"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Ärger über die Medien

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Ich weiß nicht, ob es eine Tugend ist, sich nicht aufzuregen, ich bemühe mich so oder so darum, aber in letzter Zeit nimmt mein Ärger zu, vielleicht hat es mit Donald Trump zu tun, der mich dünnhäutiger werden lässt.
Audio
12:10 min, 28 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 25.10.2016 / 11:48

Dateizugriffe: 2311

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Religion, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 25.10.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Auf jeden Fall geht es mir auf den Wecker wie zehn Stunden Zahnseide, wenn ich auf der Online-Seite meiner Tages-Zeitung den Titel lese: Bob Dylan ist der erste Literatur-Nobelpreisträger, der seine Auszeichnung nicht abholt, und dann steht im Text: Schon Jean-Paul Sartre holte seinen Preis nicht ab. Wenn ich im Sportteil derselben Zeitung den Titel lese: Hasstirade von Rudi Völler gegen Mario Basler, und im Text wird Rudi Völler zitiert mit den Worten: «Ich glaube, Mario Basler ist im Moment etwas von der Rolle.» Von Hasstirade keine Rede, und auch von Hass alleine nicht, geschweige denn von einer Tirade. Kompletter Unsinn, aber es ist Unsinn mit Absicht: Der Leser oder die Leserin soll in den Artikel geholt werden, und zu dem Behuf muss im Titel als Haupt-Verkaufsinstrument für den Text irgendetwas stehen, was seine Aufmerksamkeit weckt, und das darf dann durchaus auch das Gegenteil dessen sein, was der Artikel anbietet, so wie ein Vegetarier-Laden, der mit einem riesigen Fleisch-Angebot wirbt und dann eben doch nur Tofu im Kühlregal führt. Solche Sachen machen mich ähnlich stinkig wie früher Druckfehler, wobei es dort immerhin noch um Orthografie ging und nicht um Inhalte. Wehren dagegen kann man sich scheinbar nicht mehr gegen solche Idioten-Schlagzeilen, welche überhaupt nichts mehr zu tun haben mit dem Artikel, einmal abgesehen davon, dass der Artikel selber schon vollständig überflüssig ist wie im Beispiel von Rudi Völler oder eben auch bei Bob Dylan, all dieser Verkaufs-Slang von knackigen Lügen frisst sich im Moment durch meinen Panzer des Stoizismus und Fatalismus, sodass ich mir manchmal überlege, ob ich nicht auch ein Kilogramm Sprengstoff herstellen und diesen Trotteln in ihren Internetauftritt schmeißen soll. So etwas geht doch nicht, das verstößt gegen die Grundabmachung in der Medienindustrie. Schon eine Lüge wissentlich abzudrucken verstößt gegen sämtliche journalistischen Kodizes, aber dann im Titel noch das ungeschminkte Gegenteil des Artikel-Inhaltes anzukündigen, das ist geistesgestört, und wer solches tut, macht sich der Verbreitung ansteckender Geisteskrankheiten schuldig, das ist meines Wissens ein Straftatbestand.

Auf eine ähnliche Art und Weise geht mir, allerdings schon länger, die Berichterstattung über die unmenschlichen Bombardierungen von Aleppo auf den Keks. An dieser Stelle habe ich schon frü­her geschildert, wie mir die Schutzhäutchen über den Brusthaaren verfaulen, wenn unsere ein­ge­bet­te­ten Moderatorinnen und Journalistinnen von den Verstößen von Wladimir Putin und Baschir Al Assad gegen die Kriegs-Menschenrechte berichten, ohne zu erwähnen, dass es sich bei der Schlacht um Aleppo nicht um die Attacke russischer Kampfjets und syrischer Regime-Helikopter auf Schu­len, Spitäler, Altersheime und Kindergärten und insgesamt die Zivilbevölkerung handelt, sondern um einen ganz hundskommunen Krieg, der nicht etwa human oder so etwas ist, sondern tatsächlich schrecklich; aber er ist schrecklich, weil neben den Kindern, Schülerinnen und Schülern, Alten, Krankenschwestern und Ärztinnen und so weiter und so fort halt auch noch ein paar bewaffnete Rebellen vorhanden sind, welche diesen Krieg mit exakt derselben Intensität führen wie der Russe und der Assad.

Und überhaupt: Erinnert sich noch jemand an die Zeit vor fünf Jahren? Damals war auf den inter­na­tio­nalen Publizistik-Märkten der Arabische Frühling angesagt. Nachdem sich Tunesien von seinem korrupten Alleinherrscher Ben Ali befreit hatte, schienen reihum die anderen Länder im Süden und Osten des Mittelmeeres umzupurzeln. In Ägypten wurde geputscht und dann frei gewählt, un­glück­li­cherweise mit den Moslembrüdern als Wahlsiegern aber immerhin; in Libyen stürzte der Diktator Gaddhaffi und wurde, was weiß ich, gehäutet oder verbrannt oder auch nur gehängt, und in Syrien machten sich ebenfalls erste Anzeichen von frühlingshafter Opposition breit. Als aber der gewählte Präsident Baschir Al Assad kein Gefühl für diesen Frühling zeigte und sich mit seinem Staats­ap­pa­rat zur Wehr setzte, da begannen die Vereinigten Staaten und Saudiarabien praktisch umgehend, die Opposition aufzurüsten. Wenn er schon nicht aus eigenen Kräften funktionierte, so sollte der sy­ri­sche Frühling halt mit kriegerischen Mitteln herbeigeführt werden. Ganz gelungen ist die Ope­ration nicht, wie wir heute wissen, ebenso wenig wie in Libyen, und von Ägypten brauche ich nicht zu sprechen. Worum es mir hier geht, ist nur die historische Linie von der Aufrüstung der syrischen Opposition gegen Baschir Al Assad bis zum heutigen Punkt, wo alle eingebundenen westlichen Medien dem Assad mehr oder weniger die gesamte Kriegsschuld in die Schuhe schieben. Ich finde vor den Fernsehnachrichten fast keine Ruhe mehr und fuchtle unterdessen mit der Faust gegen die Nachrichtensprecherinnen, wenn sie ihre komplett unreflektierten Kommentare vom Blatt lesen. Kennt ihr das auch, dass ihr den Präsentator der Fernsehnachrichten anschreit? Oder dass ihr empörte Dialoge, also Monologe führt mit der Zeitung, die stumm vor euch auf dem Tisch liegt unter einer Schicht Kaffee? – Ich fürchte, dieses Gefühl ist von ähnlicher Qualität wie jenes, welches die Menschen schließlich dazu führt, die Alternative für Deutschland zu wählen.

Ich sage es jetzt also noch einmal: Es ist nicht so, dass ich den syrischen Präsidenten Assad einen tollen Hecht finde, bei weitem nicht. Fest steht für mich nur, dass die westlichen Interventionen in den semiautoritär regierten Ländern im Nahen Osten bisher einen ziemlichen Haufen von Scheiß­dreck produziert haben. Den Schurken und Massenmörder Saddam Hussein, der seine Schurkereien und Massenmorde übrigens lange Zeit mit Unterstützung der USA und der CIA vollbrachte, weil er in den achtziger Jahren auch noch einen fantastischen Krieg gegen den Iran führte, welcher bis vor kurzem die Rolle des Erzfeindes der USA im Nahen Osten spielte, diesen nicht Kriegsverbrecher, sondern normalen Mörder hat man vor über zehn Jahren schließlich mit einer groß angelegten, auf gefälschtem Material beruhendem und gegen alles internationale Recht verstoßenden Angriff beseitigt, da man ja irgend einen Sündenbock brauchte für die Anschläge auf die Zwillingstürme in New York, und mit jenen, welche diese Attentate finanziert hatten, also mit den Saudis, wollte man es sich nicht verderben, weshalb dann eben der Saddam Hussein dran glauben musste, um den es ja eigentlich auch nicht wirklich schade war. Bloß haben es die Amerikaner und ihre Pudel danach versäumt, in dem nicht übermäßig komplexen Staat Irak eine funktionierende staatliche Organi­sa­tion einzurichten, welche die Interessen nicht nur der Schiiten, sondern auch der Sunniten be­rück­sichtigt und welche auch für einen inneren und äußeren Sicherheitsdienst sorgt, unter anderem in Gottes Namen halt mit gewissen Bestandteilen des bisher existierenden Apparates. Das kennt man zum Beispiel in Deutschland zur Genüge aus der Zeit nach dem Dritten Reich. Stattdessen hat man den unfähigen, korrupten und vor allem parteiischen Schiiten Al Maliki als Ministerpräsidenten eingesetzt und die Armee auf eine Art und Weise aufgelöst, dass zentrale Strukturen der ehemaligen Saddam-Hussein-Truppen heute das Rückgrat des Islamischen Staates bilden und eben auch in jene Territorien vorstoßen konnten, welche in Syrien dank der Aufrüstung einer bisher gar nicht exis­ten­ten Opposition einigermaßen herrenlos geworden waren.

Und was ist das Resultat? Heute heult die westliche Medienwelt darüber, dass Assad dank der Unter­stützung der Russen immer noch an der Macht ist und eben laufend Kleinkinder bombardiert. Das ist doch schon ziemlich die Höhe.

Aber lassen wir das, beziehungsweise noch eine Frage, bevor ich das Land oder den Winter meines Ärgers verlasse: Ist es denn tatsächlich so, dass die Damen und Herren Araberinnen und Araber in den Regionen des Nahen Ostens praktisch nur die Sprache der Diktatur verstehen und überhaupt gar nichts mit so etwas wie Demokratie am Hut haben? Denn darauf weisen im Moment alle Elemente hin. Immerhin wird man anfügen können, dass es nicht immer so war, dass es auch im Nahen Osten immer wieder vernünftige, meinetwegen sozialistische, aber immerhin demokratische Bewegungen gegeben hat und dass es somit durchaus Chancen dafür gibt, dass solche Bewegungen irgendwann mal wieder entstehen werden, wenn man sie denn lässt oder wenn die internationale Erdölsituation es gerade erlaubt.

Ach ja, übrigens: Wisst ihr, wer für die Eskalation rund um den arabischen Frühling mindestens mit­verantwortlich war und wem man somit praktisch sämtliche Leiden der Syrerinnen und Syrer in Aleppo und die Flüchtlingskrise in die Schuhe schieben könnte, wenn man denn wollte? Es gab damals in den Vereinigten Staaten einen jungen, dynamischen, richtig frühlingshaften Präsidenten, den ersten Schwarzen in diesem Amt, und er hatte eine nicht ganz so junge, weniger dynamische, aber pragmatische und effiziente Außenministerin, jawohl, es war das Dream Team Barack Obama und Hillary Clinton. Und ihr Ziel war es in erster Linie, mit der Vertreibung von Baschir al Assad auch die Russen endgültig aus dem Mittelmeer zu vertreiben. Das habe ich in diesem Radio be­stimmt schon zehn Mal gesagt, aber wenn es notwendig ist und wenn mir der Fernseh weiterhin so auf den Wecker geht, sage ich es halt weitere zehn Male.

Wie gesagt: Dies sind keine Liebeserklärungen an Baschar Al Assad oder an Wladimir Putin. Ich bitte bloß um den gebührenden Abstand vor dem Aufkochen der öffentlichen Meinung, welche in der Regel irgendeinen Zweck verfolgt, der mit dem Thema nichts zu tun hat beziehungsweise nur insofern, als er eine spezifische, gepolte, parteiische Sicht auf das Thema herstellen will. Im vorliegenden Fall geht es einerseits darum, zu vernebeln, dass das ganze Kriegsdrama in Syrien und im Irak zu einem schönen Teil von Barack Obama und Hillary Clinton verschuldet wurde, wobei es zunächst egal ist, ob aus Absicht oder aus Unfähigkeit oder aus Ignoranz. Sicher war aus amerikanischer Sicht die Attacke auf Russland ein zentrales Motiv, und das ist, wie Figura zeigt, ziemlich gründlich in die Hosen gegangen. Was dagegen den Putin beziehungsweise Russland angeht, so kann man auch hier die Linie zurück zeichnen bis zum Sturz des gewählten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch durch einen weiteren der berühmten Frühlinge, der diesmal aber wohl eher wegen der Versprechungen der Europäischen Union erfolgte an jene korrupte Interessengruppe, welche sich offiziell nach Westen ausrichtet, während sich die andere korrupte Interessengruppe nach Russland ausrichtete. Nun putschte die westliche Gruppe halt den gewählten Präsidenten mit Ostausrichtung weg, und alles war demokratisch und friedlich. Dass im Hintergrund tatsächlich Versuche liefen, den Russen im Lauf der Zeit den Zugang zu ihrer Schwarzmeerflotte abzuschneiden, bezweifle ich keine Mikrosekunde lang, wenn dies auch noch nicht besonders akut war zum Zeitpunkt der Annexion der Krim durch Russland. Aber insgesamt sehen wir hier eine einfache Logik der Macht, welche beiläufig mit deutlich weniger Opfern auskommt als jene andere, versteckte Machtlogik, welche für den Krieg in Syrien verantwortlich ist.

Hört auf damit!, und damit meine ich nicht euch, geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, sondern ich meine die westlichen Regierungen und insonderheit die Medien, welche vollendete antirussische Symphonien zusammen kläffen. Hört auf damit. So sieht es nun mal vorderhand noch aus auf der Welt, und verbessern wird sich diese Welt nur dann, wenn es gelingt, im Rahmen der nackten Machtpolitik halt auch so etwas wie ein friedliches Zusammenleben der Völker und einen wirtschaftlichen Austausch zum Wohl beider Seiten zu organisieren – also genau das Gegenteil davon, was der Westen im Moment mit den verblödeten Sanktionen gegen die Russen tut. Ist tatsächlich irgendjemand der Ansicht, so etwas würde die Haltung Russlands beeinflussen oder, was für mich viel wichtiger ist, die schreienden Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten in Russland beseitigen? – Genau das Gegenteil ist der Fall, wie man sich leicht versichern kann durch eine weitere Abteilung ebendieser eingebetteten Medien, wenn sie sich nämlich der Berichterstattung über den Horror-Alltag im ausgebluteten Russland widmen. Auch hier sind Zweifel obligatorisch. Mindestens einen Auftrag erfüllen die eingebetteten Medien auf keinen Fall, nämlich die Informationspflicht über die tatsächlichen Entwicklungen in diesem riesigen Land. Naja.