"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Anja Conzett
ID 97154
Die Quantenphysik des Journalismus und für Journalistinnen besteht darin, dass niemand, also wirklich niemand mit Worten darstellen kann, was ist. Die Wirklichkeit lässt sich nicht umfassend mit Sprache fassen oder wiedergeben.
Audio
12:22 min, 11 MB, mp3
mp3, 126 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.09.2019 / 14:43
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Dateizugriffe: 2110
Klassifizierung
tipo: Kommentar
lingua: deutsch
settore/i di redazione: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung
autrici/autori: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
data di produzione: 10.09.2019
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Skript
Dies ist eine zweifellos grundlegende, aber bei weitem nicht ausreichende Bestimmung von Journalismus, sonst wäre dies ja keine quantenphysikalische Definition; eine weitere Bestimmung besteht darin, dass Journalismus trotz allem nach Wahrheit ringt und ihr oftmals nahe kommt, in einzelnen Fällen enthüllt sie sich ihm einen kurzen Moment lang, und das ist dann der Enthüllungsjournalismus. Für diesen Moment beißen Journalistinnen nicht nur oft auf Granit, sondern durchaus auch ins Gras, das bekannteste Beispiel in letzter Zeit in Europa ist der slowakische Recherchierjournalist Jan Kociak, ebenfalls ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat sich der Mord an Anna Politkowskaja im Jahr 2006 und im Auftrag oder mit freundlicher Genehmigung von Wladimir Putin. Dann gibt es eine weitere quantenphysikalische Dimension des Journalismus, welche in der Menge besteht: Was sich heute Journalistin nennt und Journalismus betreibt, ist in 999 von 1000 Fällen keine oder keiner, mindestens soweit Beruf und Tätigkeit auf einen idealen Journalismus referenziert ist, welcher eben nach Wahrheit sucht und gründlich sucht, also recherchiert, und zudem auch noch zu ordnen versucht. Suchen und Spüren – diese Komponente des Journalismus fehlt bei 999 von 1000 Medienschaffenden, ohne dass man ihnen deswegen einen Vorwurf zu machen braucht; es ist halt ein Beruf wie jeder andere auch, und bezahlt werden Journalistinnen in den meisten Fällen nicht für eine Annäherung an Wahrheit oder die Darstellung derselben, sondern für die Vermittlung jener Informationen, die das gewünschte Weltbild am besten reproduzieren, sei es das Weltbild der Verlegerinnen oder jenes der Leserinnen, was bei Medien, die schon längere Zeit existieren, mehr oder weniger übereinstimmen sollte, egal, ob es sich um die Zeitung «Welt», um die «Junge Welt» oder um die «Junge Freiheit» handelt. An die Werbebotschaften oder Dekomagazinen oder Fachzeitschriften haben wir hier noch nicht mal gedacht, welche aber die Massenware im Journalismus darstellen. Und nicht gesprochen haben wir von einer weiteren Dimension im Journalismus, der Sprache: Auch hier gibt es den einen unter 1000 Fällen, wo die Journalistin auch sprachlich etwas leistet, was zu einer Erweiterung oder Perfektion auf diesem Gebiet beiträgt. Die übrigen 999 Exemplare brauchen sich erneut nicht zu schämen, eine herausragende Leistung kann nur dann herausragen, wenn es rund herum den Durchschnitt gibt, sie haben also eine wichtige Rolle zu spielen. Eine andere Dimension, die zur Enthüllung der Wahrheit unerlässlich ist, besteht in der Selbstreflexion: Nur wer die eigene Rolle im Erkenntnis- und Darstellungsprozess richtig ausweisen kann, und das braucht nicht einmal explizit zu sein, das kann schon durch die Wahl der persönlichen Stilmittel erfolgen oder eben im höchstpersönlichen Ausdruck, aber nur wer dies transparent macht, kann Aussicht auf einen Moment im Licht der Wahrheit haben. – Und von den weiteren 10'345 Dimensionen des Journalismus will ich hier gar nicht sprechen. Eigentlich geht es mir nur darum, eine Journalistin zu zitieren, welche wieder mal nach meinem Maul geschrieben hat beziehungsweise nach meinem persönlichen OCRP, meinem System der Optical Character Recognition and Processing, seltsamerweise sogar mit einem Zitat: «Der Wissenschaftsautor Brian Clegg schätzt, dass ein Drittel des Bruttoinlandprodukts von Industrieländern auf Errungenschaften der Quantenphysik beruht», schreibt bzw. eben zitiert Anja Conzett in einem Artikel in der Online-Zeitung «republik» vom 7. September 2019 und liefert mir damit eine Zahlenangabe zur wirtschaftlichen Bedeutung der Quantenphysik, die ich umgehend in meinen Argumenten-Köcher gesteckt habe, um sie bei jeder Gelegenheit gegen wen auch immer abzuschießen.
Merkel muss weg? Odinaja Rossija? Brexit? Polnischer, tschechischer, ungarischer, türkischer, französischer, österreichischer, Andorra- und Schweizer Nationalismus? Die Wissenschaft forscht in Lichtgeschwindigkeit an den Grundlagen unserer Existenz und transformiert sie mit tiefgreifenden Auswirkungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, und die moderne Gesellschaft steckt den Kopf nicht in den Sand, sondern in die Scheiße des Nationalismus? Verhalten sich deutsche Quantenteilchen eventuell anders als marokkanische? Ist die polnische Künstliche Intelligenz vielleicht etwas agiler als die chinesische? – Nein, mein Herr, was wir hier beobachten, ist exakt jenes Phänomen, das Olga Slawnikowa in ihrem Roman «2017» beschrieben hat. Weil sie nicht nur nicht mitbekommen, was sich in der echten Realität ereignet und weil sie es gar nicht mitbekommen wollen, zetteln die Menschen irgendeinen Scheinkonflikt als realen Konflikt an aus Gründen, die wir gar nicht kennen wollen und die sie selber sowieso nicht kennen. Bei Slawnikowa geraten die Feierlichkeiten zur Konzelebration des 100-Jahr-Jubiläums der russischen Revolution aus dem Ruder, indem die Figuranten der, als Theater gedachten Aufführung der Schlacht zwischen Weißgardisten und Rotgardisten mit einemmal mit echter Munition aufeinander feuern; bei uns ist es die Schabracken-Parodie des historischen Nationalismus, die uns vorgeführt wird, prominent natürlich vom Enkel des damaligen türkischen Außenministers, der heute den Winston Churchill gibt in einer Aufführung, die sogar John Waters zu Tränen rühren würde, aber unter uns gesagt, die Europäische Union erscheint heute doch gerade darum so verdammt lausig, weil in ihrem machtlosen Parlament und vor allem im Reigen der bestimmenden Regierungschefs der Kampf der verschiedenen Nationalinteressen in diesem Staatenbund tobt, als hätten sie alle zusammen den Austritt mindestens aus der Idee von Europa gegeben.
Unglücklicherweise warten wir nach wie vor auf eine tiefgreifende Reform der fortschrittlichen Teile in der Politik, namentlich der Linken, welche damit beginnen müsste, dass sie endlich von ihrem Gejammer über die Verteilungs-Ungerechtigkeiten abrücken täte, was sie ohne Problem tun könnte, ohne dabei die Feststellung dieser Verteilungs-Ungerechtigkeit zu bestreiten, aber in der aktuellen Phase unserer Gesellschaft geht es nun mal nicht um diese ziemlich schwammige Frage, sondern es geht darum, die Feststellung zu etablieren, dass wir uns seit langer Zeit in einer Gesellschaft des Reichtums bewegen und dass wir unsere Ziele auf dieser Grundlage zu erarbeiten haben, inklusive Beseitigung der Verteilungs-Ungerechtigkeit. Noch mehr: Die Gesellschaft des Reichtums erschließt sich mit jeder Sekunde neue Reichtums-Potenziale, die sich nicht oder nicht nur oder nicht vor allem in den Milliarden von Susanne Klatten und anderer Strohwitwen rechnet, sondern eben in den produktiven und wissenschaftlichen Grundlagen unseres Lebens. Das ist doch der Punkt, und hier können auch mit links Forderungen formuliert werden: Baut mal ein paar Wirtschafts- und Forschungszentren in den neuen Bundesländern! Vielleicht nicht gerade im oberen Elbtal, dort scheint die Bevölkerung gerade wirklich beratungsresistent zu sein, aber es gibt ja auch noch andere Bundesländer. Informiert doch die Bürgerinnen und Bürger darüber, was mit diesen neuen Quantensprüngen, wie sie tagtäglich getätigt werden, für Möglichkeiten entstehen!
Es scheint, als ob es noch eine ganze Weile dauern würde, bis dies in die Köpfe eingedrungen ist, und deshalb werden Teile dieser Sendung in nächster Zeit möglicherweise etwas repetitiv aussehen. Aus diesem Grund sprechen wir mal von etwas völlig anderem. Kürzlich habe ich den Roman «Maschinen wie ich» von Ian McEwan gelesen, der vom Besitzer eines neuartigen Roboters und eben seinem Roboter handelt. Die Rahmenhandlung lasse ich hier mal beiseite mit den Annahmen, dass Alan Turing 1952 nicht chemisch kastriert worden sei und sich nicht 1954 umgebracht hätte, sondern die Computertechnologie um vier Jahrzehnte früher entwickelt hätte, weshalb der Roman auch zur Zeit des Falkland-Krieges spielt, den England in Ian McEwans Roman auch verliert. Ich lasse diese Spielereien beiseite, weil sie auch McEwan nicht interessieren und halt runtergenudelt werden, weil sie ihm en passant in den Sinn gekommen sind, ohne Tiefgang und irgendwelche Konsequenzen. Dagegen könnte die Spannung zwischen Mensch und Maschinenmensch eine anständige Story erlauben, wobei diese Story schon nach ein paar Dutzend Seiten entstellt wird, indem der Robotermensch dem erzählenden Ich das Handgelenk bricht und ihm verbietet, ihn je wieder abzustellen. Das ist ein derart himmelschreiender Verstoß gegen sämtliche Grundlagen der Programmierung, dass man ihn eventuell bei der Einrichtung des Plots oder irgendeines Plots begehen könnte, aber doch nicht schon als Einleitung. Schließlich besteht der Plot am Schluss ja auch aus dem Konflikt zwischen der grundlegend ethischen Programmierung des Maschinenmenschen und den alltäglichen kleinen und großen Lügen, welche das Leben der normalen Menschen erst ausmachen, der aber durch die erwähnte Tätlichkeit des Roboters Adam komplett verunstaltet wird. – Davon abgesehen habe ich die Monologe von Turing und verschiedene andere Betrachtungen zur Künstlichen Intelligenz mit beschränktem Interesse und mit null Zuwachs an Wissen oder Einsicht gelesen. Selbstverständlich halten verschiedene Nebenschauplätze und das erzählerische Handwerk von McEwan soviel Energie aufrecht wie ein Notstromgenerator, dass ich das Buch dann doch zu Ende gelesen habe; aber wenn es um ein paar wirklich aufregende Momente rund um menschenähnliche Roboter geht, dann empfehle ich doch nach wie vor die schwedische Fernsehserie Real Humans.
In einem Museum in Basel, konkret im Kunstmuseum habe ich sodann zufälligerweise den südafrikanischen Künstler William Kentridge entdeckt, übrigens neben einer weiteren Entdeckung, aber aus der Vergangenheit, nämlich einem Bild von Georg Scholz, den ich euch gerne zur intensiveren Betrachtung empfehle. Kentridge dagegen ist in Basel vor allem mit einer Reihe von Videos zu sehen, in denen er oft als Darsteller zwei oder drei Mal gleichzeitig auftritt und mit sich selber diskutiert oder Musik macht in einer wirklich höchst erbaulichen Art und Weise. Richtig beeindruckt, und zwar bis zur, leider, momentanen Sprachlosigkeit hat mich dann die über zirka zwanzig raumhohe Leinwände in einem dreiviertel Kreis im großen Ausstellungssaal projizierte Prozession «More Sweetly Play the Dance» aus dem Jahr 2015. Schattenrisse von schwarzen Menschen, zuvorderst eine Brass Band, welche zum Tanz respektive korrekter eben zur Prozession aufspielt, gefolgt von einem Panoptikum aus Landarbeiterinnen und Bewohnerinnen der Vorstädte, wie ich annehme, ziehen vor einem kargen, kahlen, wie zerbombten Hintergrund zur ziemlich einfachen Musik vorbei, die ein tieferes Echo in jenen Zuhörerinnen auslöst, welche dafür empfänglich sind, also zum Beispiel in mir, als der beste Südstaaten-Blues, und das will schon etwas heißen. Da ich nach dieser gut viertelstündigen Projektion ziemlich sprachlos war, ganz im Gegensatz zu den erwähnten eigenartigen Selbstdialogen, brauche ich an dieser Stelle ja auch keine Worte für diese Sprachlosigkeit zu suchen, ich kann es bei der Empfehlung bewenden lassen, dass Ihr Euch, wenn sich die Gelegenheit bietet, diesen Kentridge einmal reinzieht. Von diesem «More Sweetly Play the Dance» gibt es sogar ein youtube-Video, aber das vermittelt noch nicht einmal einen schwachen Eindruck vom Original. Soll ich doch noch etwas dazu japsen? Von bewegten Tuschzeichnungen zum Beispiel? Von Scherenschnitten wie aus dem Struwwelpeter, aber eben belebt? Ach was. Schaut es euch selber an.
Merkel muss weg? Odinaja Rossija? Brexit? Polnischer, tschechischer, ungarischer, türkischer, französischer, österreichischer, Andorra- und Schweizer Nationalismus? Die Wissenschaft forscht in Lichtgeschwindigkeit an den Grundlagen unserer Existenz und transformiert sie mit tiefgreifenden Auswirkungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, und die moderne Gesellschaft steckt den Kopf nicht in den Sand, sondern in die Scheiße des Nationalismus? Verhalten sich deutsche Quantenteilchen eventuell anders als marokkanische? Ist die polnische Künstliche Intelligenz vielleicht etwas agiler als die chinesische? – Nein, mein Herr, was wir hier beobachten, ist exakt jenes Phänomen, das Olga Slawnikowa in ihrem Roman «2017» beschrieben hat. Weil sie nicht nur nicht mitbekommen, was sich in der echten Realität ereignet und weil sie es gar nicht mitbekommen wollen, zetteln die Menschen irgendeinen Scheinkonflikt als realen Konflikt an aus Gründen, die wir gar nicht kennen wollen und die sie selber sowieso nicht kennen. Bei Slawnikowa geraten die Feierlichkeiten zur Konzelebration des 100-Jahr-Jubiläums der russischen Revolution aus dem Ruder, indem die Figuranten der, als Theater gedachten Aufführung der Schlacht zwischen Weißgardisten und Rotgardisten mit einemmal mit echter Munition aufeinander feuern; bei uns ist es die Schabracken-Parodie des historischen Nationalismus, die uns vorgeführt wird, prominent natürlich vom Enkel des damaligen türkischen Außenministers, der heute den Winston Churchill gibt in einer Aufführung, die sogar John Waters zu Tränen rühren würde, aber unter uns gesagt, die Europäische Union erscheint heute doch gerade darum so verdammt lausig, weil in ihrem machtlosen Parlament und vor allem im Reigen der bestimmenden Regierungschefs der Kampf der verschiedenen Nationalinteressen in diesem Staatenbund tobt, als hätten sie alle zusammen den Austritt mindestens aus der Idee von Europa gegeben.
Unglücklicherweise warten wir nach wie vor auf eine tiefgreifende Reform der fortschrittlichen Teile in der Politik, namentlich der Linken, welche damit beginnen müsste, dass sie endlich von ihrem Gejammer über die Verteilungs-Ungerechtigkeiten abrücken täte, was sie ohne Problem tun könnte, ohne dabei die Feststellung dieser Verteilungs-Ungerechtigkeit zu bestreiten, aber in der aktuellen Phase unserer Gesellschaft geht es nun mal nicht um diese ziemlich schwammige Frage, sondern es geht darum, die Feststellung zu etablieren, dass wir uns seit langer Zeit in einer Gesellschaft des Reichtums bewegen und dass wir unsere Ziele auf dieser Grundlage zu erarbeiten haben, inklusive Beseitigung der Verteilungs-Ungerechtigkeit. Noch mehr: Die Gesellschaft des Reichtums erschließt sich mit jeder Sekunde neue Reichtums-Potenziale, die sich nicht oder nicht nur oder nicht vor allem in den Milliarden von Susanne Klatten und anderer Strohwitwen rechnet, sondern eben in den produktiven und wissenschaftlichen Grundlagen unseres Lebens. Das ist doch der Punkt, und hier können auch mit links Forderungen formuliert werden: Baut mal ein paar Wirtschafts- und Forschungszentren in den neuen Bundesländern! Vielleicht nicht gerade im oberen Elbtal, dort scheint die Bevölkerung gerade wirklich beratungsresistent zu sein, aber es gibt ja auch noch andere Bundesländer. Informiert doch die Bürgerinnen und Bürger darüber, was mit diesen neuen Quantensprüngen, wie sie tagtäglich getätigt werden, für Möglichkeiten entstehen!
Es scheint, als ob es noch eine ganze Weile dauern würde, bis dies in die Köpfe eingedrungen ist, und deshalb werden Teile dieser Sendung in nächster Zeit möglicherweise etwas repetitiv aussehen. Aus diesem Grund sprechen wir mal von etwas völlig anderem. Kürzlich habe ich den Roman «Maschinen wie ich» von Ian McEwan gelesen, der vom Besitzer eines neuartigen Roboters und eben seinem Roboter handelt. Die Rahmenhandlung lasse ich hier mal beiseite mit den Annahmen, dass Alan Turing 1952 nicht chemisch kastriert worden sei und sich nicht 1954 umgebracht hätte, sondern die Computertechnologie um vier Jahrzehnte früher entwickelt hätte, weshalb der Roman auch zur Zeit des Falkland-Krieges spielt, den England in Ian McEwans Roman auch verliert. Ich lasse diese Spielereien beiseite, weil sie auch McEwan nicht interessieren und halt runtergenudelt werden, weil sie ihm en passant in den Sinn gekommen sind, ohne Tiefgang und irgendwelche Konsequenzen. Dagegen könnte die Spannung zwischen Mensch und Maschinenmensch eine anständige Story erlauben, wobei diese Story schon nach ein paar Dutzend Seiten entstellt wird, indem der Robotermensch dem erzählenden Ich das Handgelenk bricht und ihm verbietet, ihn je wieder abzustellen. Das ist ein derart himmelschreiender Verstoß gegen sämtliche Grundlagen der Programmierung, dass man ihn eventuell bei der Einrichtung des Plots oder irgendeines Plots begehen könnte, aber doch nicht schon als Einleitung. Schließlich besteht der Plot am Schluss ja auch aus dem Konflikt zwischen der grundlegend ethischen Programmierung des Maschinenmenschen und den alltäglichen kleinen und großen Lügen, welche das Leben der normalen Menschen erst ausmachen, der aber durch die erwähnte Tätlichkeit des Roboters Adam komplett verunstaltet wird. – Davon abgesehen habe ich die Monologe von Turing und verschiedene andere Betrachtungen zur Künstlichen Intelligenz mit beschränktem Interesse und mit null Zuwachs an Wissen oder Einsicht gelesen. Selbstverständlich halten verschiedene Nebenschauplätze und das erzählerische Handwerk von McEwan soviel Energie aufrecht wie ein Notstromgenerator, dass ich das Buch dann doch zu Ende gelesen habe; aber wenn es um ein paar wirklich aufregende Momente rund um menschenähnliche Roboter geht, dann empfehle ich doch nach wie vor die schwedische Fernsehserie Real Humans.
In einem Museum in Basel, konkret im Kunstmuseum habe ich sodann zufälligerweise den südafrikanischen Künstler William Kentridge entdeckt, übrigens neben einer weiteren Entdeckung, aber aus der Vergangenheit, nämlich einem Bild von Georg Scholz, den ich euch gerne zur intensiveren Betrachtung empfehle. Kentridge dagegen ist in Basel vor allem mit einer Reihe von Videos zu sehen, in denen er oft als Darsteller zwei oder drei Mal gleichzeitig auftritt und mit sich selber diskutiert oder Musik macht in einer wirklich höchst erbaulichen Art und Weise. Richtig beeindruckt, und zwar bis zur, leider, momentanen Sprachlosigkeit hat mich dann die über zirka zwanzig raumhohe Leinwände in einem dreiviertel Kreis im großen Ausstellungssaal projizierte Prozession «More Sweetly Play the Dance» aus dem Jahr 2015. Schattenrisse von schwarzen Menschen, zuvorderst eine Brass Band, welche zum Tanz respektive korrekter eben zur Prozession aufspielt, gefolgt von einem Panoptikum aus Landarbeiterinnen und Bewohnerinnen der Vorstädte, wie ich annehme, ziehen vor einem kargen, kahlen, wie zerbombten Hintergrund zur ziemlich einfachen Musik vorbei, die ein tieferes Echo in jenen Zuhörerinnen auslöst, welche dafür empfänglich sind, also zum Beispiel in mir, als der beste Südstaaten-Blues, und das will schon etwas heißen. Da ich nach dieser gut viertelstündigen Projektion ziemlich sprachlos war, ganz im Gegensatz zu den erwähnten eigenartigen Selbstdialogen, brauche ich an dieser Stelle ja auch keine Worte für diese Sprachlosigkeit zu suchen, ich kann es bei der Empfehlung bewenden lassen, dass Ihr Euch, wenn sich die Gelegenheit bietet, diesen Kentridge einmal reinzieht. Von diesem «More Sweetly Play the Dance» gibt es sogar ein youtube-Video, aber das vermittelt noch nicht einmal einen schwachen Eindruck vom Original. Soll ich doch noch etwas dazu japsen? Von bewegten Tuschzeichnungen zum Beispiel? Von Scherenschnitten wie aus dem Struwwelpeter, aber eben belebt? Ach was. Schaut es euch selber an.