"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Cyberattack -

ID 71351
 
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Die Cyber-Attacke auf den deutschen Bundestag war ein derart symbolisches Ding, dass man fast nicht darüber sprechen möchte, aber ein paar Überlegungen drängen sich doch auf. Zum Beispiel nach den Urheberinnen des Ganzen. Ein Geheimdienst kann es nicht gewesen sein, die sprengen die von ihnen abgehörten Systeme nicht in die Luft, wenn ich soviel noch zur Bewirtschaftung des Themas durch verschiedene intelligente Medien anmerken darf.
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10:10 min, 23 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.06.2015 / 10:40

Dateizugriffe: 525

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 16.06.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das waren irgendwelche Hacker, die sich hier einen Höllenspaß erlaubt haben, Hacker von ziemlich guter Qualität, wie man anneh­men kann, denn der Bundestag lässt seine Systeme wohl nicht völlig offen und ungeschützt, auch wenn die zirkulierten Informationen in der Regel weder staatstragend noch supergeheim sind. Der Bundestag ist schließlich ein demokratisches Organ, und das bedeutet per Definition eine gewisse Verpflichtung zur Öffentlichkeit. In dieser Beziehung handelte es sich sozusagen um einen demo­kratischen Jux; anderseits bringt der Verlust aller Datensätze schon ein gewisses Chaos in das Regieren, und vielleicht war es tatsächlich ein Mitglied des Chaos Computer Club, welcher für das Vergnügen verantwortlich ist.

Um einen Warnschuss, zum Beispiel der Amerikaner oder der Israeli, wird es sich wohl nicht ge­han­delt haben, die verfügen da über ganz andere Mittel, die Amerikaner zum Beispiel über ihr Rechtssystem, welches ihnen mindestens im Steuerwesen erlaubt, den Gültigkeitsbereich auto­ma­tisch auf einen Quadrat­kilo­meter rund um einen amerikanischen Staatsangehörigen im Ausland auszudehnen, das heißt, denen ihr Recht ist vor ihren eigenen Richtern mehr oder weniger auf der ganze Welt und zusätzlich noch in der internationalen Raumfahrtstation ISS anwendbar. Jeder Ame­rikaner ist als Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika quasi von Geburt aus ein Diplo­mat und erzeugt die diplomatische Immunität beziehungsweise eben den Anwendbarkeitsbereich der US-amerikanischen Steuergesetze kraft seiner Existenz als solcher in jedem Augenblick, mindestens im Ausland, während im Inland die Rechte weniger eisern verteidigt werden, zumal, wenn es sich um eine Person schwarzer Hautfarbe handelt. Daneben gibt es haufenweise weiterer hege­mo­nialer Elemente der USA, einmal abgesehen vom hegemonialen Instrument an und für sich, nämlich der US-Armee, welche völlig unwidersprochen und im Einklang mit der öffentlichen Mei­nung in der westlichen Welt überall eingreift, wo es ihr beziehungsweise dem Präsidenten gerade beliebt. Es ist kein Wunder, dass sich die nationalistischen rechtspopulistischen Bewegungen immer mehr von der Kritik solcher hegemonialer Strukturen nähren und dass gerade in Europa die extreme Rechte extreme Sympathien für den Sowjetmenschen Wladimir Putin hegt. Er mindestens ist kein Amerikaner, es sei denn, er würde eine wahrhaft magistrale Täuschungsstrategie fahren. Das ist mit ein Grund, weshalb der Hauptstrom in den westlichen Medien, welche über verschiedene Kapital- und anderweitige Beteiligungen sauber in die hegemonialen Meinungsstrukturen eingebettet sind, dem guten alten Wladimir immer so kurzatmig an den Karren fahren wie bellende Köter, wo es doch ausreichen würde, einfach neutral über den enormen Nachholbedarf im russischen Reich zu berichten.

Aber egal. Nehmen wir also mal an, dass eine Subgruppe des Chaos Computer Clubs den Bundes­tag gehackt hat und sich nun langsam vom Rausch nach dem Freudenfest erholt. Was haben wir gelernt aus dieser Aktion? – Dass Systeme anfällig sind, natürlich, und dass es auch heute noch einigen unabhängigen talentierten Informatikern gelingen kann, die Sicherheitssysteme zu knacken. Das finde ich ausgesprochen beruhigend. Es erscheint mir wie ein Ruf aus alten Zeiten, als Internet noch Freiheit bedeutete und nicht Überwachung. Nun gut, es bedeutet natürlich nicht nur Überwachung, sondern vieles mehr, keine Frage, aber die Übertragung ist mit der Computer­tech­no­logie in einem derart hohen Grad zusammen gewachsen, dass sie gegenüber uns armen Menschlein ein völlig neues und eigenständiges Gewächs darstellt, noch viel enormer als die US-Steuerbehörde, und hier sind eben ein paar Nadelstiche manchmal ganz erfreulich.

Zum Glück sind die Programme noch nicht voll vermenschlicht und machen zum Beispiel noch keine selbständigen Witze, sonst würde nämlich zum Beispiel der voll automatisierte Kühlschrank mit dem Hauslieferservice tuscheln und sagen: Lass uns der Bewohnerin einen Streich spielen, wir füllen das Käseregal mit Ziegen- und Schafskäse auf, wo die doch gar keinen Ziegen- und Schafskäse mag! – Nein, so etwas darf nie passieren, und deswegen muss man zu gegebener Zeit auch eine Informatikzensurbehörde einführen, welche nicht etwa das Hacken verbietet, das ist ja sowieso schon längstens verboten, sondern die Entwicklung eines Informatik-eigenen Humors, zumal eines schlechten. Und das ist in den frühen Phasen der Humorentwicklung eine große Gefahr, fast sämtliche Amöbenhirne müssen zuerst über dumme und unentwickelte Scherze lachen, bevor sie sich dann an die größeren Aufgaben machen können. Als bereits recht fortgeschritten erachte ich den folgenden Witz, den ich der Abteilung Anti-Witze auf der Webseite «Gute Witze» entnehme: Sagt der eine: «Als ich gestern Abend im Hemd dastand, klopfte es.» Sagt der andere: «Was denn? Ans Hemd?» Der erste: «Quatsch! An der Türe!» Der zweite: «Toll. Hab gar nicht gewusst, dass es Hemden mit Türen gibt...» – Oder auch Nummer zwei geht hier ganz gut: Im Restaurant. Er meint zu ihr: «Ich hoffe, es stört Sie nicht beim Rauchen, wenn ich weiter esse?» – «Aber nein», beruhigt ihn die Nachbarin, «ich kann den Klavierspieler trotzdem gut hören.» Während Nummer drei stark abfällt: «Was liegt im Graben und ist gelb? – Ein toter Pommes.» – Und über die Gründe, weshalb die ersten beiden Witze ganz passabel, weil ordentlich absurd sind, während der dritte aus irgendeiner infantilen Witzereihe stammt, könnte man hier stundenlang extemporieren, was aber nicht meine Absicht ist.

Vielmehr sollte ich ein Wort verlieren zur griechischen Tragödie, von welcher ich einiges, aber mit Sicherheit nicht alles mitbekommen habe und weiter mitbekomme. Die kindischen Angriffe auf den Finanzminister Varoufakis, der trotz allen Vorbehalten weitaus kompetenter sein dürfte als die große Mehrheit seiner Kritiker, zeugen einfach von großer Panik und Ratlosigkeit, und im Grunde genommen muss ich in der aktuellen Lage hoffen, dass die Krise, welche die Tragödie bekanntlich geradezu definiert, nun auch tatsächlich herbei geführt wird. Dass sich die Selbstsicherheit, mit welcher die europäischen Gremien und der internationale Währungsfonds die griechische Regierung wie dumme Jungs auf Strolchenfahrt behandelt hat, doch endlich mal auch gegen diese Institutionen wendet. Das ist auf eine bestimmte Art und Weise vergleichbar mit der Cyberattacke auf den Bundestag beziehungsweise auf Informatiksysteme an und für sich: Man geht immer davon aus, dass alles, was ist, auch weiterhin sein wird, und wenn diese Gewissheit mal durchbrochen wird, dann ist dies für die Menschheit nur von Vorteil. Konkret wüsste ich den Griechen allerdings nicht viel zu raten; die Einführung von Not-Geld, also von roten Drachmen, ist unterdessen hoffentlich vorbereitet, und es kann sich ja um Not-Geld handeln, welches noch einen Bezug hat zur Euro-Währung, muss aber durchaus nicht. Daneben bedeutet Krise auch komplette Kapitalflucht, was zunächst extrem bedrohlich aussieht. Aber angesichts der Tatsache, dass das Kapital in Griechenland sowieso niemals eine produktive Intention hatte, ist das vielleicht gar nicht so katastrophal, sondern, neben der Krise, auch eine Katharsis. Damit würde Griechenland zur ersten Nation, welche eine halbwegs intakte Gesellschaft ohne jegliche Vorlast von Geldsäcken neu organisieren könnte.

Ich gehe davon aus, dass solche Spekulationen keine reale Grundlage haben, aber wenn sie sich trotzdem materialisieren täten, dann wäre das vielleicht nicht so schlimm, wie man das annimmt. Aber der andere Grund, die umfassende Verbohrtheit, mit welcher alle Entscheidungsträger auf der unumstößlichen Notwendigkeit ihrer Zwangsmaßnahmen beruhen, ohne irgendeine Bereitschaft zum Schuldenschnitt beziehungsweise Schuldenerlass zu zeigen, obwohl sie selber von Beginn weg in diesem ganzen großen Schlamassel mit vom Spiel waren, diese Verbohrtheit verdient einen Crash ohne weiteres. Vielleicht sind die Auswirkungen in Griechenland selber nicht nur befreiend und fortschrittlich, aber ich halte dafür, dass eine Regierung und eine politische Partei lieber mit wehenden Fahnen untergeht, als sich zum Schluss doch vollkommen jenen Forderungen zu beugen, welche sie am Anfang so vehement bekämpft hat.

So richtig rational ist das alles nicht, und vor allem fehlt mir der Plan zum Aufbau eines funktionierenden griechischen Staatswesens nach wie vor vollständig; man muss einfach festhalten, dass die Sturheit der Europäischen Kommission, der Finanzminister und des Währungsfonds ebenso irrational sind wie die Haltung der griechischen Regierung, inklusive des monatelangen Taktierens, das offenbar unabdingbar ist in diesem Theater. Unterdessen hat man den Eindruck, dass die Troika lieber ihre eigene Existenz und Legitimität aufgibt, als in eine halbwegs mutige und energische Lösung des griechischen Schuldenproblems einzuwilligen. Wird man ja sehen.

Unterdessen rechnen wir in einem anderen Bereich weiter: Wie viele Flüchtlinge kann Europa aufnehmen? Zu welchen Bedingungen? Und welche Erklärungen beziehungsweise Vorschläge macht man in diesem Zusammenhang den bereits hier wohnenden Menschen? Soweit die Flüchtlingsfrage ein tatsächliches Problem darstellt, überlagert sie selbstverständlich andere bestehende soziale Probleme, sei es bei der Suche nach oder der Schaffung von Arbeitsplätzen oder bei der Integration, in der Schule, beim Wohnen und so weiter. Solche Sachen kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen, sonst werden die nationalpopulistischen Kräfte, welche genau solche Problemfelder beackern, noch stärker. Auf Seiten der Flüchtlinge hat man unterdessen den Eindruck, dass das Wissen um die humanitären Reflexe in den Institutionen und Systemen der sozialen Sicherung in Europa sehr profund ist. Die Jungen und Mädchen fordern unterdessen völlig offen Zugang zu Arbeit, Wohnungen und sozialer Sicherung, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Für uns, die wir die Flüchtlinge in der Regel eben als Flüchtlinge betrachten und allenfalls gewillt sind, sie als solche zu empfangen, also unter humanitären Titeln, brauchen solche neuen Forderungen noch eine gewisse Gewöhnungszeit.