Aus Neutraler Sicht KW 15/2004: SWING

ID 6591
 
Albert Jörimann ("unser Mann in der Schweiz") produziert jede Woche einen ca. zehnminütigen Kommentar zu aktuellen politischen Themen.
Audio
10:41 min, 10 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.04.2004 / 19:35

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Musik, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 06.04.2004
keine Linzenz
Skript
Ich will jetzt nicht gerade die Mode schönreden, aber die Vorstellung, dass irgend etwas, nämlich alles Tag für Tag immer gleich bleibt – einmal abgesehen von den Tageszeiten, die ich doch als weitgehend unveränderlich akzeptiere –, diese Vorstellung hat etwas ziemlich Höllisches an sich. Jawohl, das muss die Hölle sein, auch wenn uns die Missionare glauben machen wollen, es handle sich dabei um das Paradies. Jeden Tag Rindsfilet mit Pommes frites, zehntausend Jahre lang – also pfui, man gerät ins Spucken. Nein, nicht mal die eigenen Ideen erträgt man ein Leben lang gleich, auch diese müssen sich immer mal wieder fortentwickeln, wobei ich hier den entscheidenden Begriff eingeführt habe, nämlich jenen der Entwicklung. Ich muss also nicht einfach das Gegenteil dessen denken, was ich bisher gedacht habe, sondern ich darf ganz ruhig meine Vorstellungen entwickeln, wenn ich nicht ohnehin muss, sei dies aufgrund veränderter Umstände, sei es aufgrund neu gewonnener Einsichten.

Eben, das gilt auch für die anderen Bereiche, wobei ich jetzt nicht dem schnellen und unbedachten Wechsel um des Wechsels willen, das heisst der Mode das Wort reden will, das gefällt mir nämlich auch nicht respektive nur ganz selten, und insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Mode nichts anderes ist als das Kleid der ewigen Wiederholung. Wenn man einfach oberflächlich und dafür immer schneller die Kulissen verändert, aber das Stück immer dasselbe bleibt, das gespielt wird, dann liegt Mode vor. Eben, das dann auch wieder nicht. Neue Stücke braucht das Land, brauchen wir alle zusammen in regelmässigen Abständen.

Am letzten Wochenende war ich zum x-ten Mal an einem Jazzfestival, ich muss ehrlicherweise zugeben, dass es sich immer um das selbe Jazzfestival handelt und ich an und für sich vor allem deswegen hingehe, weil ich da jedes Jahr Bekanntschaften auffrische, es handelt sich sozusagen um einen Jahresrapport. Es ist immer wieder spektakulär: In diesem Jahr wurde zum Beispiel ein Tauchunfall gemeldet, in den einer unserer Freunde verwickelt war und den sein Tauchbegleiter im Rollstuhl abschloss, das heisst, er ist seither vom Hals an runter gelähmt, also der Begleiter, nicht der Freund; aber man kann sich in etwa vorstellen, was da in so nem Menschen vorgeht, der dabei war und vielleicht doch sein Teil an Verantwortung trägt. Auf jeden Fall ist er seither nicht mehr tauchen gegangen. Ich meine jetzt wiederum beziehungsweise immer noch unseren Freund, nicht den Tetraplegiker.

Auf jeden Fall gehören zu diesem Festivalbesuch nicht nur die sozialen Kontakte, sondern eben auch Teile des Konzertbetriebs. Und hier packt mich jedes Jahr von neuem bzw. in immer stärkerem Ausmass die Frage: Wieso Swing? – Je länger ich das anzuhören gezwungen bin, und zwar sowohl die Struktur, die ich nur bürokratisch nennen kann mit den stur vorgeschriebenen harmonischen Rahmen und vor allem dem rhythmischen Cinellen-Gitter, als auch die anschliessende Ausführung mit all den Improvisationen von Saxophon und Piano und Bass, die sich auf der ganzen Welt gleichen wie ein Ei dem anderen, desto mehr packt mich die Verzweiflung und der Wunsch nach einem tiefen Tauchgang. Wie kann das sein, dass sich weltweit etwa drei Milliarden Erdenbürgerinnen und Erdenbürger der Illusion hingeben, freiheitliche, eigenständige und wenn möglich sogar innovative Musik zu machen oder zu hören, während sie weltweit milliardenfach immer nur den exakt identischen vorgefertigten Bürokratenmusikkram hören? – Das ist wirklich verblüffend.

Soweit ich das verstanden habe, war Swing selber nicht ein wirklicher Jazz-, sondern zeitweise eine Art von Tanzstil auf Jazzbasis, der sich natürlich vor etwa hundert Jahren durchaus von den damals dominanten anderen Tanzstilen und Moden abhob, so wie später der Rock ‚n‘ Roll sich dann wieder vom Swing abgehoben haben mag. Eine Zeit lang hatte der Swing dann wohl schon eine Funktion im Jazz und trieb all die verrückten Entwicklungen in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts an; aber eben: Bereits vor dreissig und vierzig Jahren wurde diese Form dann überwunden und weitgehend fallen gelassen und nur noch hin und wieder zu gegebenem Anlass verwendet, als Zitat oder als Stilmittel, aber als Stil taugte das Ganze jazzmässig dann ganz und gar nicth mehr. Dagegen taugte es als Klangbrei für ganze Generationen von angepassten Kleinbürgerinnen und Kleinbürgern, die hier die ideale musikalische Chiffre dafür gefunden hatten, eben keine Kleinbürger zu sein, sondern volle, kompetente und devote JazzliebhaberInnen mit einem Hauch von Revolte obendrein. Und das ist seither so geblieben.

Na gut, ich muss zugeben, dass die Entwicklung des Jazz ihrerseits dann an gewisse Grenzen gestossen ist, und diese Grenze heisst zunächst ganz einfach Free Jazz. Im freien Jazz wird ja unterstellt, dass praktisch jeder Ton, den die MusikerInnen produzieren, jeweils originär und situationsgeprägt einmalig sei. Es gibt theoretisch im Free Jazz keine Wiederholung, sondern nur noch Entwicklung. Wenn man sich das aber genauer anschaut, dann stellt man fest, dass das ganze rein technisch daran scheitert, dass diese Musik im Laufe der Zeit von immer den gleichen MusikerInnen gemacht wurde, die zum Beispiel nur schon an den Grenzen ihrer Fingerfertigkeit scheitern. Wer kann denn schon mehr als drei Konzerte geben im Monat, ohne auch nur die kleisnte Harmonie- oder Tonfolge zu wiederholen, noch im freiesten Konzept? – Es geht nicht, vielmehr es ereignet sich das genaue Gegenteil: Es bürgern sich Routinen ein, Clusters, Abläufe, Ton- und Harmonie- bzw. Disharmoniefolgen, die gar nicht zwingend schlecht oder untauglich sein müssen, die aber einfach nicht mehr frei sind, sondern einem Standard entsprechen, den die jeweiligen Musikerinnen für sich oder in einer mehr oder weniger bekannten Umgebung entworfen haben. Ob das Ganze dann etwas wert ist oder nicht, darüber mögen dann andere Kriterien entscheiden – fest steht nur, dass zwanzig Jahre Free Jazz natürlich ein perfektes Paradox darstellen.

So ist Jazz zu einer recht zwiespältigen Chiffre geworden für ganz unterschiedliche Musikrichtungen zum einen – denn es gibt natürlich nicht nur Swing und Free Jazz, das sind nur die beiden Pole, sondern es gibt jede Menge an Zwischenbereichen mit je eigenen Entwicklungen, Soul oder der gute alte Blues, aber auch Funk und so weiter –, sondern vor allem zu einer ziemlich dubiosen Kategorie, deren Liebhaberinnen man zunächst nicht über den Weg trauen darf. Eben: Entweder sie ergehen sich im beswingten Kleinbürgeridyll der Bürokratenmusik, oder aber sie schwelgen in einer verlogenen Freiheit, die gar keine ist. Seltsame Typen, die Jazzliebhaberinnen, die man gesxcheiter meiden würde, wenn da nicht eben immer diese Festivals wären... Dieses Jahr habe ich übrigens festgestellt, dass der Staff, also die Bühnenarbeiterinnen und Bühnenarbeiter, alle so ne halbe Wollkäppi trugen mit einem Rollkragen, der knapp über den Ohren um den ganzen Kopf rum läuft. Soweit ich festgestellt habe, gibt’s die in praktischer Ausführung auch in den Länden zu kaufen. Also nix wie hin, Freundinnen und Freunde, da zeichnet sich doch eindeutig der Gigatrend für diesen Sommer ab. Es sind übrigens, um dies noch nachzutragen, eindeutig jene Käppi, welche die ehemaligen Deckel für Franziskaner oder orthodoxe Juden abgelöst haben und eie man zum ersten Mal vor etwa zwanzig Jahren bei jenen schwarzen Musikern beobachtet hat, die vorher oder anschliessend zum Islam konvertiert sind. Immerhin – das muss man auch noch nachtragen – immerhin ist ihre Musik weder spürbar schlechter, aber auch nicht zwingend viel besser geworden durch den Wechsel des religiösen Umhanges.

Diese Tendenz hat sich nun ja auch etwas zurückgebildet, der Islam ist auch in den schwarzen Ghettos der Vereinigten Staaten nicht mehr so sexy wie auch schon, und auch bei uns sind es gegenwärtig nur ein paar Hardcore-Renitenzler, welche mit der Scharia schäkern. Etwas ist mir dabei aufgefallen, nämlich hat ja dieser in der Zwischenzeit von den Israelis in die Luft bzw. in den Himmel gesprengte Scheich Yassin doch all den Mördern und Selbstmördern für eine gute Sache versprochen, dass sie unmittelbar beim Eintritt in den Himmel eine Schar von zirka siebzig Jungfrauen zugesellt erhalten, die ihnen a fortiori, also wiederum bis in alle Ewigkeit, den Schwanz lutschen. Oder so. Nun wird ihm selber auch der Schwanz gelutscht, nehme ich an. Und ich nehme dies an, weil ich es wirklich so verstanden habe: Es handelt sich bei der Himmelfahrt gemäss Scheich Yassin nicht etwa um einen Prozess der Vergeistigung, sondern man wird sozusagen beweglich einbalsamiert in jenem Zustand, in dem man sich im Moment des Todes bzw. kurz davor befand. Ich meine, ich bin ja selber nicht ausgewiesener Islam-Experte, vielleicht meint der Islam ja auch, dass man im Paradies so wäre, wie man gerne gewesen wäre oder wie man im Moment der schönsten Entfaltung der eigenen Person und Persönlichkeit war, aber davon habe ich eben bisher nichts gelesen, sondern nur: Man erhält unmittelbar nach dem Märtyrertod siebzig Jungfrauen. Also muss ich annehmen, dass Scheich Yassin auch im Jenseits im Rollstuhl sitzt, vielleicht haben sie dort neue Techniken, was weiss ich. Auf jeden Fall scheint mir dieses Versprechen jetzt religionsübergreifend höchst gotteslästerlich. Wäre ich ein islamischer Papst, ich würde solche Leute, die solchen Stuss äussern, sofort exkommunizieren. Aber eben, ich bins ja nicht. Was ich auf jeden Fall in diesem Zusammenhang nicht begreife, ist die Tatsache, dass es unter den Selbstmordattentäterinnen auch immer einen so hohen Anteil an jungen Frauen, wo nicht überhaupt Jungfrauen hat. Die erhalten ja im Jenseits nicht sofort siebzig junge Männer zugeteilt, sondern denen ihr Glück ist es dann, sofort nach dem Tod mit dem Schwanzlutschen zu beginnen, wenn ich das richtig verstanden habe. Das halte ich, unter uns gesagt, für ziemlich pervers. Aber vielleicht erklärt mir das dann irgendwann mal jemand.