letzten Minute, haben sie ein Antidiskriminierungsgesetz vorbereitet, in der letzten Minute nahmen sie kurdische Themen, die Roma, alle Minderheiten nahmen sie auf, aber diese beiden Begriffe nahmen sie wieder heraus. Wir fragten sie warum „ahh, die Wahlen kommen, wir wollen unsere konservativen Wähler nicht wütend machen, darum haben wir es wieder rausgenommen.

Kannst du noch einmal zusammenfassen welche Organisationen euch unterstützen?

Das ist ein sehr, sehr, seehr empfindliches Thema. Jetzt reden wir über transphobie in Lgbti-Organisationen. Weil wir immer noch nicht damit umgehen können, weisst du. „ahh, ihr seid Sex-Worker_innen, ahh, ihr seid solche schillernden Diskokugeln,“ weisst du, das ist es warum wir Istanbul-LGBTI gegründet haben. Wir sind eine LGBTI-Organisationen, wir sind offen für alle, vor allem trans*Männer und Trans*Frauen kommen zu uns. Darum definieren wir unsere Organisation als eine trans*spezifische Organisation. Zum Beispiel Chaos GL, Chaos GL ist die älteste LGBTI - Organisation in der Türkei, aber sie Arbeiten fast nur zu LG. In Izmir ist eine LGBTI-Organisation, die Pink-Schwarzer-Winkel heisst. Sie beschäftigen eine trans*Frau, in ihrem Büro, das ist alles. Das ist sehr schlecht, sie ist nur ein Feigenblatt. Ich glaube nicht an ihre Ernsthaftigkeit. Auch Lambda wird queerer, in Ankara gibt es pink-Life, es ist eine trans*-Organisation, und in Istanbul gibt es LGBTI als trans*spezifische Organisation.

(Was macht Womens Door?

Wie schon gesagt, wir arbeiten zu sexuell übertragbaren Krankheiten, aber seit 10 Jahren arbeiten wir vor allem zu Menschenrechtsverletzungen, rechtsunterstützung, und gesundheitsförderung natürlich immer.) Wir wollen die Aufmerksamkeit speziell auf trans*Themen lenken, zum Beispiel Istanbul-Pride wurde immer mehr zur Parade, wie eine Gay-Party, es gibt keine Forderungen, sie sagen nur „everybody Dance now“. Das ist kein Anliegen, das ist kein LGBTI-Problem, wie fordern unsere Rechte, wir sterben! Zunehmende Frauenmorde, ansteigende trans*Morde. Letztes Jahr wurden 20 trans*Frauen in der Türkei ermordet. Wir können nicht so feiern. Wir lieben es zu tanzen. Wir wissen wie man tanzt, aber nicht in diesem Moment. Da ist eine riesige Menschenrechtsverletzung gegen trans*Frauen. Wenn es nicht das erste Menschenrecht zu Leben gibt, kannst du nicht über andere Rechte diskutieren. In diesem Moment sind wir auf der Stufe „bitte tötet uns nicht!“. Danach verlangen wir erst unsere gleichgeschlechtliche Ehe, oder Erbschaftsangelegenheiten, oder Verfassung, Lalala. Zuerst sollten die trans*Morde sehr schnell gestoppt werden.

Kommentare
14.07.2011 / 19:14 Radio LoRa München/Andrasch, LORA München
Leider...
leider ist die deutsche Übersetzung über dem Original so schlecht und schwer verstehbar eingesprochen, dass der Beitrag unsendbar ist. Schade!
 
14.07.2011 / 19:19 sakura, transgenderradio Berlin, radiokampagne.de Berlin
Echt? bei mir zu Hause wars Ok. ich kann eine Wav oder ohne Übersetzung schicken!
schade!