"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Tepco

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Niemand wünscht niemandem im Ernst wirklich etwas Schlechtes, außer vielleicht Donald Trump, wobei er selber zwar ziemlich vielen Menschen etwas Schlechtes wünscht, aber niemals im Ernst, denn Ernsthaftigkeit ist keine Kategorie des Mannes. Ihm selber wiederum kann man auch nicht im Ernst etwas Schlechtes wünschen, denn ihm ist alles bereits zugestoßen: Er ist Donald Trump.
Audio
10:38 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 21.09.2016 / 11:50

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 21.09.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das würde man auch seinem ärgsten Feind nicht zumuten. Stell dir vor, du bist einen Tag lang Trump: Was du da alles an Scheißdreck aus dem Mund statt aus dem Arsch rauslassen musst, das hält ein normaler Mensch nicht aus. Der biologische Gattungsbegriff für solche Wesen ist Kloaken. Wirklich, das wünscht man niemandem.

Es geht mir hier aber gar nicht um den Trump, der ist ein erledigter Fall, sondern es geht darum, ob ich den Engländern und mit ihnen den Firmen General Electric und Electricité de France sowie der China General Nuclear Power Corporation eine Atomkatastrophe in Hinkley Point oder meinetwegen auch in Sellafield an den Hals wünschen soll. Nein, ich soll es nicht. Trotzdem ist es ebenso faszinierend wie abstoßend, wie sich diese Unternehmen damit brüsten, dass sie eine führende Rolle spielen beim Bau neuer Atomkraftwerke. Angaben zu Risiken und Nebenwirkungen gibt es in der Packungsbeilage keine, aber das Beispiel des japanischen AKW-Betreibers Tepco reicht ja vollkommen aus: Das bezahlt alles der japanische Staat, und darüber freut sich natürlich auch die britische Regierung. Falls Hinkley Point oder Sellafield in die Luft gehen, Rechnung einfach nach Tokio. Auf dieser Grundlage kann man natürlich locker weitere AKW bauen.

Ärscher, soweit man sehen kann, sagt der Volksmund hierzu, und das Volkshirn fragt sich, ob es in der Biologie einen Begriff gibt für solche Streitvögel, welche die keineswegs theoretischen, sondern sehr praktischen und empirisch nachgewiesenen, periodisch auftretenden Verseuchungen von Flora und Fauna und Homines einfach so wegdrücken wie eine unerwünschte Werbebotschaft. Wenns dann mal wieder kracht, zucken sie mit den Schultern und warten darauf, dass ihre Firma unter einem anderen Generaldirektor fünf Jahre später wieder Aufträge an Land ziehen kann. – Anderseits weiß das Volkshirn so gut wie ich selber, dass unsere Empörung keinen praktischen Nutzen hat, solange die bockigen Engländerinnen und Engländer einfach weiter Atomstrom produzieren. Abgesehen davon sind sie dabei ja in guter Gesellschaft mit ebenfalls bockigen Tschechen, Litauern, Polen, Weißrussen, Ukrainern und sonstwelchen Osteuropäerinnen.

Man kann gar nicht soviel essen, wie man speiben möcht, sagt der Bayer hierzu, und da kommt mir der Witz in den Sinn vom Gast, der vor dem Nobelrestaurant in die Büsche kotzt. Kommt der Kellner heraus geeilt und fragt: «War es denn nicht gut, meine Dame?» Sagt sie: «Es war sehr gut, aber für die kleine Portion lohnt es sich nicht, mir den Hintern dreckig zu machen.» – Und damit für heute genug von der Fäkalebene.

Dagegen verspüre ich das Bedürfnis, ein kleines Kännchen Öl in das Feuer der antiamerikanischen Ressentiments gießen. Die Deutsche Bank, welche Gott behüten möge, also wie auch immer: Die Deutsche Bank will sich gegen eine Buße von 14 Milliarden zur Wehr setzen, welche ihr das US-amerikanische Justizdepartement angehängt hat im Zusammenhang mit Betrügereien um von Hypotheken gedeckten Wertschriften. Ihr erinnert euch: Subprimekrise, Finanzkrise, trilla, trulla, trallalla, und es waren natürlich nicht die Finanzfachleute der Deutschen Bank, sondern die gesamte globale Klasse der Investment Banker, welche sich an diesen Koks- und Klopapieren bereichert hat. Wie gesagt: Gott schütze die Deutsche Bank beziehungsweise sie ist mir als solche ziemlich egal, aber beim US-amerikanischen Justizdepartement beziehungsweise bei der US-amerikanischen Regierung beziehungsweise beim System USA insgesamt ist es ein Fakt, dass nicht alles nach jenen Vorstellungen abläuft, welche ein normales Rechtssystem begründen. Erstens ist die Buße rund drei Mal so hoch wie der Betrag, mit dem man nach Abschluss der Verhandlungen rechnet. Zweitens ist es vielleicht im Sinne des Rechtsstaates, wenn man kleinere Rechtsstreitigkeiten durch Verhandlungen beilegen kann; aber das Justizdepartement und damit der Staat selber sollte eigentlich von Anfang an die Rechtslinie einhalten und sich nicht wie ein Pokerspieler in Las Vegas gerieren, einmal abgesehen davon, dass man den Eindruck hat, dass die US-Amerikaner mit den eigenen Banken ganz anders umspringen. Bei den Schwarzgeldern und bei der Steuer­hinterziehung ist dies nämlich tatsächlich der Fall. Der US-amerikanische Staatstiger macht auf der ganzen Welt Jagd nach potenziellen Sündern und deckt sie mit Klagen und Bußen und Sanktionen ein beziehungsweise zwingt die Domizilstaaten wie z.B. die Schweiz zur vollen Aufdeckung aller Daten und Konten und greift absolut beliebig auf die Rechtssysteme anderer Länder zu, welche nicht bedeutend genug sind, um politische und wirtschaftliche Zurückhaltung zu gebieten, während die US-Amerikaner selber innerhalb ihrer Staatsgrenzen die allergrößten Steuerschlupflöcher beherbergen, namentlich im Bundesstaat Delaware. Was dagegen den Umgang mit den eigenen Banken im Nachgang zur Subprime-Krise angeht, kann man die Ami-Regierung etwas entlasten; hier musste schon die Bank of America 16.7 Mia. Dollar bezahlen, JP Morgan 13 Mia., während Citigroup zuerst mit 12 Mia. bedroht wurde, während die Buszahlung schließlich 7 Milliarden betrug. – Drittens ist die US-amerikanische Rechtssprechung in Business-Angelegenheiten unterdessen zu einem Instrument geworden, mit welchem findige Advokaten mehr oder weniger nach Belieben irgendwelche Firmen aus- oder erpressen können, sobald sie auch nur in die Nähe der US-amerikanischen Grenzen kommen. Da es sich bei den USA nach wie vor um den größten Markt weltweit handelt, müssen selbstverständlich alle Unternehmen, welche einigermaßen Geschäfte machen wollen über eine lokale Eisdiele hinaus, in den USA ein eigenes Advokaturbüro auftun, was sicher die Absolventen der Jus-Fakultäten freut, aber das Rechtsempfinden, welches auch im internationalen Recht eine gewisse Rolle spielt, wird hier grausam frustriert.

Bei dieser Frustration handelt es sich ganz generell um eine Reaktion auf die klaren Kräfte­ver­hält­nisse: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind das Imperium, die anderen haben zu kuschen. Ihr Rechtssystem hat sich zum internationalen Zwangsrecht gewandelt, das allein aufgrund der Sanktionsmöglichkeiten deutlich über allen internationalen Verträgen und Abmachungen steht. Aus dieser Warte gesehen könnte es durchaus sein, dass das TTIP-Abkommen die Rechtsposition europäischer Unternehmen sogar stärkt, weil TTIP auch die Amerikaner in die Pflicht nimmt. Das ändert nichts an den imperialen Gegebenheiten. So ist das nun mal, damit muss man sich in der Geschäftswelt abfinden. Sie erbringen ja auch einige Gegenleistungen, sorgen zum Beispiel für billige Energie oder halten das im Zaum, was wir den internationalen Terrorismus nennen, wobei nicht immer klar ist, wie weit sie diesen Terror nicht selber erzeugen, aber sei's drum. Frustrierend ist es allemal, und das ist sicher mit ein Grund dafür, dass sich die europäischen Rechtsnationalisten so gerne mit dem Putin abgeben, weil der im Moment die einzige valable Gegenkraft auf dem Weltmarkt ist, wenn man mal die ideologischen Wundertüten aus dem moslemischen Sektor vernachlässigt.

Wir leben auf jeden Fall unter den Bedingungen eines Imperiums eigener Güte, das ich hier nicht weiter besingen will, nicht zuletzt aus dem Grund, weil auch im Imperium die Macht nicht ausschließlich im Zentrum liegt, sondern immer wie in allen anderen Systemen definiert wird durch die Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie beziehungsweise unter den verschiedenen Interessensgruppen; man muss sich nicht vorstellen, dass beispielsweise eure Bundesregierung ganz und gar ohne Einfluss sei in Washington, und die imperialen Unterstützungszahlungen für Israel wurden gerade letzte Woche deutlich aufgestockt trotz der Anti-Obama-Rhetorik von Bibi Netanjahu, der einerseits sicherlich innerlich zittert vor Vorfreude auf Donald Trump und anderseits genau weiß, dass, wenn überhaupt jemand, so nur eine Gestalt wie der Trumpdonald dem Staat Israel den Finanzhahn abdrehen wird. Eben: Insgesamt ist das moderne Imperium nicht besonders schmerzhaft, sofern man nicht gerade in Afghanistan oder im Nahen Osten lebt, was mindestens bei mir im Moment nicht der Fall ist. Trotzdem kultiviere ich nach wie vor anti­imperiale Reflexe, die ich bisher nirgends schöner ausgedrückt gesehen habe als bei den ersten Bänden von Asterix der Gallier. Nur dass in Washington D.C. nicht Julius Cäsar hockt, sondern ein Klüngel aus Lobbyisten, aus dem alle paar Jahre ein Oberlobbyist an die Spitze gepusht wird, was nicht immer ein besonders erfreuliches Schauspiel ist.
Aber welche Schauspiele sind denn schon erfreulich! Die Komödien, natürlich, aber das sind in der Regel oberflächliche und vergängliche Vergnügungen. Komödien kann man erst schreiben und aufführen, nachdem die Tragödien ausgestanden sind. Diese hinterlassen zunächst die dauerhaften Eindrücke, und es gibt davon immer wieder reichlich. Über jene Tragödien, welche ich für die prägenden unserer Zeit halte, äußere ich mich hier regelmäßig; vor allem geht es darum, dass unsere Gesellschaften den Weg nicht finden, wie man den erreichten Wohlstand in eine anerkannte gesellschaftliche Praxis des Reichtums überführt. Die wichtigsten Hindernisse davor sind in erster Linie veraltete Denkmuster, Interessenkonflikte und natürlich die internationale Dimension. Zum einen beobachten wir sogar innerhalb Europas einen wirklich Aufsehen erregenden Wettlauf um wirtschaftliche, soziale und politische Privilegien zulasten anderer Länder, und dann haben wir seit der Einführung der Smartphones als mächtige Konstante die Migration aus anderen Erdteilen. Welche Art von Ängsten das verwirrende Spiel all dieser Vektoren auslöst, sehen wir im Moment in den Landtagswahlen: Mindestens mengenmäßig hält sich das alles in Grenzen, vor allem, wenn wir in Betracht ziehen, dass die Hälfte der AfD-Wählerinnen und Wähler im Grunde genommen auch für sozialdemokratische Politik stimmen, bloß in der alternativen und nationalistischen Form. Der völkische oder nationalsozialistische Anteil hält sich in Grenzen, und man braucht kein Hellseher zu sein, um eine baldige erneute Spaltung dieser Alternative vorauszusagen, welche programmatisch tatsächlich nur von der Flüchtlings- oder Fremdenangst zusammen gehalten wird. Und auch dies, wie gesagt, in einem kleinen Umfang. Während vom Osten her die Nationalismen nach Deutschland wehen, welche aus dem Untergang des Warschauer Paktes entstanden sind, blasen aus dem Norden doch stets kühl vernünftige Brisen über das flache Land. Das wird sich nicht so bald ändern.