"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Malta II

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Letzte Woche hatte ich einen Abstecher zu den Malta-Files, welche vom italienischen Magazin Espresso nun laufend veröffentlicht werden, mit einer gewissen Skepsis beendet bezüglich der tatsächlichen Auswirkungen des investigativen Journalismus auf die politischen Verhältnisse. Das war natürlich übertrieben.
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10:12 min, 23 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.05.2017 / 10:43

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 31.05.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Tatsächlich stehen immer wieder journalistische Leistungen am Ursprung der Aufdeckung von realen Mauscheleien, und wenn in der Schweiz vor ein paar Jahren das Bankgeheimnis abgeschafft worden ist, so hat die internationale und auch die nationale Presse ihren Beitrag dazu geleistet, auch wenn die Schweizer Nummernkonti schon im Paläolithikum nachge­wiesen sind, also ich meine im Paläolithikum des modernen Kapitalismus, natürlich. Aber auch die Berichte zu den Malta-Files haben es in sich und lösen vielleicht nicht gerade direkte gesetzgebe­ri­sche oder polizeitaktische Massnahmen in Italien aus, aber ein kleines Müsterchen will ich hier doch noch hervor klauben, es betrifft unseren allseits geliebten Türken-Idioten Erdogan Pascha. Nämlich haben die Journalisten in La Valletta unter anderen eine gewisse Pal Shipping Trader One entdeckt. Diese gehörte bis im Jahr 2008 dem aserbaidschanischen Milliardär Mubaris Mansimow. Dann ging sie in den Besitz der Firma Bumerz Limited über, die ihr Domizil auf der Isle of Man hat und unter anderem Erdogans Sohn Burak, seinem Bruder Mustafa und seinem Schwiegersohn Ziya Ilgen gehört. Kaufpreis: 25 Millionen Dollar. Einen Tag nach dem Erwerb erhielt die Bumerz Limited von der lettischen Bank Parex einen Kredit von 18.4 Millionen Dollar; gleichzeitig ging eine Zahlung über 7 Millionen Dollar ein von einem Busenfreund von Pascha Erdogan, dem Geschäftsmann Sitki Ayan. Die Rückzahlung dieser Darlehen erfolgte aber nicht durch die Familie Erdogan, sondern durch Mansimow. Gleichzeitig schloss dieser einen Mietvertrag für einen neuen Erdöl-Tanker von Pal Shipping Trader One, also für sein eigenes vormaliges Eigentum ab, aus dem der Familie Erdogan innerhalb von 7 Jahren das Sümmchen von 23 Millionen Dollar bezog.

Als Gegenleistung schanzte Erdogan Mubaris Mansimow Aufträge zu, zum Beispiel die Erlaubnis für den Bau eines Luxushafens im türkischen Bodrum, oder verschiedene Zuschläge im Pipeline-Bereich, sei es beim Bau, zum Beispiel die Leitung vom armenischen Baku über das georgische Tbilissi ins türkische Ceyhan oder bei der Erdgas-Pipeline Trans Anatonlian Natural Gas, und bei deren Unterhalt und natürlich auch beim Schiffstransport von Erdöl und dergleichen.

An den Malta-Files-Recherchierarbeiten ist auch das deutsche Magazin Spiegel beteiligt, man kann die Geschichte somit auch dort nachlesen. Und das Fazit ist insgesamt: Neben seiner Eigenschaft als islamischer Erneuerer der türkisch-osmanischen Vergangenheit ist der Erdopimpel ein ganz hundskommuner korrupter Haufen wie so viele andere Politikerinnen und Politiker in der zivilisierten und unzivilisierten Welt auch. Ach nein, sagen wir es anders: Bisher haben wir nicht verstanden, weshalb der all die Journalisten ins Gefängnis sperrt und die Richter entlässt. Jetzt liegt die Erklärung dafür auf dem Tisch. Es handelt sich um einen Staatsmann aus dem Neolithikum, einer, der sich ganz simpel bereichert wie dunnemals die russischen Oligarchen beim Zerfall der Sowjetunion, und das erlaubt nun doch wieder eine andere Lektüre der gesamten Vorgänge. Hiermit nehme ich alles, was ich bisher an lobenden Worten zu Erdopimpel je gesagt haben sollte, vollumfänglich zurück. Der Typ ist erdgeschichtlich tot.

Er kann somit auf einer ähnlich musealen Stufe gesehen werden wie vor ihm der Berlusconi in Ita­lien und neuerdings dieser Clown in den Vereinigten Staaten, über den ich mich hier nur aus dem einen Grund kurz äußere, weil alle immer wieder behaupten, dass eure Bundeskanzlerin Merkel keinen Sinn für Humor hätte. Jetzt hat sie definitiv das Gegenteil bewiesen. Zum gleichen Zeit­punkt, als der Clown in Brüssel die Manege betrat, landete in Berlin ein Flugzeug, welches den ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Mister Barack Obama beinhaltete und der sowohl Frau Merkel als auch den protestantischen Kirchentag besuchte. Einen besseren Scherz habe ich in diesem Jahr noch nicht gehört.

Aber weg damit, Hände weg von diesem Clown, der heute die Seiten der europäischen Presse füllt wie seinerzeit der italienische Clown Berlusconi jene der italienischen Presse, der Inhalt ist garantiert und immer null, ich schweige ja schon wieder. Stattdessen möchte ich hier mal wieder in Erinnerung rufen, dass die internationale freie Marktwirtschaft Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Intelligenz, kurz ifMWGmbHuI, nicht immer und ausschließlich auf dem Spiel der freien Marktkräfte beruht, wie es der Name suggerieren täte und wie es ihre Apostel und Propheten, nämlich die allerdümmsten Ökonomen immer wieder behaupten. Ganze Wirtschaftssektoren funk­tio­nieren überall auf der Welt nur über staatliche Direkt­auf­träge oder Agenturen oder Versi­che­rungen, zum Beispiel das Gesundheitswesen, wo privat­wirt­schaftliche Giganten wie Siemens in der Medizinaltechnik oder die gesamte Pharmaindustrie ein währschaftes Auskommen finden. Wie weit man den Infrastruktursektor fassen will, bleibt dem persönlichen Geschmack überlassen; auf jeden Fall gibt es im Bereich Luftfahrt einerseits günstige und absurd günstige Angebote von Billig­flie­gern, anderseits toben bei den Herstellern der Geräte epische Kämpfe, wie ich zum Beispiel einem Bericht von Thomson Reuters vom 24. Mai entnehme. Es geht um den Kauf von F/A-18-Kampf­flug­zeugen der US-amerikanischen Firma Boeing durch die kanadische Regierung. Diese droht, den Auftrag zu stornieren, wenn sich Boeing nicht bereit erklärt, eine Klage gegen den kanadischen Mischkonzern Bombardier fallen zu lassen. Zur Debatte steht ein neues Kurzstreckenflugzeug, welches Bombardier endlich auf den Markt gebracht hat und das vor allem in Nordamerika zum Einsatz kommen soll. Boeing behauptet, dass Bombardier diesen Flugzeugtyp der Fluggesellschaft Delta Air Lines zu Dumpingpreisen angeboten habe, und hat deshalb bei einem US-Handelsgericht Klage eingereicht. Dass Boeing das Risiko des Verlusts eines gewaltigen Auftrages durch den kanadischen Staates auf sich nimmt, hat damit zu tun, dass der Flugzeughersteller befürchtet, jetzt im Kurzstreckenbereich mit Bombardier das gleiche zu erleben wie Ende der 1970-er Jahre mit Airbus, welche man zu Beginn nicht Ernst genommen hatte und die sich damit ohne größere Widerstände auf dem Weltmarkt etablieren konnte. Diesen Fehler will Boeing nun um jeden Preis vermeiden, umso mehr, als auch China demnächst mit eigenen Passagierflugzeugen aufwarten möchte, und der russische Hersteller Irkut hat für seinen neuesten Mittelstreckentyp MC 21 bereits 180 Bestellungen, vor allem aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion erhalten.

Strategisch ist das verständlich, aber alle Beteiligten wissen, dass die großen Flugzeughersteller weitestgehend mit Staatsgeldern arbeiten, Airbus mit jenen der Europäischen Union, Boing mit den Dollars der US-Regierung und Bombardier mit der kanadischen Regierung im Hintergrund, welche allerdings ungleich weniger potent einzuschätzen ist als die EU und die USA. Neben der Aussicht auf den Markteintritt von China ist übrigens auch noch die brasilianische Embraer im Spiel, aber auch sie mit einer deutlich kleineren Produktepalette, und vor allem bauen weder Bombardier noch Embraer nebenher noch modernste Kampfflugzeuge.

Bombardier ist ja ein Mischkonzern, der auch an anderen Fronten laufend in Rechtsstreitigkeiten mit Konkurrenten verwickelt ist. Aus meiner näheren Umgebung, nämlich aus Zürich, zitiere ich den Streit um einen Auftrag für siebzig neue Tramwagen für die Stadt, welcher an Bombardier vergeben wurde. Selbstverständlich wehrten sich die beiden Mitbieter Siemens und die schwei­zerische Stadler Rail gerichtlich gegen diesen Beschluss und sprachen von Korruption und davon, dass ihre Angebote viel günstiger und besser gewesen seien. Das Gericht hat im Frühjahr diese Einsprachen jedoch abgewiesen beziehungsweise den Einsprachen die aufschiebende Wirkung entzogen, worauf sie zurückgezogen wurden. Das gleiche geschieht in allen Märkten bei der Vergabe von Aufträgen für die jeweiligen Straßenbahn- und Eisenbahngesellschaften, immer mit den gleichen Argumenten und den Anstrengungen der beauftragten PR-Agenturen, den Mitbe­werber in der Öffentlichkeit irgendwie anzuschwärzen. Versteht sich, dass in Ländern wie zum Beispiel der Türkei auch noch die entsprechenden Verwandten der machthabenden Familien geschmiert werden wollen. Dafür eignet sich dann wieder die brasilianische Embraer wohl am besten. Freie Marktwirtschaft in Reinkultur.

Ich will an dieser Stelle das Spiel der Marktkräfte gar nicht schlecht machen, es hat seine Vorzüge schon längstens bewiesen, so wie die Demokratie eine viel sensiblere und flexiblere Staatsform ist als autoritäre Modelle, und der skandinavische Typus des Sozialstaates, zu welchem ich auch Deutschland rechne, ist die historisch bisher erfolgreichste Mischung aus den beiden. Mir geht bloß das ideologische Gekrächz der erwähnten bürgerlichen Propheten auf den Wecker, welche die enor­men Interessenbindungen auf weiten Teilen der globalen Märkte einfach ignorieren. Der Kapitalis­mus ist kein reines Marktmodell, war es noch nie und wird es nie sein. Allein die militärische Do­mi­nanz der Vereinigten Staaten von Amerika sorgt dafür, dass zahlreiche Auseinandersetzungen im Handelsbereich gar nicht erst ausbrechen, um dieses zusätzliche stabilisierende Element auch noch kurz zu erwähnen. Im Übrigen sind die USA neben dem Militär auch in der Justiz globale Vorreiter, wie die Klage von Boeing gegen Bombardier als ein ganz kleines Beispiel zeigt. Die Furcht der Auto­mobilindustrie vor den Launen der US-Umweltbehörden, die Angst der Banken vor den Lau­nen der US-Justizbehörden und insgesamt die Panik von Unternehmerinnen und Unternehmern auf der ganzen Welt vor Engagements, bei denen US-amerikanische Gerichte zuständig sind bei Strei­tig­keiten, das ist bereits eine neue, sozusagen paramilitärische Form, mit welcher die Weltmacht den Rest der Welt bei der Stange hält.

Aber all dies sind halt Umweltbedingungen, an die wir uns zu gewöhnen haben, solange uns nichts besseres einfällt.

Kommentare
01.06.2017 / 18:04 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
bermuda.funk
gesendet am 1.6.. Danke!